Sozialismus von unten
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John Molyneux

Die zukünftige sozialistische Gesellschaft



  1. Einleitung
  2. Die Eroberung der politischen Macht
  3. Unterdrückung und Freiheit unter der Arbeitermacht
  4. Die Eroberung der wirtschaftlichen Macht
  5. Ausbreitung der Revolution: Die internationale Dimension
  6. Produktion für Bedürfnisse hin zum Überfluß
  7. Die Verwandlung der Arbeit
  8. Frauenbefreiung
  9. Das Ende des Rassismus
  10. Für die Zukunft lernen
  11. Von der Notwendigkeit zur Freiheit





Einleitung

"Was wird nach der Revolution sein? Wie werden wir mit diesem oder jenem Problem umgehen? Wie wird X, Y oder Z organisiert sein?"
Solche Fragen werden Marxisten oft gestellt. Zugegebenermaßen sind die Antworten darauf oft vage. Sicherlich sind die Arbeiten von Marx auf diesem Gebiet unbedeutend, verglichen mit seiner monumentalen Analyse des Kapitalismus und seinen Arbeiten über Geschichte und zeitgenössische Politik. Obwohl alles, was Marx zu diesem Thema zu sagen hatte, seine gewöhnliche Brillianz zeigt und die Basis für alle nachfolgenden marxistischen Überlegungen zum Sozialismus bildete, bleibt zu sagen, daß er sich mit diesen wichtigen Fragen nur in groben Umrissen beschäftigt hat. Dafür gab es gute Gründe.
Vor Marx war die vorherrschende Schule des Sozialismus die der "Utopisten" wie Saint-Simon und Fourier aus Frankreich und Robert Owen aus England. Die Utopisten spezialisierten sich darauf, grandiose Bilder der zukünftigen Organisation der Gesellschaft auszumalen, ließen aber jede Strategie vermissen, wie man sie erreichen könnte, außer an den guten Willen der herrschenden Klasse zu appellieren.
Es war Marx vorbehalten, diesen kleinbürgerlichen Träumereien seinen wissenschaftlichen Sozialismus entgegenzustellen. Er betonte, daß der Sozialismus nur aus den vorhandenen Widersprüchen im Kapitalismus erwachsen könne - der Anarchie in der kapitalistischen Produktion und den Widersprüchen zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie. Das setzte sehr enge Grenzen für Aussagen über die Organisation der sozialistischen Gesellschaft; Grenzen, die jeden Versuch ausschlossen, einen detaillierten Plan zu entwerfen. Im wesentlichen bestehen diese Grenzen auch heute.
Da der Sozialismus aus dem Kapitalismus entsteht, als ein Resultat erfolgreicher Kämpfe der Arbeiterklasse gegen ihn, werden die spezifischen Maßnahmen, die eine revolutionäre, sozialistische Regierung ergreift, von den besonderen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen abhängig sein, die dann herrschen.
Wir können nicht im voraus wissen, welcher Art diese Maßnahmen sein werden, genausowenig wie wir jetzt das Datum der Revolution vorhersagen können. Da außerdem die sozialistische Revolution vor allem zum Ziel hat, die Gesellschaft unter die bewußte Kontrolle der Arbeiterklasse zu stellen, gibt es viele Fragen, deren Beantwortung im voraus ziemlich müßig ist und deren Entscheidung den Arbeitern in der Zukunft überlassen bleibt. Es macht z.B. keinen Sinn, heute Pläne für die Gestaltung von Häusern in einer sozialistischen Gesellschaft auszuarbeiten. Alles wird davon abhängen, in welcher Art Häuser die Menschen in der Zukunft leben wollen.
Trotzdem bleiben Fragen. Wenn Leute den Kampf für den Sozialismus aufnehmen sollen, wollen sie wissen, wofür sie kämpfen. Das gilt besonders deshalb, weil die Begriffe "Sozialismus" und "Kommunismus" durch den Stalinismus in Rußland und Osteuropa und durch zahlreiche andere Regimes in der Welt vernebelt werden, die für sich in Anspruch nehmen, "sozialistisch" zu sein.
In der sozialistischen Propaganda ist die scharfe Kritik des Kapitalismus eine Notwendigkeit, wie auch die nüchterne Analyse der Strategie und Taktik der Arbeiterbewegung. Aber notwendig ist auch die Inspiration, eine Vision des Zieles, die den Kampf lohnenswert macht.
In bestimmter Hinsicht sind wir heute eher in der Lage als Marx, einige dieser Fragen zu beantworten. Ein weiteres Jahrhundert kapitalistischer Entwicklung hat unfreiwillig in vielerlei Weise den Boden für den Sozialismus weiter vorbereitet und es leichter gemacht, sich vorzustellen, wie bestimmte Ziele, die im Prinzip von Marx bestimmt worden sind - wie das Erreichen des materiellen Überflusses oder die Überwindung der Arbeitsteilung -, tatsächlich verwirklicht werden können.
Ferner haben wir den Vorteil der Erfahrungen von Arbeiterkämpfen eines Jahrhunderts. Wir haben jedoch noch nicht die Erfahrung eines wirklichen Sozialismus im marxistischen Sinn. Aber wir haben die Erfahrung einiger Jahre sozialistischer Revolution in Rußland und zahlreicher knapp gescheiterter Arbeiterrevolutionen - wie in Spanien 1936 oder Ungarn 1956 -, die den Samen des Sozialismus enthielten.
Deshalb wird diese Broschüre versuchen, einige Details der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft aus marxistischer Sicht darzulegen. Ich betone das Wort versuchen, weil, ganz abgesehen von persönlichen Fehlern und Eigenarten, die sich in meine Arbeit eingeschlichen haben könnten, eines sicher ist: Die Wirklichkeit des Sozialismus wird sich markant von jeder möglichen Vorstellung desselben unterscheiden. Das entwertet jedoch nicht das Vorhaben den Versuch, konkret darzustellen, wie es für die Menschheit möglich ist, durch den Sozialismus die fundamentalen Probleme zu beseitigen, die sie unter dem Kapitalismus quälen, und wirkliche Freiheit zu erreichen.
Eine weitere Vorbemerkung muß gemacht werden. Sozialismus - oder Kommunismus, um den ursprünglichen Begriff von Marx zu benutzen - ist nicht ein fertiges Stadium der Gesellschaft, das einfach am Tag nach der Revolution eingeführt werden kann. Vielmehr ist er ein historischer Prozeß. Dieser Prozeß beginnt mit der Zerschlagung des kapitalistischen Staates durch eine Arbeiterrevolution. Vollendet ist er erst, wenn weltweit eine völlig klassenlose Gesellschaft erreicht ist - das heißt, wenn die gesamte menschliche Rasse kollektiv ihre Angelegenheiten verwaltet, ohne Klassengegensätze oder Klassenkampf.
Zwischen dem Sturz des Kapitalismus und der klassenlosen Gesellschaft liegt eine Periode des Übergangs. Von Marx wurde sie als "die Diktatur des Proletariats" bezeichnet; aber es ist verständlicher, von "Arbeitermacht" zu sprechen.
Wenn man über die sozialistische Zukunft spricht, ist es immer wichtig, dies im Auge zu behalten. Denn das, was im anfänglichen Stadium getan werden kann und wird, wenn die Arbeiterklasse, obwohl an der Macht, immer noch im Kampf mit der enteigneten Bourgeoisie liegt, unterscheidet sich völlig von den Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn die Menschheit schließlich gänzlich vereint ist.

