Sozialismus von unten
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Frankreich: Die andere Geschichte der 30er Jahre

Frank Renken

Um die politische Landschaft im Europa der 90er Jahre zu beschreiben, prägte der britische Marxist Tony Cliff den Begriff vom Film der 30er Jahre, der sich im Zeitlupentempo abspielen würde. In der Tat verdunkelte sich vor zehn Jahren das Bild beträchtlich. So wurden wir Zeuge der ersten Nazi-Pogrome seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Hoyerswerda 1991 und Rostock 1992, wie auch des damals scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs der "Republikaner" unter dem ehemaligen SS-Mann Schönhuber.
Dabei hatte Cliff keineswegs ein ausschließlich pessimistisches Bild vor Augen. Im Unterschied zu den 80er Jahren hatten wir es nicht mehr mit einer ausschließlichen Bewegung nach rechts zu tun. Sondern vielmehr mit einer politischen Polarisierung, in der deutlich erste Pendelschläge nach links zu vernehmen waren. Momentaufnahmen dieses neuen Films waren der große ÖTV-Streik von 1992, die Streiks der Metaller im Osten 1993 und in Bayern 1994, als auch die erfolgreichen (und illegalen) Massenstreiks in diversen Branchen gegen den Versuch des konservativen Kanzlers Kohl, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kippen. 1997 stürmten schließlich die Bergleute die Bonner Bannmeile und verhinderten so betriebsbedingte Kündigungen. Kurzum: Das "deutsche Modell" - die Gewerkschaften garantieren den sozialen Frieden gegen Lohnzugeständnisse durch die Unternehmer - erlebte in den 90ern Jahren eine ernste Existenzkrise.
Mit dem Wahlsieg der Sozialdemokraten 1998 hat der Klassenkampf in Deutschland so etwas wie eine Verschnaufpause eingelegt. Unter der irreführenden Parole "Bündnis für Arbeit" haben die Gewerkschaftsführungen den eigenen Mitgliedern Mäßigung auferlegt, um die Regierung zu stabilisieren. Doch europaweit ziehen sich Gewitterwolken zusammen, die im neuen Jahrzehnt den sozialdemokratischen Seiltanz auch in Deutschland zu einem raschen Absturz kommen lassen können. Die Konjunktur lahmt merklich und die Arbeitslosenzahlen ziehen schon wieder an. In Italien hat die Enttäuschung über die neoliberale Regierungspolitik des "Olivenbaum"-Bündnisses, in dem die sozialdemokratisierte ehemalige Kommunistische Partei die dominante Kraft bildete, dem Wahlerfolg des Reaktionärs und Gangsters Berlusconi den Weg geebnet. In dessen Kabinett sitzt nun die faschistische Alleanza Nationale, und in einem entsprechenden Geist hat sich die Polizei in Genua anlässlich der Proteste gegen den G8-Gipfel im Juli dieses Jahres auch aufgeführt. Diese Entwicklung bildet keinen Sonderweg, sondern wirft nur ihre Schatten auf andere Länder in Europa voraus. Grund genug, sich den Film der Dreißiger Jahre noch einmal genauer anzuschauen.

