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John Molyneux

Ist die Natur des Menschen ein Hindernis für den Sozialismus?



Inhalt

1. Das anti-sozialistische Argument
2. Die Natur des Menschen verändert sich
3. Was ist die Natur des Menschen?
4. Kapitalismus und die Natur des Menschen
5. Sozialismus und die Natur des Menschen








1. Das Argument gegen Sozialisten

"Der Sozialismus ist eine gute Idee, aber er wird nicht funktionieren. Man kann die Natur des Menschen nicht verändern!" Das ist der häufigste und einflußreichste aller Einwände, die gegen den Sozialismus erhoben werden. Es ist das erste Argument, das einem in der Fabrikhalle, in der Arbeitskantine oder in der Kneipe begegnet. Es ist das Argument, auf das viele Politiker und Intellektuelle zurückgreifen.
Es ist auch ein Argument, das viele Leute akzeptieren, die sich sicher eine bessere Gesellschaft wünschen, aber einfach nicht an die Möglichkeit ihrer Existenz glauben. Es wird auch von Leuten akzeptiert, die sich selber für Sozialisten halten, wie etwa Anhängern der SPD. Das Resultat ist, daß sie die Bedeutung des Sozialismus' auf das Herumbasteln am gegenwärtigen System herabwürdigen, anstatt zu versuchen, es grundlegend zu verändern.
Das Argument der menschlichen Natur kann denjenigen sehr nützlich erscheinen, die sich gegen den Sozialismus stellen. Es ist kurz, klar und bedarf - auf den Punkt gebracht - keines weiteren Gedankens. Es steht in Bezug zu anderen weit verbreiteten Ideen, z.B.: "es muß immer Menschen an der Spitze geben", "Menschen sind von Grund auf egoistisch", "einige Menschen werden immer mehr haben wollen als andere", "Revolutionen werden immer scheitern und führen zur Tyrannei".
Das Argument nährt die alte christliche Idee, nach der wir alle mit der Erbsünde geboren sind, die uns über Generationen von Adam und Eva im Garten Eden weitergereicht worden ist. Die Behauptung, daß es so etwas wie einen grundlegenden Makel im Wesen der Menschen gibt, der echte Gleichheit und Zusammenarbeit zwischen Menschen unmöglich macht, scheint eine perfekte Erklärung für so viele Übel in der Welt - wie Sexismus und Rassismus - zu geben. Spezielle politische Erscheinungen, wie die Degeneration der russischen Revolution zur stalinistischen Diktatur und der offenbare Scheitern des Sozialismus' in Osteuropa und China, werden ebenfalls der menschlichen Natur zugeschrieben.
Diese Ideen scheinen an praktisch jedermanns persönlicher Erfahrung anzuschließen. Und wer hätte noch keine Menschen gesehen, die rastlos um eine Beförderung konkurrieren oder von einem Freund hereingelegt oder von der Gleichgültigkeit und dem Egoismus der Menschen enttäuscht worden sind? Diese Erfahrungen haben dazu beigetragen, das Argument von der Natur des Menschen zum 'gesunden Menschenverstand' zu machen. Nichts desto trotz werden wir sehen, warum es völlig falsch ist.

