Weltsozialforum
PORTO ALEGRE 2002
Erklärung der sozialen Bewegungen in Porto Alegre
Widerstand dem Neoliberalismus, dem Militarismus und
Krieg: Für Frieden und soziale Gerechtigkeit
05.02.2001
- Angesichts einer fortwährenden Beschädigung der Lebensbedingungen
der Völker, haben wir, die sozialen Bewegungen der ganzen Welt, uns zum
zweiten Weltsozialforum in Porto Alegre getroffen. Wir sind hier aus
Verachtung über die Versuche, unsere Bewegung spalten zu wollen. Wir
treffen uns deshalb erneut, um unsere Kämpfe gegen Neoliberalismus und
Krieg fortzusetzen und die Übereinkünfte des letzten Forums zu bestätigen,
dass eine andere Welt möglich ist.
- Wir sind verschieden: Frauen und Männer, Erwachsene und Jugendliche,
Ureinwohner, Bauern und Städter, Arbeiter und Arbeitslose, Obdachlose,
Alte, Studenten, Menschen jeglichen Glaubens, jeglicher Farbe, von
unterschiedlicher sexueller Orientierung. Der Ausdruck dieser
Verschiedenheit ist unsere Kraft und die Basis unserer Einheit. Wir sind eine
globale Solidaritätsbewegung, vereinigt durch unsere Bestimmung die
Konzentration des Reichtums, die Verbreitung der Armut und der
Ungleichheit, sowie die Zerstörung unserer Erde zu bekämpfen. Wir sind
dabei Alternativen aufzubauen und wir gebrauchen kreative Methoden, um sie
voranzubringen. Wir sind dabei eine breite Allianz gegen ein System zu
errichten, das auf Patriarchat, Rassismus und Gewalt beruht, das die
Interessen des Kapitals gegenüber den Bedürfnissen und Erwartungen der
Völker privilegiert.
- Dieses System produziert das tägliche Drama von Frauen und Kindern
und Alten, die vor Hunger sterben, es produziert die Abwesenheit von
Gesundheitsvorsorge und es produziert Krankheiten, denen vorgebeugt
werden könnte. Ganze Familien werden gezwungen, ihre Häuser auf Grund
von Kriegen, durch den Druck der "Megaentwicklung", wegen mangelndem
Boden, wegen Umweltkatastrophen, wegen Angriffen auf die öffentlichen
Dienstleistungen sowie der Zerstörung der sozialen Solidarität aufzugeben. Im
Süden wie im Norden werden kräftige Kämpfe und Widerstand
hervorgerufen, um die Würde des Lebens zur Geltung zu bringen.
- Der 11. September bezeichnete eine dramatische Wende. Nach den
terroristischen Anschlägen, die wir entschieden verurteilen, so wie wir alle
Anschläge auf Zivilisten in jedem Teil der Welt verurteilen, haben die
Vereinigten Staaten mit ihren Alliierten eine gewaltige Militäroperation
begonnen. Im Namen des "Krieges gegen den Terrorismus" werden in der
ganzen Welt zivile und politische Rechte verletzt. Mit dem Krieg gegen
Afghanistan, in dem ebenfalls terroristische Methoden angewandt wurden,
und mit den zukünftigen, bereits vorbereiteten Kriegen, befinden wir uns in
einem permanenten globalen Krieg. Seine Ausweitung wurde durch die
Regierung der USA und ihren Alliierten entfesselt, um ihre Herrschaft zu
festigen. Dieser Krieg enthüllt das brutalste und nicht akzeptable Gesicht des
Neoliberalismus. Der Islam wird dämonisiert, während Rassismus und
Xenophobie ihre ungehinderte Verbreitung finden. Information und
Massenmedien beteiligen sich aktiv an dieser Kriegskampagne, die die Welt in
"gut" und "böse" einteilt. Die Opposition gegen diesen Krieg ist eines der
konstitutiven Elemente unserer Bewegungen.
