Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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Ahmed Shah

Israel und die antinationale Linke

Eine internationale Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Befreiungskampf ist längst überfällig, auch in Deutschland. Ein Hindernis dazu stellt seit Jahren die Linke dar, die sich „antinational“ oder „antideutsch“ nennt und Teile der autonomen und ehemals stalinistischen Linken umfasst. In den letzten 10 Jahren veröffentlichten sie Artikel in Blättern wie Konkret, Jungle World oder Bahamas, in denen sie den israelischen Staat verteidigen und die Intifada der Palästinenser angreifen. Sie sehen im politischen Islam oder dem Islam an sich die Hauptgefahr für den Weltfrieden heute. Einige sind nach dem 11. September sogar zu Befürwortern des militärischen US-Feldzugs gegen Afghanistan und einer Ausweitung des Krieges geworden. Diese Herangehensweise führt in die politische Sackgasse.

Der US-Krieg gegen den Irak 1991

Das Problem dieser Gruppen verschärfte sich 1991 während des Golfkrieges. In Deutschland gingen damals Hunderttausende Kriegsgegner auf die Strasse. Doch die Bewegung kam unter ideologischen Beschuss. Der irakische Diktator Saddam Hussein instrumentalisierte die Palästina-Frage, indem er Raketen auf Israel abschoss, um seine Isolation in der arabischen Welt zu durchbrechen. Die Kriegsbefürworter gingen daraufhin in die Offensive: die Friedensbewegung sei antiamerikanisch, für die Diktatur Husseins, und deshalb antiisraelisch und antisemitisch. Linksliberale Persönlichkeiten wie Wolf Biermann und Hans Magnus Enzensberger gingen dabei offen auf die Seite der US-Administration über. Teile der radikalen Linken folgten dieser Logik. Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza unterstützte offen den US-Feldzug. Er schrieb später:
„Jahrzehntelang überwog Israels Part als Kronkolonie des Imperialismus, heute überwiegt (...) seine fortschrittliche Rolle. Das Datum des Wandels fiel mit dem der weltpolitischen Wende zusammen, und wie schwer es damals fiel, ihn als solchen wahrzunehmen, zeigte sich nicht zuletzt 1991 im Streit um die Bewertung des Golfkriegs, in dem KONKRET ein Drittel seiner Leserschaft verlor, weil es Israel (...) in Schutz nahm.“
Nach der „Wende“ von 1989 – dem Zusammenbruch des Ostblocks – brach auch ein Großteil der Linken in Deutschland zusammen, da sie die Wende als eine welthistorische Niederlage für die Linke betrachtete. Von Rechtsruck, „Drittem Reich“ und „Faschisierung“ in Deutschland, der Stärkung der nationalistischen Bewegungen in der Dritten Welt und des ‚reaktionären’ Islams in der arabischen Welt, von einer antisemitischen ‚Konterrevolution’ gegen Israel war die Rede. Ihre Schlussfolgerung war: 1. die einzig verbleibende Supermacht, die USA, als Bastion gegen das wiedervereinigte Deutschland und als Ordnungsmacht gegen die islamische Bewegung in den arabischen Ländern zu unterstützen, und 2. Israel als Bollwerk gegen den Antisemitismus zu verteidigen. In diesem Geist griff Anton Landgraf in der Jungle World nachträglich die Friedensbewegung von 1991 an, da sie sich „nicht gegen die Vernichtungspläne Husseins, sondern gegen den Feldzug der Amerikaner“ richtete. Mit dieser Position unterstützten sie nicht nur den Mord an über 100.000 Irakis durch US-Bomben, sondern auch die bisher circa eine Million Toten durch das US-Embargo seit 1991.

Solidarität mit Israel?