2. Das Wesen des Menschen verändert sich

Warum behaupten Menschen, daß die menschliche Natur den Sozialismus für alle Zeiten unmöglich macht? Sie sagen, daß es eine ganze Reihe von Eigenschaften, Verhaltensweisen und Grundgefühlen gibt, die allen oder so gut wie allen Menschen gemeinsam sind, daß sie unvereinbar mit dem Erreichen einer klassenlosen Gesellschaft sind, die sich auf gemeinsamen Besitz und gemeinsame Kontrolle gründet.
Es wird besonders hervorgehoben, daß die meisten Menschen von Natur aus habgierig und geizig sind, und deswegen mehr als ihren gerechten Anteil an materiellen Gütern und andere beherrschen wollen.
Aber bei näherer Betrachtung der Art und Weise, wie sich Menschen selbst in unserer Gesellschaft verhalten, erweist sich das als falsch. Natürlich gibt es Beispiele für Habgierigkeit und Geiz in Hülle und Fülle - man sehe sich nur die CDU an, Thurn & Taxis oder die Sorte von Politikern, die amerikanische Präsidentschaftswahlen gewinnen. Es gibt jedoch sehr viel mehr Beispiele für Selbst-Aufopferung, Courage und Fürsorge.
Menschen riskieren ihr Leben um anderen aus der Not zu helfen; Nelson Mandela verbrachte 27 Jahre für die Sache im Gefängnis, an die er glaubte; Studenten und Arbeiter standen 1989 auf dem Tiananmen-Platz in China ihren Mann, als sie von Panzern beschossen wurden. Genauso gut gibt es Beispiele aus dem Alltag: Eltern, die ihr Leben behinderten Kindern widmen; Arbeiter, die sich jämmerlich bezahlte Stellen in der Fürsorge suchen, anstatt in einem Büro oder einer Fabrik einen höheren Lohn zu verdienen; die Großzügigkeit vieler Menschen, die Almosen geben oder auf Spendenaufrufe reagieren.
Wenn es um Fragen wie den nationalen Gesundheitsdienst, die Obdachlosen, die Altersrenten und den Armen zu helfen geht, ist die öffentliche Meinung meist großzügig und fürsorglich eingestellt. Die ganzen 80er Jahre hindurch, als Britannien angeblich von Margaret Thatchers Glauben an die Selbstsucht überschwemmt wurde, hat es immer eine große Mehrheit gegeben, die solche kollektiven Werte verteidigte, wie die Unterstützung für eine angemessene Finanzierung des Nationalen Gesundheitswesens (NHS) oder die Renten.
Sogar wenn Regierungen den schändlichsten und räuberischsten imperialistischen Krieg planen, wissen sie, daß sie, wenn sie die öffentliche Unterstützung gewinnen wollen, ihn unter einem ehrbaren Motiv zu verkaufen haben. Die britische Regierung rechtfertigte ihr Eintreten in den Ersten Weltkrieg mit der Behauptung, sie schütze das arme, kleine Belgien. Gleichermaßen wurde der Schutz des armen kleinen Kuwaits als Entschuldigung für den Krieg um Öl am Golf benutzt.
Diese Beispiele sollen nicht dazu dienen, zu beweisen, daß die Natur des Menschen von Natur aus uneigennützig ist. Aber sie zeigen auf, daß es lächerlich ist, zu behaupten, daß Menschen der Geiz angeboren ist. Das ist ganz speziell der Fall, wenn man sich daran erinnert, wie sich Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft benehmen, die ständig Geiz, Konkurrenz und eine generelle Hund-frißt-Hund-Haltung belebt.
Tatsächlich ist eine Person, anstatt von Geburt an gut oder böse zu sein, einmal geizig und einmal großzügig, feige und tapfer, aufdringlich und zurückhaltend. Es gibt Leute, die alles für ihre Familie aufgeben, aber nicht einen Finger für ihre Nachbarn rühren würden. Es gibt andere, die für wohltätige Zwecke ansehnliche Summen ausgeben, aber bei ihren Kindern knausern. Einige Menschen sind fähig, Tieren grenzenlose Zuneigung entgegenzubringen, aber sich kaum um Menschen kümmern, während es bei anderen genau umgekehrt ist.
Das alles hängt von den Umständen ab. Es hängt davon ab, ob Menschen sich verwundbar und bedroht oder stark und selbstsicher fühlen. Es hängt davon ab, wie die Angelegenheit, um die es geht, mit der Haltung zu tun hat, mit der die Menschen großgeworden sind und die sich im Laufe ihres Lebens herausgebildet hat. Kurz gesagt: Menschen ändern sich, wie sich ihre Lebensbedingungen und ihre Erfahrungen ändern.
Wenn das für Individuen gilt, zeigt die Geschichte, daß es mehr noch auf Gesellschaften und soziale Klassen zutrifft. Nimm nur das Beispiel der russischen Revolution, deren Folgen dafür herhalten sollen, die Unveränderbarkeit der menschlichen Natur aufzuzeigen. Tatsächlich beweist sie aber genau das Gegenteil.
Seit Jahrhunderten hatte das russische Volk unter der Unterdrückung durch die Zarenherrschaft zu leiden. Rußland war das Land tiefster Unwissenheit und Aberglaubens, der rückschrittlichsten Ansichten über Frauen und des fanatischsten Anti-Semitismus. Für einen außenstehenden Beobachter schien es wohl so, als ob es tief im Wesen der russischen Menschen etwas gab, das sie dazu brachte, sich mit all dem abzufinden (ganz anders als etwa der 'freiheitsliebende' Engländer).
Dann rebellierten dieselben russischen Menschen 1905, und 1917 noch viel gewaltiger, gegen den Zarismus. Sie streikten, demonstrierten, randalierten, kämpften und erhoben sich zum Aufstand - sie machten die größte Revolution in der Weltgeschichte.
Diese Revolution versuchte, die ganze Welt auf den Kopf zu stellen: sie enteignete die Fabriken, gab den Bauern das Land und zog Rußland aus dem imperialistischen Krieg heraus. Sie garantierte den nationalen Minderheiten das Recht auf Lostrennung, vollzog die vollständige rechtliche Gleichheit der Frauen, wählte einen Juden (Leo Trotzki) zum Präsidenten ihres führenden Arbeiterrats und stellte ihn an die Spitze der revolutionären Armeen. Für unseren Beobachter schien es nun in der Natur des russischen Volkes zu liegen, vor revolutionärem Eifer zu brennen, wiederum ganz anders als der 'gemäßigte' Engländer.
Dann wurde die Revolution in den 20er und 30er Jahren von der stalinistischen Bürokratie vernichtet, die die Arbeiter und Bauern unterwarf und Millionen zum Hungertod und Millionen mehr zum Tod in den sibirischen Arbeitslagern verdammte. Nun betrachtete unser Kenner des russischen Charakters das alles als Bestätigung für das angeborene Verlangen des Russen nach Tyrannei.
In Wahrheit aber veränderte sich die 'Natur' der russischen Menschen - ihre kollektive Einstellung, ihre Psychologie und ihre Verhaltensweisen - unter verschiedenen materiellen Umständen gründlich.
Die lange Herrschaft der Zaren, mit der damit verbundenen Psychologie der Unterwürfigkeit, basierte auf der extremen Rückständigkeit der russischen Wirtschaft. Der Fall des Zaren und das Aufwallen der revolutionären Begeisterung beruhte auf der Weise, wie sich der Kapitalismus in Rußland entwickelte. Die schwache Kapitalistenklasse war mit einer kraftvollen Arbeiterklasse konfrontiert, die es schaffte, daß die Masse der Bauern sich ihnen anschloß.
Der Zusammenbruch der Revolution in den Stalinismus und die offensichtliche Rückkehr der Gleichgültigkeit, der Resignation und der Fügsamkeit waren das Produkt der Isolation, wegen der die Revolution sich nicht hatte ausweiten können, und der faktischen Zerschlagung der Arbeiterklasse im grauenhaften Bürgerkrieg von 1918 bis 1921.
Andere Umstände haben eine andere 'Natur' produziert.
Was in der Großaufnahme dieser 20 Jahre der russischen Geschichte deutlich geworden ist, zeigt sich noch klarer in der gesamten Weltgeschichte. Verhaltensweisen, die von bestimmten Gesellschaften zu bestimmten Zeiten für natürlich und unabänderbar gehalten worden sind, werden von anderen Gesellschaften zu anderen Zeiten als völlig unnatürlich abgelehnt.
Die überwältigende Mehrheit der Engländer hielt im 17. Jahrhundert die Versklavung von Menschen schwarzer Hautfarbe für eine vollkommen natürliche Einrichtung. Sie wurde vom angeblich angeborenen, minderwertigen Wesen der Schwarzen abgeleitet. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin jedoch wurde die Sklaverei von den Engländern immer mehr als Verletzung der menschlichen Natur angesehen. In den Vereinigten Staaten haben beide Ansichten von der Natur und den Rechten der Schwarzen gleichzeitig, die eine hauptsächlich im Norden, die andere im Süden, bestanden und miteinander gekämpft.
Für die amerikanischen Indianer war der private Besitz von Land 'unnatürlich'. Für den Landbesitzer des 18. Jahrhunderts war er das grundlegenste Menschenrecht. Für die antiken Griechen war die Homosexualität die höchste Form der Liebe. Für den viktorianischen Engländer war sie die niedrigste. Für den traditionellen Hindu war es seit Jahrhunderten normal, daß seine Eltern seinen Lebenspartner bestimmten. Für die meisten Menschen im Westen erscheint das heute als 'unnatürlich'. Verändere die sozialen Bedingungen und Du veränderst die 'Natur des Menschen'.
Diese Beispiele ließen sich um ein Vielfaches fortsetzen. Sie alle zeugen von der unermeßlichen Veränderlichkeit der menschlichen Einstellung, der Moral und dem Verhalten. Sie veranschaulichen die gewichtige Rolle, die die Kultur - die sozial erlernt und nicht genetisch vererbt wird - für die Gestaltung des menschlichen Lebens spielt. Sie zeigen ebenso das Ausmaß, in dem sich die Kultur gemäß den sich verändernden materiellen Umständen entfaltet.

