Sozialismus von unten
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Wie die Medien uns in den Krieg ziehen

von Eckart Spoo

Geradezu erleichtert titelte der Berliner Kurier aus dem Bertelsmann-Konzern im Oktober letzten Jahres nach Beginn der Bombardierung Afghanistans in fettesten Buchstaben: "Amerika schlägt zurück" – als hätte ausgerechnet Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Welt, die USA angegriffen.

Die andere Seite ist die böse Seite, und jedes Mittel, das wir gegen sie anwenden, ist ein gutes Mittel. Damit daran kein Zweifel aufkommt, muss der Feind mit Gräuelgeschichten und hetzerischem Vokabular verteufelt werden.

Eckart Spoo ist Mit-Herausgeber der Zeitschrift Ossietzky. Dieser Artikel ist die gekürzte Fassung eines Vortrags, den Eckart Spoo auf dem Friedenspolitischen Kongress in Hannover am 1. September 2002 gehalten hat.

Wir erinnern uns: Irakische Truppen besetzten 1990 Kuwait, das die einstige britische Kolonialmacht vom Irak abgetrennt hatte. Hussein hatte nach Gesprächen mit der US-Botschafterin in Bagdad Anlass zur Annahme, dass seine alten Freunde und Förderer in Washington, in deren Interesse er den Nachbarn Iran bekriegt hatte, ihn gewähren lassen würden.

Doch US-Präsident Bush Senior sah die Gelegenheit, nach dem Ende der Sowjetunion mit einem Krieg gegen Irak die "Neue Weltordnung" herzustellen. Der Krieg wurde unter anderem dadurch vorbereitet, dass die USA dem UN-Sicherheitsrat erfundene Geschichten über irakische Gräueltaten präsentierten. Angeblich hatten irakische Soldaten in kuwaitischen Krankenhäusern Babys aus den Brutkästen gerissen. Die Lüge wurde aufgedeckt, nachdem sie ihre Wirkung getan hatte.

Am Tag nach Beginn der US-amerikanischen Bodenoffensive gegen Irak hieß es in einem Korrespondentenbericht der Deutschen Presseagentur: "Die Propagandamaschine Husseins feuerte aus allen Rohren. Mit blutroten Schlagzeilen peitschte die Tagespresse zum Widerstand gegen die Allianz auf, die am Sonntag zum entscheidenden Schlag zur Befreiung Kuwaits ausgeholt hatte."

Ein solcher Text beeindruckt. Aber welche Informationen enthält er? Eine einzige: Dass die Schlagzeilen der irakischen Presse in roter Farbe gedruckt wurden. Das kennen wir freilich auch von der Bild, die schon im August 1990 mit folgenden Überschriften Kriegsstimmung gegen Hussein erzeugt hatte: "Was macht der Irre jetzt?", "Der Irre ist umzingelt" und "Jetzt quält der Irre auch Deutsche".

Um das US-Militär angriffsfähig zu stimmen, um die Tötungshemmungen zu überwinden und um Widerstände in der Öffentlichkeit auszuschalten, nannte der US-Oberkommandierende Schwarzkopf die Iraker als "tollwütige Hunde" und jeder verstand, dass tollwütige Hunde abgeschossen gehören. Schwarzkopf wusste auch mitzuteilen: "Sie kämpfen ohne Gewissen und sind zu den schlimmsten, von Hass diktierten Taten fähig."

Bush Senior hatte schon am 6. August 1990 erklärt: "Saddam Hussein ist der Hitler von Bagdad." Tausende Kommentatoren in aller Welt machten sich diese Gleichsetzung zu eigen. Sie diente dazu, den Krieg gegen den Irak als moralische Notwendigkeit hinzustellen, also moralischen Widerstand zu brechen. Pazifisten mussten sich vorwerfen lassen, nicht aus der Geschichte gelernt zu haben.

Jede Kritik an der US-amerikanischen Politik sah sich als Parteinahme für einen neuen Faschismus verdächtigt: Gerade die Deutschen, die den US-Streitkräften die Befreiung vom Naziregime zu verdanken hätten, müssten sich jetzt auf Seite der USA stellen, hieß es in Politikerreden und Leitartikeln.

Über die Interessen, denen der Krieg gegen Irak diente, las man auf den Wirtschaftsseiten. Springers Welt jubelte am Tag nach dem Kriegsbeginn: "Deutsche Aktien schießen in die Höhe wie noch nie zuvor."

Das Handelsblatt fand eine "Bombenstimmung" an den Börsen und titelte: "Angriff auf den Irak beendet Lethargie der Anleger". Die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "An den Börsen wird der drückende Pessimismus beiseite gefegt."

Schon vor Kriegsbeginn hatte der Effektenspiegel die Devise ausgegeben: "Die Golfkrise bietet günstige Einstiegskurse mit kurzfristig dicken Gewinnchancen."

Was zählten gegenüber solchen Interessen die Informations- und Meinungsfreiheit der Kriegsgegner? Auf BBC und mehreren britischen Kommerzsendern durfte John Lennons "Give Peace a Chance" von Kriegsbeginn an nicht mehr gespielt werden – "mit Rücksicht auf die kämpfende Truppe am Golf"; das galt auch für 68 andere Stücke.

Auch Radio Schleswig-Holstein verbot Nenas "99 Luftballons", weil man das "naive Friedenslied", wie der Programmdirektor erklärte, angesichts "der ernsthaften Bedrohung am Golf" nicht senden könne.

