Noam Chomsky
Nahost: Seit 35 Jahren werden Friedensinitiativen blockiert
Sie sollen leben wie die Hunde
Der Schlüssel für eine Lösung des Nahost-Problems liegt in Washington, das den israelischen Regierungen immer wieder die
Ablehnung von Verhandlungen ermöglicht.
In der Entwicklung im Nahostkonflikt ist eine qualitative Veränderung eingetreten. Vor vier Jahren hat der
israelische Wissenschaftler Shlomo Ben-Ami das Ziel des Prozesses von Oslo akkurat so beschrieben: "In der Praxis basierten die Vereinbarungen von Oslo auf einer neokolonialen
Strategie, auf der dauerhaften Abhängigkeit der einen von der anderen Seite."
Das war kurz bevor er in die Regierung des vormaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak eintrat und Baraks
Chefunterhändler bei den Camp-David-Gesprächen wurde. Clinton, Barak und Perez seien sich einig gewesen, dass die Vereinbarungen den Palästinensern auf Dauer
eine "fast völlige Abhängigkeit von Israel" aufzwingen und eine "koloniale Situation" schaffen sollten. Im Rahmen der neokolonialen
Abhängigkeit von Israel sollte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) die Rolle zukommen, die eigene Bevölkerung in Schach zu halten.
Der "Friedensprozess" entwickelte sich Schritt für Schritt unter dieser Vorgabe. Die von Clinton und
Barak formulierten Vorschläge von Camp David wurden damals als "bemerkenswert" und "großmütig" gefeiert, tatsächlich liefen sie auf
die Schaffung eines Bantustans hinaus. Das wird auch der Grund gewesen sein, warum die US-Presse es damals sorgfältig vermied, Landkarten zu veröffentlichen.
Gewiss, der Clinton-Barak-Vorschlag enthielt einige Verbesserungen gegenüber den Bantustan-ähnlichen
Siedlungen, die in Südafrika in den finstersten Tagen der Apartheid eingerichtet wurden. Vor Camp David waren die Palästinenser in der Westbank auf über 200
Gebiete verstreut.
Demgegenüber schlugen Clinton und Barak eine Konzentration auf drei Kantone unter israelischer Kontrolle vor,
die voneinander und von einem vierten Kanton, einem kleinen Gebiet am Stadtrand von Ostjerusalem das Herzstück des Lebens und Kommunizierens der
Palästinenser in der Region getrennt sein sollten. Natürlich auch getrennt vom Gazastreifen, dessen Zukunft im Ungewissen gehalten wurde.
Dieser Plan ist nun offenkundig zugunsten der Zerschlagung der Palästinensischen Autonomiebehörde
begraben worden. Das bedeutet die Zerstörung der Institutionen des potenziellen Bantustans, das Clinton und seine damaligen israelischen Partner planten. Selbst das Zentrum einer
Menschenrechtsorganisation wurde angegriffen.
Jetzt stehen die palästinensischen Führer unter Beschuss, denen vor kurzem noch eine ähnliche
Kollaborateursrolle zugedacht war wie den schwarzen Führern in den Bantustans; dass sie nicht getötet werden, hat wohl mit den drohenden internationalen Konsequenzen zu
tun.
Wie die israelische Führung dieses Programm genau durchsetzen will, ist unklar ihr selbst wahrscheinlich
auch.
Man macht es sich in den USA und im Westen aber zu einfach, wenn man dafür nur Israel und Sharon schilt. Viele
seiner schlimmsten Gräueltaten hat Sharon unter Regierungen der Arbeitspartei begangen. Als Kriegsverbrecher ist Shimon Perez von Sharon nicht weit entfernt. Die
Hauptverantwortung aber liegt bei Washington, und das seit 30 Jahren. Das gilt für den allgemeinen außenpolitischen Rahmen, aber auch für konkrete Aktionen. Israel
kann nur in den Grenzen handeln, die ihm sein Meister in Washington absteckt.
Die UN-Resolution vom 30.März
Die Hauptfrage bei der Abfassung dieser Resolution war, ob die Forderung die nach dem sofortigen Rückzug Israels aus Ramallah und den anderen palästinensischen
Gebieten, in die israelische Truppen gerade eingedrungen waren, sein oder mindestens der Zeitpunkt für einen solchen Rückzug genannt werden sollte. Die USA haben sich
mit ihrer Position durchgesetzt. So kam ein vager Aufruf für einen "Rückzug der israelischen Truppen aus den palästinensischen Städten" ohne
Nennung eines Zeitrahmens heraus.
Die Resolution entspricht deshalb voll und ganz der Position der US-Regierung: Israel stehe unter Beschuss und habe das
Recht auf Selbstverteidigung, es solle aber bei der Bestrafung der Palästinenser nicht zu weit gehen.