3. Was ist die Natur des Menschen?

Menschen verändern sich mit sich verändernden Umständen. Aber bedeutet das, daß es so etwas wie eine Natur des Menschen gar nicht gibt? Sozialisten neigten manchmal dazu, das zu behaupten - das war ein schneller Weg, mit dem anti-sozialistischen Argument umzugehen.
Man bekommt jedoch ernste Probleme, wenn man die Existenz einer Natur des Menschen ganz und gar leugnet.
Zuerst einmal kann das dazu führen, daß man Menschen als total manipulierbar betrachtet. Man könnte dann daraus schließen, daß ein totalitäres Regime, welches vollständig die Medien und das Aufziehen der Kinder kontrolliert, aus Menschen machen könnte, was es wollte und so jede Möglichkeit der Revolte vernichten würde. Aber es gibt genug Anhaltspunkte dafür, daß das nicht der Fall ist. Weder in Hitlers Deutschland noch in Stalins Rußland - die beiden totalitärsten Regimes, die je existiert haben - waren die Herrscher in der Lage, allen Widerstand und alle Gedanken zu unterdrücken. Sogar in den Konzentrationslagern haben die Menschen gekämpft.
Es gibt immer eine Grenze für die staatliche Gehirnwäsche, und diese Grenze ist unter anderem dann erreicht, wenn die Unterdrückung durch den Staat im Widerspruch zu den natürlichen Grundbedürfnissen von Menschen steht.
So zu tun, als gäbe es nicht so etwas wie eine Natur des Menschen, ließe zweitens darauf schließen, daß es keine gemeinsamen Charakter-Eigenschaften von Menschen gibt, die sie von anderen Wesen trennen. Das ist natürlich nicht der Fall. Wenn er es wäre, wäre es unmöglich überhaupt von der menschlichen Art oder von der Menschheitsgeschichte zu sprechen.

Was kann nun wirklich über die Natur des Menschen gesagt werden?

