Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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Theories of conflict

Wie begegnet die antikapitalistische Bewegung den Herausforderungen von Krieg und staatlicher Repression? Luca Casarini und Alex Callinicos diskutieren diese Fragen. Luca Casarini ist ein italienischer Aktivist, prominent in der Tutti Bianchi (weiße Overalls) Bewegung. Alex Callinicos ist ein führendes Mitglied der Socialist Workers Party, der englischen Schwesterorganisation von Linksruck, und Professor für Politik an der York Universität.

Alex: In Prag wurde klar, und auf eine andere Weise in Genua, dass die Tutti Bianchi und die Sozialisten in der IS (International Socialists)-Tendenz zwei Dinge gemeinsam haben. Erstens die Erkenntnis, dass wir in eine neue Periode des Kampfes eintreten und in eine neue Periode des Widerstandes, und zweitens: das Bedürfnis sich in einer Weise zu organisieren, die sich unterscheidet von der der traditionellen Linken. Der Krieg macht die Dinge jetzt noch ernsthafter, obwohl schon vorher Genua eine Debatte über Strategie in der ganzen Welt hervorgebracht hatte. Ich denke, wir müssen herausfinden, was wir gemeinsam haben, worin wir nicht übereinstimmen und was wir voneinander lernen können.

Luca: Tutti Bianchi besteht nicht mehr wie zuvor. Es ist wichtig, die Ziele nicht mit den Mitteln zu verwechseln. Unser Mittel war, ein Netzwerk zu bilden, dass von den Autonomen kam, aber über die Autonomen hinausging, weil wir zu dem Schluss kamen, dass die politische Erfahrung der 1970er und 1980er zu einem Ende gekommen ist. Die Erfahrung der Tutti Bianchi ist wichtig gewesen in dem Versuch, Paradigmen zu ändern, zu versuchen die Sprache zu verändern, und zu versuchen zu verändern, wie man sich zu anderen politischen Kräften verhält, ebenso die Methode des Kampfes.
In Genua haben die Tutti Bianchi ihr Ziel erreicht, aber es war nur ein partielles Ziel. Das Hauptziel war für uns, die Idee in die Zivilgesellschaft zu tragen, dass es Konflikte gibt und immer Konflikte geben wird. Es ging nicht nur darum, die Frage des Konfliktes aufzuwerfen - es ging auch darum, die Frage nach der Bildung größeren Konsenses unter den Menschen aufzuwerfen. Wir haben sehr viel von den Zapatistas gelernt, nach außen zu gehen und das Maß an Konsens, das man erhält, zu vergrößern. So ist eines der Dinge, die wir entwickelt haben, das Konzept des zivilen Ungehorsams - Zusammenzubringen und die Idee des Konflikts aufzuwerfen. Aber gleichzeitig auch zu versuchen, einen bestimmten Grad an Konsens zu erreichen. Die wichtige Sache ist die Praxis dieses Ungehorsams. Es ist nicht eine, in der wir eine spezialisierte Armee sind oder die Avantgarde, der die Leute bloß folgen.
Es ist ein Prinzip, dass von anderen nachgemacht und übernommen werden kann. Wir haben versucht, es anders zu machen als die alte Linke, indem wir in diese Netzwerke hineingegangen sind und versucht haben, sie von innen heraus zu entwickeln, ohne die altmodische Art, zu versuchen, die Hegemonie im Netzwerk auszuüben und zu versuchen, die avantgardistische Kraft zu werden. Die Weise, die wir setzen wollen, Leute zu überzeugen ist durch Praxis, durch Intervention und Argumentieren mit Menschen.
