Sozialismus von unten
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Debatte & Kritik

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Zwei Augenzeugenberichte
Trotz des rigorosen Versammlungsverbotes beteiligten sich bis zu 10.000 Menschen an den Protesten in München


Die Stadt glich einer Festung. Busse, die auf der Autobahn abgefangen wurden, wurden umstandslos zur Landesgrenze zurück eskortiert. Die Innenstadt war ein Heerlager. Auf dem Marienplatz, wo für 12°° eine Pressekoferenz des Bündnisses gegen die Nato-Tagung angekündigt war, zählte jemand 70 Polizeifahrzeuge. Es war verboten, Demonstrationsmaterial, Plakate, Transparente mit sich zu tragen. Junge Leute mit alternativen Outfit wurden ausweislich kontrolliert und des Platzes verwiesen, manchmal in Gewahrsam genommen.
Ab 12:00 Uhr füllte sich der vorher menschenleere Platz überaschend schnell. Zahlreiche Münchener versammelten sich auch auf den Gehwegen und in den Seitenstraßen. Es war proppenvoll.
Einige junge Männer hatten ihre Oberkörper entblößt, auf die sie "Nein zur Nato" geschrieben hatten. Als sie abgeführt wurden, kam es zu einem Sturm der Entrüstung. Sprechchöre erhoben sich auf dem ganzen Platz. Die Polizei kesselte viele Menschen ein und kündigte immer wieder über Lautsprecher Schlagstockeinsatz an. Die Öffentlichkeit auf dem Platz und die Solidarisierung mit der Münchener Bevölkerung waren jedoch so groß, daß sie sich zurückhalten mußte. Mittlerweile waren abertausende auf dem Platz, die Polizei mußte den Kessel aufgeben und es gab unter Applaus zahlloser Passanten eine phantastische Demonstration. Obwohl die Polizei später immer wieder brutal kesselte und viele Leute, teilweise sogar Passanten, gezielt oder wahllos abgriff, ließen sich die Kriegsgegner nicht provozieren und setzten das Demonstrationsrecht selbstbewußt von Unten durch. Mangels "Scherben-und Gewaltbildern" setzte die Polizei der Demo bis in die späte Nacht mit einem riesigen Aufgebot nach und kesselte sogar das DGB-Haus ein, in dem am Abend eine Pressekonferenz und ein Internationales Forum stattgefunden hatten. Trotzdem - oder gerade deshalb - war München ein großer Erfolg für die internationale Widerstandsbewegung. Die Gegner der Globalisierung von Konzernherrschaft und Krieg stoßen trotz der ungeheuerlichen Kriminalisierung wie in Stoiber-Bayern auf riesige Sympathien in der Bevölkerung. Die Proteste gegen das WEF in NY und die Beteiligung von 60.000 Menschen am Weltsozialforum in Porto-Allegre am selben Tag sind ein großartiger Start für die globale Widerstandsbewegung ins Jahr 2002.
Es wird bitternotwendig, an deren Aufbau weiterzuarbeiten.
Abgeschottet von 3.500 Einsatzkräften in der Festung Bayrischer Hof verkündete Bushs Delegierter Wolfowitz den militärischen Angriff auf den Irak, das erste Land der "Achse des Bösen", die - so Bush in seiner Rede vor dem amerikanischen Kongreß zur Lage den Nation (70mal von standing-Ovations unterbrochen) - vom Nahen Osten über den Iran, durch ganz Asien bis Nordkorea reicht.

Oliver Klauke



Die Anti-Kriegs-Bewegung hat einen Schritt nach vorne gemacht. Über das Demonstrationsverbot sagt Sophia, eine Schülerin, die mit Attac nach München gefahren ist: "Das zeigt, dass sie die Proteste fürchten. Gerade weil sie abgesagt worden sind, sollten erst recht viele auf die Straße gehen."

Ihre Freundin Viola, ebenfalls bei Attac, pflichtet bei: "Wenn sie sich nicht angegriffen fühlen würden, dann hätten sie das jetzt nicht verboten. Wenn sie so ruhig wären, wie sie tun, dann hätten die Leute kommen dürfen und sagen können, was ihnen nicht passt.

Das Thema der Tagung ist, den Krieg auf andere Staaten auszuweiten, auf die ‘Achse des Bösen’, wie der Bush das genannt hat. Das finde ich nicht in Ordnung."

Viele Menschen denken so. Es ist die Aufgabe der Bewegung, diese Leute zu erreichen.

Anlässlich der NATO-Sicherheitskonferenz vom 1.-3. Februar in München verbot Stoiber alle Versammlungen und Demonstrationen. Anstatt sich einschüchtern zu lassen, gingen rund 10.000 Menschen auf die Straße.