Gremliza beschreibt Israel als einen „Brückenkopf der ersten Welt in einem Teil der dritten Welt.“ Das meint er nicht im negativen Sinne: Er ist „außerdem und eben darum (...) stets zugleich eine Agentur neuzeitlicher Aufklärung in einer Region weltgeschichtlichen Mittelalters.“ Es gibt vier Probleme mit diesen Aussagen. Erstens läuft es in letzter Konsequenz auf eine rassistische Haltung hinaus – die Araber könnten sich nicht selber von bestimmten reaktionären Traditionen befreien. Zweitens zeigt es ein falsches Bild von der arabischen Welt. Der Kapitalismus ist ein globales System, das sich in alle Winkel der Welt ausgebreitet hat. Öl ist kein mittelalterlicher Rohstoff, sondern zentraler Machtfaktor der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Beirut, Kairo, Bagdad und Damaskus sind keine feudalen Dörfer, sondern moderne kapitalistische Großstädte. Drittens hat der westliche Imperialismus keinen Fortschritt in dieser Region gebracht, sondern behindert diesen durch Kolonisierung, die Kontrolle über die Öl-Quellen und die ständigen militärischen Interventionen. War denn die Kolonisierung von Indien und Afrika rechtens, hat es den Menschen den Fortschritt gebracht? Kann Fortschritt nur durch westliche Kanonen durchgebombt werden? Und viertens: Israels Vertreibung der Palästinenser hat keine „neuzeitliche Aufklärung“ gebracht, sondern Millionen Menschen zum Flüchtlingsdasein degradiert und die ganze Region in einen Krieg ohne Ende verwickelt.
Tobias Pflüger schreibt richtig: „Konsequent gegen Rassismus und Antisemitismus vorzugehen, bedeutet auch rassistische Muster in unserem Denken anzugehen. Vielleicht hängt die Affinität vieler im Westen zu Israel mit der (vermeintlichen) kulturellen Nähe der israelischen Gesellschaft mit westlichen Gesellschaften zusammen. Bei so manchen (derzeitigen) Plädoyers ‚für Israel’ werden rassistische Muster, insbesondere gegen ‚den Islam’ und ‚die Araber’ deutlich. Dieser Rassismus ist nicht besser, nur weil er sich teilweise ‚links’ schimpft.“
Wer für das Existenzrecht der jüdischen Bevölkerung ist, was alle Linken sein müssen, muß in aller Deutlichkeit die Regierungs-, Besatzungs- und Kriegspolitik des israelischen Staates – eines zionistischen, d.h. rein jüdischen Staates, der auf der Verschmelzung von Religion und Staat beruht, diesen als Heimstätte aller Juden weltweit versteht und allen Juden volle Staatsbürgerrechte garantiert, zugleich aber Palästinensern, die dort geboren sind, ihr Rückkehrrecht versagt – kritisieren.
Es ist wichtig zwischen der Kritik am Zionismus und Antisemitismus zu unterscheiden. Es ist zwar richtig, dagegen zu argumentieren, einen Vergleich einiger Greueltaten des israelischen Staates mit den Handlungen der Nazis anzustrengen. Das ist – bei aller Gewalt – falsch und verkennt den Charakter des Nationalsozialismus. Der Holocaust stellt eine Einzigartigkeit in der bisherigen Geschichte dar. Wenn der Holocaust jedoch eines lehrt, dann jenes: Wir müssen uns gegen jegliche Form von Rassismus und Unterdrückung widersetzen, wo immer sie sich äußert. Der Tatbestand der Unterdrückung von Palästinensern muß daher thematisiert werden. Und: Eine Lösung des Konfliktes – das gleichberechtigte Zusammenleben von Juden und Palästinensern – ist nur gegen den heutigen israelischen Staat möglich.
Mit dem Antisemitismus-Vorwurf erschwert Israels Regierung eine echte Bekämpfung des Antisemitismus, der noch immer weltweit existiert. Die deutsche Linke sollte auf antizionistische Juden wie Noam Chomsky und seinen Appell mit 33 jüdischen Intellektuellen hören: „Wir Juden müssen ein Ende des Krieges gegen die Palästinenser und der israelischen Besetzung des Westjordanland und Gaza, das Recht auf palästinensische Selbstbestimmung und den Abbau der israelischen Apartheid fördern. Es ist nicht in unserem Interesse, dass wir die Zustände, die Widerstand und Blutvergießen andauernd reproduzieren, verstärken. Solidarität mit den Palästinensern ist in Wirklichkeit Solidarität mit den Juden.“

Faschismus mit islamischem Antlitz?