Die Eroberung der politischen Macht

Die erste und dringlichste Aufgabe, mit der eine erfolgreiche Arbeiterrevolution konfrontiert wird, ist die Festigung ihrer eigenen Herrschaft und deren Verteidigung gegen die kapitalistische Konterrevolution.
Dies ist in der Tat eine Frage von Leben und Tod, denn seit der Pariser Commune hat bisher jede Revolution gezeigt, daß die Bourgeoisie bereit ist, auf die skrupelloseste Gewalt zurückzugreifen, um ihre Macht zu erhalten oder zurückzuerobern.
Um den heftigen Widerstand der entmachteten herrschenden Klasse, die vom Rest des internationalen Kapitalismus unterstützt werden wird, zu brechen, wird die Arbeiterklasse ihren eigenen Staat aufbauen müssen. Dieser Staat wird, wie jeder andere, eine zentralisierte Organisation zur Ausübung der obersten Herrschaft in der Gesellschaft sein und über entscheidende bewaffnete Kräfte verfügen.
Aber hier endet die Ähnlichkeit zwischen dem neuen Arbeiterstaat und dem vorangegangenen kapitalistischen Staat. Die alten kapitalistischen Streitkräfte und Polizeieinheiten werden aufgelöst - eigentlich wird das schon in der Phase des Zusammenbruchs geschehen, wenn die Revolution erfolgreich sein will. Sie werden durch Organisationen bewaffneter Arbeiter ersetzt - durch Arbeitermilizen.
Die Grundlage dieser Milizen wird wahrscheinlich im Laufe der Revolution gelegt, und es ist wahrscheinlich, daß sie sich aus großen Fabriken und Betrieben bilden und mit ihnen verbunden bleiben werden. Solange sich die Revolution keinem umfassenden Bürgerkrieg oder einer Invasion gegenüber sieht, wird der Dienst in der Miliz auf Rotationsbasis stattfinden, um so eine größtmögliche Zahl von Arbeitem in der bewaffneten Verteidigung ihrer Macht zu trainieren und um sicherzustellen, daß sich die Miliz nicht von der Arbeiterklasse insgesamt absondert.
Die Miliz wird auch für die alltägliche Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung verantwortlich sein - eine Aufgabe, die sie wegen ihrer Verwurzelung in der Gemeinschaft viel effektiver als die kapitalistische Polizei erfüllen wird.
Alle Offiziere in der Miliz werden gewählt sein, sich regelmäßig Wiederwahlen stellen müssen und einen durchschnittlichen Arbeiterlohn erhalten - Prinzipien, die für alle Verantwortlichen des neuen Staates gelten werden.
Die wichtigste Institution des neuen Staates wird jedoch nicht die Arbeitermiliz sein, sondern das Netzwerk der Arbeiterräte. Arbeiterräte sind regionale Körperschaften von Delegierten, die aus den Betrieben heraus gewählt werden und ihrerseits wieder Delegierte in den nationalen Arbeiterrat entsenden werden, wobei der letztere die höchste Macht im Land sein wird. Die Regierung, die Miliz und alle anderen staatlichen Institutionen werden dem nationalen Arbeiterrat verantwortlich und rechenschaftspflichtig sein.
Verschiedene politische Parteien werden frei innerhalb der Räte arbeiten, vorausgesetzt, sie akzeptieren den grundsätzlichen Rahmen der Revolution, wobei die Partei mit der größten Unterstützung der Arbeiter die Regierung bilden wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das die Partei sein, die die Revolution geführt hat.
Der Grund, warum wir diese Rolle für die Arbeiterräte voraussagen können, ist nicht, daß es von Marx in steinernen Gesetzestafeln so festgelegt wurde (tatsächlich hat Marx nie Arbeiterräte erwähnt), sondern daß jede Arbeiterrevolution und jede versuchte Arbeiterrevolution in diesem Jahrhundert solche Organe oder Vorformen solcher Organe hervorgebracht haben.
Der erste Arbeiterrat oder Sowjet, wie er genannt wurde, entstand in Petersburg in Rußland während der Revolution von 1905. Spätere Beispiele sind die russischen Sowjets von 1917, die Arbeiterräte in Deutschland 1918-1919 und der Zentrale Arbeiterrat Budapests 1956. Beispiele von Vorformen von Räten sind die Fabrikräte in Italien 1919-20 und die Cordones in Chile 1972.
Aus demselben Grund wäre der Versuch sinnlos, weitere Einzelheiten der Organisationsform von Arbeiterräten zu bestimmen. Solche Räte entstehen nicht nach der Revolution in Übereinstimmung mit irgendwelchen vorher gemachten Plänen, sondern im Verlauf der Revolution, um der Arbeiterklasse die Koordination ihrer Kräfte zu ermöglichen. Als Kampforgane wird ihre anfängliche Struktur notwendigerweise entsprechend den täglichen Erfordernissen improvisiert sein und entsprechend den Umständen erheblich variieren.
An diesem Punkt taucht eine wichtige Frage auf. Wie demokratisch wird die Arbeitermacht sein?
Es ist wahr, daß die Herrschaft der Arbeiterräte unter formalen Gesichtspunkten keine absolute Demokratie sein wird. Es wird kein allgemeines Stimmrecht geben, weil das Wesen des Systems die alte Bourgeoisie und ihre wichtigsten Verbündeten vom Wahlverfahren ausschließen wird. Doch was in formaler Hinsicht fehlt, wird in Hinsicht auf die tatsächliche demokratische Teilnahme der Masse des Volkes mehr als wettgemacht.
Die Demokratie der Arbeiterräte wird auf kollektiver Debatte und Diskussion und auf der Möglichkeit der Wähler als Kollektiv beruhen, ihre Repräsentanten zu kontrollieren. Der Mechanismus dieser Kontrolle wird sehr einfach sein. Wenn Delegierte nicht den Willen ihrer Wähler repräsentieren, werden sie einfach durch Massenversammlungen in den Betrieben abgewählt und ersetzt.
Natürlich ist diese Art von Kontrolle in einem parlamentarischen System, basierend auf lokalen Wahlbezirken, unmöglich. Anstatt einer Demokratie für jeden, einen Tag lang, alle fünf Jahre, wird es in der sozialistischen Gesellschaft für die Masse des Volkes eine fortwährende Mitarbeit bei den tatsächlichen Staatsgeschäften geben.
Einige Leute befürchten, daß in einem System, das auf den Betrieben beruht, Teile der Arbeiterklasse wie Hausfrauen, Rentner oder Arbeitslose usw., die nicht in den Betrieben sind, ausgeschlossen würden. Doch eine der größten Vorzüge der Arbeiterräte ist ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die sich verändernde Struktur der Arbeiterklasse.
In der spanischen Revolution von 1936 gab es zum Beispiel neben den Schlüssel-Organen der Arbeitermacht, den Arbeiterräten, die Nachbarschafts-Kommittees, die in allen Arbeitervierteln der größeren Städte errichtet wurden. Diese Körperschaften, die die gesamte Bevölkerung des Gebietes repräsentierten, organisierten und kontrollierten die Arbeitermilizen, die Verteilung der Nahrungsmittel, die Ausbildung und viele andere Bereiche des täglichen Lebens.
Vorausgesetzt, daß der Keim der Struktur in den Betrieben wurzelt, gibt es keinen Grund, warum andere Gruppen nicht auch Kollektive bilden und deren Delegierte in die Räte integriert sein sollten.
Das fundamentale Merkmal des Arbeiterstaates wird sein, daß er auf der Selbstaktivität beruht und diese mobilisiert, indem er die Fähigkeit und Kreativität der Masse der Arbeiterklasse organisiert, um die neue Gesellschaft von unten nach oben aufzubauen. Er wird damit tausendmal demokratischer sein als die liberalste der bürgerlichen Demokratien, die ausnahmslos auf der Passivität der Werktätigen beruhen.
All das klingt wunderbar, und ganz richtig - es wird wunderbar sein, wie die kurzen Perioden gezeigt haben, als die Arbeiter die Kontrolle übernommen hatten. Lest z.B. John Reeds Bericht über Rußland im Jahre 1917 in "Zehn Tage, die die Welt erschütterten" oder George Orwells Bericht über Barcelona im Jahre 1936 in "Mein Katalonien". Aber wieviel Unterdrückung wird notwendig sein? Welche Freiheit wird es für Andersdenkende geben?

Unterdrückung und Freiheit unter der Arbeitermacht

Dank der Propaganda der herrschenden Klasse ist die Revolution in vielen Köpfen mit der Guillotine und Exekutionskommandos verbunden. Als Folge des Stalinismus stellen sich viele die Herrschaft nach einer Revolution als eine Herrschaft grauer, repressiver Einförmigkeit vor, unter der jeder, der nicht der Parteilinie folgt, um vier Uhr morgens "Besuch" erhält.
Beide diese Vorstellungen sind eng verbunden mit einem besonderen geschichtlichen Ereignis - der Niederlage der russischen Revolution. Wie das letzte Kapitel verdeutlicht hat, stellen sich Marxisten die Arbeitermacht als eine lebendige Arbeiterdemokratie vor, die die Macht, die Rechte und Freiheiten der arbeitenden Menschen gewaltig erweitern wird.
Dennoch muß offen festgestellt werden, daß ein gewisses Maß an Unterdrückung und Gebrauch von direktem Zwang nicht nur notwendig sein wird, um den kapitalistischen Staat zu stürzen, sondern auch, um die Arbeitermacht nach der Revolution zu erhalten. Der Klassenkampf hört nicht mit der Revolution auf, besonders dann nicht, wenn wir wie bisher nur über den Sieg in einem Land sprechen.
Vor allem die Neuheit des Arbeiterstaates selbst wird seine Herrschaft für einige Zeit zerbrechlich machen. Die alte herrschende Klasse und Teile des Kleinbürgertums werden die Herrschaft der Arbeiter als eine vorübergehende Verirrung betrachten, und spekulierend auf eine frühe Niederlage werden sie weder deren Berechtigung noch deren Autorität anerkennen. Sie werden zweifellos versuchen, den Aufbau der neuen Gesellschaft zu blockieren, zu sabotieren und diese mit Gewalt zu zerstören, wenn sie die Möglichkeit dazu erhalten.
Ihnen darf keine Chance gegeben werden. Der kapitalistische Widerstand muß entschlossen und unbarmherzig und mit soviel Gewalt, wie nötig ist, gebrochen werden. Aber über diese allgemeine Feststellung hinauszugehen und darüber zu spekulieren, wieviel Unterdrückung exakt erforderlich sein wird, wer vor Gericht gestellt werden wird, was mit ihnen gemacht werden wird usw., scheint mir sinnlos. Das wird vom Gleichgewicht der Klassenkräfte abhängen. Je schwächer die Position der Arbeiterklasse und je stärker der bürgerliche Widerstand ist, um so mehr direkter, revolutionärer Zwang wird notwendig sein. Je mehr die Stärke der Arbeiterklasse überwiegt, um so eher werden gesetzliche Sanktionen ausreichen.
Aus diesem Grund kann die einzige tatsächliche Erfahrung von Arbeitermacht, über die wir verfügen - die frühen Jahre der russischen Revolution -, nicht als Modell für die zukünftige Praxis herangezogen werden. Die Position der russischen Arbeiterklasse als einer kleinen Minderheit in einem wirtschaftlich zurückgebliebenen Land, das vom Krieg und einer umfassend bewaffneten Konterrevolution geschwächt war und einer ausländischen Invasion von massivem Ausmaß gegenüberstand, war außerordentlich schwierig. Die Bolschewiki hatten keine andere Wahl, als eine höchst autoritäre Herrschaft einzuführen.
Es ist nahezu sicher, daß heute in jedem größeren Land - eingeschlossen die entwickelteren Länder der Dritten Welt, in denen der Stand der Produktivkräfte, der Lebensstandard und der Umfang der Arbeiterklasse viel höher sind, als sie in Rußland waren - die Position der Arbeiterklasse bei weitem günstiger sein wird. Unter diesen Umständen wird die Unterdrückung, die nötig sein wird, die Unterdrückung einer kleinen Minderheit durch die große Mehrheit sein, sie wird deshalb viel weniger streng sein, nicht nur als in Rußland, sondern auch als die Unterdrückung, die notwendig ist, um die Herrschaft der Ausbeuter in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Setzt man außerdem voraus, daß sich die Revolution auf andere Länder ausbreitet (eine Frage, die wir später behandeln werden), wird die Notwendigkeit der Unterdrückung schnell verschwinden, so wie die Bourgeoisie selbst in der Geschichte verschwinden und die Wiederherstellung des Kapitalismus ein immer absurderes Luftschloß sein wird.
Es ist möglich, eine ganze Menge zur Freiheit der Rede, der Presse und der politischen Organisationen zu sagen. Die Bourgeoisie betont sehr ihre Verpflichtung gegenüber diesen Freiheiten, aber in der Praxis verhindert die ökonomische Struktur des Kapitalismus andauernd, daß die kleinen Leute von ihnen Gebrauch machen können. Im Gegensatz dazu wird die Arbeitermacht von Anfang an eine enorme Steigerung der wirklichen Freiheit auf diesen Gebieten für alle Teile der Bevölkerung bedeuten, ausgenommen die alte herrschende Klasse und diejenigen, die die Konterrevolution anstiften wollen.
Der Arbeiterstaat wird die Einrichtungen übernehmen und die Zeit für die tatsächliche Teilnahme der Massen an der öffentlichen Debatte schaffen. Obendrein werden alle Arbeitsplätze zu Zentren der demokratischen Diskussion werden - wogegen unter dem Kapitalismus die Redefreiheit stark durch die allgegenwärtige Macht der Unternehmer, einzustellen, zu befördern und zu entlassen, eingeschränkt ist. Hinzu kommt, daß die Leute an den Diskussionen werden teilnehmen wollen, weil das, was sie sagen, nicht vergeudeter Atem oder nutzloser Protest sein wird, sondern eine direkte Auswirkung darauf haben wird, wie ihr tägliches Leben organisiert sein wird.
Unter dem Kapitalismus ist die Freiheit der Presse ein Mythos. Die Herausgabe von Zeitungen, als ein Geschäft, wird von großen Konzernen kontrolliert, d.h. durch die herrschende Klasse. Unter der Arbeitermacht werden die Druckmaschinen, die Papiervorräte usw. verstaatlicht sein, aber ihre Nutzung wird allen Gruppen und Organisationen in der werktätigen Bevölkerung zugänglich gemacht werden, entsprechend der Unterstützung, die sie haben. Dies wird zu einer viel größeren Vielfalt von Meinungen und zu einer viel lebhafteren Debatte führen, als es heute der Fall ist.
Das Fernsehen, das Radio und andere Massenmedien werden ebenfalls der öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht. Diese Einrichtungen stellen ein gewaltiges Potential dar, das im Kapitalismus für die massenhafte Teilnahme nahezu verschlossen ist. Anstatt Kanäle der einseitigen Kommunikation, von ihnen zu uns, zu sein, werden diese Medien zu Mitteln, durch die verschiedene Teile der Arbeiterklasse allen anderen ihre Probleme, Meinungen und Vorschläge mitteilen können.
Der Arbeiterstaat wird kein Ein-Parteien-Staat sein. Die Arbeiterklasse wird höchstwahrscheinlich selbst die Grundlage für eine Anzahl konkurrierender Parteien sein, die unterschiedliche Strömungen von Interessen und Meinungen widerspiegeln, und es wird auch Platz für Nicht-Arbeiterparteien sein, wieder vorausgesetzt, sie sind nicht konterrevolutionär.
Die Gewerkschaftsorganisation wird aufblühen und eine bedeutende Rolle im Wirt schafts- und Staatsleben spielen. Aber die Gewerkschaften werden auch das Streik recht behalten, da es auch unter einem Arbeiterstaat für Teile der Arbeiterklasse nötig sein könnte, ihre Interessen gegen Mißbrauch zu verteidigen, und daher sollten sie diese letzte Waffe behalten.
Kurz gesagt, Arbeitermacht wird eine wirkliche Explosion der Freiheit für die Ausgebeuteten, die Unterdrückten und die Bedrängten bedeuten.

