Inhalt
Duncan Hallas: Trotzki · eine politische Kurzbiographie
Natalia Sedowa Trotzki: Bruch mit der 4. Internationale
Anmerkungen
Leo Davidowitsch Bronstein (Trotzki)
Am 25. Oktober 1879 in Janowka (Gouv. Cherson), Ukraine, als Sohn eines jüdischen Mühlenpächters geboren.
Am 20. August 1940 in Mexiko gestorben.
1886 Besuch der deutsch-jüdischen Schule in Gromoklej.
1888 Besucht die Schule "Zum Heiligen Paulus" in Odessa. Lernt dort Deutsch und Französisch.
1896 Macht in Nikolajew das Abitur mit Auszeichnung. Erste Kontakte zu revolutionären Zirkeln. (Verwirft den Marxismus).
1897 Gründet den "Süd-Russischen Arbeiterbund".
1898 Auflösung des "Arbeiterbundes". Gefängnis in Cherson und Odessa.
1899 Bekenntnis zu Karl Marx. Zu 4 Jahren Verbannung verurteilt.
1900 Heiratet Alexandra Sokolowskaja.
1901 Nimmt den Namen Trotzki an. Illegal in Österreich. Im Oktober in London.
1904 Schreibt die Broschüren "Unsere politischen Aufgaben" und "Vor dem 9. Januar".
1905 Illegal in St. Petersburg. Vorsitzender des ersten Sowjets. Wird im Dezember verhaftet. Schreibt mit Parvus das "Finanzmanifest".
1907 Flieht aus Sibirien über St. Petersburg nach Finnland, von dort nach Deutschland.
1908 Gibt in Wien "für einfache Arbeiter" die Zeitung "Prawda" heraus.
1911 Auf dem Parteitag der SPD in Jena.
1913 Begegnung mit Stalin in Wien.
1914 Tagung der II. Internationale in Brüssel. Wendet sich gegen Lenins Taktieren. Wieder in Wien. Im August mit der Familie in der Schweiz.
1915 Zimmerwalder Konferenz. Verfasser des "Manifest". Lenin in Paris. Versöhnung mit Trotzki.
1916 Ausweisung aus Frankreich. Mit dem Schiff in die USA.
1917 In New York. Nach der Märzrevolution wieder in Rußland. Zusammen mit Lenin Vorbereitung des Umsturzes. Wird Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten. Führer der bolschewistischen Friedensdelegation in Brest-Litowsk.
1925 Bis Januar Volkskommissar für Krieg und Marine.
1926 Ausschluß aus dem Politbüro.
1927 Verbannung nach Turkestan.
1929 Ausweisung aus der Sowjetunion. Lebt in der Türkei. Beendet die Schriften "Mein Leben" und die "Geschichte der russischen Revolution".
1935 Erhält Einreisevisum für Norwegen. Beendet sein letztes Buch "Verratene Revolution".
1936 Anschlag auf sein Haus.
1937 In Mexiko. Gorki, Scholochow, Ehrenburg, Dreiser, Feuchtwanger, Barbusse und Aragon verlangen seinen Tod.
1938 Arbeitet an einer "Lenin-Biographie". Sein jüngster Sohn wird in Workuta ermordet.
1940 Falsche Polizeibeamte überfallen sein Haus. Er entkommt.
Am 20. August schlägt Jackson-Mercador Trotzki mit einem Eispickel nieder.
Trotzki stirbt am Tage darauf.
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Im Mai 1940 schrieb Leo Trotzki einen
Artikel mit dem Titel "Stalin trachtet nach meinem Leben".
Das war eine genaue Voraussage. Drei Monate später, am 20. August hieb der stalinistische Agent Ramon Mercador,
alias Frank Jackson, einen Eispickel in den Schädel Trotzkis in Coyoacan, Mexiko.
Dieser Mord war der letzte der Massenmorde, mit denen die stalinistische Bürokratie die
Alte Garde der Bolschewisten liquidierte. Rykow, Lenins Nachfolger als Vorsitzender des
Rats der Volkskommissare, wurde erschossen. Sinowjew, Vorsitzender der Kommunistischen
Internationale zu Lenins Lebzeiten wurde erschossen. Bucharin und Pjatakow, nach Lenins
Testament "die fähigsten der jungen Mitglieder des Zentralkomitees" wurden erschossen.
Rakowski und Radek kamen um. In den "Arbeitslagern" der Arktis verschwanden für immer
zehntausende alter Parteimitglieder. Die Kämpfer, die die Oktoberrevolution gemacht
hatten, wurden praktisch ausgerottet.
Nur eine der führenden Persönlichkeiten der Jahre der Revolution und des Bürgerkriegs überlebte.
Joseph Stalin, der Mann, dessen Absetzung als Generalsekretär der Partei Lenin verlangt hatte, regierte
nun Rußland despotischer als Iwan der Schreckliche es jemals getan hatte.
Trotzki schrieb sein abschließendes Urteil über diese Ereignisse ein Jahr vor seinem
Tod. "Der Stalinismus mußte die führenden Kader der Bolschewisten zuerst politisch und dann physisch auslöschen,
um das zu werden, was er jetzt ist: ein Apparat der Privilegierten, ein Bremsklotz für
den geschichtlichen Fortschritt, eine Agentur des Weltimperialismus."
Die Hoffnungen der Oktoberrevolution waren durch den stalinistischen Terror beerdigt
worden. Das war kein übliche Konterrevolution. Die Landbesitzer, die Kapitalisten und die Adligen aus dem
Zarismus hatten ihre Besitztümer nicht zurückgewonnen. Stalin gründete keine Dynastie, und die führenden
Mitglieder der Bürokratie erwarben keine legalen Ansprüche auf das "öffentliche" Eigentum. Doch das arbeitende
Volk, die offiziell proklamierte "herrschende Klasse", war aller politischen Rechte beraubt, selbst der kleinsten
Rechte, die es sich unter dem Zarismus erkämpft hatte.
Die Gewerkschaften waren zu einem Züchtigungsinstrument der Arbeiterschaft geworden. Und was für eine Züchtigung!
Am 28. Dezember 1938 unterzeichnete Stalin ein Dekret, in dem festgelegt wurde, daß "Arbeiter oder Angestellte, die ihre
Arbeitsstelle ohne Erlaubnis verlassen, oder die sich schwerer Vergehen gegen die Arbeitsdisziplin schuldig machen, der
Vertreibung durch die Polizei aus ihrer Wohnung innerhalb von 10 Tagen unterliegen, ohne daß sie mit einer Unterkunft
versorgt werden." Die Arbeiter in einem "Arbeiterstaat" wurden unter die Bedingungen frühkapitalistischer Rechtlosigkeit
gezwungen!