Wir müssen mit der Biologie anfangen. Es ist klar, daß Menschen eine gesonderte biologische Art sind, die einen völlig eigenen genetischen Code besitzt. Dieser genetische Code bestimmt die grundlegenden physischen Strukturen der Menschen.
Letzten Endes ist natürlich nicht mal diese biologische Natur festgelegt oder immerwährend. Aber die Zeitstufen in der Evolution vollziehen sich extrem langsam und innerhalb einer ganz anderen Ordnung als die in der historischen Entwicklung. Menschliche Wesen unterscheiden sich heute biologisch nicht grundlegend von denen vor 10.000 oder sogar 20.000 Jahren. Für den Zweck, uns mit der Frage zu beschäftigen, ob der Sozialismus möglich ist, kann die physische Natur der Menschen als gleichbleibend betrachtet werden.
Diese physische Natur stattet Menschen mit gewissen gemeinsamen Bedürfnissen und Fähigkeiten aus, die die Grundlage der menschlichen Natur bilden.
Die grundlegendsten und unbestreitbarsten dieser Bedürfnisse sind die nach Luft, Nahrung und Wasser, gefolgt von denen nach Kleidung, Schutz und Wärme. Es gibt das Bedürfnis nach Schlaf, nach irgendeiner Form von Eltern, da Menschen, im Gegensatz zu tierischen Spezies, mehrere Jahre benötigen, um auch nur ein Minimum an Selbständigkeit zu erlangen, nach Sex, um die Art fortzupflanzen usw.
Die Fähigkeiten schließen die fünf Sinne ein, ein großes Gehirn, die Fähigkeit, aufrecht zu gehen, eine Hand, die genaues manuelles Arbeiten gestattet, Stimmbänder, die Sprache möglich machen usw. Man könnte jetzt einwenden, daß nicht alle Menschen diese Fähigkeiten besitzen - einige werden blind geboren, andere taub oder anderweitig behindert - das aber sind spezielle Ausnahmen.
Diese Bedürfnisse und Fähigkeiten, die alle Menschen in allen Gesellschaften zu jeder Zeit während der letzten 20 - 30.000 Jahre gemeinsam hatten, legten den Grundstein für die Natur des Menschen. Es ist aber die besondere Weise, in der die Fähigkeiten zur Befriedigung der Bedürfnisse benutzt werden, die Menschen von allen anderen Spezies unterscheidet. Die Menschen befriedigen ihre Bedürfnisse, indem sie zusammenarbeiten, um systematisch die Mittel zu produzieren, die sie am Leben erhalten.
Natürlich arbeiten auch Tiere - in einem gewissen Sinn: Eichhörnchen sammeln Nüsse, Löwen jagen, Biber bauen Dämme, Vögel konstruieren Nester, Termiten bauen Termitenhügel, von einigen Affen weiß man sogar, daß sie Stöcke als Werkzeuge benutzen usw. Die menschliche Arbeit aber entwickelte sich nach und nach zu etwas qualitativ Fortgeschrittenerem als das. Die systematische und bewußte Produktion von Werkzeugen - als Produktionsmittel bekannt - steigerte die Produktivkräfte der Arbeit enorm.
Während die tierische Arbeit überwiegend instinktiv bleibt und dementsprechend über Generationen hinweg wiederholt wird, ist die menschliche Arbeit erlernt und entwickelt sich - zuerst langsam und dann in einem immer schnelleren Tempo.
Die tierische Arbeit läßt die Umwelt so gut wie unverändert oder ändert sie nur sehr begrenzt, die menschliche Arbeit aber wandelt die Umwelt fortlaufend um.
Auch der soziale Charakter der Arbeit ist von grundlegender Bedeutung. Es war der griechische Philosoph Aristoteles, der den Menschen als ein "soziales Tier" kennzeichnete, und in der Tat haben Menschen schon immer in Gruppen gelebt, niemals als isolierte Individuen. In gleicher Weise ist ihre Arbeit schon seit frühester Zeit immer von Natur aus sozial und kooperativ gewesen. Als z.B. die frühen Steinzeitmenschen nach Großwild gejagt haben, handelten sie so gemeinschaftlich wie eine Nomadenhorde oder -gruppe.
Höchstwahrscheinlich war es diese Zusammenarbeit, die zu einer weiteren grundsätzlichen Eigenschaft menschlicher Wesen führte, der Entwicklung der Sprache. Jede bekannte menschliche Gesellschaft hat sich zum Stadium entwickelt, wo sie eine Sprache von ansehnlicher Komplexität besitzt. Umgekehrt hat die Sprache entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins der Menschen. Dadurch kann Kultur erlernt und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.
Jetzt können wir die Hauptmerkmale der 'menschlichen Natur' zusammenfassen. Menschen sind eine eigene biologische Art mit bestimmten gemeinsamen Grundbedürfnissen, die durch soziale Zusammenarbeit befriedigt werden, was zur Entwicklung von Sprache, Sozialbewußtsein und Kultur führt.
Der wichtigste Punkt in dieser Definition der menschlichen Natur ist, daß sie, während sie bestimmte Kontinuitäten feststellt, auch ein dynamisches Element in der Form der gesellschaftlichen Arbeit enthält.
Indem Menschen die Umwelt verändern, verändern sie sich auch selbst und ihre Beziehungen zu anderen. So wie sie ihre Fähigkeiten gebrauchen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, so steigen und entwickeln sich auch ihre Fähigkeiten - "der Appetit kommt beim Essen", wie Marx sagte. So wie bestimmte Grundbedürfnisse befriedigt werden, erweitern sich diese Bedürfnisse und neue Bedürfnisse entstehen. Das Bedürfnis nach Nahrung als solcher wird zum Bedürfnis nach Nahrung einer bestimmten Qualität. Das Bedürfnis nach Kleidung entwickelt sich vom Bedürfnis nach Leder und Fell zum Bedürfnis nach Geld, um sich schon fertige Kleider im Geschäft zu kaufen.
Wie sich die Produktionsweise ändert, so ändert sich die Organisation der Gesellschaft. So wie wir uns vom Jagen und Sammeln über den Ackerbau zur Manufaktur und Industrie begeben, kommen wir vom kleinen Nomadenklan, über die Siedlungen zur Stadt und zur modernen Nation. In diesem Prozeß haben sich auch das menschliche Verhalten und die Einstellungen der Menschen radikal verändert. Wie Marx schon im Kommunistischen Manifest schrieb:
"Bedarf es tiefer Einsicht, um zu begreifen, daß mit den Lebensverhältnissen der Menschen, mit ihren gesellschaftlichen Beziehungen, mit ihrem gesellschaftlichen Dasein, auch ihre Vorstellungen, Anschauungen und Begriffe, mit einem Wort, auch ihr Bewußtsein sich ändert?" (K. Marx, F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW, Bd. 4, S. 480)
Es trifft nicht zu, daß man die Natur des Menschen nicht verändern kann. Die Fähigkeit, sich zu verändern und zu entwickeln, ist ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Natur. Es ist sogar einer der Schlüsselfaktoren, die den Menschen von anderen Tieren unterscheidet.
Ein letzter Punkt: Wenn das Wesen des Menschen so ist, wie wir es beschrieben haben, macht es sie dann grundsätzlich 'gut' oder 'schlecht' ? Die Antwort ist: weder noch. Die ursprüngliche Bedeutung von 'gut' ist, ob etwas dem Wesen des Menschen dient, weil es seine Bedürfnisse befriedigt und seine Entwicklung fördert. Die ursprüngliche Bedeutung von 'schlecht' ist, ob sich etwas dem Wesen des Menschen entgegenstellt, weil es seine Bedürfnisse nicht befriedigen kann und seine Entwicklung behindert.
Das ist der Grund dafür, daß das, was die Menschen für 'gut' und 'schlecht' halten, sich in verschiedenen historischen Phasen voneinander unterscheidet. Die Umstände verändern sich, die menschlichen Bedürfnisse verändern sich und ihre Moral ebenso. Das gleiche gilt für soziale Klassen zur selben Zeit - ihre Lebensbedingungen unterscheiden sich voneinander, ihre Interessen stehen sich feindlich gegenüber, und deshalb entwickeln sie auch verschiedene Moralvorstellungen.

