Sozialismus von unten
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Debatte & Kritik

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Eine Welt zu gewinnen

Die ganze Vielfalt der Globalisierungskritik: "Unsere Welt ist keine Ware" liefert einen Überblick über die verschiedenen Seiten der Bewegung.

von Jan Maas

"Geschichte wurde gemacht. Es waren fünf Tage, die die Welt veränderten. Seattle gilt seit den Protesten gegen die Welthandelsorganisation WTO im November 1999 nicht mehr als Hauptstadt des digitalen Kapitalismus und Heimat von Microsoft, sondern steht für die Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegung." Mitherausgeber Oliver Nachtwey erweckt die Aktionen vor, während und nach Seattle noch einmal zum Leben.
Die vier Herausgeber wollen mit dem Buch helfen, diese Bewegung in Deutschland auszuweiten und mehr Menschen einzubinden. "Unsere Welt ist keine Ware" erklärt die Globalisierung und beschreibt die negativen Folgen, die sie für die meisten Menschen hat." Schließlich zeigt es auch Möglichkeiten auf, "Globalisierung" nicht um Profitinteresse weniger voranzutreiben, sondern zur Grundlage einer solidarischen Welt zu machen", kündigt die Einleitung an.
Etwa 25 Autoren aus verschiedenen Ländern haben zu dem Projekt beigetragen. Sie vertreten verschiedene Themen und ebenso verschiedene politische Ideen. Was sie verbindet, ist die Wut darüber, dass die Konzerne sich mit ihrer gewaltigen Kapitalmacht jeden Bereich des Lebens aneignen und auf der Suche nach Profiten keinerlei Rücksicht auf die Bedürfnisse und Nöte der Menschen nehmen. Die Vizepräsidentin von Attac Frankreich Susan George greift in ihrem Beitrag die Profitgier der Konzerne an. Die heutige Globalisierung laufe nicht im Interesse aller Menschen ab. "Seit den frühen 90er Jahren sind die Unternehmensgewinne um durchschnittlich 108 Prozent gestiegen, der Aktienindex von Standard & Poor ist um 224 Prozent und die pauschale Vergütung von Firmenchefs um satte 481 Prozent angewachsen. Im selben Zeitraum hat sich der durchschnittliche Jahreslohn für Arbeiter aber nur um 28 Prozent verbessert und lag damit knapp über dem Inflationsausgleich." Wenn Arbeiter ähnlich ihrer Chefs profitiert hätten, betrüge der Mindeststundenlohn in den USA umgerechnet nicht 5,30 Euro, sondern 22,60.
Europäische Regierungen begründen ihren Sozialabbau mit leeren Staatskassen. Öffentliche Dienste sollen privatisiert werden. Doch der Bundestagsabgeordnete der PDS Winfried Wolf zeigt in seinem Aufsatz: "Der deutsche und der britische Staat zahlen jeweils für die Nachfolgegesellschaften von British Rail bzw. der Bundesbahn und Reichsbahn mehr Subventionen als zuvor für die früheren staatlichen Eisenbahngesellschaften - bei einem gleichzeitigen Abbau an Service, Qualität und Sicherheit." Staaten machen die Konzerne für den Wettbewerb auf dem Weltmarkt reich - auf Kosten der Bevölkerung.
Der ehemalige Chemnitzer Studentenpfarrer Hans-Jochen Vogel, der vor und nach der Wende in der Opposition arbeitet, erklärt, dass sich die Globalisierung besonders in Ostdeutschland an der Privatisierung öffentlichen Reichtums zeigt.
Ein interessanter Gedanke dazu: Die Ostdeutschen hätten den Menschen im Westen drei entscheidende Dinge voraus: "1. Sie haben Erfahrungen in zwei Systemen gesammelt, können diese vergleichen und relativieren und als von Menschen gemachte wahrnehmen; 2. sie haben den jähen Zusammenbruch einer sich selbst als unerschütterlich darstellenden Ordnung erlebt und dabei letztlich doch einen vergleichsweise kühlen Kopf behalten; 3. sie haben eine genuine, in Teilen durchaus revolutionäre Demokratieerfahrung gemacht, als sie nicht nur mit gewaltfreien Massenaktionen ein Herrschaftssystem kippten, sondern auch für eine - wenn auch viel zu kurze - Zeit die öffentliche Diskussion, Selbstorganisation und Selbstkontrolle übten."