Die antinationale, antideutsche Linke betrachtet die Intifada und den Widerstand gegen die amerikanische Herrschaft in der Region als reaktionär oder gar als faschistisch, weil dort auch fundamentalistische Kräfte und der Islam generell Einfluss haben. Das antideutsche Blatt Bahamas schreibt:
„Ihr Vorbild ist das antisemitische Mörderkollektiv der NS-Deutschen. Deren Führer Adolf Hitler unterschied zwischen einem ‚Antisemitismus des Gefühls’ und einem ‚Antisemitismus der Vernunft’. Die erste Kategorie hielt er für eine Voraussetzung der zweiten, der er als der effektiveren zur Durchsetzung verhelfen wollte. Der Lynchmob von Ramallah fällt unter die erste Kategorie. Das präzis geplante Massaker vom 11. September ist der Beginn einer Neuauflage der zweiten“.
Die Jungle World zitiert zustimmend Christopher Hitchens aus einem amerikanischen Blatt, der von „einem Faschismus mit islamischem Antlitz“ spricht.
Die Parallelen sind künstlich und unhistorisch. Nazi-Deutschland war eine der grössten imperialistischen Mächte der Welt und führte einen weltweiten Expansionskrieg. Der Antisemitismus war die Grundideologie einer faschistischen Massenbewegung. Sie konnte an die Macht gelangen, weil sie dem deutschen Kapital versprach, die deutsche Arbeiterbewegung zu zerschlagen.
Die Palästinenser sind Opfer des Imperialismus, nicht ihre Vollstrecker. Sie sind durch Gewalt zionistischer Terrororganisationen und in Komplizenschaft mit der grössten imperialistischen Macht der Welt, den USA, aus ihrer Heimat vertrieben worden. Die arabischen Länder im Nahen Osten waren gestern westliche Kolonien und heute stehen sie unter dem Einfluss der grössten, meist amerikanischen, Ölkonzerne der Welt. Deshalb ist Israel und sind die USA das Hassobjekt für Millionen Araber geworden. Die arabischen Massen sehen den Kampf gegen israelische und amerikanische Vorherrschaft als Teil des Kampfes für ihre eigene Emanzipation. Nicht eine imperialistische Rassenideologie (Ideen einer „weißen“ oder „arischen“ Herrenrasse) liegen den antiisraelischen Stimmungen der arabischen Massen zugrunde, sondern die Erfahrung realer Ungleichheit.
Der politische Islam ist leider ein einflussreicher Faktor in der Region geworden. Er wächst, weil die sekuläre Linke unter der Führung von Arafat und der PLO gescheitert ist. Das Abkommen mit Israel in Oslo hat keinen palästinensischen Staat oder die Rückkehr in die Heimat gebracht. Die Autonomie-Gebiete sind nicht mehr als ein von israelischem Militär abgeriegelter Flickenteppich arabischer Reservate. Und Arafats Autonomiebehörde ist selber eine abgehobene korrupte Macht geworden, die Oppositionelle aus der eigenen Bevölkerung in die Gefängnisse steckt. Beides ist die Grundlage für den Aufstieg der Hamas und die Verzweiflungstaten der Selbstmordattentäter.
Der politische Islam ist weder unser Verbündeter, kein Teil einer fortschrittlichen Bewegung, noch eine faschistische, reaktionäre Bewegung. Er ist nicht zu vergleichen mit dem traditionalistischem Wahabismus, der Interpretation des Islams, die in Saudi Arabien praktiziert wird. Es sind Bewegungen, dessen Kader aus intellektuellen und studentischen Schichten und aus Teilen der Staatsangestelltenschaft kommen, welche ihre Länder vom imperialistischen Joch befreien und entwickeln wollen. Eben die Schichten, die früher von den Linken angezogen wurden. Aber es ist ein widersprüchliches Phänomen. Gerade weil die Idee von der sozialen Erneuerung und der Kampf gegen den Imperialismus in religiöse Sprache verkleidet wird, gibt es ein Verwischen der Unterschiede islamischer und traditionalistischer Ansätze. Die unterschiedlichen Interpretationen ziehen unterschiedliche soziale Klassen an. Die religiöse Sprache kann verhindern, dass diese Unterschiede erkannt werden. Erneuerung kann einfach heißen, den ‚kulturellen Imperialismus’ zu bekämpfen, der den Islam ‚korrumpiert’ hat, und die früheren islamischen Werte und Gesetze wieder einzuführen, so wie die Wohlfahrtspartei in der Türkei und der FIS in Algerien es praktizieren. Es kann aber auch heißen, den Staat und die imperialistische Herrschaft in Frage zu stellen und diese direkt anzugreifen, wie die Hamas in Palästina. Oder es kann eine Mischung sein: Der Kampf für den Erhalt der Schleier der islamischen Frauen wird dann als Kampf gegen die westlichen Kapitalisten und deren Kultur angesehen, wie bei den Taliban in Afghanistan. In jedem Land gibt es Streit zwischen unterschiedlichen Strömungen und Spannungen zwischen den verschiedenen Klasseninteressen der Gesellschaften und innerhalb der zahlreichen Organisationen.