Die Eroberung der wirtschaftlichen Macht

Das Fundament des Sozialismus liegt wie das jeder anderen Gesellschaftsform in der Ökonomie.
Konsequenterweise wird die Arbeiterklasse ihre politische Macht sofort dazu benutzen, die wirtschaftliche Macht zu erobern, d.h. alle wichtigen Produktionsmittel in der Gesellschaft in ihre Hand zu nehmen. Wenn das nicht gemacht wird, dann werden die Arbeiter ziemlich schnell unfähig sein, ihre politische Macht aufrechtzuerhalten.
Der formale Mechanismus, durch den die ökonomische Macht errichtet wird, ist ein bekannter, nämlich Verstaatlichung.
Der Prozeß wird wahrscheinlich ähnlich wie in der russischen Revolution beginnen, mit der Verstaatlichung des gesamten Bodens. Da Boden unbeweglich ist, ist dies eine äußerst einfache Maßnahme, die durch Erlaß am ersten Tag nach der Revolution durchgeführt werden kann. Genauso dringlich werden die Verstaatlichung der Banken und die Errichtung strikter Kontrollen für den Kapitalverkehr sein, unterstützt von anderen revolutionären Maßnahmen, um dem unausweichlichen Versuch einer Kapitalflucht ins Ausland vorzubeugen.
Danach wird der Arbeiterstaat dazu übergehen, nach und nach die wichtigsten Betriebe und Industrien zu übernehmen. Kleine Betriebe, die nur ein oder zwei Arbeiter beschäftigen, können im allgemeinen später folgen. Die unmittelbare Aufgabe ist es, die Kontrolle über die entscheidenden Hebel der ökonomischen Macht zu erhalten, die "Kommando-Höhen", wie sie in zahlreichen nicht verwirklichten sozialdemokratischen Programmen bezeichnet wurden.
Jedoch müssen wir hier scharf zwischen der revolutionären Verstaatlichung und der unterscheiden, die in der Vergangenheit durch sozialdemokratische (und konservative) Regierungen praktiziert wurde. Beides sind Formen staatlichen Eigentums. Aber in unserem Fall ist der betreffende Staat eine Organisation der kollektiven Arbeiterklasse, im Gegensatz zum kapitalistischen Staat, der eine Organisation der Kapitalistenklasse ist.
Also wird erstens Verstaatlichung nicht einfach eine Aktion von oben durch die zentrale Staatsmacht sein. Sie wird gesetzliche Maßnahmen an der Spitze mit Aktionen der Arbeiter an der Basis kombinieren, in vielen Fällen durch Betriebsbesetzungen.
Zweitens wird die Verstaatlichung ohne Entschädigung stattfinden, da der Sinn der Übung ja genau ist, die wirtschaftliche Macht der Bourgeoisie zu brechen.
Drittens und besonders wichtig, die Verstaatlichung wird unter Kontrolle der Arbeiter stattfinden. Es ist unmöglich, genaue Formen vorherzusagen, aber wahrscheinlich wird jede Fabrik oder jeder Betrieb durch einen gewählten Rat verwaltet werden, der in regelmäßigen Massenversammlungen der Arbeiterschaft rechenschaftspflichtig sein wird. Eine ähnliche Regelung könnte für das Management ganzer Industrien angewandt werden, aber mit Repräsentanten der Gewerkschaften und der Arbeiterregierung.
Entscheidend ist die Arbeiterkontrolle über die Industrie. Eine Arbeiterklasse, die nicht ihre eigenen Betriebe kontrollieren kann, wird nicht dazu in der Lage sein, ihren eigenen Staat zu kontrollieren. Wenn die Kontrolle über die neuen staatlichen Industrien an eine privilegierte Bürokratie übergeht, wie es in Rußland geschah, dann wird das früher oder später dazu führen, daß diese einen entscheidenden Einfluß auf die Gesellschaft ausübt und daß sich die alten Klassenspaltungen selbst wiederherstellen.
Natürlich wird die Fähigkeit der Arbeiter, die Industrie zu verwalten, oft angezweifelt. "Es wird Experten geben müssen", wird verkündet, "und in Wahrheit werden die Experten die Dinge kontrollieren."
Dies unterschätzt die Fähigkeiten der Arbeiterklasse und mißversteht die Rolle technischer Experten. Sogar unter dem Kapitalismus sind es im allgemeinen die Arbeiter, nicht das Management, die den unmittelbaren Produktionsprozeß am besten beherrschen. Viele der Fähigkeiten des Managements haben nichts mit der Produktion zu tun, sondern mit Marketing und der Aufrechterhaltung des Tempos der Ausbeutung - Fähigkeiten, die in der neuen Gesellschaft überflüssig sein werden.
Die Schicht der technischen Experten wird noch für eine gewisse Zeit notwendig sein, bis die Ausbildung der Arbeiter drastisch angehoben ist. Aber sie werden einfach für und unter der Leitung des Fabrik- oder Industrierates arbeiten, genau so, wie sie heute für die Bosse arbeiten. Wenn sie behindern und sabotieren, werden sie genauso diszipliniert und behandelt werden, als ob sie in einer kapitalistischen Firma behindern und sabotieren.
Wenn es absolut notwendig ist, werden sie ihre Pflicht mit Arbeitergewehren an ihren Köpfen erfüllen müssen, aber tatsächlich gibt es gute Gründe, anzunehmen, daß eine siegreiche sozialistische Revolution die Mehrheit solcher Leute für sich gewinnen wird.
Wenn die Arbeiter erst einmal Eigentümer und Kontrolleure der Industrie sind, wird es möglich sein, zur Einführung einer geplanten Wirtschaft voranzuschreiten. Wieder ist es notwendig, zwischen sozialistischer und privatkapitalistischer Planung oder staatskapitalistischer Planung, wie wir sie aus dem Ostblock kennen, zu unterscheiden. Der Plan wird nicht ein starres Schema von oben sein. Die Arbeiterklasse muß das Subjekt, nicht das Objekt des Planes sein.
Der Planungsprozeß wird an der Basis beginnen, in Betriebsversammlungen, Fabrikräten und Arbeiterräten, mit einer Festlegung der Bedürfnisse und Prioritäten der Menschen und einer Einschätzung der Produktionskapazitäten aller Betriebe. Auf der Grundlage dieser Vorgaben von unten wird die Regierung einen Gesamtplan aufstellen müssen, der die Kapazitäten mit den Erfordernissen abstimmt. Der gesamte Plan muß dann der Arbeiterklasse und ihren Repräsentanten in den Arbeiterräten zur Diskussion vorgelegt werden, für Verbesserungsvorschläge und zur Zustimmung.
Es wird ein intensiver demokratischer Prozeß sein, und nur auf demokratischer Grundlage besteht die Aussicht auf Erfolg. Denn wie die Erfahrung des stalinistischen Rußlands gezeigt hat, führt bürokratische, autoritäre Planung zu falschen Informationen von unten und eher zu formaler als tatsächlicher Planerfüllung.
Die Errungenschaft einer von Arbeitern geplanten Wirtschaft wird nicht nur die schlimmsten wirtschaftlichen Probleme des Kapitalismus (Arbeitslosigkeit, Inflation usw.) lösen, sondern auch immense Möglichkeiten für die Zukunft eröffnen.
An diesem Punkt ist es unmöglich, die Frage der Ausbreitung der Revolution auf andere Länder weiter aufzuschieben. Denn wenn dieses Problem nicht angegangen wird, werden alle Erwartungen und Pläne für den Sozialismus im Nichts enden.