- Die Situation des Krieges hat nunmehr den Nahen Osten destabilisiert und
den Vorwand für die neuerliche Repression gegen das palästinensische Volk
geschaffen. Angesichts der brutalen Besatzung Israels, besteht eine dringliche
Aufgabe unserer Bewegung darin, zur Solidarität mit dem palästinensischen
Volks zu mobilisieren und seinen Kampf um Selbstbestimmung zu
unterstützen. Das ist lebenswichtig für die kollektive Sicherheit aller Völker
dieser Region.
- Nunmehr bestätigen weitere neue Ereignisse die Dringlichkeit unserer
Kämpfe. In Argentinien verursachte das Scheitern der Strukturmaßnahmen
des Internationalen Weltwährungsfonds eine Finanzkrise, deren steigende
Schuldenlast die soziale und politische Krise verschärfte. Diese Krise rief
spontane Proteste der arbeitenden Klassen und der Mittelschicht hervor, und
sie führte zu einer Repression, die Tote forderte, einen Wechsel in der
Regierung verursachte und zu neuen Allianzen zwischen den verschiedenen
Klassen führte. Mit der Kraft der "Cacerolasos" schaffte es das Volk, sich
der grundlegenden Bedürfnisse zu versichern.
-
Der Zusammenbruch des Multis Enron ist ein Beispiel für den Bankrott
der Ökonomie eines "Freudenhauses", und der Korruptheit von
Geschäftsleuten und Politikern. Die Arbeiter blieben ohne Anstellung und
ohne Pensionen. In den Entwicklungsländern sorgte dieser multinationale
Konzern mit seinen betrügerischen Aktivitäten dafür, dass Menschen von
ihrem verjagt werden durch die unverhältnismäßige Steigerung der Wasser-
und Strompreise.
- Die Regierung der Vereinigten Staaten hat in ihren Bemühungen die
Interessen der großen Unternehmen zu schützen, arrogant die Verhandlungen
in Kyoto zur globalen Erwärmung verlassen. Der Vertrag über antiballistische
Raketen, die Konvention zur Biodiversität, die Auseinandersetzung zur
Reduktion der Lieferung leichter Waffen, zeigen erneut den Unilateralismus
der Vereinigten Staaten und ihre Versuche das Finden multilateraler
Lösungen für globale Probleme zu sprengen.
- In Genua ist der G8-Gipfel mit seiner Arroganz einer globalen Regierung
vollständig gescheitert. Angesichts einer massenhaften Mobilisierung und des
Widerstands, haben sie mit Gewalt und Repression geantwortet, und
denunzierten die als Kriminelle, die es wagten zu protestieren. Es gelang ihnen
jedoch nicht, unsere Bewegung einzuschüchtern.
- All das vollzieht sich im Kontext einer globalen Rezession. Das
neoliberale ökonomische Modell zerstört die Rechte, die Lebensbedingungen
und den Lebensstandard der Völker. Da ihnen jedes Mittel recht ist, ihre
Dividenden zu verteidigen, greifen die multinationalen Konzerne zu
Kündigungen, kürzen Gehälter, schließen ihre Fabriken und pressen ihre
Arbeiter dabei bis zum letzten aus. Die Regierungen antworten angesichts
dieser ökonomischen Krise mit Privatisierungen, mit Kürzungen im
Sozialhaushalt und einer andauernden Beschneidung der Arbeiterinnen und
Arbeiterrechte. Diese Rezession beweist die Tatsache, dass die neoliberalen
Versprechungen von Wachstum und Prosperität eine Lüge sind.