Dasselbe Dekret hob das Recht des Arbeiters auf einen bezahlten freien Tag nach fünfeinhalb Monaten Arbeit auf und
behandelte das Zuspätkommen wie folgt. "Ein Arbeiter oder Angestellter, der sich schuldig macht, zu spät zur Arbeit zu
kommen, zu früh zu Mittag zu gehen oder zu spät zurückzukommen oder während der Arbeitszeit faul ist, wird ohne
Gerichtsverfahren abgeurteilt. Manager, die es versäumen, die Anklage zu erheben, "werden selbst entlassen oder angeklagt."
Das alles galt natürlich für den "freien" Arbeiter. Für die wirklich hartnäckigen Missetäter gab es die Arbeitslager.
Große Ungleichheiten in den Löhnen wurden eingeführt. Selbstverständlich war das kein Ergebnis von Verhandlungen.
Leistungslohnsysteme wurden allgemein üblich.
Die privilegierten Bürokraten und Manager bekamen immer höhere Gehälter plus den Vorrechten - Autos, Landhäuser,
Ferien auf der Krim, u.ä.. Wie Stalin sagte: "Wir dürfen nicht mit Phrasen über die Gleichheit spielen. Das ist ein
Spiel mit dem Feuer."
Aus der ersten erfolgreichen, eine ganze Nation umfassenden Arbeiterrevolution war eine Gesellschaft entstanden,
die die Ungleichheiten und die Unterdrückung des Kapitalismus wieder hervorbrachte, und die von einer eisernen Diktatur
regiert wurde, nicht von einer Diktatur der Arbeiterklasse, sondern einer Diktatur über die Arbeiterklasse.
Der ganze letzte Abschnitt von Trotzkis politischem Leben war dem Kampf gegen diese Reaktion gewidmet. Er
analysierte sie, erklärte ihre Ursachen und kämpfte dafür, die revolutionäre sozialistische Tradition gegen den
zermalmenden Druck des Stalinismus in Rußland und der ganzen Welt am Leben zu erhalten.
Trotzki wurde 1879 in der Ukraine als Sohn eines jüdischen Bauern geboren. Zu dieser Zeit existierte im
zaristischen Reich noch keine Arbeiterbewegung. Tatsächlich gab es fast noch keine industrielle Arbeiterklasse.
Es gab einige wenige Familien des Großadels, eine etwas umfangreichere Schicht des niederen Adels, die die
Armee und den Staatsapparat besetzten, eine Mittelklasse aus Händler, Anwälten, Ärzten, u.a. und eine riesige
Landbevölkerung. Das war das russische Reich dieser Zeit, und darüber herrschte der Zar so absolut wie Ludwig
XIV. in Frankreich geherrscht hatte.
Es gab kein Parlament, keine freie Presse, keine Freizügigkeit, keine Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz.
Bis 1861 war die große Masse des russischen Volkes, die Landbevölkerung, unfreie Leibeigene gewesen, die das Land,
auf dem sie geboren waren, nicht verlassen durften und die von ihren Herren zusammen mit dem Land gekauft und
verkauft wurden.
Rußland war rückständig, mittelalterlich; so rückständig, daß es in vielem mehr dem Frankreich vor der großen
Revolution von 1789 glich als den kapitalistischen Ländern in West- und Mitteleuropa. Aber ein großer Wandel stand
bevor. In den Jahren von Trotzkis Kindheit und Jugend entwickelte sich in Rußland die Industrie sehr schnell, angeheizt
durch ausländische Anleihen und ausländische Techniker. Neue Klassen entstanden, eine Kapitalistenklasse, die immer
noch sehr viel schwächer war als im Westen, und eine wirklich industrielle Arbeiterklasse.
Das Wachstum dieser Klassen bedeutete langfristig, daß das zaristische Regime nicht bestehen bleiben konnte. Noch
1895 konnte ein zaristischer Finanzminister schreiben: "Glücklicherweise besitzt Rußland keine Arbeiterklasse in gleichem
Sinn wie der Westen; folglich haben wir kein Arbeiterproblem." Er hinkte schon seiner Zeit hinterher. 1837 gab es schon
103.000 Metallarbeiter in Rußland, 1897 waren es 642.000. 1914 gab es schon 5.000.000 Arbeiter in einer Bevölkerung von
160.000.000.
Diese junge Arbeiterklasse entwickelte einen starken Kampfgeist. Es kam zu Massenkämpfen in einem Ausmaß, die mit
nichts vergleichbar waren seit der heldenhaften Periode der englischen Arbeiterklasse in den Jahren 1830 bis 1850. In den
ersten Jahren dieses Jahrhunderts erschütterte eine Welle von Massenstreiks den Zarismus bis in seine Grundfesten. Diese
Massenstreiks führten zur Explosion von 1905.
Eine neue Form der Selbstregierung der Arbeiterklasse, der "Sowjet" oder der Arbeiterrat, wurde durch unbekannte
russische Arbeiter erfunden. Eine Zeitlang bestand eine "Doppelherrschaft", die Macht der Arbeiter, organisiert
in den Sowjets, stand der in Panik versetzten Regierung des Zaren gegenüber.
Das ganze Regime wankte. Aber schließlich konnte es seine Macht wieder aufrichten. Die revolutionären Arbeiter
standen der Bauernarmee gegenüber, und die Landbevölkerung war dem Zaren noch ergeben. Eine mörderische Unterdrückung folgte.
Trotzki wuchs mit der Bewegung heran. Während seiner Jugendzeit trat er einer revolutionären Gruppe in Nikolajew bei,
dem Südrussischen Arbeiterbund; 1898 wurde er verhaftet, und er saß in verschiedenen Gefängnissen, bis er im Jahre 1900 nach
Sibirien deportiert wurde.
Im Sommer 1902 floh er, und im Herbst hatte er sich Lenin in London angeschlossen. Zu dieser Zeit war Trotzki Marxist
geworden und ein Schriftsteller mit einem gewissen Ruf. Lenin hieß ihn willkommen und schlug vor, Trotzki in die Redaktion
der Iskra (der Funke) aufzunehmen, der Zeitung der sozialistischen Partei, die in London gedruckt und nach Rußland geschmuggelt
wurde.
Gegen den Vorschlag erhob das älteste Mitglied der Redaktion, Plechanow, Einspruch. Plechanow war einer der
Parteigründer
und ein späterer Menschewist. Die russische sozialistische Partei sollte sich in wenigen Monaten spalten, und die
Beziehung zwischen Lenin und einigen seiner Mitherausgeber war schon gespannt.
Die Partei bestand zu dieser Zeit aus einer Handvoll Emigranten in London, Zürich und anderen europäischen
Großstädten und einer Anzahl illegaler Gruppen von Arbeitern und Studenten in einigen russischen Industriezentren
und im sibirischen Exil.
Auf dem 2. Parteitag, der in Brüssel und dann in London 1903 abgehalten wurde, kam es zur Spaltung.
Die Spaltung entstand an einer an der Oberfläche vergleichsweise unwichtigen organisatorischen Frage.
Tatsächlich waren jedoch die zugrundeliegenden Differenzen von lebenswichtiger Bedeutung.