Jetzt nach Genua sind die Tutti Bianchi in einer neuen Phase. De Fakto existieren die Tutti Bianchi nicht mehr wirklich. Für uns war Genua ein wichtiger Wendepunkt, nicht länger die Tutti Bianchi (weißen Overalls) anzuziehen. Selbst ohne das Tragen der weißen Overalls war es klar, dass jeder die Slogans, die Vision und die Ideen akzeptierte. Jetzt versuchen wir in den Dach(umbrella)-Gruppierungen der Sozial Foren in Italien ein neues Feld zu schaffen, das das beinhaltet, was wir "Ungehorsam" nennen.
Wir haben es nicht zivilen Ungehorsam genannt, sondern sozialen Ungehorsam. Eine der Sachen, auf die wir versuchen, die Menschen aufmerksam zu machen, ist die Frage der Illegalität, der sich jede Massenbewegung an einem bestimmten Punkt stellen muss.

Alex: Wir glauben weiterhin, dass es entscheidende Elemente der marxistischen Tradition gibt, die für die Situation heute relevant sind. Es gibt eine scharfe Unterscheidung zwischen dem, was wir als die korrumpierte stalinistische Entstellung des Marxismus ansehen und dem, was für uns das Herz von Marx' tatsächlicher Politik ist, nämlich die Vorstellung der Selbstemanzipation der Arbeiterklasse. Für uns ist in jedem Kampf, in den wir verwickelt sind, das entscheidende Element Selbstaktivität, die Menschen zu ermutigen, für sich selbst zu kämpfen. Darin, denke ich, können wir eine offensichtliche Überschneidung zwischen unserer Herangehensweise und Eurer sehen.
Aber es gibt bestimmte klassische Fragen, die nicht verschwunden sind. Lass mich zwei erwähnen - eine ist der Staat und die andere ist Führung. Genua hat sehr deutlich das militärische Gesicht des Staates gezeigt und das Ausmaß, in dem - wie globalisiert und dezentralisiert das Kapital auch immer geworden sein mag - es sich letztlich immer noch auf zentralisierte Machtkonzentrationen stützt. Ich bemerke in Euren Reden und Eurer Literatur, dass Ihr Euch oft auf Ideen über Vielfalt (multitudes), Dezentralisation und Differenz aus Antonio Negris und Michael Hardts jüngster Arbeit, Empire, bezieht. Aber der dezentrale Netzwerkcharakter des Widerstands kann uns vergessen lassen, dass eine der Sachen, die wir zu tun haben werden, ist, auf diese zentralisierte Macht zu zielen.
Es gibt Antworten, die ausgedient haben, wie der Terrorismus. Die ganze Geschichte der Roten Brigaden unterstreicht nur wie gefährlich die Macht des Staates ist - wie man zerschlagen wird, wenn man militärische Antworten ausprobiert. Aber das Problem, wie man auf den Staat zielt, stellt sich immer noch, wie es für sich Lenin und Rosa Luxemburg stellte. Zweitens, lass mich etwas über die Frage der Führung sagen. Wenn Du sagst, Ihr wollt vermeiden, eine Avantgarde zu sein, hängt es davon ab, was Ihr meint. Wenn Ihr mit Avantgarde die Vorgehensweise der Kommunistischen Partei meint, die Bewegung der Arbeiterklasse gewöhnlich als Rohmaterial für ihre Wahlprojekte zu benutzen, oder wie andere radikale linke Gruppen es tun, die sich selbst als die Avantgarde der Arbeiterklasse proklamieren, während die Arbeiterklasse nicht einmal etwas von ihrer Existenz weiß, sind dies natürlich Modelle, die abgelehnt werden müssen. Aber in einem Sinne haben die Tutti Bianchi eine Funktion als Avantgarde gehabt. Du hast gesagt, die Menschen schauen auf Euch und folgen den Initiativen, die Ihr gebt. In jeder Bewegung wird es Dissens geben, und es wird Kräfte geben, die mehr oder weniger von den Massenmedien und der dominanten Klasse beeinflusst werden, und das bedeutet, dass es einen Kampf innerhalb der Bewegung gibt. Wir in der SWP bezeichnen uns selber nicht als avantgardistische Bewegung aufgrund der Assoziationen, aber wir lehnen die Idee der Politischen Führung nicht ab. Was wir mit Führung meinen ist, innerhalb der Bewegung ein politisches Argument über die Richtung, in die sie gehen soll, voranzutreiben. Das erfordert, den Menschen nicht zu befehlen, sondern mit ihnen zu diskutieren und zu versuchen, sie mit uns zu nehmen. Ich denke, es ist besser offen gegenüber diesen Fragen zu sein, denn, wenn Du dahin kommst, die Art von Rolle zu spielen, die z.B. die Tutti Bianchi innerhalb der Bewegung haben, hat man eine Verantwortung und die Menschen schauen auf Dich und erwarten etwas von Dir.