- Die globale Bewegung für soziale Gerechtigkeit und Solidarität steht
gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Ihr Kampf für Frieden und soziale
Gerechtigkeit verlangt die Auseinandersetzung mit der Armut, der
Diskriminierung, bedarf der Herrschaft und der Schaffung einer erträglichen
alternativen Gesellschaft. Die sozialen Bewegungen verurteilen mit aller
Entschiedenheit die Gewalt und den Militarismus als Instrumente zur Lösung
von Konflikten. Sie verurteilen die Führung von Kriegen auf niederer Stufe,
die Militäroperationen des Plan Colombia, als Teil einer Initiative in der
Andenregion, sie verurteilen den Plan Puebla Panama, den Waffenhandel, das
Anwachsen der Militärausgaben, die ökonomischen Embargen gegen Völker
und Nationen, insbesondere gegen Kuba und Irak, und sie verurteilen die
wachsenden Repressionen gegen Gewerkschafter und Aktivisten. Wir
unterstützen die Kämpfe der Gewerkschaften und Arbeiter des informalen
Sektors, die ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Lebens- und
Arbeitsbedingungen darstellen, wir treten ein für das effektive Recht, sich zu
organisieren, zu streiken, für das Recht auf Gegenwehr auf verschiedenen
Ebenen, für gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen für Frauen
und Männer. Wir lehnen Sklaverei und die Ausbeutung von Kindern ab. Wir
unterstützen die kämpfe der Arbeiter und Gewerkschaften gegen Flexibilität,
gegen die Auslagerung von Arbeit, gegen Kündigungen und wir verlangen
neue internationale Rechte für die Arbeiter und Arbeiterinnen der Multis und
ihrer Zulieferer, insbesondere das Recht auf freie gewerkschaftliche
Betätigung und das Recht auf kollektiven Widerstand.
- Die neoliberale Politik schafft weiteres Elend und weitere Unsicherheit.
Sie hat in unerhörter Weise den Sexhandel und die sexuelle Ausbeutung von
Frauen und Kindern erhöht, was wir mit aller Kraft verurteilen. Armut und
Unsicherheit führen auch zur Migration von Millionen Menschen, deren
Würde, Freiheit und deren Rechte negiert werden. Deshalb verlangen wir das
Recht auf Bewegungsfreiheit, das Recht auf physische Integrität, und ein
Rechtsstatut für alle emigrierten Arbeiterinnen und Arbeiter. Wir unterstützen
die Rechte der Ureinwohner und die Anwendung des Art. 169 Oil im Rahmen
der nationalen Gesetzgebungen.
- Die Auslandsverschuldung der südlichen Länder ist schon mehrfach
zurückgezahlt worden. Die illegitime, ungerechte und betrügerische
Verschuldung dient als Herrschaftsinstrument, beraubt die Völker ihrer
fundamentalen Menschenrechte und hat nur das eine Ziel, die internationale
Wucherei zu steigern. Wir verlangen die bedingungslose Streichung der
Schuldenlast und die Wiedergutmachung für historische, soziale und
ökologische Schulden. Die Länder, welche die Zurückzahlung der
Auslandsschulden fordern, vollziehen die Ausbeutung der Naturressourcen
und der Intellektuellen des Südens.
- Wasser, Erde, Nahrung, Wald, Saatgut und die Identität der Völker sind
Allgemeingut der Menschheit, der augenblicklichen und zukünftigen
Generationen. Eine wichtige Aufgabe ist der Schutz der Biodiversität. Die
Völker haben ein Recht auf gesunde und regelmäßige Ernährung, die frei von
genmanipulierten Organismen ist. Die Souveränität der Ernährung auf
nationaler, regionaler und lokaler Ebene stellt ein fundamentales
Menschenrecht dar. Und in diesem Sinne ergeben sie die fundamentalen
Forderungen nach Agrarreform und Land für die Bauern.
- Der Gipfel von Doha bestätigte die Illegitimät der WTO. Diese "Agenda
der Entwicklung" ("Entwicklungsrunde") verteidigt in der Wirklichkeit einzig
die Interessen der multinationalen Konzerne. Mit der Einleitung einer neuen
Runde, ist die WTO ihrem Ziel näher gekommen, jeden Gegenstand in eine
Ware zu verwandeln. Für uns sind Nahrung, öffentliche Dienstleistungen,
Agrikultur, Gesundheit, Bildung und Gene keine verkäuflichen Dinge.