Die kaum kontroversen Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Palästinenser versuchen seit 35
Jahren, unter der militärischen Okkupation Israels zu überleben. Das ist hart und brutal genug, angesichts der massiven militärischen, ökonomischen und
diplomatischen US-Hilfe für Israel einschließlich der Blockade einer politischen Lösung. In dieser Konfrontation gibt es nicht die mindeste Symmetrie; hier von
"Selbstverteidigung Israels" zu reden geht weit über das Maß an Verzerrung der Wirklichkeit hinaus, das üblicherweise im Interesse der Macht gepflegt
wird. Daran ändern auch die schärfsten Verurteilungen des palästinensischen Terrors nichts obgleich sie richtig sind und dies seit über 30 Jahren.
Was wollen die USA?
Die USA sind eine globale Macht. Was in Israel und Palästina geschieht, spielt für sie nur eine untergeordnete Rolle. Für ihre Politik sind viele Faktoren
ausschlaggebend insbesondere die Kontrolle über die wichtigsten Energiequellen der Welt. Die US-amerikanisch-israelische Allianz hat sich vor diesem Hintergrund
entwickelt. 1958 kam der Nationale Sicherheitsrat zu dem Schluss, "eine logische Konsequenz" der Eindämmung des aufsteigenden arabischen Nationalismus sei
"die Unterstützung Israels als die einzige starke prowestliche Macht, die im Nahen Osten übrig geblieben" sei.
Das Bündnis festigte sich 1967, als Israel der US-Macht einen wichtigen Dienst leistete, indem es die
Hauptkräfte des säkularen arabischen Nationalismus zerschlug, die als ernsthafte Bedrohung der US-Herrschaft über die Golfregion galten. Das Bündnis
überdauerte auch den Zusammenbruch der Sowjetunion.
Heute bildet die Allianz zwischen den USA, Israel und der Türkei das Herzstück der US-Strategie in dieser
Region, und Israel ist fast eine Militärbasis der USA, zudem eng verflochten mit der militarisierten US-Hightechwirtschaft.
Vor diesem Hintegrund ist es verständlich, dass Washington die israelische Unterdrückung der
palästinensischen Bevölkerung und die Einverleibung der besetzten Gebiete unterstützt, einschließlich des neokolonialen Projekts, das Ben-Ami skizziert hat,
obgleich die USA in ihren Entscheidungen natürlich die jeweiligen Umstände berücksichtigen müssen.
Die Bush-Regierung blockiert weiterhin jeden Schritt in Richtung auf eine diplomatische Lösung, ja selbst auf
Minderung der Gewalt. Sie blockierte am 15.Dezember 2001 mit ihrem Veto eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, der konkrete Schritte zur Umsetzung des Mitchell-Plans und zur
Entsendung internationaler Beobachter zum Zweck der Eindämmung der Gewalt forderte.
Sie boykottierte eine internationale Konferenz in Genf am 5.Dezember 2001 (an der auch die EU, sogar
Großbritannien teilnahm), die bekräftigte, dass die Vierte Genfer Konvention auf die besetzten Gebiete anzuwenden ist, womit kritische Aktionen der USA und Israels als
Verstöße gegen die Konvention mithin als Kriegsverbrechen eingestuft werden können. Dabei hat die Konferenz nur bestätigt, was der UN-
Sicherheitsrat im Oktober 2000 (bei Stimmenthaltung der USA) beschlossen hat und was lange Zeit auch offizielle US-Position gewesen ist noch George Bush Sr. hat sie
förmlich während seiner Amtszeit als UN-Botschafter verkündet.
In solchen Fällen üben die USA entweder Stimmenthaltung oder sie legen ihr Veto ein, weil sie nicht
öffentlich eine Position beziehen wollen, die im Gegensatz zu den Grundsätzen des Internationalen Rechts steht, zumal in Anbetracht der Umstände, unter denen die
Genfer Konventionen entstanden sind nämlich als Instrument, die Verbrechen der Nazis als solche zu ahnden, auch jene, die sie in den von ihnen besetzten Gebieten
begangen haben.
Die Medien und die Intellektuellen stützen diese Position, indem sie die Hinterfragung solcher unangenehmen
Tatsachen "boykottieren", vor allem der Tatsache, dass die USA als vertragsschließende Partei gesetzlich verpflichtet sind, diejenigen zu bestrafen, die gegen die
Konvention verstoßen, auch ihre eigene politische Führung.
Der Arabische Gipfel
Der Gipfel der Arabischen Liga ging mit der Annahme des saudi-arabischen Friedensplans zu Ende. Er wiederholt die Grundsätze, die seit vielen Jahren Konsens sind: Israel soll
sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen, im Rahmen eines allgemeinen Friedensabkommens, das jedem Staat in der Region einschließlich Israel und einem
neuen Palästinenserstaat das Recht auf Frieden und Sicherheit innerhalb der anerkannten Grenzen zusichert. Er wiederholt, was schon in der UN-Resolution 242 steht,
erweitert um einen Palästinenserstaat.