Ausbreitung der Revolution: Die internationale Dimension

Es würde ein enormer Vorteil für den Sozialismus und die Arbeiterklasse sein, wenn die sozialistische Revolution mehr oder weniger gleichzeitig in einer Reihe von Ländern erfolgen würde. Dennoch habe ich bisher in dieser Broschüre vorausgesetzt, daß die Revolution zuerst nur in einem Land erfolgt.
Dies ist realistisch. Die Erfahrungen der Revolutionen bis heute legen nahe, daß trotz des Zusammenrückens aller Nationen in der modernen Welt die Unterschiede in den nationalen Mustern der Klassenkämpfe dazu führen, daß der revolutionäre Durchbruch erst einmal auf ein Land beschränkt sein wird.
In diesem Fall wird die Ausbreitung der Revolution über die nationalen Grenzen eine Aufgabe von überragender Wichtigkeit für den jungen Arbeiterstaat sein. Diese Aufgabe ist nicht nur eine Angelegenheit internationalistischer Pflicht, sondern auch absolut lebenswichtig für die Selbsterhaltung der Revolution.
Sozialismus kann nicht in einem Land aufgebaut werden. In der Tat kann ein Arbeiterstaat in einem Land nicht unbegrenzt überleben. Natürlich ist es möglich, für eine gewisse Zeit dem Druck des internationalen Kapitalismus standzuhalten, genauso wie Arbeiter für eine Zeit eine Fabrikbesetzung oder einen Aufstand in einer einzelnen Stadt aufrechterhalten können. Aber früher oder später wird die Revolution in der Niederlage enden, wenn sie nicht auf andere Länder ausgeweitet werden kann. Entweder wird der Weltkapitalismus, der, solange er existiert, stärker bleibt als ein isolierter Arbeiterstaat, die Revolution durch militärische Intervention zerschlagen, oder die Drohung einer solchen Intervention, verbunden mit intensivem wirtschaftlichen Druck, wird praktisch den revolutionären Staat zwingen, mit dem Kapitalismus zu kapitalistischen Bedingungen zu konkurrieren. Das wird Konkurrenzkampf um die Akkumulation von Kapital bedeuten.
Wenn die letztere Variante eintritt, wie es in Rußland Ende der 20er Jahre geschah, dann wird eine neue ausbeuterische Klasse als Agentur der Kapitalakkumulation entstehen, und der Kapitalismus wird durch eine Konterrevolution von innen wiederhergestellt.
Der Sturz des gesamten Kapitalismus jedoch mag als entmutigende Aufgabe erscheinen. So müssen wir die Frage stellen, ob dies möglich ist.
Es ist hier, wie auf allen anderen Gebieten des Klassenkampfes, natürlich unmöglich, irgendwelche Garantien zu geben. Aber es gibt eine Anzahl Faktoren, die uns erlauben, zuversichtlich zu sagen, daß es geschafft werden kann.
Die internationale Natur der kapitalistischen Wirtschaft macht auch ihre Krisen international. So wird die Krise, die die Ursache der Revolution in einem Land ist, auch andere Länder bereits berührt haben. Der erste revolutionäre Durchbruch wird diese Krise rapide vertiefen, vorausgesetzt er findet in einem Land mit hochentwickelter Wirtschaft statt.
Eine Revolution in Südafrika zum Beispiel würde nicht nur einen verheerenden Effekt auf den weltweiten Gold- und Diamantenmarkt haben, sondern auch die Situation im ganzen südlichen Afrika vollständig verändern. Die ganze wirtschaftliche Macht, die gegenwärtig dazu benutzt wird, Zimbabwe, Mozambique und Botswana in Abhängigkeit zu halten, wird zu einem Faktor des revolutionären Fortschritts werden. Eine Revolution in Brasilien würde einen ähnlichen Effekt auf ganz Lateinamerika haben.
Die politische Wirkung der Revolution wird sogar noch wichtiger sein - wie die Schockwellen gezeigt haben, die nach 1917 um die Welt liefen und Streiks und Aufstände so weit weg wie in Glasgow und Seattle auslösten. Die bloße Existenz eines Beispiels wirklicher Arbeitermacht und Arbeiterdemokratie wird in den herrschenden Klassen in Ost und West eine ideologische Krise verursachen. Im Westen wird es eine dramatische Herausforderung für die allzu erfolgreiche Gleichsetzung von Sozialismus mit Tyrannei durch unsere herrschende Klasse sein, und im Osten wird es vernichtend den Anspruch der stalinistischen Bürokratie unterminieren, den wahren Sozialismus zu repräsentieren.
Gleichzeitig wird die Revolution überall die Arbeiterbewegungen inspirieren. Sie wird zeigen, daß die Arbeiterklasse die Macht in die eigenen Hände nehmen kann, was es unendlich viel leichter macht, für den revolutionären Sozialismus zu argumentieren. Auch werden viele der Risse und Spaltungen an der Basis der sozialistischen und revolutionären Bewegung geheilt werden, weil es eine konkrete Überprüfung der Strategien und Taktiken geben wird, die zum Erreichen des Sieges notwendig sind.
Dabei werden die modernen Kommunikationsmittel eine große Hilfe sein. Nach der russischen Revolution (wo es zuletzt eine wirkliche Chance für eine internationale Revolution gab) dauerte es Monate, bevor sogar die am besten informierten Revolutionäre in anderen Ländern ein klares Bild davon hatten, was geschehen war. Nach einer zukünftigen Revolution wird die Realität der Arbeitermacht auf den Fernsehbildschirmen rund um die Welt aufleuchten.
Aber natürlich wird eine siegreiche Revolution sich nicht einfach zurücklehnen und darauf warten, daß das alles geschieht. Sie wird jede Anstrengung unternehmen, um diesen Prozeß zu beschleunigen.
Dies bedeutet nicht den Versuch, die Revolution anderen Ländern durch Einmarsch aufzuzwingen (obwohl der neue Arbeiterstaat sicherlich bereit sein wird, anderen revolutionären Kämpfen militärische Unterstützung zu geben). Es bedeutet, daß der Arbeiterstaat seine Autorität dazu benutzen wird, weltweit an die Arbeiterklasse zu appellieren, ihre eigenen Herrscher zu stürzen, das heißt, international eine revolutionäre Bewegung zu organisieren.
Der neue Arbeiterstaat wird eine Arbeiterinternationate gründen, wenn nicht bereits eine existiert, um in allen Ländern revolutionäre Parteien aufzubauen, zu koordinieren und zu vereinen.
Wenn sich dann die Arbeitermacht auf mehrere Länder ausgebreitet hat, werden all die oben angeführten Faktoren erheblich verstärkt werden. Es wird sich ein unwiderstehlicher Schwung entwickeln. In den 60er Jahren fürchteten die Strategen des US-Imperialismus den "Domino"-Effekt von Vietnam und anderen nationalen Befreiungskämpfen. Der Domino-Effekt von Arbeiterrevolutionen, mit einer internationalistischen Perspektive, wird noch viel, viel größer sein.
Laßt uns an diesem Punkt einen Sprung machen und den weltweiten Sieg der sozialistischen Revolution annehmen. Es ist eine gewaltige Vorstellung. Aber keine utopische, wie ich versucht habe zu zeigen. Es ist wert, einige ihrer Folgen zu betrachten.
Es wird bedeuten, daß die Drohung einer kapitalistischen Konterrevolution ein für alle Mal beendet sein wird, und daß die Drohung der atomaren Vernichtung von der menschlichen Rasse genommen wird.
Es wird das Ende nationaler Kriege bedeuten, die in diesem Jahrhundert weit über 100 Millionen Leben gefordert haben.
Es wird bedeuten, daß die Probleme der Weltarmut und Unterentwicklung in Angriff genommen und auf koordinierte Art und Weise überwunden werden können; daß die Menschen frei um den Globus reisen werden, und daß die Wurzeln des Rassismus zerstört sein werden.
Es wird bedeuten, daß internationaler Sozialismus, die Nutzbarmachung aller Ressourcen der Welt zum Nutzen der vereinten Menschheit, zur Realität werden wird.