Luca: Lass uns mit Führung und Avantgarde anfangen. Eine der Sachen, die wir nicht tun, die Ihr in Berufung auf die klassische marxistische Tradition tun solltet, ist Widersprüche zu benutzen, um Verhältnisse zu destabilisieren. Die laufende Entwicklung ist darüber hinaus. Wir sind innerhalb der Bewegungen, aber die Rolle, die wir haben, ist, unsere Ideen zum Tragen zu bringen. Genauso sind wir uns sehr bewusst und im Klaren, dass es Dinge gibt, die wir von der Bewegung lernen werden.
Aber wenn wir über Führung sprechen, sind wir mit einer neuen Situation konfrontiert. Wenn wir über Führung im Sinne einer Partei-Führung sprechen, dann sprechen wir über etwas sehr Präzises. Aber wenn wir über Führung reden im Sinne eines Netzwerkes, einer neuen Form von Organisation, mit der wir experimentieren, dann ist das eine vollkommen andere Sache. Ich denke nicht, dass ein Netzwerk ein Zentrum hat, weil es aus vielen Zentren besteht. Ein Netzwerk kann ein zeitweiliges Zentrum haben, dass den Rest des Netzwerkes beeinflussen kann und das Beste des Netzwerkes an sich ziehen kann. Deshalb ist jeder Ausdruck oder Akt von Führung bloß temporär. Vor allem, auch wenn sie nur temporär ist, muss sie die Fähigkeit haben, Leute auf ihre Seite zu ziehen. Als eine Organisation können wir uns nicht selbst genügen. Wir müssen das Netzwerk aufbauen und aufrechterhalten, und wir müssen eine Art von Führung zeigen, die in der Lage ist, innerhalb des Netzwerkes zu arbeiten, aber es nicht zerstört.
Wir müssen außerdem die Komplexität ausdrücken, eine Komplexität wie die Vielzahl von Einstellungen (multitudes) zusammenzubringen, vielmehr als die Massen, mit all den offensichtlich klaren und offenen Problemen, die es gibt. Deshalb heißt es Medizin zu nehmen, wenn wir davon sprechen, dass wir über Avantgardismus und die Massen hinaus sind. Zum Beispiel hat der Schwarze Block in Genua eine Art Avantgardismus ausgedrückt, die alle anderen als Masse behandelt hat. Wir denken, wenn Du Dich so verhältst, zerstörst Du die Bewegung. Was wichtig dabei ist, ist das Konzept der kulturellen Hegemonie. Wir müssen uns in einer Weise innerhalb dieses Netzwerkes verhalten, dass wir die ganze Frage über Konflikt mit dem Staat oder mit Macht vorwärtsbringen. In den letzten Jahre tauchte eine andere Ansicht auf, die weak thought genannt wird - die Abgrenzung von Macht, von dem System, deshalb das Ende jeder Hypothese von Konflikt. Dies war die reformistische Antwort auf die Niederlage der 1970er. Wir denken, wir müssen eine Antwort auf die Niederlagen der 1970er finden. Diese revolutionäre Antwort muss sein, dass es ohne Konflikt keine Hoffnung auf eine andere Welt gibt. Wir denken, dass die Bewegung, die in Seattle begonnen hat, diese Frage auf einen planetarischen Maßstab stellt, weil sie nicht nur eine Reihe von Fragen verschoben hat, sondern die Frage der Demokratie über alle anderen Fragen gestellt hat.
