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Sozialismus von unten - Nr.4, 5/2000
von Florian Kirner


Sie kommen alle wieder!

Franz Josef Degenhardt: Cafe nach dem Fall
Kai Degenhardt: Dekoholic
Hans Söllner: 241255

 

„Lieder, wie ich sie mache, hätte es doch zu allen Zeiten gegeben, gerade in Deutschland haben wir’ne gute und alte Tradition solcher Songs – Walther von der Vogelweide, Paul Gerhardt, Georg Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, Ernst Busch und so weiter, immer hätten solche Lieder die Bewegung begleitet...“

Franz Josef Degenhardt: „Der Liedermacher“

Roman, München 1982

 

Die doppelte Enteignung der revolutionären Arbeiterbewegung durch Faschismus und Stalinismus hat viele gute und alte Traditionen nahezu ausgelöscht. Zu den bedauerlichsten Verlusten gehört das gemeinsame Singen beim gemeinsamen Kämpfen.

Man muß sich einmal Originalaufnahmen von Ernst Busch aus dem belagerten Madrid anhören – mit den Einschlägen der Franco-Granaten als unfreiwilligen sound effects im Hintergrund! – um eine Vorstellung zu bekommen, wie organisch das politische Lied in dieser Zeit mit den stattfindenden Kämpfen verbunden war.

Das politische Lied kam und ging mit diesen Kämpfen und der revolutionären Bewegung. Folgerichtig erlebte es seinen bisher letzten großen Aufschwung mit der Revolte von 1968. Eine ganze Reihe von Liedermachern spielte damals eine herausragende Rolle, Franz Josef Degenhardt landete sogar Top Ten Hits.

Mit dem Niedergang der 68er-Linken setzte der Siegeszug der Popkultur ein. Der Inhalt wurde zur Nebensache, der in Unterhaltsamkeit berechnete Marktwert wurde zur einzigen Meßlatte.

Deutschsprachige Musik als solche fand sich im Zuge dieser Entwicklung fast schon in die Position einer Nischenkultur abgedrängt. Das Lied aber, das politische zumal, war so dermaßen inkompatibel mit dem herrschenden Sound der 80er und frühen 90er, daß es ganz grausig unter die Räder geriet.

Kommen sie nun wieder, in der Ära nach Seattle? – Bänkelbarden, Volkssänger und -tribunen, Kabarettisten, Spötter, Verseschmiede, systemfeindliche Kauze aller Art?

Drei Neuerscheinungen geben Anlaß zur Hoffnung.

Franz Josef Degenhardt ist der Altmeister der Liedermacherei. Er hat dementsprechend gelitten: Unter dem Niedergang der Linken, unter seiner zunehmenden kulturellen Isolation und unter dem Zusammenbruch des Ostblocks und vieler Illusionen.

Trotz ihres verunglückten Titelfotos kann man mit der ersten CD im neuen Jahrtausend erleichtert feststellen, daß sich der alte Kampfgeist endgültig wieder durchgesetzt hat. „Cafe nach dem Fall“ enthält unter anderem eine wunderschöne Hommage an die antifaschistische Jugend der 30er und 40er, zerlegt die rot-grüne Modernisiererideologie in ihre Einzelteile und in dem Lied „Ich ging im Mai“ heißt es:

„So ganz unmöglich hört / das Mögliche sich an / daß man zur Zeit davon / eben nur singen kann / Und dabei flackern ja schon längst / an allen Ecken dieser Welt / die Feuer, die Signale sind / daß bald nichts mehr zusammenhält / Und im Gedächtnis bleibt ja auch: / Letztmal gelang es 70 Jahr’ / während davor die Commune schon / nach 70 Tagen geschlagen war. / Es war einmal Väterchen Franz / und wenn sie nicht gestorben sind... / Ja, ja, doch daß es möglich war / vielleicht, daß es nochmal – und besser dann gelingt.“

Man muß die Ostblockanalyse auch hier nicht teilen, um zu sehen: Der Alte hat wieder angebissen!