Lenin und seine Gruppe (die die Bolschewisten, d.h. die Mehrheit, wurden) traten ein für eine
straff organisierte revolutionäre Partei, die fähig ist, Illegalität und Unterdrückung zu überleben.
Sie glaubten, daß allein die Arbeiterklasse im Bündnis mit den Bauern den Zarismus stürzen könnte
und "ihre Ersetzung durch die Republik auf der Grundlage einer demokratischen Verfassung, die die
Selbstherrschaft des Volkes gewährleistet, d.h. die Konzentrierung der gesamten obersten
Staatsgewalt in Händen einer gesetzgebenden Versammlung, die aus Vertretern des Volkes
besteht." (Lenin's "Entwurf für das Programm der sozialdemokratischen
Partei Rußlands", 1902; Ges. Werke, Bd.6, S.15)
Die Minderheit (Menschewisten) entwickelte die Auffassung, daß die
russische Kapitalistenklasse diesen Kampf anführen könnte, und sie
befürworteten deshalb eine lockere Organisation, die sich an
halblegaler politischer Arbeit ausrichtete. Keine Seite nahm
an, daß eine sozialistische Revolution in einem Land möglich
sei, daß so rückständig und unterentwickelt wie Rußland war.
Diese sozialistische Revolution würde später kommen, nach einer
Periode kapitalistischer Entwicklung unter der demokratischen Republik.
1903 waren die Unterschiede nicht so klar wie sie es später
wurden. Nicht alle verstanden vollständig die Folgen der Entscheidung,
die sie trafen. Plechanow, der spätere Führer des extrem rechten Flügels
der Menschewisten, stand an der Seite von Lenin. Trotzki stand in Opposition
zu Lenin. Es war diese Entscheidung, von der er später sagte, "das war der
größte Irrtum meines Lebens".
1905 konnten die revolutionären Emigranten zurückkehren. Trotzki, nun ein
Menschewist, spielte eine große Rolle in der nicht erfolgreichen Revolution von 1905.
Gegen Ende des Jahres wurde er Vorsitzender des Petrograder Sowjets der Arbeiterdeputierten,
damals die wichtigste Arbeiterorganisation Rußlands.
Ihre Zerschlagung durch die wiedererstarkende zaristische
Militär- und Polizeimaschine markierte den Wendepunkt der Revolution.
Trotzki kam wieder ins Gefängnis. Unter Drohung der Todesstrafe forderte er den
Zaren von der Anklagebank aus heraus: "Die Regierung hat schon längst mit der
Nation gebrochen ... Was wir besitzen ist keine nationale Regierungsgewalt,
sondern ein Automat für Massenmorde".
Die immer noch glimmende revolutionäre Bewegung machte die Regierung
vorsichtig. Der Hauptanklagepunkt - der bewaffnete Aufstand - wurde fallen
gelassen. Aber Trotzki und 14 andere wurden zu lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien und zum Verlust
aller Bürgerrechte verurteilt.
In der Jahren der Reaktion nach 1906 verdorrten und verfielen die revolutionären Organisationen,
aufgerieben durch Polizeispitzel und unaufhörliche Unterdrückung. Die menschewistischen Organisationen
in Rußland verschwanden nahezu. Selbst Lenins Gruppe schrumpfte auf einen Schatten ihrer früheren Stärke.
In den Emigrantenzirkeln entwickelten sich scharfe fraktionelle Auseinandersetzungen. Trotzki
gelang 1907 wieder die Flucht aus Sibirien, und er sah sich bald fast völlig isoliert. Zurückgestoßen
von der Wendung der Menschewisten nach Rechts und unfähig, seine Feindseligkeit gegenüber den
Bolschewisten zu überwinden, wurde er zum einsamen Wolf.
Seine einzige positive Leistung in diese Jahren war die Ausarbeitung seiner Theorie der
"Permanenten Revolution. Ihr zentraler Gedanke war, daß die kommende Revolution in Rußland
nicht auf der Stufe der "demokratischen Republik" stehen bleiben könnte, sondern in eine
Arbeiterrevolution für Arbeitermacht übergehe und sich mit den Arbeiterrevolutionen in den
fortgeschritteneren kapitalistischen Ländern verbünden würde oder unterliegen müsse.
Das war nicht so sehr verschieden von Lenins späteren Vorstellungen. Doch Trotzkis
Mißtrauen und Antipathie gegenüber Lenin verhinderte, daß er seine Kraft mit der einzigen
wirklich revolutionären Organisation, den Bolschewisten, verband.
Am 4. August 1914 wurde die Welt verwandelt. Der lang vorausgesagte imperialistische
Krieg brach aus, und die Führer der großen sozialdemokratischen Parteien vergaßen ihren
Marxismus und Internationalismus und kapitulierten vor "ihren eigenen" Regierungen. Die
Sozialistische Internationale zerbrach in Stücke.
In jedem kriegsführenden Land trennte sich die Bewegung in Überläufer zur Bourgeoisie
und Internationalisten. Im September 1915 trafen sich 38 Delegierte aus 11 Ländern in Zimmerwald
in der Schweiz, um die Prinzipien des internationalen Sozialismus zu bekräftigen. Trotzki schrieb
das internationale Manifest, das von dieser Konferenz herausgegeben wurde.
In Zimmerwald waren Revolutionäre und Pazifisten. Es kam bald zum Bruch. Der revolutionäre
Kern wurde der Vorläufer der Dritten (Kommunistischen) Internationale.
In allen kriegsführenden Ländern wuchs die revolutionäre Opposition, aber in
Rußland kam der Ausbruch. Im Februar 1917 stürzten Massenstreiks und Demonstrationen
den Zaren. Es war die kämpfende Arbeiterklasse Petrograds, viele davon Bolschewisten,
die die Bewegung führte.
Von Anfang an waren die Führer der Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und
Soldatendeputierten in der Lage gewesen, die brüchige Fassade der
"Provisorischen Regierung" einzureißen und die Macht zu übernehmen. Aber das taten sie nicht,
weil sie in ihrer Mehrheit Menschewisten und Sozialrevolutionäre (die Bauernpartei) waren, die
glaubten, daß eine "demokratische Republik" notwendig sei, um das Wachstum des Kapitalismus
möglich zu machen und damit die Grundlage für den Sozialismus in einer fernen Zukunft zu legen.
Das bedeutete Fortsetzung des Krieges und "Disziplinierung" der Arbeiter und Bauern.
Selbst einige der Bolschewisten schwankten, insbesondere Kamenew und Stalin, die zwei
Mitglieder des Zentralkomitees, die aus Sibirien geflohen waren, um die Verantwortung für die
Partei in Petrograd zu übernehmen. Aber als Lenin im April zurückkehrte, wollte er nichts damit zu tun haben.
"Nieder mit der Provisorischen Regierung", "Frieden, Land und Brot" waren seine Parolen.