Dieser große planetarische Wandel, den die Globalisierung mit bewirkt hat, bedeutet, dass wir uns mit riesigen Veränderungen innerhalb unseres eigenen Landes auseinandersetzen müssen - z.B. der zwischen unserem eigenen Nationalstaat und dem globalen System. Was wir in Genua gesehen haben, war nicht die Aktion eines Militärstaates oder des italienischen Staates und seiner 17 nationalen Polizeikräfte - wir haben tatsächlich nicht sie in Aktion gesehen. In Genua war der italienische Staat ein Anhängsel des globalen Systems, genauso wie in Göteborg. Die Polizei schießt normalerweise nicht auf Demonstranten in Schweden. Wir denken nicht, dass die Polizei in Genua getan hätte, was sie tat, ohne die Erlaubnis von Blair und Bush. Wir glauben, dass Blair und Bush den Weg gewiesen und Berlusconi diktiert haben, was zu tun sei. Dies ist ein Symbol für das, was überall auf der Welt geschieht. Es gibt einige supranationale Strukturen, die, auch innerhalb der reichen Ersten Welt, den Nationalstaaten bestimmte Politiken auferlegen, und diese Politiken sind solche, dass es nicht länger irgendwelche ökonomischen Grenzen oder Handelsgrenzen gibt.
Es gibt eine Tendenz diesem Mechanismus des globalen Marktes zu widerstehen, solche wie kontinentales Gruppieren, wie den Euro und so weiter. Wir reden über drei Kontinente - den amerikanischen Kontinent mit der Nafta, den europäischen Kontinent und den asiatischen Kontinent. Diese Art, die Dinge zu betrachten, sollte zu seiner logischen Schlussfolgerung gebracht werden. Wir müssen die Globalisierung nicht als ein reines Phänomen des Marktes sehen und auch nicht als die große Wiederkehr imperialistischer multinationaler Staaten, sondern wir müssen sie als eine neue Methode kapitalistischer Ausbeutung sehen, die global ist. Dieses stellt uns vor ein großes Problem.
Wir hatten die Phase des Thatcherismus, des ungezähmten freien Marktes und dem Ende aller Formen des Keynesianismus. Wir hatten dann die nächste Phase, wo es für das Kapital notwendig war, eine politische Regierung und politische Kontrolle bereitzustellen, weil wir niemals Zeuge eines Marktes ohne Regierung gewesen sind. Das begann mit Seattle 1999. Die großen Führer wurden die möglichen Akteure dieses globalen Wandels. Wir sagten bereits vor Genua, dass diese Phase in Genua enden würde, weil offensichtlich eine große Bewegung auf der Welle dieser großen Gipfel geboren war und die Gipfel nicht stattfinden konnten wegen dieser Bewegung. Die Bewegung war nicht in Kalkutta oder Kabul geboren worden, sondern in Seattle und das brachte das System dazu, zweimal nachzudenken und ziemlich tief nachzudenken. Es ist wert, an dieser Stelle an Karl Marx zu denken, als er sagte, die Revolution würde entweder in England oder Amerika beginnen. Diese Phase ist zu einem Ende gekommen, weil wir seit etwa 1995-96 das Ende des Liberalismus gesehen haben.