Amerikas Feldzug alles Gute wünschen?

Die antinationale Linke macht es sich sehr einfach: „Schlimmer als das Kapital“, so verurteilte Landgraf in der Jungle World die islamische Bewegung. In einen Krieg zwischen dem Westen und der islamischen Welt „ist der Kapitalismus seinen Feinden vorzuziehen.“ Sie müssten gestoppt werden, „wenn nötig auch mit Gewalt.“
Die „Verteidigung der Zivilisation“ ist für die Bahamas-Redaktion (wie für Bush) die Aufgabe der USA in ihrem Krieg gegen den Islamismus und den Islam. „Fanta statt Fatwa“ fordert die Jungle World. Die Bahamas wird zum Kriegsstrategen für die USA und Israel. Die Linke sollte „Amerikas Feldzug alles Gute wünschen (...) insoweit es zur Folge hat, dass im Windschatten der Militärschläge der insbesondere im letztem Jahr gestiegene internationale Druck auf Israel wenigstens temporär wieder weicht und Israel in die Lage versetzt, sich seinerseits ohne unerbetene Einmischung von außen der akuten Bedrohung angemessen zu erwehren“.
Die antinationale, antideutsche Position heißt mehr Krieg und ein größeres Blutbad im Nahen Osten. Früher gab es für sie nur die Alternative zwischen dem stalinistischen Staatskapitalismus im Osten und dem westlichen Kapitalismus. Heute scheint es für sie keine fortschrittliche Alternative zum westlichen Kapitalismus mehr zu geben.

Perspektive von unten

Aus dem Versuch, die besondere Rolle Deutschlands in der Unterdrückung der Juden zu betonen, ist eine Kriegsbefürwortung der größten imperialistischen Macht der Erde geworden. Es gibt aber eine andere Perspektive. Die 90er waren Jahre der Instabilität. Neoliberalismus und Krieg wüteten über diesen Planeten. Aber die Kehrseite war Widerstand von unten. Das Jahrzehnt fing mit dem Kollaps des Stalinismus im Osten an und endete mit dem Entstehen einer antikapitalistischen Bewegung im Westen. Es gab eine Rückkehr von Massenstreiks (z.B. 1995 in Frankreich) und revolutionären Situationen (Indonesien 1998 und Jugoslawien 2000). Die Bewegung gegen den US-Imperialismus in den islamischen Ländern war Teil dieser Entwicklung, wie auch die Intifada in Palästina. In diesen Kämpfen gibt es einen Streit um die Richtung, um die politische Führung. Die Linke heute sollte sich von diesen Kämpfen nicht fernhalten, sondern in ihnen eine sozialistische Perspektive aufzeigen.
Wie der Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung bzw. deren militärisches Gesicht auch gegen die Vorherrschaft der USA im Nahen Osten und ihren nützlichen Juniorpartner Israel zusammengebracht werden kann, zeigte die Beiruter Gegenkonferenz zum WTO-Gipfel in Katar im November 2001. 800 Menschen nahmen Teil. Ein Teilnehmer meinte:
„Den Leuten ist bewusst, dass es eine Verbindung zwischen dem antikapitalistischen Kampf, dem Kampf in Palästina und dem Widerstand gegen den Krieg in Afghanistan gibt.“ Ein anderer erklärte, wie ihn die internationale Bewegung inspiriert hatte: „Ich weiss, dass viele Menschen gegen die Globalisierung sind. Ich habe die Demonstrationen in Genua, Nizza und Barcelona im Fernsehen gesehen. Die Globalisierung betrifft uns alle. Ob sie im Norden oder im Süden leben.“ Ein Student bekam riesigen Applaus, als er sagte: „Kapitalisten im Nahen Osten und Europa sind Teil des selben Systems. Wir brauchen eine Bewegung der Einheit der Arbeiter auf der ganzen Welt, um das ganze verfaulte System zu zerschlagen.“
Hier liegt die Hoffnung in dieser Region und nicht in israelischen oder amerikanischen Bomben. Und: Je stärker kapitalismuskritische linke Bewegungen werden und sich international vernetzen, um so eher kann ein erneutes Aufkommen reaktionärer Bewegungen verhindert werden.





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