Produktion für Bedürfnisse hin zum Überfluß

Die Errichtung einer geplanten sozialistischen Wirtschaft auf internationaler Ebene wird den immer wiederkehrenden Krisen des Kapitalismus ein Ende setzen, die durch Bankrotte, Unterinvestition, Überproduktion und Massenarbeitslosigkeit zur Zerstörung und Verschwendung von produktiven Ressourcen führen. Es wird bedeuten, daß die wahrhaft immensen wissenschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen, die gegenwärtig zur Vorbereitung und Durchführung von Kriegen verwandt werden, sozial nützlichen Zwecken zugeführt werden.
Wenn man sich vorstellt, daß ein moderner Panzer über 3 Millionen DM, daß das Trident-Raketen-System ungefähr 48 Millionen DM, daß Reagans SDI-Programm über 200 Milliarden DM kosten wird, dann erhält man eine Vorstellung davon, welches wirtschaftliche Potential freigesetzt werden wird.
Der Sozialismus wird auch die enorme Verschwendung abschaffen, die der kapitalistischen Produktion durch die Verdopplung ihrer Anstrengungen eigen ist - die Herstellung von zahlreichen, aber praktisch ähnlichen Waschmitteln, Autos, Radios und so weiter. Er wird den riesigen Summen ein Ende setzen, die für Werbung und die Produktion überflüssiger Luxusartikel für Reiche ausgegeben werden. Die Qualität und die Produktivität der Arbeit werden stark ansteigen, weil die Produzenten - zum ersten Mal - ein direktes, persönliches Interesse an der Produktion haben und gesünder und viel besser ausgebildet sein werden. Kurz gesagt, internationaler Sozialismus wird eine außergewöhnliche Entwicklung der Produktivkräfte mit sich bringen und schnell all das in den Schatten stellen, was in der gesamten vergangenen Geschichte auf diesem Gebiet erreicht worden ist.
Es ist dieser ökonomische Fortschritt, der die materielle Basis für den Übergang zu einer vollkommen klassenlosen Gesellschaft legen wird.
Zuerst wird er es ermöglichen, für jeden auf der Erde angemessene Nahrung, Kleidung und Unterkunft - die menschlichen Grundbedürfnisse - bereitzustellen. Niemals wird wieder ein Kind an Unterernährung oder leicht zu verhindernden Krankheiten sterben. Das allein würde schon mehr als ausreichend sein, den Sozialismus zu rechtfertigen. Aber tatsächlich ist es erst der Anfang dessen, was der Sozialismus bieten wird. Nach dem Erreichen eines annehmbaren Lebensstandards für alle ist der Weg zum Überfluß und zur freien Verteilung, entsprechend den Bedürfnissen, frei.
Dieser Punkt ist entscheidend für die marxistische Konzeption der höheren Stufe des Sozialismus oder des Kommunismus, wie es Marx genannt hat. Er bedarf der weiteren, näheren Erklärung.
Von Anfang an wird die sozialistische Revolution für eine große Angleichung bei der Verteilung der Güter sorgen, im Vergleich zu den massiven Ungleichheiten, die im Kapitalismus aufgebaut wurden. Die enormen Anhäufungen von Reichtum, die von Ausbeutung und Privateigentum herrühren, werden enteignet, und die überhöhten Gehälter, die von der herrschenden Klasse an sich selbst und Teile des Kleinbürgertums gezahlt wurden, werden verschwinden. Die Löhne der Arbeiterklasse, besonders die niedrigen, werden schnell ansteigen.
Dennoch wird anfangs - weil der Sozialismus mit den Mitteln beginnt, die er vom Kapitalismus erbt - die Versorgung mit Gütern begrenzt bleiben, und die Arbeiter werden weiter für Geld arbeiten, mit dem sie diese Güter kaufen werden. Der Sozialismus wirdjedoch fortschreitend die Produktion einer immer größeren Auswahl von Gütern steigern, bis zu dem Punkt, wo das Angebot die Nachfrage übersteigt. Es wird dann möglich sein, mit dem Verkauf dieser Güter aufzuhören und damit anzufangen, sie entsprechend den Bedürfnissen zu verteilen.
Um zu verdeutlichen, wie das gemacht werden kann, laßt uns das Beispiel von Wasser nehmen. In vielen Teilen der Welt gibt es heute Wasser - besonders sauberes Wasser - in erschreckend geringen Mengen. Aber in allen fortgeschrittenen industrialisierten Ländern ist das Problem des Wassers gelöst sogar unter dem Kapitalismus. Es gibt mehr als genug Wasser, so daß es für jedermann einfach aus dem Wasserhahn erhältlich ist. Das führt nicht dazu, daß die Leute wie verrückt Wasser verbrauchen. Abgesehen von einer geringen Menge an Verschwendung, die leicht auszugleichen ist, verbrauchen die Menschen nur das, was sie brauchen.
Was der Kapitalismus für das Wasser ermöglicht hat, wird der Sozialismus mit dem oben dargestellten Wachstum der Produktivkräfte - für alle Güter ermöglichen.
Das Wohnungswesen wird offensichtlich ein Bereich sein, mit dem man beginnt. Wir werden einfach mehr Wohnungen bauen, als Menschen untergebracht werden müssen, und sie entsprechend den Bedürfnissen zuteilen. Um umzuziehen, werden die Leute entweder in freie Wohnungen wechseln oder Wohnungen tauschen, anstatt sie zu kaufen und zu verkaufen [in Deutschland hauptsächlich zu mieten - iso]. Ein solches Arrangement würde nicht nur das Problem der Obdachlosigkeit lösen, sondern auch viel einfacher zu handhaben sein als das heutige umständliche und komplexe System des Hauskaufs. Es braucht nicht extra erwähnt zu werden, daß Ausbildung und Gesundheitsversorgung vollkommen kostenlos sein werden, wie auch der öffentliche Verkehr, der massiv ausgedehnt werden wird (möglicherweise bis zu dem Punkt, wo private Autos überflüssig werden).
Da alle Dienstleistungen kostenlos sein werden, wird die Arbeitskraft all der verschiedenen Geldeintreiber - von Grundstücksmaklern bis zu den Busschaffnern - sinnvoller eingesetzt werden.
Mit der Zeit wird sich das Prinzip der kostenlosen Verteilung ausbreiten, von Wasser, Wohnungen, Gesundheitsdienst, Ausbildung und Transport zu Nahrungsmitteln, Kleidung, Radio, Fernsehen, Unterhaltung und so weiter, bis es allumfassend wird. Kaufen und Verkaufen werden verschwinden. Geld scheinbar der allmächtige Gott der kapitalistischen Gesellschaft, aber in Wahrheit nur das Mittel, mit dem die Produkte menschlicher Arbeit ausgetauscht werden - wird immer mehr seine Nützlichkeit verlieren, bis zu dem Punkt, wo man ganz darauf verzichten kann.
Dank der kapitalistischen Indoktrination, die wir alle von Geburt an erhalten, mag dies befremdend erscheinen. Doch vorausgesetzt, daß der internationale Sozialismus die bisher vom Kapitalismus gebundenen und beschränkten Produktivkräfte entfesseln wird, ist daran überhaupt nichts Unrealistisches.
In Wirklichkeit gibt es nur ein ernsthaftes Gegenargument - nämlich daß niemand mehr arbeiten wird, wenn alles kostenlos ist.

Die Verwandlung der Arbeit


Arbeit ist entscheidend für menschliches Leben, für das Leben des Einzelnen und für das Leben der Gesellschaft. Die menschliche Rasse unterschied sich erst durch Arbeit, durch produktive Arbeit, von anderen Tieren.
Die Erfahrung der Arbeit ist der wichtigste Faktor bei der Formung der Persönlichkeit eines jeden Individuums. Die Art und Weise, in der eine Gesellschaft arbeitet, um Güter zu produzieren, ist die Grundlage all ihrer sozialen und politischen Beziehungen.
Unter dem Kapitalismus ist Arbeit jedoch eine überwiegend negative Erfahrung für die große Mehrheit der Menschen - die Arbeiterklasse. Sie bedeutet Zerstörung der Gesundheit und Zerstörung der Seele. Arbeit ist bis zu dem Punkt aufgeteilt, wo Menschen gezwungen sind, all ihr Leben auf die endlose Wiederholung beschränkter mechanischer Aufgaben zu spezialisieren. Sie ist erschöpfend, erniedrigend und vor allem langweilig. Sie schafft Luxus, Freizeit und Kultur für die Kapitalisten, aber sie läßt Persönlichkeit und Leben der Arbeiter verkümmern.
Die Umwandlung der Arbeit ist deshalb eine zentrale Aufgabe der sozialistischen Revolution. Auf lange Sicht ist es sogar die allerwichtigste Aufgabe.
Die ersten Schritte der Revolution - die Verstaatlichung der Industrie unter Arbeiterkontrolle - werden die Basis für diese Umwandlung der Arbeit legen: durch die Beendigung der Ausbeutung und des Strebens nach Profit, das Arbeit zu dem macht, was sie heute ist. Von Anfang an wird die Erfahrung der Arbeit durch die Arbeiterkontrolle verändert werden. Sie wird dem Leid der täglichen Erniedrigung der Arbeiter durch Bosse, Manager und Aufseher aller Art ein Ende setzen. Sie wird Sicherheit am Arbeitsplatz eher zur ersten als zur letzten Priorität machen und enorm zum Interesse an der Arbeit beitragen.
Aber zu Beginn wird die praktische Arbeit - die Bedienung der Maschinen, das Fördern von Kohle, das Tippen von Texten usw. - notwendigerweise hart sein, wie unter dem Kapitalismus. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte wird sich jedoch all das vollkommen ändern - eine Veränderung, die drei zusammenhängende Prozesse mit sich bringen wird. Erstens wird die Arbeitswoche systematisch verkürzt werden. Unter dem Kapitalismus werden Fortschritte in der Technologie dazu benutzt, Arbeiter zu entlassen. Wir sehen die Kombination von Millionen Arbeitern, die Überstunden machen, und von Millionen, die arbeitslos sind. Mit sozialistischer Planung wird die gesamte notwendige Arbeitszeit gleichmäßig aufgeteilt, und jeder technische Fortschritt wird die Menge notwendiger physischer Arbeit vermindern.
Das ist entscheidend - nicht nur, weil es die physische Belastung reduzieren wird, sondern auch, weil es den Arbeitem die Freiheit geben wird, sich in Bildung und Kultur weiterzuentwickeln und eine aktive Rolle bei der allgemeinen Verwaltung der Gesellschaft in allen ihren Aspekten zu übernehmen. Zweitens wird Automation dazu eingesetzt, die unangenehmsten und untergeordnetsten Arbeiten auszumerzen. Wenn man sieht, daß es im Kapitalismus sogar möglich ist, Raketen zum Mond zu schicken, braucht es wenig Vorstellungskraft, zu sehen, wie Müllabfuhr, Straßen- und Büroreinigung, eine ganze Menge der Hausarbeit, des Bergbaus und der Fließbandarbeit automatisiert werden könnten. Drittens wird die Teilung der Arbeit zunehmend aufgehoben. Die Teilung der Arbeit hat zwei Hauptaspekte. Auf der einen Seite gibt es die allbeherrschende Teilung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit - die mit der Teilung der Gesellschaft in Klassen von Ausbeutern und Ausgebeuteten aufkam und einhergeht. Auf der anderen Seite gibt es die Aufteilung des Produktionsprozesses in immer kleinere Aufgaben, die keinerlei Fähigkeiten, Interesse oder Kreativität erfordern, was besonders das Produkt der kapitalistischen Industrialisierung ist.
Die Kombination der oben angeführten Faktoren - Arbeiterkontrolle, reduzierte notwendige Arbeitszeit und Automation - wird beide Aspekte der Teilung der Arbeit beseitigen.
Jeder wird sowohl zum Produzenten als auch zum Planer der Produktion werden. Jeder wird die Zeit, die Energie und die Ausbildung haben, sich an der gemeinsamen Gestaltung der Umwelt zu beteiligen - eine Arbeit, welche die Verschmelzung von künstlerischem, wissenschaftlichem, technischem und sozialem Wissen erfordert und ein kollektiver, kreativer Prozeß sein wird.
Unter diesen Bedingungen wird die Arbeit - wie Marx sagte - "nicht nur ein Mittel zum Überleben, sondern zum vorrangigen Bedürfnis des Lebens". Sie wird aufhören, eine ermüdende Notwendigkeit zu sein und wird zu einem positiven Vergnügen werden - ein Mittel individueller und kollektiver menschlicher Verwirklichung.
Menschen sind nicht von Natur aus faul. Wenn man ein Baby oder ein kleines Kind einmal beobachtet, die ja der "Natur" des Menschen noch am nächsten stehen, wird man sehen, wie es überläuft vor Neugier, Energie und Lernbegierde, vor Aktivität und vor Lebenslust. Es ist der Kapitalismus, Unterdrückung und entfremdete Arbeit, die die Menschen verschleißen, demoralisieren und zerbrechen, ihre Energie zerstören und sie überzeugen, daß sie das Leben am besten mit hochgelegten Füßen vor dem Fernseher verbringen. Sieh Dir die immense Anstrengung an, die viele Leute aus der Arbeiterklasse in ihre Hobbies oder in die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung stecken. Es ist nicht schwierig, zu sehen, daß - wenn sie für sich selbst arbeiten und nicht für eine Klasse von Ausbeutern, und wenn diese Arbeit abwechslungsreich und interessant ist - die Zeit kommen wird, wo kein physischer oder direkter wirtschaftlicher Druck nötig sein wird, um sicherzustellen, daß die sozial notwendige Arbeit verrichtet wird.
Sozialismus wird, in seinen höheren Stufen, die Gewohnheit der Verrichtung anregender und kreativer Arbeit mit der Planung der Produktion zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, der Entwicklung von Wissenschaft und Technologie und der kostenlosen Verteilung von im Überfluß vorhandenen Gütern miteinander verbinden. Wenn das geschehen ist, wird es für die Gesellschaft kein Hindernis mehr geben, das höchste sozialistische Prinzip auf ihre Fahnen zu schreiben: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen."