Aber dann gab es den Angriff auf das World Trade Center in New York. Und das hat uns in eine vollkommen neue Phase katapultiert. Es wäre, bevor diese Phase begann, niemandem in den Sinn gekommen, dass die US angegriffen werden würden. Wir denken, dass wir in dieser dritten Phase sehr klar sehen können, warum die Führer der Welt eine weltpolitische Führerschaft kreieren mussten. In dieser Phase ist es sehr klar, dass sie es nicht länger nötig haben, die politische Kontrolle über die Welt zu erlangen und sie nicht länger eine Regierung benötigen, die am stärksten und am reichsten ist, sondern sie brauchen auch eine Kontrolle, die die gerechteste ist. Sie wollen sich selbst nun voranbringen als die gerechte Zivilisation - und das ist ein ethisches Konzept. Die große Anstrengung, die sie nun machen, ist diesen neuen Anti-Terrorismus Club zu erschaffen, der auch Palästina einschließen würde. Dies ist eine gewaltige ethische Konstruktion. Und deshalb ist es ein realer politischer Angriff und ein Manöver, das getan wird. Das verweist mehr auf ein imperiales als ein imperialistisches Herangehen.

Alex: Es gibt mehr Kontinuität zur Vergangenheit, als Du andeutest. Es ist absolut wahr, dass die führenden kapitalistischen Mächte ihre Interventionen viel mehr politisch koordinieren, als sie es in der Vergangenheit taten. Und es ist auch absolut wahr, dass es in letzter Zeit eine ganze Reihe von Fällen gab, bei denen wir einen spezifischen Nationalstaat im Auftrag von dieser Art Kartell von führenden kapitalistischen Staaten handeln sahen. In Genua schossen die Carabinieri im Auftrag des globalen Kapitalismus, nicht nur seines italienischen Flügels.
Es ist weiter wahr, dass Großmacht-Interventionen mehr und mehr gerechtfertigt werden, in Berufung auf Begriffe von Gerechtigkeit und Menschenrechten. Aber zu diesem letzten Punkt denke ich, das begann vor dem 11.September. Es war der Kosovo, wo der erste humanitäre Krieg geführt wurde, und Blair ist besonders klar im Artikulieren der Idee, dass die ökonomische Globalisierung eine politische Globalisierung erfordert, bei der die führenden Staaten im Namen dessen agieren, was er universale Werte nennt. So war Kosovo ein Krieg für Werte, wie er sie bestimmt. Viele andere bedauernswerte Länder werden zerstört werden im Namen der universalen Werte.
Wo ich ein Problem habe mit Hardts und Negris Analyse in "Empire" ist, dass es wichtig ist, das Ausmaß der nationalen Konflikte, die immer noch unter den führenden kapitalistischen Mächten bestehen, nicht zu unterschätzen. So sprichst Du z.B. von drei regionalen Blöcken. Das Interessante ist, dass die US sich selbst als den Führer aller drei Blöcke sehen - sie sind tief involviert in den Prozess der europäischen Integration und sie sind ebenfalls tief in die APEC verwickelt, das Asian-Pacific Economic Forum. Das spiegelt die Tatsache wieder, dass die US diese unterschiedlichen internationalen Institutionen entscheidend als Instrumente für die Behauptung der Interessen des US-Kapitals sehen. Die US sind nicht in einem unpersönlichen dezentralisierten Empire verschwunden. Sie sind immer noch das größte Zentrum kapitalistischer Macht in der Welt. Die gegenwärtige Krise ist unter diesem Gesichtspunkt interessant, weil natürlich unsere Führer an universale Werte appellieren - ‚infinite justice' und ‚enduring freedom' - aber es ist klar, dass eine der US Hauptbeschäftigungen, welche militärischen Aktionen auch immer stattfinden, die Behauptung der nationalen Macht der US sein wird. Das kommt zum Teil daher, dass sie nicht von multilateralen Strukturen eingeschränkt werden wollen. Ferner müssen sie, nach der Erniedrigung von Manhattan und dem Bombardieren des Pentagons selbst, die US Macht so brutal und rücksichtslos wie möglich behaupten.
Das hebt gerade hervor, was ich denke, was immer noch ein endemisches Merkmal des gegenwärtigen Kapitalismus ist - die Konflikte innerhalb der kapitalistischen Klasse und die Weise, in der die verschiedenen Segmente der kapitalistischen Klasse fortfahren, sich auf die Macht ihres eigenen Nationalstaats zu verlassen.