4. Der Kapitalismus und die Natur des Menschen

Wie alles andere auch, verändert sich das ökonomische System des Kapitalismus ständig. Der heutige Kapitalismus unterscheidet sich von dem zur Zeit von Karl Marx und Königin Victoria.
Als Marx 1848 das Kommunistische Manifest schrieb, hatte sich der Kapitalismus eigentlich nur in Teilen Westeuropas und in England durchgesetzt. Heute beherrscht er die ganze Welt. 1848 waren die Haupteinheiten kapitalistischer Produktion nur sehr kleine Fabriken, die sich im Besitz von Einzelnen oder Familien befanden. Heute ist der Kapitalismus von gigantischen multinationalen Konzernen, wie Exxon, Ford oder ICI beherrscht.
Als Friedrich Engels 1844 "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" schrieb, arbeiteten die Arbeiter von Manchester, ihre Kinder eingeschlossen, 12 - 14 Stunden am Tag für Pennies und lebten in elenden Hütten, die nicht viel mehr als Löcher im Boden waren. Heute haben die Arbeiter in Manchester ihr Los enorm verbessert, aber die gleich schlechten oder noch schlimmeren Umstände findet man heute in Kalkutta, Kairo und Rio de Janeiro vor.
Aber es bleiben, läßt man diese und viele andere Veränderungen außer Acht, immer noch bestimmte Grundmerkmale, die das Wirtschaftssystem als kapitalistisch bestimmen. Die wichtigsten von ihnen sind die folgenden:

  1. Die ausschlaggebenden Produktionsmittel (so wie die Fabriken, das Land, die Maschinerie und der Transport) befinden sich im Besitz oder unter Kontrolle einer kleinen Minderheit der Bevölkerung - der Kapitalisten.
  2. Der großen Mehrheit der Bevölkerung ist der Besitz der Produktionsmittel oder die Kontrolle über sie versagt. So sind sie, um leben zu können, gezwungen, ihre Fähigkeit zu arbeiten, daß heißt ihre Arbeitskraft, diesen Kapitalisten zu verkaufen. Sie sind gezwungen, ihre Arbeitskraft zu Bedingungen zu verkaufen, die es den Kapitalisten erlauben, ein Mehrprodukt oder einen Profit zu ziehen.
  3. Die Produktionsmittel sind auf verschiedene Kapitalisten verteilt (entweder auf Individuen, auf Gruppen oder auf kapitalistische Staaten), die in Konkurrenz zueinander produzieren. Die andauernde Konkurrenz um Profit zwingt die Kontrolleure jeder kapitalistischen Produktionseinheit, ihre Arbeiter so viel wie möglich auszubeuten.