Frauenbefreiung

Unter Feministinnen ist es ein Gemeinplatz geworden, daß eine sozialistische Revolution nicht automatisch die Frauen befreien wird.
Sie haben natürlich recht. Denn auch nach der Revolution wird nichts automatisch geschehen. Die Geschichte wird von Menschen gemacht, und der Kampf für die Überwindung der Frauenunterdrückung muß geführt und gewonnen werden.
Trotzdem wird die sozialistische Revolution den Prozeß der Beendigung der Jahrhunderte alten Frauenunterdrückung vorantreiben, und der Übergang zum Sozialismus wird ihn vollenden. Der Grund dafür ist einfach. Sozialismus ist vor allem die Selbstbefreiung der Arbeiterklasse, und die Mehrheit der Arbeiterklasse sind Frauen. Somit kann man ohne die vollständige Befreiung der Frau nicht von der vollständigen Befreiung der Arbeiterklasse sprechen und daher auch nicht von Sozialismus.
Dies sorgt nicht für die automatische Befreiung der Frau, macht aber den Kampf für die Frauenbefreiung zu einer zentralen Aufgabe beim Übergang zum Sozialismus. Außerdem werden Arbeiterfrauen, die eine Revolution gemacht haben, niemals bereit sein, die Rolle von Bürgern zweiter Klasse zu akzeptieren; genauso wie die Bergarbeiterfrauen, die im großen Streik 1984 in Großbritannien gekämpft haben, durch diese Erfahrung geformt wurden.
Wie wird also die Befreiung der Frauen erreicht werden?
Zuerst wird es eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen geben, die sehr einfach sind und sofort durch den Arbeiterstaat durchgeführt werden können und werden. Darin inbegriffen sind: Die Abschaffung aller Überreste gesetzlicher Ungleichheit zwischen Männern und Frauen und die Ächtung jeder Form von Diskriminierung gegenüber Frauen; die Einführung des Rechts auf freie Empfängnisverhütung und auf freie Abtreibung auf Verlangen; das Recht auf sofortige Scheidung auf Verlangen und das Recht auf gleiche Bezahlung und gleiche Berufs-Chancen.
Es könnte eingewandt werden, daß viele (wenn auch nicht alle) dieser Bestimmungen schon im kapitalistischen Deutschland in Kraft und unwirksam sind - das Recht auf gleiche Bezahlung ist das deutlichste Beispiel. Hier müssen wir die veränderten Umstände beachten. Die Tatsache, daß der Arbeiterstaat sofort zum wichtigsten und schließlich zum einzigen Arbeitgeber wird und daß alle entscheidenden Institutionen in der Gesellschaft unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter stehen werden, wird sicherstellen, daß diese Gesetze in die Praxis umgesetzt werden.
Viele andere soziale Veränderungen werden ebenfalls zur Befreiung der Frauen beitragen und sie erleichtern. In den Schulen wird es anti-sexistischen Unterricht geben, und dort, wo es noch sexistische Lehrer gibt, werden sie zweifellos entschlossen von ihren Schülern korrigiert werden. Die Umwandlung des Eigentums und der Kontrolle über die Medien wird dazu führen, daß auch diese zu einer Kraft gegen Sexismus werden, anstatt für Sexismus wie heute. Da mit der Abschaffung der kapitalistischen Konkurrenz die Werbung in ihrer heutigen Form verschwinden wird, wird auch der Gebrauch des Frauenbildes verschwinden, das für die Anpreisung von Waren ausgebeutet wird. Alle Formen der Gewalt gegen Frauen werden ernsthaft bekämpft werden. Doch, wie wichtig und notwendig all diese Maßnahmen auch sein werden, treffen sie alle nicht wirklich den Kern des Problems. Sie beschäftigen sich eher mit den Symptomen und den Folgen der Frauenunterdrückung als mit ihrer Ursache. Die Ursache liegt in der Stellung der Frau innerhalb der Familie und in der Rolle, die die Familie in der in Klassen geteilten Gesellschaft im allgemeinen gespielt hat, und in der kapitalistischen Gesellschaft im besonderen.
Im heutigen Kapitalismus liegt die Verantwortung für das Großziehen von Kindern und die Versorgung der gegenwärtigen Generation (in ökonomischen Ausdrücken: Die Reproduktion der Arbeitskraft) hauptsächlich bei der Kleinfamilie. Innerhalb der Familie fällt die Bürde dieser Arbeit hauptsächlich auf die Frauen. Die Vorteile dieser Regelung sind für den Kapitalismus offensichtlich - sie erhält seine Arbeitskräfte, zu minimalen Kosten produziert und erneuert, und teilt und zersplittert die Arbeiterklasse.
Die Nachteile für Frauen sind ebenso klar. Ihr Zugang zu bezahlter Arbeit wird behindert und ist beschränkt; ihre Karriereaussichten sind zerstört; es besteht die Tendenz, daß sie im Haus isoliert werden, und sie sind mehr oder weniger wirtschaftlich von ihren Ehemännern abhängig.
Das ist das Grundproblem, das gelöst werden muß, um die dauernde und vollständige Befreiung der Frau als Teil des Übergangs zum Sozialismus zu erreichen. Aber die Familie ist keine Einrichtung, welche per Dekret über Nacht abgeschafft werden kann. Sie muß ersetzt werden. Darüberhinaus müssen die Institutionen, die die Familie ersetzen sollen, besser als die heutigen sein, um den tatsächlichen menschlichen Bedürfnissen zu entsprechen, damit die Leute diese freiwillig annehmen.
Die Hauptaufgabe ist die effiziente und sorgsame Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kindererziehung. Das bedeutet die Schaffung eines umfassenden Netzwerks kommunaler Restaurants, die eine Vielzahl billiger (schließlich kostenloser) guter Speisen führen. Es bedeutet die Bereitstellung kommunaler Wäschereien und Reinigungsdienste. Es bedeutet vor allem die Bereitstellung guter Kindergärten und Krabbelstuben für jedes kleine Kind und einen gut organisierten Kinderbetreuungsdienst für alle Eltern.
Wenn diese Formen des kommunalen Lebens entwickelt sind, was wahrscheinlich scheint, wird dies bei allen diesen Problemen beträchtlich helfen. Wenn das erreicht ist, wird das Großziehen von Kindern aufhören, eine in jeder Hinsicht sozial nachteilige Belastung zu sein, und zu einer vorwiegend positiven Erfahrung werden, die bereitwillig von Männern und Frauen geteilt wird.
Ebenso wird die Frage, mit wem und für wie lange Leute zusammenleben, zu einer rein persönlichen Entscheidung, nicht beschränkt durch wirtschaftliche Zwänge oder durch alte religiöse Regeln und gesellschaftliche Gebräuche, die diese Zwänge widerspiegeln.
Frauen werden schließlich frei sein von der Unterordnung, unter der sie seit dem Beginn der Klassengesellschaft vor sechs- oder siebentausend Jahren gelitten haben.
Die Verwirklichung eines solchen Programms wird, das ist klar, große wirtschaftliche Ressourcen, starken politischen Willen und die Beteiligung der Massen erfordern. Keine kapitalistische Regierung würde das anstreben oder könnte das erreichen. Deshalb werden Frauen nur durch den Sozialismus ihre Befreiung erreichen können.
Und Hand in Hand mit der Frauenbefreiung wird die Schwulen- und Lesbenbefreiung gehen. Natürlich werden die gesetzlichen und erzieherischen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Frauenunterdrückung unternommen werden, auch auf diesem Gebiet angewandt werden.
Aber letztendlich wird das Hinausgehen über die bürgerliche Familie und die Schaffung einer wirklichen Freiheit für Frauen der Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen den Boden entziehen. Eine Welt, wo die Familie nicht mehr verteidigt werden muß, und in der "Mann" zu sein, nicht mehr bedeutet, der Frau überlegen zu sein, wird eine Welt sein, in der der schwule Mann und die lesbische Frau von niemandem mehr als eine Bedrohung empfunden werden.