Dies wird untermauert, wenn wir über den westlichen Kapitalismus hinausschauen, und auf die geopolitischen Rivalitäten zwischen den US, Russland und China blicken. Es ist klar, dass ein großer Teil des US-Establishments China als die große potentielle ökonomische und strategische Bedrohung sieht und alle Arten von Strategien vorbereitet, China zu zügeln und zu kontrollieren. Heute haben wir nicht die Welt des Imperialismus von 1914 oder 1945, aber ein wesentliches Element der klassischen Theorie des Imperialismus, nämlich die Teilung der Welt in rivalisierende Zentren ökonomischer und politischer Macht.
In dem Ausmaß, wie Hardt und Negri sagen, wir wären darüber hinaus, denke ich, können sie uns irreführen.
Um auf die andere wichtige Frage zurückzukommen, der Frage nach Organisation und Führung, bin ich mir nicht sicher, inwiefern wir verschiedene Worte benutzen, um das gleiche zu sagen.
Wir haben enorm von der Bewegung, die sich seit Seattle entwickelt hat, gelernt. Wie wir heute arbeiten ist in vieler Hinsicht radikal verschieden von dem, wie wir es vor vier oder fünf Jahren taten. Die Bewegung hat uns verändert und jede politische Strömung, die nicht von der Bewegung lernt, ist tot. Natürlich ist es wahr, dass Du Dir das Recht zu Führen verdienen musst, und dass es immer wieder neu erworben werden muss. Jede Organisation oder Strömung die einfach ihr Recht auf Führung behauptet, oder ihre Ansprüche auf ihre vergangene Leistung gründet, kann nicht Teil der lebendigen Bewegung sein. Das sind also Punkte in denen wir übereinstimmen.

Luca: Ich denke, es ist für mich wichtig, ein Führer zu sein, aber es nicht zu sagen. Es ist wichtig, dass andere sagen Du führst, und es nicht selbst zu sagen. Für uns ist es nicht wichtig, es nur zu sagen, sondern es auch zu tun.
Diese Diskussion über Empire und Imperialismus ist sehr interessant. Alles, was Du gesagt hast, ist wahr, aber das widerspricht nicht dem Konzept von Empire, denn Empire beinhaltet Imperialismus. Es ist nicht notwendigerweise eine Realität, sondern es ist eine Tendenz. Das hilft zu verstehen, dass nichts mehr offensichtlich ist. Zum Beispiel war es unmöglich vorherzusagen, dass es eine keynesianische Reaktion nach dem World Trade Center geben würde. Und es war nicht offensichtlich, dass sie zuerst diesen internationalen Anti-Terroristen-Club formen würden, bevor sie Afghanistan bombardieren.
Diese Debatte hilft uns zu verstehen, dass die kapitalistische Revolution immer voranschreitet und wir mit ihr mithalten müssen. Um uns jetzt dem Thema der täglichen politischen Aktivität zuzuwenden - wir haben festgestellt, dass es sehr nützlich ist, über Empire zu reden, wenn wir über Globalisierung reden, weil die Leute, die in der klassischen Tradition stehen, den amerikanischen Imperialismus zu analysieren, jene sind, die an Avantgarden und Massen glauben. Das sind auch die gleichen Leute, die glauben, diese Bewegungen, die antikapitalistischen Bewegungen, seien reformistische Bewegungen, und deshalb ist es sehr nützlich für uns, neue Kategorisierungen einzuführen.