Und wie wurden wir über den Krieg informiert? Im Ersten Weltkrieg hatte der damalige britische Premierminister George erklärt: "Wenn die Leute wirklich Bescheid wüssten, wäre der Krieg morgen zu Ende."

Damit wir nicht wirklich Bescheid wussten, führten im Golfkrieg alle Kriegsparteien sofort bei Kriegsbeginn, teilweise schon vorher, die Zensur ein.

In Israel zum Beispiel überwachten 150 Reservisten der militärischen Zensurbehörde die Telefonate von Journalisten. Beim Versuch, nicht genehmigte Informationen weiterzugeben, wurden 593 Gespräche unterbrochen.

In der Türkei zwang politische Polizei deutsche Fernsehjournalisten, alle in Diyarbakir – wo Bundeswehreinheiten stationiert waren – aufgenommenen Interviews zu löschen. Freies Reisen in kurdischen Gebieten war Reportern untersagt.

Die USA als hauptkriegsführende Macht hatten die Kriegsberichterstattung folgendermaßen organisiert: Die Journalisten durften sich in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad versammeln, wo ein großes Hotel bereit stand, sie aufzunehmen. Rund 1.000 folgten der Einladung.

Man hätte erwarten können, dass 1.000 Journalisten verschiedene Einzelheiten wahrnehmen und einander ergänzende oder auch widersprechende Berichte liefern würden. Doch die Berichte der beruflichen Kriegsbeobachter klangen alle gleich, denn es gab wenig zu beobachten; sie blieben unter sich, an der Hotelbar und im Hotelschwimmbad. Bei der täglichen Pressekonferenz bekamen sie alle dasselbe zu hören und was sie dann ihren Redaktionen übermittelten, war nichts als das dort Gehörte.

Kleine, ausgewählte Gruppen von Journalisten ("Pools") wurden gelegentlich in Militärbegleitung in die Nähe des Kriegsschauplatzes transportiert. Was sie zu Papier brachten, wurde dann auch noch zensiert.

Die anderen Journalisten übernahmen die zensierten Pool-Berichte. Ein Reporter des kommerziellen US-Fernsehsenders CNN klagte: "Wir verbreiten reinste Propaganda, denn aus psychologischen Gründen will Washington den Eindruck erwecken, als wäre der Krieg kaum mehr als Sachbeschädigung." Von Opfern war möglichst nicht die Rede.

Schwarzkopf gab am Ende des Krieges zu, dass die Medien bei Beginn der Bodenoffensive einem "gigantischen Täuschungsmanöver" gegen den Irak gedient hätten. Getäuscht wurde die Weltöffentlichkeit.

Das Ende des Krieges war noch nicht das Ende der Zensur. Von der Bodenoffensive wurden auch nachher kaum Bilder verbreitet. Die US-amerikanischen Besatzungstruppen im Südirak ließen Journalisten nicht dorthin, wo die irakischen Truppen beim Rückzug vernichtet worden waren. Bilder von dort wären mit der Vorstellung vom sauberen, ordentlichen, humanen Krieg schwer zu vereinbaren gewesen.

Über die militärische Stärke des Irak verbreiteten die Medien, solange es zweckdienlich war, maßlose Übertreibungen: viertstärkste Armee der Welt, beste Artillerie, Supergeschütze mit einzigartiger Reichweite, fanatische Kampfbereitschaft, gigantische Giftgaslager im besetzten Kuwait. Dann wurde, als es nützlich erschien, die perfekte Genauigkeit der US-Waffen gerühmt, etwa der Patriot-Raketen, was weit übertrieben war.

Die PR-Agentur, die den damaligen Krieg mit Gräuelpropaganda vorbereitet hatte, blieb in US-Regierungsdiensten. Nach dem 11. September 2001 wurde der Propagandaapparat weiter ausgebaut, zum Beispiel durch die Gründung eines "Amtes für strategischen Einfluss".

Der Vorbereitung des nächsten Kriegs gegen Irak dienen ein CIA-Programm "Das Gewinnen von Herzen und Köpfen", ein in Prag angesiedelter US-Sender "Radio freier Irak", ein Fernsehsender in London und ein Schulungsprogramm des US-Außenministeriums für irakische Oppositionelle, um sie zu "effektiveren Sprechern des irakischen Volkes" zu machen.

Mit wenigen Ausnahmen zeigen sich die deutschen Medien immer wieder bereit, an der "Enttabuisierung des Militärischen" – die der Kanzler als Erfolg seiner Regierungstätigkeit rühmt, die aber lange vorher begonnen hat – mitzuwirken. Ähnlich wie die US-amerikanischen Medien haben die deutschen im Krieg gegen Irak, gegen Jugoslawien und im derzeitigen "Krieg gegen den Terror" die Öffentlichkeit dermaßen gründlich irregeführt, dass die Wahrheit auch nachher schwerlich durchsickern kann.

Nach solchen Erfahrungen empfiehlt es sich, der US-Regierung, die jetzt den neuen Krieg gegen Irak vorbereitet, kein Wort zu glauben. Wir sollten überhaupt offiziellen Angaben grundsätzlich nicht trauen, vor allem nicht den Angaben der eigenen oder befreundeten Seite – im Zweifelsfall eher der Darstellung der anderen Seite, die zumindest den Wert hat, dass sie uns kritikfähig gegenüber den Angaben der eigenen Seite machen kann. Die Gefahr, dass wir aus Leichtgläubigkeit mitschuldig werden, besteht in der Regel nur auf der eigenen Seite.


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