Außerdem lehnen wir die Patentierung jeder Lebensform ab. Die Agenda der
WTO wird auf kontinentaler Ebene durch die Abkommen zum freien Handel
und Investment weiter ausgedehnt. Durch Proteste wie Demonstrationen
gegen die Alca, zeigen die Völker, dass sie diese Abkommen ablehnen. Sie
bedeuten die Neokolonialisierung und die Zerstörung fundamentaler Werte
auf sozialem, ökonomischem, kulturellem und ökologischem Gebiet.
- Wir wollen unsere Bewegung durch allgemeine Aktionen und
Mobilisierung weiter stärken: für soziale Gerechtigkeit, für Respekt von Recht
und Freiheit, für Lebensqualität und Gleichheit, für Würde und Frieden.
Wir kämpfen:
Für Demokratie: die Völker haben ein Recht die Entscheidungen ihrer
Regierungen zu kennen und zu kritisieren, besonders, wenn sie
internationale Institutionen betreffen. Die Regierungen müssen ihren
Völkern gegenüber verantwortlich handeln. Während wir die
Verbreitung der Demokratie durch Wahlrecht auf der ganzen Erde
unterstützen, betonen wir gleichzeitig die Notwendigkeit der
Demokratisierung von Staat und Gesellschaft und den Kampf gegen
die Diktatur.
Für die Streichung der Auslandschulden und ihrer Wiedergutmachung
Gegen Spekulationen: Wir fordern die Einführung spezifischer Steuern
wie die Tobin Tax und die Abschaffung der Steuerparadiese.
Für Informationsrecht
Gegen Krieg und Militarismus; gegen ausländische Militärbasen und
Einmischung, sowie gegen die systematische Eskalation von Gewalt.
Wir ziehen es vor, Verhandlungen und gewaltlose Lösungen von
Konflikten zu bevorzugen.
Für eine demokratische und soziale Europäische Union, die sich an den
Bedürfnissen der Arbeiterinnen und Arbeiter und denen der
europäischen Völker orientiert sowie der Notwendigkeit einer
Zusammenarbeit und der Solidarität mit den Völkern des Ostens und
Südens.
Für die Rechte der Jugend, den freien Zugang zu öffentlicher
kostenloser und sozial autonomen Bildung; Abschaffung der
Wehrpflicht.
Für die kommenden Jahre organisieren und mobilisieren wir kollektiv:
Im Jahr 2002:
- 8. März -Internationaler Tag der Frauen
- 17. April - Internationaler Tag der Kämpfe der Bauern
- 1. Mai -Tag der Arbeiter und Arbeiterinnen
- 12. Oktober -Schrei der Ausgegrenzten
- 16. Oktober -Tag der Ernährung
Weitere globale Veranstaltungen finden statt:
- 15.-16. März zum EUGipfel in Barcelona
- 18.-22. März - Monterrey (Mexiko), zur UNO-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung,
- 17.-18. Mai - zum lateinamerikanisch, karibisch, europäischen Gipfel in Madrid,
- 31. Mai - internationaler Aktionstag gegen Militarismus und für Frieden,
- 12. Juni - Rom, zum Welternährungsgipfel,
- 22.-23. Juni - Sevilla, zum EU-Gipfel Juli - Toronto und Calgary (Canada), zum G8-Gipfel,
- 22. Juli - USA, Kampagne gegen Coca Cola,
- September - Johannesburg (Südafrika) zum Rio + 10.
- Oktober - Quito (Ecuador), Kontinentales Sozialform "Eine neue Integration ist möglich" sowie weitere Sozialforen auf regionaler und kontinentaler Ebene,
- November - Kuba, zum zweiten Treffen der Region gegen die Alca,
- Dezember - Kopenhagen, zum EU-Gipfel
Im Jahr 2003:
- April - Buenos Aires (Argentinien), zum Alca-Gipfel,
- Juni - Tessalonica, zum EU-Gipfel
WTO, Weltbank und FMI treffen wir bei jeder Gelegenheit - und wir
sind da!!!
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