Zunächst in der Minderheit in seiner eigenen Partei, gewann Lenin zuerst die Partei und dann die
Mehrheit in den Sowjets für seine revolutionäre Position. Das war durchaus die gleiche wie Trotzkis
"Permanente Revolution", und im Juli trat Trotzki mit einer Gruppe ehemaliger Menschewisten in die
bolschewistische Partei ein.
Im Herbst unterstützte die Mehrheit der Arbeiter die Bolschewistischen. Unter der
Parole "Alle Macht den Räten" wurde die Provisorische Regierung gestürzt. In Petrograd hob sich
kaum eine Hand, um sie zu unterstützen.
Die nächsten Jahre waren die Jahre von Trotzkis größtem Ruhm. Zunächst als Volkskommissar
für Außenpolitik und dann als Volkskommissar für das Kriegswesen war er als zweiter Mann hinter
Lenin der bewegende Geist der Revolution.
Das waren die Jahre des revolutionären Optimismus. Alles schien möglich. Obwohl die
Sowjetregierung verzweifelt gegen die massive ausländische Intervention kämpfen mußte - die Armeen von 14 Mächten
kämpften gegen die Revolution - und gegen die vom Ausland bewaffneten und finanzierten Weißen Armeen, schien ganz
Europa am Rande der Revolution.
Revolutionäre Sowjetregierungen wurden in Ungarn, Bayern, Finnland und Lettland errichtet.
Der deutsche Kaiser, der österreichische Kaiser und der türkische Sultan wurden gestürzt.
Ganz Deutschland schien kurz vor der Roten Revolution. In Italien lähmten Massenstreiks und
gewaltsame Demonstrationen den kapitalistischen Staat.
Selbst der besonnene Lenin schrieb 1918 "Die Geschichte hat uns, den russischen arbeitenden
und ausgebeuteten Klassen, die ehrenvolle Rolle des Vorreiters der internationalen
sozialistischen Revolution gegeben; und heute können wir klar sehen, wie weit die
Revolution gehen wird. Die Russen begannen; die Deutschen, Franzosen und Engländer
werden sie beenden und der Sozialismus wird siegreich sein."
Für Trotzki gab es keine Zweifel. Dies war der "letzte Konflikt". Als die Dritte
Internationale 1919 gegründet wurde, schrieb er in ihrem ersten Manifest:
"Die Opportunisten, die vor dem Weltkrieg die Arbeiter aufgefordert haben,
sich zu mäßigen zum Wohle des allmählichen Übergangs zum Sozialismus ...
verlangen wieder vom Proletariat Selbstverleugnung ... Finden diese Predigten
Gehör innerhalb der arbeitenden Massen, dann wird die kapitalistische Entwicklung
in neuen, noch konzentrierteren und grausamen Formen auf den Knochen mehrerer
Generationen restauriert werden - mit der Aussicht auf einen neuen und
unvermeidlichen Weltkrieg. Das ist für die Menschheit glücklicherweise nicht mehr möglich."
In der Tat, der Erfolg der deutschen Revolution stand auf Messers Schneide.
Die sich bekämpfenden Kräfte waren nahezu gleich stark. Ein Sieg hätte den Weg
Europas und der Weltgeschichte verändert. Eine Niederlage bedeutete den Triumph der
Reaktion, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Rußland.
Denn der Bürgerkrieg hatte die schon rückständige russische Wirtschaft
ruiniert und die russische Arbeiterklasse auseinandergetrieben. Die Weiße
Konterrevolution wurde geschlagen, weil die große Mehrheit des russischen
Volkes, die Landbevölkerung, wußte, daß die Revolution ihnen das Land
gegeben hatte, und eine Restauration ihnen es wieder nehmen würde.
Doch am Ende des Bürgerkriegs hatten die Arbeiter an Macht verloren,
weil sie als Klasse vernichtet worden waren. 1921 war die Zahl der Arbeiter in Rußland auf 1.240.000 gefallen.
Petrograd hatte 57,5 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Die Produktion aller industriellen Güter war auf 13
Prozent des schon schlechten Standes von 1913 gefallen. Das Land war ruiniert, hungerte, und wurde nur
zusammengehalten durch die Partei und durch den während des Bürgerkriegs entwickelten Staatsapparat.
Diese Lage war nicht vorausgesehen worden. Zur Zeit des Brest-Litowsker-Friedensvertrags mit
Deutschland 1918 schrieb Lenin: "Das ist eine Lehre, denn es ist eine absolute Wahrheit, daß wir
ohne die deutsche Revolution verloren sind." Denn es war keine Frage, daß die russische Arbeiterklasse,
eine kleine Minderheit mit einer schwachen ökonomischen Grundlage, auf Dauer nicht einen Arbeiterstaat
aufrechterhalten konnte, ohne die russische Wirtschaft mit der eines entwickelten sozialistischen Lande zu verbinden.
Später auf dem 3. Weltkongreß der Dritten Internationale 1921 bezog sich Lenin wieder auf diesen Gesichtspunkt.
"Es war uns klar, daß ohne die Unterstützung der internationalen Weltrevolution der Sieg der
proletarischen Revolution unmöglich ist. Schon vor der Revolution und auch nachher dachten wir:
Entweder sofort oder zumindest sehr rasch wird die Revolution in den kapitalistischen entwickelten
Ländern stattfinden, oder aber wir müssen zugrunde gehen."
"Trotz dieses Bewußtseins taten wir alles, um das Sowjetsystem unter allen Umständen und um jeden
Preis aufrechtzuerhalten, denn wir wußten, daß wir nicht nur für uns, sondern auch für die internationale
Revolution arbeiten."
1921 war die internationale Revolution zurückgeschlagen und das kommunistische Regime stand vor einer
weiteren hoffnungslosen Krise. Die Bauernmassen, befreit von der Furcht vor der Herrschaft der Gutsherren,
gerieten in eine gewaltsame Opposition. Bauernaufstände in Tambow, der Kronstädter Aufstand und die Streiks
zu seiner Unterstützung zeigten dem Regime, daß es nicht länger die Unterstützung der Volksmassen genoß.
Es war dabei, eine Diktatur [der Partei] über die Bauernschaft und die Überbleibsel der Arbeiterklasse zu werden.
Ein Rückzug war unvermeidlich. Seit 1921 schuf die "Neue Ökonomische Politik" (NÖP) von neuem einen inneren
Markt und gab der Bauernschaft die Freiheit, für den Profit zu produzieren, zu kaufen und zu verkaufen,
wie sie wollte. Die private Produktion von Konsumgütern mit Profit wurde ebenfalls erlaubt,
und die Großindustrie in Staatsbesitz wurde angewiesen, nach kommerziellen Gesichtspunkten zu arbeiten.
Das Ergebnis war eine langsame, aber beständige wirtschaftliche Erholung bei gleichzeitiger
Massenarbeitslosigkeit, von der immer mindestens ein Fünftel der langsam wieder
auflebenden industriellen Arbeiterklasse betroffen war. Und es entstand aus der
breiten Masse der Landbevölkerung eine Klasse kapitalistischer Bauern, die Kulaken.