Die Verfechter des kapitalistischen Systems haben immer wieder behauptet, daß das irgendwie der 'menschlichen Natur' entspricht.
In diesem Argument lag einmal ein Körnchen Wahrheit. Als der Kapitalismus zuerst in Erscheinung trat (vor etwa 200 bis 500 Jahren), erschloß er größere Kapazitäten, mit denen er die Bedürfnisse der Menschen nach Nahrung, Kleidung und Schutz befriedigen konnte, als es das vorangegangene System, der Feudalismus, getan hatte. Alles Übrige ist kompletter Schwachsinn.
Zuerst einmal ist es absurd, zu behaupten, daß sich Menschen 'natürlich' und instinktiv kapitalistisch verhalten, wenn es mehr als 2 Millionen Jahre der Menschheitsentwicklung gedauert hat, um den Kapitalismus überhaupt zu erreichen. Weder das Handeln mit Waren im allgemeinen, noch der Kauf und Verkauf der Arbeitskraft erscheinen irgendwo in der Welt der Natur oder in den frühen Stufen der Menschheitsgeschichte.
Ganz im Gegenteil zeigt die Geschichte, daß Menschen erst dazu gebracht werden müssen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und für einen Unternehmer zu arbeiten, indem sie unter Zwang jeder Möglichkeit beraubt worden sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie für sich selbst arbeiten. In Britannien wurde das mit der Umzäunung des Landes vom 15. bis zum 19. Jahrhundert erreicht.
Das Auftreten einer Klasse, die so viel besaß, daß sie es in die Industrie investieren und davon Arbeitskraft in hohem Maße kaufen konnte, erforderte einen brutalen Vorgang, den Marx die 'ursprüngliche Akkumulation von Kapital' nannte. Dieser bedeutete die Versklavung von Millionen von Afrikanern und ihren Transport nach Amerika, den Völkermord an einem großen Teil der einheimischen Bevölkerung Mittel- und Südamerikas, die Ausplünderung und Verarmung von Indien und dem Fernen Osten und unzählige andere Barbareien.
Außerdem hatte der Kapitalismus und die Kapitalistenklasse eine Serie von brutalen revolutionären Kämpfen und Bürgerkriegen gegen die alte feudalistische Aristokratie zu führen, wollen sie ihre Herrschaft etablieren. Das bedeutete das Abschlagen der Königsköpfe in England und Frankreich. Folglich hatte die Entwicklung des Kapitalismus nichts 'natürliches' an sich.
Es stimmt auch nicht, daß der Kapitalismus es zu individuellen Eigeninteressen macht, die Produktivkräfte zu entwickeln. Die Triebkraft des Kapitalismus ist der Profit; aber Profite können nur von der kleinen Minderheit in der Gesellschaft gemacht werden, die Kapital besitzt. Für die große Mehrheit der Individuen gründet sich der Kapitalismus auf die Unterdrückung von Selbstinteressen. Deshalb fordern die Kapitalisten auch ständig die Arbeiter auf, bescheiden zu sein. Deshalb haben die Unternehmer auch immer versucht, Gesetze zu machen, die die Möglichkeit der Arbeiter einschränken, ihre Interessen über die Gewerkschaft durchzusetzen.
Der Kapitalismus ist weit davon entfernt, ein Ausdruck der menschlichen Natur zu sein. Er nimmt die wichtigste und deutlichste Eigenschaft der Natur des Menschen - die Fähigkeit zur menschlichen Arbeit - und entstellt sie vollkommen.
Indem er die Arbeit als Ware behandelt, die man kauft und ausbeutet, entfremdet der Kapitalismus sie dem Arbeiter. Anstatt das Mittel zu sein, mit dem Menschen bewußt die Natur umwandeln, um individuelle und kollektive Bedürfnisse zu befriedigen, ist die Arbeit bloß eine Mittel, um das Geld zu verdienen, das man zum Überleben in der Gesellschaft braucht.
Die Arbeiter verlieren alle Kontrolle über ihre eigene Arbeit, die zur bedeutungslosen, seele-zerstörenden Schinderei verkommt und sie physisch und psychisch vernichtet. Das Ergebnis ist, daß Menschen 40 bis 50 Jahre in einem Job verbringen, den sie hassen oder der ihnen bestenfalls egal ist, und der sie abnutzt und quält.
Der Kapitalismus nimmt sogar einer enormen Zahl von Menschen die Möglichkeit, überhaupt zu arbeiten. Er schleudert sie in die Arbeitslosigkeit, sobald kein ausreichender Profit mehr aus ihrer Arbeit gezogen werden kann. Damit wird das, was den Kern der menschlichen Natur ausmacht, und was früher jedem 'primitiven' Jäger und Sammler zustand - die Möglichkeit, sich in nützlicher gesellschaftlicher Arbeit zu entfalten - heute Millionen verweigert.
Die Entfremdung der Arbeit kommt nicht nur am Arbeitsplatz vor, sie betrifft auch alle gesellschaftlichen Beziehungen. Beziehungen zwischen Arbeitern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Männern und Frauen, sexuelle und Liebesbeziehungen sind alle verzerrt und entstellt.
Menschen behandeln sich wie Objekte und Waren, die benutzt und manipuliert werden. Selbst der Sex wurde zu einer Ware, die benutzt wird, um andere Waren zu verkaufen. Oft versuchen die unterdrücktesten und entfremdetsten Individuen ihre Ohnmacht und Unterdrückung auszugleichen, indem sie auf der Arbeit oder in der Gesellschaft andere, die noch wehrloser sind als sie selbst, noch härter schikanieren, schlagen und beleidigen.
Nichts von dem ist natürlich oder ein Produkt der menschlichen Natur. Es ist ein Produkt der Gesellschaft, die die menschliche Natur vergewaltigt.
Letztlich erweist sich der Kapitalismus als erschreckend schlecht, auch nur die grundlegensten natürlichen Bedürfnisse der Menschen - die nach Wasser, Nahrung, Kleidung und Schutz - zu befriedigen. Die Nahrungsproduktion überflügelt das Bevölkerungswachstum jedes Jahr, und ungeheure 'Weinseen' und 'Fleischberge' werden angelegt. Aber immer noch hungern Tausende von Millionen und zig Millionen hungern zu Tode. Und weitere unzählige Millionen leiden und sterben an Erkrankungen, die leicht verhindert werden könnten. In reichen Ländern, wie der BRD, Britannien und den USA, existieren Mittel, mit denen Luxus-Hotels und Büros gebaut werden. Aber immer noch kauern Menschen in Durchgängen, weil sie kein Bett für die Nacht haben.
Das ist weder natürlich, noch etwas von der Natur Auferlegtes. Die sogenannten 'primitiven' Buschmänner der Kalahari sind in der Lage, aus der Halbwüste durch Jagen und Sammeln eine bessere Ernährung zu beziehen, als Millionen, die an Hungersnöten sterben, die von Menschen gemacht wurden, oder die sich kümmerlich am Rand der großen Städte der Welt durchschlagen. Die Inuit im kalten Norden können aus Eisblöcken einen wärmeren Schutz bauen, als jene, die sich unter der Waterloo-Brücke in Pappkartons verkriechen.
Diese Unmenschlichkeiten treten auf, weil der Kapitalismus das, was man zum Leben braucht, nur durch die Kaufkraft zugänglich macht, während er gleichzeitig sicherstellt, daß breiten Massen von Menschen diese Kaufkraft fehlt.
In seinem schonungslosen Trieb nach Profit vergiftet der Kapitalismus sogar die Luft und das Wasser und droht, die natürliche Umwelt zu zerstören, die den Menschen an erster Stelle hervorbrachte und ihn am Leben erhält.