Wir müssen außerdem zeigen, dass es große Widersprüche in all den Prozessen, über die wir reden, gibt. Wir müssen nicht nur eine universale Idee der Bewegung finden, sondern auch eine universale Idee des Systems. Zum Beispiel müssen wir über die Idee der Ersten, Zweiten und Dritten Welt hinausgehen, und diese Konzeptualisierung wird sehr nützlich sein, wenn wir es mit dem Gegenstand des permanenten globalen Krieges zu tun haben, was ein anderes wichtiges Thema ist, das die ganze Diskussion über Globalisierung betrifft. Diese Bewegung hat bis jetzt den Krieg nicht diskutiert - real hat sie über den Markt, die politische Regierung des Marktes, über das Finanzwesen und Geld geredet. Es fehlte eine grundlegende Diskussion über die Armee. Die andere Sache ist dieses Thema des permanenten globalen Krieges. Ohne Krieg könnten all diese Prozesse nicht zusammengehalten werden. Bei diesem Gegenstand ist es wichtig, zu dem Zapatistenführer Marcos zu gehen, der von dem vierten Krieg spricht - das heißt, Krieg in niedriger Intensität, als permanente Bedingung für Krieg. Diese Theoretisierung war sehr nützlich für uns bei dem Versuch, die aktuelle Bewegung Richtung Krieg zu verstehen und wie mit dem Thema Frieden umzugehen ist - all das verändert das genaue Konzept von Frieden. Denn, wenn wir permanenten globalen Krieg haben, muss der genaue Gegenstand Frieden noch einmal komplett neu überdacht werden, weil Frieden nicht länger die Abwesenheit von Krieg bedeutet. Es wird sehr interessant zu sehen, was du darüber denkst, was Kriegsführung in niedriger Intensität angeht.

Alex: Ob wir die Unterscheidung zwischen Erster, Zweiter und Dritter Welt weiterhin akzeptieren oder nicht, es ist sicherlich wahr, dass die Periode des Friedens seit 1989 eine gewesen ist, in der es vielleicht Frieden in den reichen Ländern gab, aber in großen Teilen des Rests der Welt schreckliche Kriege. Nur ein Beispiel - in der Demokratischen Republik Kongo gab es einen Krieg im Wesentlichen um Ressourcen, um den enormen Reichtum des Landes, in dem zweieinhalb Millionen Menschen seit 1998 gestorben sind. Keine drei Schweigeminuten für sie. Natürlich war das, was in Manhattan passiert ist, eine riesige Greueltat, aber es gibt eine sehr realistische Sichtweise, nach der es ein Moment war, in dem die Kriege im Rest der Welt plötzlich in das Herz des Systems übergriffen. Deshalb muss die herrschende Klasse der US sie natürlich dahin zurücktreiben, wo sie wirklich hingehören, so dass sie das Innerste des Systems nicht bedrohen.
Darum ist es wahr, dass die Vorstellung, dass wir in einer befriedeten Welt leben, eine Obszönität ist. Dies wirft die wichtigen Fragen nach dem Zusammenhang zwischen all diesen Kriegen und der Struktur des Systems auf. Es ist ein sehr wichtiger Test für die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung, weil Seattle nach dem Kosovokrieg stattfand, und die Bewegung, als sie begann, keine Position zu Krieg und imperialer Macht beziehen musste. Der wirkliche Test jetzt ist, ob die Bewegung verstehen kann, dass, um eine effektive anti-kapitalistische Bewegung zu sein, sie ebenso eine anti-imperialistische Bewegung sein muss. Ich denke, die Zeichen sind bis jetzt sehr positiv. Wenn diese Sache direkt nach Seattle passiert wäre, ich weiß nicht was passiert wäre. Aufgrund der kumulativen Erfahrung, und im Besondern der Erfahrung von Göteborg und Genua, lernten die Leute schon, dass Kapitalismus nicht nur Geld ist, sondern auch mit Gewehren daherkommt. Deshalb denke ich, dass es eine gute Aussicht gibt, dass, wenn wir gut auf diese Krise antworten, diese Bewegung stärker daraus hervorgehen kann, nicht nur was die Unterstützung angeht, sondern dass sie auch ein tieferes politisches Verständnis bekommen kann.

Quelle: Socialist Review , Nr.258, Dezember 2001




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