Mitte der zwanziger Jahre erreichte das Wirtschaftsergebnis den Stand von 1913
und in einigen Fällen wurde es überschritten. Zu dieser Zeit hatte sich das Gleichgewicht
der sozialen Kräfte grundlegend verändert.
Was für eine Gesellschaft war im Entstehen? Schon 1920 hatte
Lenin argumentiert: "Der Genosse Trotzki spricht vom "Arbeiterstaat".
Mit Verlaub, das ist eine Abstraktion. Als wir 1917 vom Arbeiterstaat
schrieben, war das verständlich; sagt man aber jetzt zu uns: "Wozu und
gegen wen soll die Arbeiterklasse geschützt werden, wo es doch keine
Bourgeoisie gibt, wo wir doch einen Arbeiterstaat haben," so begeht man
offensichtlich einen Fehler. ... Wir haben in Wirklichkeit nicht einen
Arbeiterstaat, sondern einen Arbeiter- und Bauernstaat. Das zum ersteren
... Aber nicht genug damit, aus unserem Parteiprogramm ist bereits ersichtlich,
daß ... unser Staat ein Arbeiterstaat mit bürokratischen Auswüchsen ist."
Seitdem wucherten die "bürokratischen Auswüchse" außerordentlich, und die
herrschende Partei war sehr stark gewachsen, und die herrschende Partei selbst
war bürokratisiert worden. In Abwesenheit einer Arbeiterklasse mit der Stärke,
dem Zusammenhalt und dem Willen zu herrschen, mußte die Partei die Klasse ersetzen,
und der Parteiapparat ersetzte zunehmend die Parteimitglieder.
Eine neue Gruppe von "Apparatschiks" war neben den Kulaken und dem "NÖP-Mann"
(Kleinkapitalist) entstanden. Trotzki beschreibt in einer seiner schlagendsten
Wendungen die Politik als "Kampf um das Mehrprodukt". Zwischen diesen drei
Gruppen entwickelte sich ein Kampf über den Köpfen der Masse der armen Bauern und gegen die Arbeiterklasse.
Dieser Kampf spiegelte sich in den Reihen der nun bürokratisierten Partei,
insbesondere unter ihren Führern. Trotzki, der nun gründlich aufgeschreckt
war durch die Rechtsentwicklung, wurde der Hauptsprecher einer Strömung, die
den Kampf aufnahm für die Demokratisierung der Partei und die Wiederbelebung
der Sowjets als die wahren Organe der Arbeiter und Bauern. Diesen Kampf hatte
Lenin in den letzten Monaten seines Lebens begonnen.
Ein wesentlicher Teil des Programms der Linken Opposition (wie Trotzkis Gruppe genannt wurde)
war eine schnellere und geplantere Entwicklung der russischen Industrie. Für Marxisten war es
keine Frage, daß die Demokratisierung nicht erfolgreich sein konnte ohne eine Zunahme der Zahl,
des Selbstvertrauens und des "spezifischen Gewichts" der Arbeiterklasse.
Gegner der Linken war eine rechte Strömung, deren Sprecher Bucharin wurde. Er trat ein
für Stabilität, für Akkumulation "im Schneckentempo" und für die Priorität, die Bauernschaft
einschließlich der Kulaken zufrieden zu halten.
Und es gab eine dritte Strömung, das "Zentrum", das die Apparatschiks, die Bürokraten vertrat.
Es war damals mit der Rechten verbündet. Seine führende Persönlichkeit war J.W.Stalin, ein
alter Bolschewist, ein fähiger Organisator und ein Mann mit schrankenlosem Ehrgeiz und eisernem Willen.
Stalin schweißte die Bürokratie zu einer Klasse zusammen, ihrer eigenen Interessen bewußt und mit einer
eigenen Ideologie - des "Sozialismus in einem Land".
Die Perspektive der Opposition war die einer friedlichen Reform. Sie
dachte, der Druck der Ereignisse und die Opposition könnte die Partei und das Land reformieren.
Im Ergebnis zeigte sich das Ausmaß der bürokratischen Degeneration in der
Leichtigkeit, mit der die Opposition besiegt wurde. Obwohl sie einige der
hervorragendsten Mitglieder der Partei in ihren Reihen hatte, und ihr nach
1926 die Gruppe um Sinowjew, Lenins engster Mitarbeiter im Exil, und Krupskaja,
Lenins Witwe, wie auch die "ultralinke" demokratisch?zentralistische Gruppe,
beitraten, wurde sie mit überwältigender Mehrheit auf Parteitreffen, vollbesetzt mit Stalins
Ja-Sagern, niedergestimmt.
Im Oktober 1927 wurden Trotzki und Sinowjew aus der Partei ausgeschlossen. Bald begann
für sie und tausend andere Oppositionelle die Reise in die Verbannung. Die Opposition war
zerschlagen worden, und von ihren Verbannungsorten sagten ihre Führer eine schreckliche Gefahr von Rechts voraus.
Der Sowjetische "Thermidor", der Sturz der Partei durch die Vertreter der Kulaken und
NÖP-Leute drohte. Tatsächlich stand das Regime vor einer Gefahr von Rechts. 1928 führten
die Kulaken, ermutigt durch die Beseitigung der Linken, einen Kornstreik herbei, eine
Hortungsaktion, die die Städte mit dem Hungertod konfrontierte. Die Auswirkungen zeigten, wie
stark die Partei - und die Opposition ? sich bei der Einschätzung der rivalisierenden Kräfte verschätzt hatte.
Die Bürokratie führte einen gewaltsamen Kurswechsel durch. Nach Jahren der Befriedung
der reichen Bauern griff sie zur Zwangskollektivierung, der "Beseitigung der Kulaken als einer Klasse."
Unter der Maske der Einparteien-Herrschaft regierte eine kleine
Clique von Bürokraten Rußland. Und sie wurden bald die Marionetten
eines einzigen Mannes. 1930 war Stalin der neue Zar, wenn auch nicht der Form, so doch den Tatsachen nach.
Mit der Zwangskollektivierung war ein wahnsinniges Programm der
verstärkten Industrialisierung verbunden. Pläne, die die ehrgeizigsten
Entwürfe der optimistischsten Mitglieder der Opposition weit übertrafen,
wurden in Gang gesetzt, nur um von anderen, noch weitreichenderen übertroffen
zu werden. "Erfülle den 5-Jahres-Plan in 4 Jahren" war die Parole.
Der Mann, der sich gestern über die bescheidenen Pläne der Opposition lustig machte,
weil er sie für utopisch hielt, wollte nun die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder
in wenigen Jahren "einholen und überholen".
Der erste 5-Jahres-Plan hatte Erfolg, indem er die Grundlage für eine industrielle Gesellschaft
legte. Er erreichte das durch die allerbrutalste Ausbeutung der Arbeiter und Bauern.