5. Sozialismus und die Natur des Menschen

Wenn der Kapitalismus für die menschliche Natur ganz klar schädlich ist, wie steht es mit dem Sozialismus?
Wenn wir zumindest die Existenz einer grundlegenden Natur des Menschen anerkennen, ist es dann nicht möglich, daß tief in dieser Natur eine Eigenschaft steckt, die das Erreichen einer klassenlosen, sich selbstregierenden Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt und frei sind, verhindert? Gibt es nicht vielleicht ein urtümliches Verlangen nach Macht oder das Bedürfnis, andere zu beherrschen, das dafür sorgt, daß die Gesellschaft immer in Herrscher und Beherrschte geteilt sein wird? Könnte es sein, daß die Existenz von natürlichen, physischen Ungleichheiten zwischen Individuen einer gesellschaftlichen Gleichheit ein unüberwindbares Hindernis in den Weg legt?
Wir können solche und ähnliche Fragen ganz einfach und sachlich beantworten. Seit Zehntausenden von Jahren, aller Wahrscheinlichkeit nach sogar seit Hunderttausenden von Jahren, lebten Menschen in Gesellschaften ohne Privateigentum, Klassenteilung, Herrscher oder einen Staat.
Der archäologische Befund zeigt, daß die ersten handgemachten Werkzeuge - Feuersteine - aus einer Zeit stammen, die 2,5 Millionen Jahre zurückliegt. Von dort bis zur Entwicklung des Ackerbaus vor 10.000 Jahren, lebten die Menschen als gelegentliche Aasfresser, dann als organisierte Jäger und Sammler, meistens in kleinen Nomadenhorden.
Während dieser Phase gab es noch kein Anpflanzen von Feldfrüchten, keine Töpferei und keine Transportmittel. Es war weder für die Gruppe noch für den Einzelnen möglich, in ihr einen Überschuß an Gütern anzuhäufen, der das, was für die tagtägliche Existenz notwendig war, überstieg.
Ohne dieses Mehrprodukt konnte es keine Teilung der Gesellschaft in Klassen geben - keine Schicht oben lebte von der Arbeit von denen unten. Es konnte auch noch keinen Staat mit Vollzeit-Herrschern geben, die über Körperschaften von bewaffneten Männern verfügten, um ihre Herrschaft aufrecht zu erhalten. Jeder war in die Produktion dessen einbezogen, was zum Überleben notwendig war. Also lebten die Menschen 99% der Zeit, seit sie diesen Planeten bewohnen, in klassenlosen Gemeinschaften.
Die Existenz von klassenlosen Gesellschaften läßt sich nicht nur durch das Studium von archäologischen Anhaltspunkten oder logische Schlußfolgerungen beweisen. Genügend Jäger und Sammler-Völker überlebten bis vor kurzem mit der ihnen entsprechenden Lebensweise, um von modernen Anthropologen beobachtet zu werden.
Ein gutes Beispiel sind die !Kung San in der Kalahari-Wüste im südlichen Afrika, die von zahlreichen Anthropologen, im speziellen von dem Amerikaner Richard Lee, aus erster Hand studiert worden sind.
Die !Kung leben nun seit 10.000 Jahren in der Kalahari. Sie leben in kleinen Gruppen von etwa 30 Menschen und ziehen mit ihrem Lager alle paar Wochen um. Sie akkumulieren sehr wenig an materiellen Gütern - nicht mehr als sie bei ihren Wanderungen mit sich tragen können -, aber sie besitzen eine reiche, mündlich überlieferte Kultur. Eine detaillierte Kenntnis ihrer Umwelt hat sie in die Lage versetzt, einen einigermaßen beständigen Lebensstandard zu erreichen. Die Nahrung, die erjagt oder gesammelt worden ist, wird gemeinschaftlich aufgeteilt. Lee schreibt:

"Das Teilen hat die Verhaltensweisen und Werte der !Kung-Wildbeuter, innerhalb von Familien und zwischen ihnen, tief durchdrungen. So wie das Prinzip des Profits und der Rationalität in der kapitalistischen Ethik zentral ist, steht das Prinzip des Teilens zentral in der gesellschaftlichen Lebensführung der Wildbeuter-Gesellschaften."
Die !Kung leben alle in Gleichheit. Sie haben nicht nur keine Teilung in arm und reich, sie haben auch keine Chefs oder Führer. Richard Lee fragte einmal, ob die !Kung Häuptlinge hätten. "Natürlich haben wir Häuptlinge", war die Antwort. "Tatsächlich sind wir alle Häuptlinge; jeder von uns ist sein eigener Häuptling."
In der Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Feldforschung mit den !Kung und anderen Jäger und Sammler-Gesellschaften schreibt Richard Lee:
"Die Tatsache, daß gemeinschaftliches Teilen von Nahrungsmitteln in den letzten Jahren bei den !Kung und Dutzenden von anderen Wildbeuter-Gruppen beobachtet wurde, ist eine Entdeckung, die nicht so einfach übergangen werden sollte. Diese Allgemeingültigkeit unter Wildbeutern unterstützt die Theorie von Marx und Engels, daß eine Stufe des Ur-Kommunismus' vorherrschend war, ehe der Staat aufkam und die Gesellschaft in Klassen zerbrach...
Ein wirklich gemeinschaftliches Leben wird oft als utopisches Ideal abgetan, das in der Theorie gut aussieht, aber in der Praxis unerreichbar ist. Aber das Zeugnis, das uns die Völker der Wildbeuter ablegen, beweist etwas ganz anderes. Eine Lebensweise des Teilens ist nicht nur möglich, sie existierte auch in vielen Teilen der Welt und über lange Zeitperioden hinweg."

Dieser Beweis ist nicht angeführt worden, um nahezulegen, daß das, was wir unter Jägern und Sammlern finden, Menschen in einem 'natürlichen Zustand' sind oder daß die Natur des Menschen 'von Grund auf' sozialistisch ist. Das wäre bloß eine Umkehrung des Argumentes gegen Sozialisten, das den gleichen grundlegenden Fehler wiederholt.
In Wirklichkeit war selbst die Lebensweise der Jäger und Sammler das Produkt einer langen kulturellen Entwicklung; sie mußte sozial erlernt und kulturell untermauert werden. "Jedes menschliche Kind ist", wie Richard Lee treffend bemerkt, "von Geburt an sowohl mit der Fähigkeit ausgestattet, zu teilen, als auch mit der, geizig zu sein." Diese anthropologische Erkenntnis beweist jedoch, daß die Natur des Menschen und der Sozialismus nicht unvereinbar sind.
Der moderne Sozialismus verspricht viel mehr als nur die Vereinbarkeit mit der menschlichen Natur. Der Sozialismus bedeutet keine Rückkehr zu den Bedingungen des Ur-Kommunismus, sondern einen enormen Fortschritt, dem die technologischen Errungenschaften aus Tausenden von Jahren der Klassen-Gesellschaft zugrunde liegt.
Der Ur-Kommunismus lag im Fehlen jedes akkumulierten Mehrproduktes begründet; der moderne Sozialismus basiert auf der Tatsache, daß die Produktivkräfte nun bis zu dem Punkt entwickelt worden sind, wo es ein ausreichendes Mehrprodukt gibt, das genügt, jedem ein annehmbares Leben zu ermöglichen, ohne daß das Leben der Menschen mit Schinderei verschwendet werden müßte.
Sozialismus bedeutet heute, sich den immensen Wohlstand, die Produktionskapazitäten, die Wissenschaft und die Technologie, die heute von multinationalen Konzernen, den superreichen Kapitalisten und ihren Staaten, monopolisiert werden, anzueignen und im internationalen Maßstab unter eine kollektive demokratische Kontrolle zu stellen.
Dies würde eine angemessene Ernährung, Kleidung und Schutz für jeden auf dem Planeten gewährleisten und Hungertod und Armut abschaffen. In diesem Prozeß würde sich die menschliche Rasse vereinigen; die Ausbeutung, nationale Feindschaften, der Krieg, der Rassismus und die sexuelle Unterdrückung würden beendet werden, indem die materiellen Umstände, die sie untermauern, aus dem Weg geräumt werden.
Das würde Menschen in eine Lage versetzen, in der sie ihre Arbeit und die Produkte ihrer Arbeit gemeinsam kontrollieren. So würde die fundamentale Entfremdung und Entstellung der Natur des Menschen überwunden werden, die tausende von Jahren der Sklaverei und der Leibeigenschaft hindurch fortbestand und in der kapitalistischen Lohnarbeit gipfelte.
Das würde persönliche und soziale Beziehungen umwandeln und befreien; es würde eine Umwelt produzieren, die gestaltet wurde, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen und die menschliche Entwicklung zu fördern; es wäre möglich, die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt vernünftig zu planen und so die leichtfertige Zerstörung der Umwelt zu beenden.
Ein grundlegendes Merkmal der menschlichen Art ist die künstlerische Kreativität. Das älteste Objekt der Gravierkunst ist 300.000 Jahre alt. Jede menschliche Gesellschaft hat ihre Musik und ihren Tanz.
Im Kapitalismus ist die künstlerische Aktivität, wie in allen Klassengesellschaften, einigen Privilegierten vorbehalten - die Kreativität der Mehrheit wird vereitelt und unterdrückt. Der Sozialismus wird diese Kreativität freisetzen, indem er Freizeit und Bildung für alle ausdehnt und das kreative Element in der Produktion wiederherstellt. Das wird eine große, kulturelle Blüte hervorbringen.
So wird der Sozialismus nicht nur die grundlegenden Bedürfnisse befriedigen, die allen Menschen gemein sind, sondern auch zu einer alles umfassenden Entwicklung, Bereicherung und einem Wachstum der menschlichen Natur führen. Das ist nicht nur möglich; es ist notwendig und wert, dafür zu kämpfen.







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