Das Ende des Rassismus

Rassismus ist eine der gräßlichsten und bösartigsten Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft. Zukünftige Generationen, die unter dem Sozialismus leben, werden eine beträchtliche Vorstellungskraft benötigen, damit es ihnen möglich ist, ihn zu verstehen; nicht nur die großen Verbrechen des Rassismus - wie den Nazi-Holocaust und die dem auch seine relativ "kleineren" Erscheinungen wie die eklige Hysterie über die Einwanderung einiger Tausend Asylsuchender in Deutschland.
Zweifellos werden sie solche Geschichten als klaren Beweis dafür ansehen, daß die Gesellschaft, die sie hervorbrachte, im Wesen verrottet war. Denn der Sozialismus wird den Rassismus ausrotten.
Damit meine ich nicht nur, daß der Sozialismus den Rassismus bekämpfen wird. Es sollte selbstverständlich sein, daß die sozialistische Revolution den entschiedensten Kampf gegen jede Form von Rassismus führen wird. Der Arbeiterstaat wird alle rassischen Diskriminierungen, rassischen Belästigungen und alle Ausdrücke rassistischer Ideologie als ein sehr schwerwiegendes Vergehen behandeln. Seine Schulen und Medien werden zusammenwirken, um die Bevölkerung in einem Geist des militanten Anti-Rassismus zu erziehen.
Aber ich meine damit viel mehr als das. Ich meine, daß die sozialistische Revolution die wirklichen Wurzeln des Rassismus zerstören wird, so daß er mit der Zeit zu einem historischem Relikt wird, so anachronistisch, absurd und irrelevant wie die Hexenverfolgung.
Um zu sehen, wie dies geschehen wird, ist es zuerst nötig zu verstehen, was diese Wurzeln sind. Rassismus ist, im Gegensatz zu den Theorien, die von Leuten vorgebracht werden, die in Wahrheit Verteidiger des Rassismus sind, keine "natürliche" oder "instinktive" Reaktion auf "Außenseiter". Er ist auch nicht das Überbleibsel eines primitiven, auf Unwissenheit beruhenden Aberglaubens. Anders als die Unterdrückung der Frauen ist er sogar noch nicht einmal ein Produkt der Klassengesellschaft im allgemeinen.
Rassismus ist das ausschließlich spezifische Produkt des Aufstiegs und der Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Diese Erscheinung gab es nicht in den vorkapitalistischen Gesellschaften, noch nicht einmal in der alten Sklavenhalter-Gesell- schaft Griechenlands und Roms. In den letztgenannten Gesellschaften waren die Sklaven (und die Sklavenhalter) sowohl schwarz als auch weiß. Obwohl sklavenfeindliche Ideen (Sklaven seien von Natur aus minderwertig usw.) weitverbreitet waren, hatten sie keine rassische oder von der Hautfarbe abhängige Bedeutung.
Die Ursprünge des Rassismus liegen im Sklavenhandel, in der Praxis des gewaltsamen Einfangens und Verschiffens von Millionen von schwarzen Afrikanern nach Amerika, als Sklaven für die Arbeit auf den Plantagen.
Dieser Handel und die folgende Sklaverei wurden aus wirtschaftlichen Gründen unternommen. Sie waren außerordentlich profitabel und spielten eine wichtige Rolle beim Aufstieg des Kapitalismus. Aber wie alle Formen der Ausbeutung erforderten sie eine ideologische Rechtfertigung, und diese wurde durch den Rassismus geliefert. Die unmenschliche Behandlung von Millionen Menschen wurde durch die Theorie legitimiert, diese Menschen seien Untermenschen.
Der Rassismus, der aus dem Sklavenhandel erwuchs, wurde dann weiter durch den Imperialismus im Ganzen verstärkt und vorangetrieben. Der Kapitalismus, der zuerst im westlichen Europa entstand (und sich besonders in Großbritannien entwickelte), wurde durch seinen Konkurrenz-Charakter getrieben, die Welt nach Märkten für seine Waren, nach Rohstoffen und dann nach Kolonien als Absatzmärkte für Investitionen und Quellen billiger Arbeitskräfte zu durchstreifen. Dies brachte die Kaufleute, Missionare, Geschäftsleute, Politiker und Soldaten unweigerlich in Konflikt mit der eingeborenen Bevölkerung von Amerika, Asien und Afrika - das heißt, mit den schwarzen und farbigen Menschen der Welt.
Wieder einmal wurde eine Rechtfertigung gebraucht. Es gab nichts besseres als die Vorstellung, daß diese Menschen kindisch, primitiv und unfähig seien, und daß der ganze Prozeß des Raubens und Plünderns in Wirklichkeit nur zu deren Bestem sei - daß es die "Bürde des weißen Mannes" sei, sie langsam zur "Zivilisation" zu führen.
Rassismus ist jedoch nicht nur ein Vermächtnis des Imperialismus, sondern er wird auch dauernd durch den jetzigen Kapitalismus erneuert. Denn Kapitalismus beruht nicht nur auf der Konkurrenz zwischen Kapitalisten, sondern auch auf der Konkurrenz zwischen Arbeitern.
Die Struktur der kapitalistischen Wirtschaft fördert es, daß Arbeiter andere Arbeiter als Rivalen um Arbeitsplätze, Wohnungen und so weiter ansehen. Nur durch die Überwindung dieser Konkurrenz untereinander sind die Arbeiter dazu in der Lage, gegen das System zu kämpfen.
Folgerichtig sind alle Ideen wie Sexismus, Nationalismus und vor allem Rassismus, die die Arbeiter gegeneinander aufhetzen und ihre Einheit zerstören, von großem Vorteil für die Bosse. Rassismus liefert dem System und seiner herrschenden Klasse auch einen sehr bequemen Sündenbock für Arbeitslosigkeit und all die anderen sozialen Krankheiten, die der Kapitalismus produziert. Aus diesen Gründen schürt der Kapitalismus offen oder verdeckt, aber nichtsdestotrotz permanent, die Feuer des Rassismus, so daß die rassistische Karte immer parat ist, wenn sie gebraucht wird.
Dies alles soll nicht nahelegen, daß die Probleme des Rassismus leicht zu lösen sein werden, noch weniger, daß sie über Nacht mit der Revolution verschwinden werden. Im Gegenteil, die Wurzeln des Rassismus sitzen tief. Der Punkt ist, daß es kapitalistische Wurzeln sind, und in dem Moment, wo der Kapitalismus zerstört ist, wird ihnen die weitere Nahrungsgrundlage entzogen, und sie fangen an zu verdorren.
Darüberhinaus wird der Prozeß der Revolution selbst dem Rassismus viele kräftige Schläge versetzen. Erstens, weil es sicher ist, daß farbige Arbeiter selbst eine mächtige und führende Rolle in der Revolution spielen werden. Zweitens kann die Revolution nicht hoffen, siegreich zu sein, wenn nicht die Einheit zwischen den geteilten Sektionen der farbigen und weißen Arbeiterklasse (auf der Basis totaler Opposition zum Rassismus) erreicht ist. Drittens wird eine siegreiche, selbstbewußte Arbeiterklasse, die durch die erhebende Erfahrung eines revolutionären Kampfes gegangen ist, kein Bedürfnis nach Sündenböcken haben.
Gebaut auf diesem festen Grund wird eine sozialistische Gesellschaft, die die Arbeiter als kollektive Besitzer und Kontrolleure der Produktion vereint, anstatt sie zu spalten, die dazu in der Lage ist, die Probleme von Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut zu lösen und die sich selbst durch internationale Solidarität ausbreitet und nicht durch imperialistische Eroberungen, allmählich die letzten Spuren des Rassismus ausrotten.

Für die Zukunft lernen

Die sozialistische Gesellschaft wird in der Arbeiterklasse und bei allen Unterdrückten einen enormen Hunger nach Wissen und Bildung wachrufen. Wir wissen das von früheren Erfahrungen: von der russischen Revolution, wo sich Arbeiter in großen Stadien versammelten, um Vorlesungen über griechische Dramen zu hören, von der portugiesischen Revolution von 1974, als eine Zeitlang Lenins Buch "Staat und Revolution" die Bestseller-Listen anführte, und von vielen anderen Beispielen. Millionen von Menschen wurden über Generationen hinweg überzeugt, daß intellektuelles Wissen über die Welt sinnlos sei, weil "man doch nichts tun kann" und weil "die Dinge sich niemals ändern werden". Doch plötzlich, in einer Revolution, finden sie sich selbst im Sattel. Sie sind aufgerufen, alles in der Gesellschaft zu kontrollieren und zu regeln. "Alles" scheint möglich, und sie wollen "alles" wissen.
Es wird die Aufgabe des Arbeiterstaates sein, ein Bildungssystem zu schaffen, das dieses Bildungsinteresse fördert und entwickelt. Dieses System wird das Gegenteil des je tzigen kapitalistischen Bildungssystems sein, das eifrige und neugierige Kinder aufsaugt und sie einige Jahre später als Jugendliche verbittert und zynisch wieder ausspuckt.
Was die Ausbildung heute wirklich verwüstet und entstellt, ist nicht nur der Mangel an Geldmitteln - so ernsthaft das ist -, sondern der Kriegszustand, "mal versteckt, mal offen", der zwischen Lehrern und Schülern herrscht. Dieser wiederum folgt aus der Rolle der Schulen unter dem Kapitalismus, nämlich die Klassenstruktur der Gesellschaft zu erhalten. Schulen filtern stufenweise diejenigen heraus, die für Positionen der Mittelklasse und herrschenden Klasse bestimmt sind (das ist der wirkliche Grund für Prüfungen), und bereiten den Rest für Ausbeutung und entfremdete Arbeit vor. Ein System, dessen Struktur die Mehrheit unweigerlich zum Versagen verurteilt, kann unmöglich die Begeisterung und die Mitarbeit seiner Opfer erhalten - gleichgültig, wie gut es einzelne Lehrer auch meinen. Es kann nur durch autoritären Zwang funktionieren.
Die sozialistische Erziehung wird im Gegensatz dazu jeden, nicht nur ein paar Auserwählte, dazu befähigen, eine aktive, planende und verwaltende Rolle einzunehmen. Ihr Ziel wird eine umfassende Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit sein.
Schulen werden die Zusammenarbeit fördern, nicht die Konkurrenz. Es wird für einen Schüler nicht länger "Betrug" sein, einem anderen zu helfen. Und sie werden demokratisch und nicht autoritär sein. Die diktatorische Herrschaft des Rektors wird durch einen gewählten Schulrat ersetzt, gebildet aus Repräsentanten der Schüler, Lehrer und Arbeiterräte. Lehrer werden die Helfer, in gewissem Sinne die Diener ihrer Schüler sein. Disziplin wird mehr kollektiv als aufgezwungen sein.
Diejenigen, die glauben, dies würde zum Zusammenbruch aller Ordnung führen, ignorieren, was in den meisten Klassenräumen heute vor sich geht, und unterschätzen total die Macht des bloßen Gruppenzwanges, der täglich über Arrest oder Rohrstock siegt.
Wenn die Arbeitswoche ständig verkürzt wird und die anstrengendsten Arbeiten zunehmend automatisiert werden, dann wird Bildung zu etwas, was nicht mit 16, 18 oder 24 Jahren aufhört.
Sie wird als ein lebenslanger Prozeß fortdauern, viel enger verbunden mit der Lösung von praktischen Aufgaben und Problemen, die von der neuen Gesellschaft aufgeworfen werden.
Was für die Bildung gilt, wird auch für die Kultur generell gelten. Die nachrevolutionäre Gesellschaft wird eine große Blüte der Künste bewirken, indem sie den Künstlern eine Vielzahl von neuen und inspirierenden Themen liefert. Sie wird auch ein neues Publikum für die Kunst schaffen, als Teil des allgemeinen Erwachens der Persönlichkeit, das stattfindet, wenn die Arbeiterklasse von den Rändern der Gesellschaft in das Zentrum des Geschehens tritt.
Unzweifelhaft werden Musik, Malerei, Dichtung, Schauspiel, Kino und der Rest sowohl eine Rolle im revolutionären Kampf selbst als auch beim Aufbau des Sozialismus spielen. Aber weder der Arbeiterstaat noch die revolutionäre Partei werden versuchen, die schöpferischen Künste zu dirigieren oder zu kontrollieren. Es wird keine Wiederholung der verheerenden stalinistischen Politik der Ächtung bestimmter Kunstformen oder des Anspruchs geben, daß nur ein Kunststil - ob nun sogenannter sozialistischer Realismus oder ein anderer - Gültigkeit hat. Die revolutionäre Regierung wird, abgesehen von dem Recht, direkte konterrevolutionäre Propaganda zu verbieten, für ein Maximum an Freiheit auf diesem Gebiet eintreten. Ohne energische Kritik, heftige Debatte und Experimente und den Wettstreit verschiedener Schulen ist künstlerische Entwicklung nicht möglich.
Es ist offensichtlich nicht möglich, im voraus den genauen Charakter der Kunst der Zukunft vorauszusagen oder festzulegen. Ich denke jedoch, es ist möglich, in allgemeinen Begriffen einen fundamentalen Wandel in der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft vorherzusagen.
Die kapitalistische Gesellschaft mit ihrer Trennung von geistiger und manueller Arbeit, ihrer Teilung und Entfremdung, fördert einerseits die Absonderung der Kunst und der Künstler von der Masse des Volkes und andererseits von der produktiven Arbeit. Darüberhinaus verstärken sich diese beiden Tendenzen der Absonderung gegenseitig. Kunst wird zu einer privilegierten Arena, in der sich die Minderheit selbst kreativ ausdrückt, während die Mehrheit zu mechanischer, toter und nicht-kreativer Arbeit verurteilt ist. Die Kunst spiegelt die Teilung der Klassengesellschaft wider und teilt sich in "hohe" und "niedrige" Kunst. Die "hohen" Künstler werden zu Mitgliedern einer Elite, die einer Elite dienen.
Der Sozialismus wird diese Trennung überwinden, weder indem er die Künstler zwingt, "populär" zu sein, noch indem er einfach das kulturelle Niveau der Mehrheit hebt - obwohl das natürlich geschehen wird. Vielmehr wird der Sozialismus alle Arbeit zu einer schöpferischen Aktivität machen, so daß jeder Produzent in gewissem Sinne zu einem Künstler wird. Dementsprechend werden die Kenntnisse der Malerei, des Designs, der Architektur, des Schreibens - aller Formen der Kunst - zu integralen Elementen in der kollektiven Arbeit der Gestaltung der menschlichen Umwelt. So wie der Produzent zu einem Künstler wird, wird der Künstler zu einem Produzenten.