Die Reallöhne fielen drastisch. Die drakonisch reglementierten "freien" Arbeiter
wurden ergänzt durch ein Heer von Zwangsarbeitern, meistens ehemalige Bauern, die
unter erschreckenden Bedingungen bei Großbauprojekten beschäftigt wurden. Jede Spur
von demokratischen Rechten verschwand. Ein ausgewachsenes totalitäres Regime entstand.
Diese Ereignisse lösten die vertriebene Opposition auf. Viele von
ihren bekanntesten Mitglieder machten ihren Frieden mit Stalin.
Auf dem anderen Extrem kamen viele Mitglieder an der Basis der
Opposition dazu, mit den "Demokratischen Zentralisten" übereinzustimmen,
daß eine neue Revolution nötig sei. "Die Partei" schrieb Viktor Smirnow,
ein Führer der Demokratischen Zentralisten, "ist ein stinkender Leichnam".
Seiner Meinung nach war der Arbeiterstaat Jahre zuvor zerstört und der
Kapitalismus restauriert worden. Trotzki konnte keine dieser Vorstellungen
akzeptieren. Gegen die Kapitulanten bestand er auf der Notwendigkeit der
Sowjetdemokratie. Gegen die Linke bestand er auf der Möglichkeit friedlicher Reformen.
Das war eine unrealistische Einschätzung, und Trotzki gab sie 18 Monate später
auf. Der Anstoß zu diesem Wandel ging von den Ereignissen in Deutschland aus.
Die linke Opposition beschäftigte sich mindestens ebenso stark mit der Politik
der Kommunistischen Internationale wie mit der Politik in Rußland.
In ihren frühen Jahren war die Dritte Internationale weit davon entfernt,
ein Werkzeug Moskaus zu sein. Aber mit dem Zurückweichen der revolutionären Stimmung
in Europa banden sich die Parteien immer stärker an die überlebende "Sowjet"herrschaft
und wurden zunehmend von ihr abhängig.
Ratschläge aus Moskau wurden die wichtigste Quelle für ihre politischen Ideen. Zunehmend
mischte sich die russische, und folglich von Apparatschiks, beherrschte Exekutive der
Internationale in das politische Leben der nationalen Parteien ein.
Der Mythos vom "sowjetischen Vaterland" wurde für europäische und asiatische Kommunisten
immer wichtiger. Nach und nach wurden die unabhängigen Geister und die ernsthafteren
Marxisten aus der Führung entfernt. Es dauerte 10 Jahre, bis die Weltbewegung zur
Fremdenlegion Moskaus heruntergekommen war. 1929 war der Prozeß vollendet.
Während der Block "Rechte-Zentrum" Rußland regierte, wurde die Politik der
Internationale nach rechts gedrängt. Halbrefomistische Politik wurde gefördert,
und das führte zu einer Anzahl von vermeidbaren Niederlagen.
Die Opposition kritisierte scharf die Politik der Kommunistischen Internationale
und versuchte, Verbindungen mit abweichenden Mitgliedern der ausländischen
Parteien aufzunehmen. Aber nachdem Stalin seine früheren "rechten" Verbündeten
in Rußland ausgeschaltet hatte, machte die kommunistische Internationale eine
heftige Linkswendung, eine wahnsinnige Linkswendung. Eine Periode der
"allgemeinen revolutionären Offensive", die "dritte Periode" wurde verkündet.
Die Theorie des "Sozialfaschismus" wurde erfunden. Die Sozialdemokratie war
"sozialfaschistisch", Gruppen links von ihr waren "linke Sozialfaschisten".
In Deutschland, wo eine sehr reale Gefahr des Faschisten bestand, führte diese Position zur
Ablehnung jedes gemeinsamen antifaschistischen Widerstandes mit der Sozialdemokratie und der
unter ihrem Einfluß stehenden Gewerkschaften. Denn diese waren selbst Faschisten! In der Tat,
jeder, der nicht ein loyaler Stalinist war, war ein Faschist: "Deutschland lebt schon unter
faschistischer Herrschaft", sagte die Tageszeitung der KPD. "Hitler kann die Dinge nicht schlimmer machen als sie schon sind."
Trotzki, seit 1929 im Exil in der Türkei, schrieb gegen diese unheilvolle Politik einige
seiner brillantesten Schriften. Wenn Vernunft die stalinistischen Führer der KP hätte
bewegen können, wäre Hitler geschlagen worden ? die Gelegenheit bestand. Eine siegreiche
Einheitsfront war möglich. Aber die stalinistischen Führer waren jenseits jeder Vernunft.
Die einzige Stimme, die sie hörten, war die von Stalin, die anstimmte: "Sozialdemokratie
und Faschismus sind keine Gegensätze: sie sind Zwillinge."
Die deutsche Arbeiterbewegung wurde zerschlagen. Die Kommunistische Partei ergab sich
ohne einen Kampf. Hitler kam an die Macht und die Vorbereitung des 2. Weltkrieges begann.
Diese schreckliche Niederlage veranlaßte Trotzki zum Bruch mit der Internationalen.
"Eine Organisation, die nicht durch den Donnerkeil des Faschismus aufgerüttelt wird,
ist tot und kann nicht wiederbelebt werden."
Bald darauf gab er seine reformistische Position gegenüber Rußland auf. Eine neue
Revolution ist notwendig, um die bürokratische Diktatur zu beseitigen.
Doch er änderte nicht seine Ansicht, daß Rußland ein "degenerierter Arbeiterstaat"
sei. Die wenigen verbliebenen Jahre seines Lebens klammerte er sich an diese Abstraktion -
ein "Arbeiterstaat", in dem die Arbeiter nicht nur keine Macht haben, sondern in dem die
Arbeiter der elementarsten politischen Rechte beraubt sind. Dieser Irrtum hatte einen
nachhaltigen und verderblichen Einfluß auf die revolutionäre Linke.
Trotzki war nun fast allein. Bald nach der deutschen Katastrophe begannen die großen
Säuberungen in Rußland. Stalin festigte seine persönliche Herrschaft durch einen Massenmord
an früheren Kapitulanten, den früheren Rechten und den meisten seiner eigenen früheren Helfer.
Alle wurden wie Trotzki als Agenten Hitlers, Konterrevolutionäre, Spione und Saboteure
öffentlich angeklagt. Eine Serie grotesker "Schauprozesse" fand statt, in denen bekannte
Führer der Revolution aus Lenins Zeit dazu gebracht wurden, ihre Schuld - und die des Monstrums Trotzki - zuzugeben.
Ein Klima wurde erzeugt, in dem es für Trotzki unmöglich wurde, Arbeiter auf dem linken Flügel zu beeinflussen.
"Die stalinistische Bürokratie hat es jetzt erreicht, sich selbst mit dem Marxismus gleichzusetzen... Kämpferische
französische Dockarbeiter, polnische Bergleute und chinesische Guerrillakämpfer sahen gleichermaßen in denjenigen,
die in Moskau herrschten, die besten Kenner der sowjetischen Interessen und die verläßlichsten Anwälte des Weltkommunismus."