An dem Plan ist nichts neu. Dieselben Grundsätze enthält bereits eine Resolution des UN-Sicherheitsrats
vom Januar 1976, den damals praktisch die gesamte Welt einschließlich der PLO, der wichtigsten arabischen Länder, Europas, der Sowjetunion und der blockfreien
Staaten befürwortete. Nur Israel und die USA waren dagegen die Resolution scheiterte am Veto der USA. Nachfolgende ähnlich gerichtete Initiativen der
arabischen Staaten, der PLO und Westeuropas wurden gleichfalls bis heute von den USA abgeblockt. Das betrifft auch den Fahd-Plan von 1981.
Die Blockadehaltung der USA reicht in Wirklichkeit bis Februar 1971 zurück, als der damalige ägyptische
Präsident Anwar al-Sadat Israel einen vollwertigen Friedensvertrag anbot, wenn Israel sich dafür aus Ägypten zurückzöge von den nationalen
Rechten der Palästinenser und dem Schicksal der anderen besetzten Gebiete war damals nicht die Rede.
Die seinerzeit in Israel regierende Arbeitspartei erkannte den Vorstoß als ehrliches Friedensangebot an, beschloss
aber es abzulehnen, weil sie die israelischen Siedlungen bis zum nordöstlichen Sinai ausdehnen wollte; sie tat dies mit äußerster Brutalität und löste damit
den Krieg von 1973 aus.
Mosche Dayan, einer der wenigen Führer der Arbeitspartei, die etwas Sympathie für das Schicksal der
Palästinenser aufbrachten, sagte damals offen im Kreis seiner Kabinettskollegen, Israel solle klarstellen, "dass wir keine Lösung haben, ihr sollt weiter wie die Hunde
leben und wer gehen will, soll gehen, wir werden sehen, wohin dieser Prozess führen wird".
Dieser Empfehlung folgend ist das Leitprinzip der israelischen Besetzung unaufhörliche Entwürdigung,
begleitet von Folter, Terror, Zerstörung von Eigentum, Vertreibung, illegale Siedlung und die Beschlagnahmung elementarer Ressourcen, vor allem Wasser.
Sadats Angebot von 1971 kam der Politik der US-Regierung damals entgegen, aber Außenminister Kissinger
erreichte, dass eine Situation der Sackgasse geschaffen wurde: keine Verhandlungen, nur Gewalt. Jordanische Friedensangebote wurden gleichfalls abgelehnt.
Seit der Zeit zollte die US-Regierung dem internationalen Konsens über einen Rückzug Israels aus den
besetzten Gebieten ein Lippenbekenntnis bis Clinton kam und UN-Resolutionen und internationales Völkerrecht beiseite fegte. Aber in der Praxis ist sie den
Grundsätzen Kissingers gefolgt und hat Verhandlungen nur dann akzeptiert, wenn sie dazu gezwungen war so Kissinger selbst nach dem Beinahedebakel des Krieges von
1973, für das er die Hauptverantwortung trägt , oder wenn sie unter den von Ben-Ami skizzierten Bedingungen erfolgen sollten.
Die Öffentlichkeit wird aufgefordert, auf den arabischen Gipfel zu achten, als seien die arabischen Staaten und die
PLO das Problem, vor allem ihr unbeugsamer Wille, Israel ins Meer zu treiben. Es gibt wenig Positives, was man über die arabischen Staaten und die PLO sagen kann, aber das ist
einfach unwahr.
Die etwas seriösere Presse erkennt an, dass der Plan Saudi-Arabiens im Großen und Ganzen eine Neuauflage
des Fahd-Plans von 1981 ist, und behauptet, Fahds damalige Initiative sei durch die arabische Weigerung zunichte gemacht worden, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Die Fakten
sind wiederum ganz andere. Der Plan von 1981 wurde durch eine Reaktion Israels gegen die Wand gefahren, die selbst die damalige Landespresse als "hysterisch" bezeichnete.
Das bezog sich auf sog. "Tauben" wie Shimon Perez, die warnten, die Annahme des Fahd-Plans werde "Israel in seiner Existenz bedrohen".
Staatspräsident Chaim Herzog, der ebenfalls als moderater Politiker galt, behauptete gar, beim Fahd-Plan habe in
Wirklichkeit die PLO Pate gestanden; er sei noch extremer als die Resolution des UN-Sicherheitsrats vom Januar 1976, die ebenfalls von der PLO "vorbereitet" worden sei
dabei war er damals selbst Botschafter bei der UNO. All diese Behauptungen sind falsch, aber sie zeigen, wie verzweifelt die Angst der politischen Führung in Israel vor
einer politischen Lösung ist. Auch diese Reaktion erfuhr die Rückendeckung der USA.
Solange so elementare Tatsachen wie diese Gegenstand der Debatte sein können, geht sie am Kern der Sache
vorbei. Und wir sollten uns da nicht reinziehen lassen, z.B. indem wir zustimmen, dass der Verlauf des arabischen Gipfels problematisch gewesen sei. Das hauptsächliche Problem
liegt in den USA, und es ist unsere Verantwortung, es anzupacken, wir dürfen es nicht auf andere abwälzen.
Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachussetts Institute of Technology (MIT). Quelle: www.zmag.org.