Zumal sich in dem 22-Minuten-Hammer „Cafe nach dem Fall“ – einem feinfühligen Panorama der Kulturlinken des 20. Jahrhunderts mit dem Degenhardt ein ganz großer Wurf gelungen ist – neben einem ziemlich positiven Bezug auf Trotzki auch die schöne Szene findet, wie Stefan Hermlin den DDR-Größen Ulbricht und Honecker „diese pikante Stelle“ aus dem Kommunistischen Manifest „über die freie Entwicklung des Einzelnen als Bedingung für die freie Entwicklung aller“ vorliest.

Franz Josef Degenhardt hat das politische Lied von der Folkmusik emanzipiert und zu einer eigenständigen Kunstform ausgebaut, indem er es für diverse Einflüsse von Jazz über Reggae bis HipHop geöffnet hat. Er ist aber auch eines der letzten Brückenglieder zwischen der Tradition der 20er und 30er Jahre und einer neuen Generation politischer Künstler.

Wie schön dieser Brückenschlag innerfamiliär klappt, zeigt „Dekoholic“, die zweite CD von Kai Degenhardt. Während die inhaltliche Grundlinie der CD für meinen Geschmack ein, zwei Spuren zu melancholisch ist, liegt ihre Bedeutung vor allem im ästhetischen Bereich.

Das, was Kai gerne als „Anti-Pop“ bezeichnet, wird hier wirklich greifbar: Eine radikale Ästhetik, die den Zuhörer mit beinahe masochistischer Rigorosität vor die Alternative stellt, seine Position als passiver Konsument zu verlassen – zweimal, dreimal anhören, gescheit hinhören, mitdenken, sich emotional einlassen – oder Kai Degenhardt unter „Kann ich nix damit anfangen“ abzuhaken.

Ersteres zu wählen, ist ausgesprochen lohnend. Im konkreten Fall kann man getrost sagen: Das is’ mal was Neues!

Welche Wirkung das Lied im politischen Ernstfall haben kann, zeigt der Söllner Hans, dem ästhetische Fragen eher wurscht sind. Er ist ein Volkssänger im klassichen Sinn und seine Kunst besteht nach eigener Aussage darin, keine Kunst zu machen, sondern zu sagen, was er denkt. Es offenbart einiges über die bürgerliche Demokratie, das genau das eine Kunst für sich geworden ist.

Es wird Zeit, daß Söllner aus seiner Heimatbasis in Bayern und Österreich ausbricht. Dort hat er nicht nur eine riesige Fangemeinde, sondern ist zu einem Politicum ersten Grades geworden. Seine regelmäßig wüsten Beschimpfungen deutscher Führungskräfte aus Politik, Polizei und Geistesleben haben ihn nämlich nicht nur populär gemacht, sondern auch zur Zielscheibe des bayerischen Innenministeriums.

In einer zentral gesteuerten Kampagne werden Konzertbesucher polizeilicherseits schickaniert, wilde Gerüchte über Söllner lanciert, sein Haus und Auto in periodischen Abständen durchsucht und gerichtliche Auftrittsverbote in bayerischen Städten und Gemeinden erwirkt.

Seine neue Live-CD ist als Gesamtkunstwerk ein wuchtiger Gegenangriff auf den Stoiber-Staat und seine Exekutive. Die Zwischentexte über Polizeirassismus und Staatswillkür sind nicht nur zum Brüllen lustig, sondern mitunter auch wütend gebrüllt. Die dümmlichen Witze über Frauen und Schwule hat sich Söllner dankenswerterweise weitestgehend abgewöhnt.

Ein Blick auf die Reaktionen seiner Fans auf der Homepage www.soellner-hans.de läßt ahnen, wie wichtig Söllner für die geworden ist, denen die Luft im CSU-Staat nicht mehr zum Durchatmen reicht. Das bayerische Innenministerium weiß, wen es da bekämpft.

Drei CDs, drei Volltreffer: Popnasen und Partyclowns aufgepaßt – das politische Lied kommt wieder!

 

 


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