Die Kommunistische Internationale pendelte nun wieder nach rechts.
Stalins Außenpolitik verlangte das Bündnis mit den "westlichen Demokratien".
Die "Volksfront" - die Unterordnung der Arbeiterparteien unter liberale und "fortschrittliche" Konservative -
war die neue Linie.
Das ermöglichte Stalin, eine weitere Revolution abzuwürgen - Spanien. Trotzki nannte die spanische
Niederlage "die letzte Warnung". Die gesamte Energie in den letzten Jahren seines Exils in Frankreich,
Norwegen und dann in Mexiko verwandt er darauf, den Kern einer neuen Internationalen, der Vierten, zu
schaffen. Ihre Gründungskonferenz fand 1938 im Schatten der zahlreichen Niederlagen der Arbeiterklasse
statt. Trotzki sollte nur noch zwei Jahre leben.
Es war seine unvergängliche Leistung, die Tradition des revolutionären Marxismus in den Jahrzehnten,
in der sie fast von ihren vorgeblichen Trägern ausgelöscht wurde, am Leben zu erhalten.
Trotzki war weit davon entfernt, unfehlbar zu sein. Lenin hatte in seinem Testament von Trotzkis
"zu weitreichendem Selbstvertrauen" geschrieben, und es war Trotzkis Unglück in seinen letzten Jahren,
daß nur wenige seiner Anhänger fähig waren, unabhängig zu denken.
Daß er seine Genossen überragte, war gleichzeitig seine Stärke und seine Tragödie. Vielleicht hätte
niemand anders der Isolation und den Angriffen Widerstand leisten können, wie er es tat.
Sein Beitrag zum revolutionären Sozialismus und zur Arbeiterbewegung ist unübertroffen. Er war einer
der Handvoll wahrhaft großen Persönlichkeiten, die die Bewegung hervorgebracht hatte.
Alle Rechte liegen beim Autor. Copyright 2002 Duncan Hallas.
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(Der folgende Text ist ein Brief, den Natalja Trotzki 1951 an die Führung der Vierten Internationale und die Führung der Socialist Workers Party (SWP)1 schrieb, in dem sie jede politische Verbindung mit diesen Organisationen abbrach. Der Brief wurde zuerst in der amerikanischen Presse veröffentlicht.)
An das Exekutivkomitee der Vierten Internationale An das Politische Komitee der SWP
Genossen,
ihr wißt genau, daß ich mit Euch in den letzten fünf oder sechs Jahren seit dem Ende des Krieges und schon vorher nicht übereingestimmt habe. Die Haltung, die Ihr zu den wichtigen Fragen der jüngsten Zeit eingenommen habt, zeigt mir, daß Ihr auf Euren politischen Irrtümern besteht und sie vertieft, anstatt sie zu korrigieren. Auf Eurem Weg habt Ihr den Punkt erreicht, wo ich nicht länger schweigen oder mich auf private Proteste beschränken kann. Ich muß meine Auffassung öffentlich darlegen.
Der Bruch, zu dem ich mich genötigt sehe, ist für mich schwerwiegend und schwierig, und ich kann ihn nur ernstlich bedauern. Aber es gibt keinen anderen Weg. Nach langen Überlegungen und Zögern über eine Frage, die mir außerordentliche Sorgen bereitet, muß ich Euch sagen, daß ich keinen anderen Weg sehe als den, öffentlich zu erklären, daß unsere Meinungsverschiedenheiten es mir unmöglich machen, noch länger in Euren Reihen zu bleiben.
Die Gründe für diesen meinen letzten Schritt sind den meisten von Euch bekannt. Ich wiederhole sie hier kurz nur für diejenigen, denen sie nicht vertraut sind und berühre nur die Differenzen von grundlegender Bedeutung und nicht die Differenzen um Fragen der Tagespolitik, die sich auf diese grundlegenden Differenzen beziehen oder aus ihnen folgen.
Von alten und überlebten Formeln besessen fahrt Ihr fort, den stalinistischen Staat als einen Arbeiterstaat zu bezeichnen. Ich kann und werde Euch darin nicht folgen.
Im Grunde genommen hat L.D.Trotzki in jedem Jahr seines Kampfes gegen die usurpartorische stalinistische Bürokratie wiederholt, daß dieses Regime sich unter den Bedingungen einer verzögerten Weltrevolution und der Eroberung aller politische Position durch die Bürokratie nach Rechts entwickelt. Wieder und wieder hat er darauf hingewiesen, wie die Festigung des Stalinismus in Rußland zur Verschlechterung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lage der Arbeiterklasse und zum Triumph einer tyrannischen und privilegierten Bürokratie führte. Wenn diese Entwicklung anhält, sagte er, wird es mit der Revolution zu Ende und die Restauration des Kapitalismus erreicht sein.
Dies ist es, was sich unglücklicherweise ereignet hat, wenn auch in neuen und unerwarteten Formen. Es gibt kaum ein Land in der Welt, wo die ursprünglichen Ideen des Sozialismus und ihre Vertreter so barbarisch gehetzt werden. Es sollte jedermann klar sein, daß die Revolution durch den Stalinismus vollständig zerschlagen wurde. Ihr jedoch fahrt fort zu behaupten, daß Rußland unter diesem unaussprechlichen Regime immer noch ein Arbeiterstaat ist. Ich sehe darin einen Angriff auf den Sozialismus. Stalinismus und der stalinistische Staat haben nicht das Geringste gemeinsam mit einem Arbeiterstaat oder mit Sozialismus. Sie sind die schlimmsten und die gefährlichsten Feinde des Sozialismus und der Arbeiterklasse.
Ihr haltet daran fest, daß die Staaten Osteuropas, über die der Stalinismus während und nach dem Krieg seine Vorherrschaft errichtet hat, ebenfalls Arbeiterstaaten sind. Das ist das Gleiche wie zu sagen, der Stalinismus hat eine revolutionäre sozialistische Aufgabe durchgeführt. Ich kann und will Euch darin nicht folgen.
Nach dem Krieg, ja bevor er endete, entwickelte sich in diesen osteuropäischen Ländern eine revolutionäre Massenbewegung. Aber es waren nicht die Massen, die die Macht gewannen, und es waren keine Arbeiterstaaten, die durch ihren Kampf errichtet wurden. Die stalinistische Konterrevolution gewann die Macht und indem sie die arbeitenden Massen, ihre revolutionären Kämpfe und ihre revolutionären Ziele strangulierte, machte sie diese Länder zu Vasallen des Kremls.
Indem Ihr der Meinung seid, die stalinistische Bürokratie habe in diesen Ländern Arbeiterstaaten errichtet, schreibt Ihr der stalinistischen Bürokratie eine fortschrittliche und sogar revolutionäre Rolle zu. Indem Ihr diese monströse Lüge gegenüber der Vorhut der Arbeiter propagiert, leugnet Ihr alle entscheidenden Gründe für das Bestehen der Vierten Internationale als einer Weltpartei der sozialistischen Revolution. In der Vergangenheit waren wir immer der Ansicht, daß der Stalinismus eine konterrevolutionäre Kraft ist, im vollen Sinn dieses Begriffes. Ihr sagt das nicht mehr. Aber ich werde weiterhin darauf bestehen.