In München ging es nicht nur gegen die NATO-Tagung. "Anlass war das Denkverbot," sagte Jens gegenüber Linksruck. Er ist Schüler und bei der globalisierungskritischen Bewegung Attac gegen den Krieg aktiv. "Mir geht’s jetzt vor allem um das Recht auf Meinungsäußerung."

Viele haben erkannt, dass Krieg und Angriffe auf die demokratischen Rechte Hand in Hand gehen.

"Die Politik, die da gemacht wird, ist eine Politik, die den reichen Ländern den Reichtum erhalten soll und was als Terroristen deklariert wird, sind unterdrückte Völker, die sich dagegen wehren", erklärt Adolf, ein Schweißfachingenieur aus Stuttgart.

"Und wenn man sich die Diskussion seit dem 11. September anschaut, wird immer deutlicher, dass nicht nur Völker unterdrückt werden, sondern verstärkt auch Meinungen bei uns. Das generelle Denkverbot von München zeigt, in welche Richtung der neue Kanzlerkandidat gehen will."

Sektempfang

Eine Frau aus dem Nahen Osten, die aus Angst vor Verfolgung nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat nicht beim Namen genannt werden möchte, erzählte Linksruck:

"In meiner Heimat ist es für alle offensichtlich, dass das, was die NATO macht, Imperialismus ist. Sie unterstützt Scharons Krieg gegen die Palästinenser und führen Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung.

Es ist gut zu sehen, dass hier auch Menschen dagegen protestieren, das zeigt die Gemeinsamkeiten. Ich hatte nicht erwartet, dass die Polizei auch hier so brutal gegen Demonstranten vorgeht."

Der Münchener Oberbürgermeister Ude (SPD) hatte die Konferenz am Freitag zu einem Empfang im Rathaus geladen. Darüber hatten sich viele Münchener besonders erbost. Ein Maulkorb für Kritiker – Sekt für Funktionäre und Generäle.

Attac München und die bayrischen Jusos starteten eine Unterschriftenkampagne. Prominente Münchner, wie Konstantin Wecker und die Münchener Grünen, stellten sich auf ihre Seite. Mit anderen Gruppen und Oppositionspolitikern bildeten sie ein Bündnis.

Ihren ersten Sieg errangen die Kriegsgegner, als Ude den Sektempfang in den Bayrischen Hof, den offiziellen Tagungsort, verlegen musste.

Pressekonferen

Da alle Kundgebungen verboten worden waren, organisierte das Bündnis für Freitagabend eine öffentliche "Pressekonferenz" auf dem Marienplatz.

Ehe es die Polizei begriffen hatte, versammelten sich hunderte Kriegsgegner. Immer mehr Passanten kamen und hörten zu. Als die Polizei den Platz räumte, hatten sich rund 2.000 Leute eingefunden. Trotz des Verbots hatten die Münchner ihr Recht auf Meinungsfreiheit durchgesetzt. Die NATO-Vertreter blieben von dem Platz verbannt.

Die Polizei rächte sich für ihre Niederlage und verhaftete rund 300 friedliche Demonstranten.

Sieg

Auch am Samstagmittag sollte eine Pressekonferenz auf dem Marienplatz als Sammlungspunkt dienen. Die Polizei unterband die Veranstaltung und verhafteten Claus Schreer, den Sprecher des Bündnisses.

Aber trotz Personenkontrollen und Absperrung kamen wieder über 1.000 Menschen auf den Marienplatz. Als die Polizei den Platz räumte, strömten Passanten aus den umliegenden Gassen, Passagen und Kaufhäusern hinzu.

Etwa 10.000 junge und alte Leute, in Anzügen oder mit gefärbten Haaren riefen gemeinsam: "Wir sind das Volk" oder "NATO vertreiben, Demokratie soll bleiben". Die Polizei traute sich nicht den Zug zu unterbinden.

Rache

Erst viele hundert Meter weiter stoppte die Polizei die Demo. Immer wieder wurden an diesem Nachmittag Kundgebungen und Demos von der Polizei aufgelöst. Und immer wieder sammelten sich Demonstranten zu neuen Protesten. Die Kriegsgegner dominierten, trotz massivem Polizeiaufgebot, die Innenstadt.

Die Polizei rächte sich, wo sie konnte. "Es ist das sechste Mal, dass wir heute kontrolliert werden. Ist wohl, weil wir anders aussehen", erzählt der slowenische Tourist Franci während einer Personalienüberprüfung. Er und seine Begleiterin tragen bunte Wollpullis.

Am Abend, als die meisten Bewohner Münchens nach Hause gegangen waren, schloss die Polizei mehrere Gruppen von Demonstranten ein, viele wurden verhaftet.

Schließlich umstellte die Staatsmacht auch das DGB-Haus, in dem über 500 Kriegsgegner an einer Veranstaltung mit internationalen Rednern teilnahmen.

Stefan Ziefle




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