Wer kontrolliert die Globalisierung? Unter den 100 größten wirtschaftlichen Kräften in der Welt sind heute über 50 Konzerne. Viele Volkswirtschaften können da nicht mithalten.
Während Konzerne Unsummen von Geld frei über den Globus verschieben, schließen Regierungen ihre Grenzen für Menschen, die vor Armut fliehen. Rechtsextreme Parteien geben falsche Antworten auf die Unsicherheit - sie erklären Zuwanderung zum Problem und beschwören den Nationalismus, wie Christian Christen in seinem Beitrag anprangert.
Der Rechtskurs in vielen Staaten habe die Vorlagen für die noch extremere Rechte geboten: "Praktisch alle Regierungen griffen vormals ‚rechte' Themen auf (u.a. diskriminierende Ausländerpolitik, "law and order" und die Wiederentdeckung von Elite, Hierarchie und Leistung)." Zwei Aufsätze von Walden Bello und Noam Chomsky setzen sich mit der Globalisierung des Krieges und staatlicher Aufrüstung auseinander.
Entgegen aller Behauptungen ziehe sich der Staat "keinesfalls aus der Gesellschaft zurück", fasst der gewerkschaftsnahe Hochschullehrer Ingo Schmidt zusammen: "er verlagert seine Tätigkeit lediglich: Statt politische und soziale Schutzrechte für ArbeiterInnen zu setzen, baut er Überwachungs- und Repressionsapparate aus."
Die Auseinandersetzung um verschiedene Strategien innerhalb der Bewegung behandeln sechs Aufsätze im letzten Teil. Die kanadische Autorin und Aktivistin Naomi Klein sieht den einzigen Weg in einem Zusammenschluss zweier Gruppen von Aktivisten: "Hier die internationalen Anti-Globalisierungs-AktivistInnen, die vielleicht gerade triumphieren, aber weit entfernte Themen zu bekämpfen scheinen. Dort die AktivistInnen vor Ort, die tägliche Kämpfe ums Überleben oder um den Erhalt der elementarsten Versorgungseinrichtungen ausfechten und sich oft ausgebrannt und demoralisiert fühlen."
Die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Margaret Mönig-Raane fordert eine Wiederbelebung der Gewerkschaften als soziale Bewegung. Anne Karrass und Michael Ney von Attac Deutschland wollen die Herrschaft des freien Marktes durch die Herrschaft der Politik ersetzen. "Die Forderung nach einem Primat der Politik richtet sich auf eine Stärkung des Staates, aber eines Staates, der als Ausdruck seiner Bevölkerung auch deren Wünsche und Bedürfnisse repräsentiert. Dabei muss selbstverständlich beachtet und thematisiert werden, welche Interessen der Staat in welchem Maße berücksichtigt."
Christine Buchholz von Linksruck dagegen betont die Selbstorganisation. "Im Kapitalismus ist Demokratie hauptsächlich auf das Kreuzchenmachen in der Wahlkabine beschränkt. Wirtschaft oder Institutionen wie WTO oder IWF kennen keine demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung. Sozialismus hingegen schließt eine viel umfassendere Form der Demokratie ein, als es sie im Kapitalismus jemals geben kann. Sie hat neben der demokratischen Gestaltung des öffentlichen Lebens die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter über die Produktion zur Grundlage."
Ein Buch, das Geschichte und Themen, Gruppen und Diskussionen in der globalisierungskritischen Bewegung zusammenfasst - so etwas gab es auf deutsch bisher nicht. "Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungskritik" schließt diese Lücke.

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Christine Buchholz, Anne Karrass, Oliver Nachtwey, Ingo Schmidt (Herausgeber):
Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungskritiker,
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002,
ISBN 3-462-03164-3
350 Seiten, 9,90 Euro,
erhältlich unter anderem bei www.edition-aurora.de


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