1932 und 1933 erklärten die Stalinisten, um ihre schamlose Kapitulation vor Hitler zu rechtfertigen, daß es nicht viel ausmachen würde, wenn die Faschisten an die Macht kämen, weil der Sozialismus nach und durch die Herrschaft des Faschismus kommen würde. Nur unmenschliche Scheusale ohne die Spur sozialistischen Denkens oder Geistes haben auf diese Weise argumentieren können. Nun, ungeachtet der revolutionären Ziele, die Euch bewegen, haltet Ihr daran fest, daß die despotische stalinistische Reaktion, die in Europa triumphiert hat, einer der Wege ist, mit denen man vielleicht zum Sozialismus kommt. Diese Sicht bezeichnet einen unheilbaren Bruch mit den tiefsten Überzeugungen, an denen unsere Bewegung immer festgehalten hat und die ich weiter teilen werde.
Ich sehe mich außerstande, Euch in der Frage des Titoistischen Regimes in Jugoslawien zu folgen.2 Die ganze Sympathie, die ganze Unterstützung von Revolutionären und selbst aller Demokraten sollte dem jugoslawischen Volk zu Gute kommen, das entschieden den Anstrengungen Moskaus Widerstand leistet, es und sein Land in ein Lehen zu verwandeln. Die Zugeständnisse, die das jugoslawische Regime jetzt gezwungen ist, dem Volk zu machen, müssen voll ausgenützt werden. Doch Eure ganze Presse widmet sich einer unentschuldbaren Idealisierung der Titoististischen Bürokratie, für die es keinen Grund in der Tradition und den Prinzipien unserer Bewegung gibt.
Diese Bürokratie ist nur eine Kopie der alten stalinistischen Bürokratie in neuer Form. Sie wurde erzogen in den Ideen, der Politik und der Moral der GPU (Stalins Geheimpolizei). Ihre Herrschaft unterscheidet sich von Stalins Herrschaft in keinem grundlegenden Gesichtspunkt. Es ist absurd zu glauben oder zu lehren, daß sich aus dieser Bürokratie heraus eine revolutionäre Führung des jugoslawischen Volkes entwickeln wird, oder daß sie in einer anderen Weise entstehen kann als im Kampf gegen diese Bürokratie.
Am allerwenigsten zu unterstützen ist Eure Haltung zum Krieg. Der Dritte Weltkrieg, der die Menschheit bedroht, stellt die revolutionäre Bewegung vor die schwierigsten Probleme, die verwickeltsten Situationen, die schwerwiegendsten Entscheidungen. Unsere Position kann nur nach der ernsthaftesten und freiesten Diskussion bezogen werden. Aber angesichts aller Ereignisse der jüngst vergangenen Jahre macht Ihr Euch weiter zum Anwalt der Verteidigung des stalinistischen Staates und verpfändet die ganze Bewegung. Selbst heute noch unterstützt Ihr die Armeen des Stalinismus in dem Krieg, den das gequälte koreanische Volk erduldet. Ich kann und will Euch darin nicht folgen.3
Vor langer Zeit, 1927, erklärte Trotzki als Antwort auf eine verräterische Frage Stalins im Politbüro seine Ansichten wie folgt: "Für das sozialistische Vaterland, ja! Für das stalinistische Regime, nein!" Das war 1927. Heute, 23 Jahre später, hat Stalin vom sozialistischen Vaterland nichts übrig gelassen. Es ist ersetzt worden durch die Versklavung und Erniedrigung des Volkes durch die stalinistische Selbstherrschaft. Das ist der Staat, den Ihr empfehlt, im Krieg zu verteidigen, den Ihr schon in Korea verteidigt.
Ich weiß sehr gut, wie oft Ihr wiederholt, daß ihr den Stalinismus kritisiert und ihn bekämpft. Aber die Tatsache ist, daß Eure Kritik und Euer Kampf ihren Wert verlieren und zu keinem Ergebnis kommen können, weil sie von Eurer Position der Verteidigung des stalinistischen Staates bestimmt werden und ihr untergeordnet sind.
Wer immer dieses Regime barbarischer Unterdrückung verteidigt, egal mit welchen Motiven, gibt die Prinzipien des Sozialismus und Internationalismus preis.
In der Nachricht, die mir von der jüngsten Tagung der SWP geschickt wurde, schreibt Ihr, daß Trotzkis Ideen Euer Wegweiser bleiben. Ich muß Euch sagen, ich lese diese Worte mit großer Bitterkeit. Wie Ihr aus dem oben Geschriebenen sehen könnt, sehe ich nicht seine Ideen in Eurer Politik. Ich habe Vertrauen in seine Ideen. Ich bleibe überzeugt, daß der einzige Weg aus der gegenwärtigen Lage die soziale Revolution ist, die Selbstbefreiung des Weltproletariats.
Natalja Sedowa Trotzki Mexiko, D.F., 9. Mai 1951
1 Die Socialist Workers Party (USA) war die Sektion der Vierten Internationale in den USA.
2 1948 kam es zum Bruch zwischen Stalin und Tito. Tito war nicht länger bereit, die Entwicklung der jugoslawischen Wirtschaft den Bedürfnissen der russischen Wirtschaft unterzuordnen. Tito und die jugoslawische KP wurden deshalb wegen "anti-sowjetischer" und "nationalistischer" Haltung aus der Kominform ausgeschlossen.
3Mit Beendigung des 2. Weltkriegs entstanden in Korea zwei Staaten, die von Marionettenregimes der USA im Süden und der UdSSR im Norden beherrscht wurden. 1950 kam es zum offenen Krieg in Korea. Die nordkoreanischen Truppen scheinen als erste in den Süden einmarschiert zu sein, allerdings nach einer Reihe scharfer Provokationen des Südens. Die USA versuchte ganz Korea zu erobern. Ihr Ziel war die vollständige Kontrolle über die Küsten des Pazifischen Ozeans, den sie seit dem 2. Weltkrieg kontrollierte. Besonders dringend erschien diese Absicherung nach dem Sieg der chinesischen Revolution. Das Ziel der UdSSR war ebenfalls eine Kontrolle Koreas, um die Hegemonie der USA über Japan zu verhindern und die östliche Flanke der UdSSR abzusichern. Die UdSSR griff selbst nicht militärisch in den Konflikt ein - sie schickte die Chinesen für sich auf das koreanische Schlachtfeld. Daß dieser Krieg nur ein Krieg zwischen den beiden Großmächten war, auf dem Boden Koreas und unter unendlichem Leid der koreanischen Bevölkerung, zeigt der Friedensschluß 1953. Sofort nachdem sich die USA und die UdSSR geeinigt hatten, war der Krieg beendet.
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