Von der Notwendigkeit zur Freiheit

Das endgültige Ziel des Marxismus, des Sozialismus und des Kampfes der Arbeiterklasse ist Freiheit. Die Bourgeoisie ist natürlich bestrebt, ihre Verpflichtung zur Freiheit zu beteuern: zu der Freiheit der Rede, der Presse und des Individuums, mit seinem Geld zu tun, was es will, und so weiter. Sie weiß sehr wohl, daß diese Freiheiten, solange sie die Produktionsmittel und damit den Reichtum, die Medien und den Staat kontrolliert, für die große Mehrheit enorm beschränkt sind und fast bedeutungslos bleiben. Sie weiß auch, daß sie die Macht hat, diese Freiheiten einzuschränken oder auf diesen Freiheiten herumzutrampeln, wann immer sie es für notwendig hält.
Im Gegensatz dazu erkennen Marxisten, daß es in einer Gesellschaft, die in gegensätzliche Klassen geteilt ist, gegründet auf Ausbeutung und beherrscht durch das Kapital, keine "absoluten" Freiheiten gibt und geben kann. Wir entlarven die Heuchelei der abstrakten Freiheit, die von der Bourgeoisie angeboten wird, weil wir wirkliche, konkrete Freiheit wollen.
Freiheit von Hunger und Armut (ohne die alle anderen Freiheiten überhaupt nichts bedeuten), Freiheit von Krieg, von endloser Plackerei, von Ausbeutung, von rassischer und sexueller Unterdrückung - dies sind die wirklichen Freiheiten, für die wir kämpfen. Sie können nur Realität werden, wenn die positive Freiheit errichtet wird, in der die Arbeiterklasse die Gesellschaft verwaltet.
Im Laufe der Erringung dieser Freiheiten jedoch wird die Arbeiterklasse auch den Weg für eine Freiheit ebnen, von der die Bourgeoisie niemals geträumt hat, nämlich für die Freiheit, ohne die Überwachung des Staates zu leben.
Der Staat ist von Natur aus ein Instrument der Herrschaft und der Unterdrückung - ein Mittel, durch das ein Teil der Bevölkerung gewaltsam einen anderen niederhält. Staaten können nichts anderes als Institutionen der Gewalt sein. Im Grunde bestehen sie, wie Engels sagte, aus "Körperschaften bewaffneter Männer". Menschen tragen entweder Waffen, um andere zu töten oder um sie zu zwingen, Dinge gegen ihren Willen zu tun, daß heißt, sie ihrer Freiheit zu berauben.
All das gilt auch für den neuen Arbeiterstaat, der aus der erfolgreichen Revolution entsteht, genauso wie es für den kapitalistischen gilt. Es gibt natürlich einen Unterschied. Der kapitalistische Staat ist ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Ausbeutung vieler durch einige wenige. Der Arbeiterstaat wird ein Instrument der Mehrheit zur Unterdrückung der Minderheit der Ausbeuter sein.
Dennoch bleibt sogar der demokratischste Arbeiterstaat eine Institution, welche die menschliche Freiheit auf verschiedene Weisen beschränkt. Auch wenn der Arbeiterstaat die Mehrheit der Arbeiterklasse repräsentiert und beteiligt, wird er in der Tat nicht nur die alte herrschende Klasse unterdrücken, sondern auch der Freiheit der Arbeiterklasse selbst gewisse Beschränkungen auferlegen.
Der Arbeiterstaat ist eine Waffe des Klassenkrieges, und Krieg führen heißt, nicht nur den Feind anzugreifen, sondern auch, die eigenen Kräfte zu disziplinieren. So wie eine Streikpostenkette eine Waffe im Kampf gegen die Unternehmer ist, die funktioniert, indem sie rückständigere Arbeiter diszipliniert.
Deshalb kann auch keine Rede von vollständiger Freiheit sein - einer Freiheit für al- le -, bis nicht sogar der Arbeiterstaat hinfällig geworden ist. Und dies war immer das letztendliche Ziel von Marxisten, wie immer wieder von Marx, Engels, Lenin und Trotzki betont wurde.
Kein marxistischer Lehrsatz wird immer wieder so durchweg abgelehnt wie der des Absterbens des Staates. Also laßt uns die Argumente untersuchen. Als erstes muß uns klar sein, daß Marxisten nicht vorschlagen, daß der Staat unmittelbar abgeschafft werden kann (das ist die anarchistische Position), sondern nur auf der Basis gewisser Voraussetzungen. Diese wurden früher in dieser Broschüre behandelt: der internationale Sieg der sozialistischen Revolution und die totale Niederlage der konterrevolutionären Bourgeoisie; die Abschaffung der Wurzeln aller Ausbeutung und Klassenspaltungen; das Erreichen materiellen Überflusses, so daß Güter entsprechend den Bedürfnissen verteilt werden.
Unter diesen Umständen wird der Staat seine wesentlichen Funktionen verloren haben. Es wird keine Unterdrücker-Klasse zu verteidigen und keine unterdrückte Klasse niederzuhalten geben. Es wird im weltweiten Sozialismus keine nationalen (oder imperialistischen) Interessen zu verteidigen oder ausländische Interessen zu bekämpfen geben.
Und was ist mit den Verbrechen und dem Management der Wirtschaft, werden Skeptiker fragen.
In einer völlig sozialistischen Gesellschaft werden Verbrechen in jeder Hinsicht verschwinden, nicht weil unter dem Sozialismus jeder "gut" oder moralisch perfekt wird, sondern weil die Motive und Gelegenheiten für Verbrechen beseitigt sein werden.
Laßt uns die Sache allgemein am Beispiel der gebräuchlichsten Form des Verbrechens, dem Autodiebstahl, erläutern. Eine fortgeschrittene sozialistische Gesellschaft wird das Problem des Transports auf eine von zwei möglichen Weisen lösen: Entweder wird jedes Individuum mit angemessenen und gleichen Transportmitteln versorgt werden, oder der öffentliche Transport wird ein Niveau erreicht haben, daß persönliche Transportmittel unnötig sind. In jedem Fall wird sowohl der Markt für gestohlene Autos als auch das Motiv, sie zu stehlen, verschwunden sein, und was für Autos gilt, wird schließlich für alle Güter gelten. Übrig bleibt die Frage nach Verbrechen gegen Personen - Körperverletzungen, Morde, Sexualverbrechen und ähnliches. Diese machen schon heute nur einen kleinen Teil der Verbrechen aus, und eine nicht auf Konkurrenz beruhende sozialistische Gesellschaft, die für alle ihre Mitglieder gleichermaßen sorgt, wird diese zweifellos stark reduzieren. Mit den unsozialen Verhaltensweisen, die übrig bleiben, befassen sich am besten die kollektiven Organisationen der lokalen Gemeinschaften. Dazu bedarf es keines Staates.
Was die Leitung der Wirtschaft anbetrifft, so sollte vorausgeschickt werden, daß letzt endlich die Wirtschaft den Staat leitet, und nicht umgekehrt. Für die starke Zunahme der staatlichen Lenkung der Wirtschaft in der modernen Welt gibt es zwei Gründe: Den (erfolglosen) Versuch, die internen Widersprüche des Kapitalismus zu mildern; und die Organisierung der Kräfte des nationalen Kapitalismus in Konkurrenz zu anderen. Beide diese Notwendigkeiten werden mit dem Sozialismus verschwinden. Deshalb wird der Staat in der sozialistischen Gesellschaft der Zukunft absterben, und dies wird das Verschwinden der letzten Spuren des schrecklichen Erbes der Klassengesellschaft und die endgültige Vollendung des Sprungs der Menschheit vom Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit bedeuten - was das Wesentliche des Sozialismus ist.







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