Faschistische Revolte

Denken wir in Deutschland an die Dreißiger Jahre, dann denken wir an Hitler. Doch jene Epoche war mehr als eine fatale Reaktionskette, die nach 1929 von der Weltwirtschaftskrise zur Machtergreifung Hitlers und schließlich zum Zweiten Weltkrieg geführt hat. Diese Ereignisse waren keineswegs durch einen unausweichlichen Automatismus innerlich miteinander verknüpft. Hitler konnte nur an die Macht kommen, da sich die politischen Organisationen der Linken - Sozialdemokraten und Kommunisten - einen mörderischen Bruderkrieg geliefert haben, anstatt Seite an Seite gegen die Nazis zu mobilisieren. Wie die Arbeiterbewegung durch Einheit im Kampf die Faschisten zurückschlagen kann, das haben die folgenden Jahre in Frankreich verdeutlicht.
Anfang 1934 erschien Frankreich als das Land in Europa, das nach Hitlers Machtergreifung als nächstes einem faschistischen Umsturz zum Opfer fallen sollte. Dafür sprachen eine Reihe von Faktoren. Eine ganze Anzahl faschistischer "Bünde" konnte unter den Bedingungen einer schweren wirtschaftlichen Krise Masseneinfluss gewinnen. Der Antisemitismus, dessen sie sich bedienten, war in den Reihen des französischen Kleinbürgertums stark verwurzelt und gekoppelt an einen ausgeprägten Hass auf den Kommunismus. Führende Politiker der seit eh und je regierenden Partei der 'Radikalen'* waren in die Affäre um den Bänker Stavisky verwickelt, in deren Verlauf Millionen an Francs veruntreut wurden. Gerüchte hielten sich hartnäckig, dass dessen vermeintlicher Selbstmord in Wirklichkeit ein Auftragsmord durch die Regierung war, um ihn zum Schweigen zu bringen. Darüber stürzte die Regierung, die fünfte in nur achtzehn Monaten.
Vor diesem Hintergrund marschierten die Faschisten am 6. Februar 1934 bewaffnet auf die französische Nationalversammlung zu, um die Neubildung einer Regierung aus Radikalen und Sozialisten zu verhindern. Die Polizei siegte in einer Straßenschlacht, die elf bis zwanzig Tote und über Tausend Verletzte auf beiden Seiten hinterließ. Unter dem Druck einer drohenden Belagerung des französischen Parlaments trat der neue Ministerpräsident Daladier zurück und machte einer Regierung der rechten Einheit Platz, zum Gefallen der Aufständischen.
Eine neue Regierung, die unter dem Druck des faschistischen Straßenterrors zustande kam. Wie würde Arbeiterbewegung reagieren?
Bis dahin, ganz gegen ihr heutiges Image, war die französische Arbeiterbewegung tief gespalten und impotent. Die schwere wirtschaftliche Depression untergrub angesichts der Massenarbeitslosigkeit ihre Streikmöglichkeiten. Die Sozialisten (SFIO) tolerierten verschiedene Hungerkabinette der Radikalen und hatten Angst vor der größeren Dynamik der Anhänger der Kommunisten (PCF), als dass sie sich allzu leicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Rechte geeinigt hätte. Die PCF betrachtete - wie die deutsche KPD zuvor - die Sozialisten der SFIO als "Sozialfaschisten", als "Zwillinge" der Nazis. Deshalb organisierten sie neben der großen Gewerkschaft der CGT eine eigene, "revolutionäre" Gewerkschaft, die CGT-U.
Kurzum, die Linke war so gespalten wie schon in Deutschland zuvor, dafür zahlenmäßig aber noch wesentlich schwächer. Doch die deutsche Erfahrung von 1933 alarmierte die bewusstesten Gewerkschafter. Die Arbeiter in Berlin waren ja durchaus bereit zur Gegenwehr gewesen, doch die führenden deutschen Gewerkschaftsfunktionäre versuchten sich lieber mit Hitler zu arrangieren, unterstützten 1933 sogar den Maifeiertag der Nazis - bevor ihre Büros von der SA gestürmt wurden. Dieses Mal sollten sie nicht durchkommen! Die CGT rief zum Generalstreik am 12. Februar auf. Koordinationskomitees von der SFIO bis zu den Anarchisten organisierten für den Streiktag antifaschistische Demonstrationen. Unter diesem Druck beteiligten sich selbst die sektiererischen Kommunisten, die noch Tage zuvor eine separate Demonstration organisiert hatten, an dem Aufruf.
So wurde der Streik vom 12. Februar 1934 ein Riesenerfolg. "In einem unvergesslichem Moment kamen die zwei Demozüge unter dem Schrei nach "Einheit! Einheit!" zusammen und schritten dichtgedrängt in Reihen die ganze Breite des Cours de Vincennes entlang. Das erste Mal seit Jahren marschierten sozialistische und kommunistische Arbeiter Seite an Seite."1

Dies war die Initialzündung, die in Deutschland immer gefehlt hatte. Einzelne Ortsverbände der SFIO begannen, gemeinsame Aktionen und Versammlungen mit den Kommunisten durchzuführen. Unter dem Druck der Parteilinken reagierte die nationale Leitung und schloss mit der PCF im Juli 1934 einen formellen Pakt gegen die Faschisten. Ausgehend von den Einzelgewerkschaften erreichte der neue Geist auch den sozialen Abwehrkampf. Im Dezember 1934 fusionierten verschiedene lokale Einheiten der Eisenbahnergewerkschaften. Gewerkschafter in der Bauindustrie, dem öffentlichen Dienst, der Elektrizitätswerke und dem Transportwesen bildeten Verbindungskomitees über die Spaltung der Dachverbände hinweg. Schließlich folgte im März 1936 die Wiedervereinigung der Dachverbände zur gemeinsamen CGT.
Der Drang nach Einheit beflügelte den Kampf. In nur zwei Monaten traten 250.000 Arbeiter der vereinten Gewerkschaft bei. Arbeiterkämpfe wurden zahlreicher, offensiver und endeten häufiger mit einem Sieg. Der 1. Mai war ein großer Erfolg. Trotz Drohungen durch die Unternehmer streikten an diesem Tag 120.000 Metallarbeiter. Bei Renault legten 20.000 die Arbeit nieder, so dass das Werk das erste Mal in 20 Jahren geschlossen werden musste.
Diese Entwicklung widerspricht all jenen, die auch heute noch in der traditionellen Zersplitterung und zahlenmäßigen Schwäche der französischen Gewerkschaften das Geheimnis der Kampfstärke der französischen Arbeiterklasse erblicken. Das Ergebnis der unter dem Druck von unten zustande gekommenen Einheit gegen die Faschisten und der Gewerkschaftsvereinigung war die komplette Verschiebung der politischen Koordinaten im Lande. Die große Mehrheit der Bevölkerung begann einen Ausweg aus der Misere zu sehen und schöpfte neue Hoffnung. Die Arbeiterklasse begann mit ihrem Elan die Mittelschichten zu beeindrucken. Dies versperrte den Faschisten den Weg, denn deren Erfolg basierte auf der Verzweiflung des von der kapitalistischen Krise geschüttelten Kleinbürgertums.

Volksfront

Die Kommunistische Partei konnte enorm von dieser Massenbegeisterung profitieren. Ihre Mitgliederzahl wuchs von 29.000 (1933) auf 288.000 (Ende 1936)2. Aber es war nicht diese Massenbegeisterung, die die Politik der PCF bestimmte. Sie stand unter dem maßgeblichen Einfluss Moskaus. Eine Revolution in Frankreich lag nicht im außenpolitischen Interessen der russischen Bürokratie unter Stalin. Dieser suchte vielmehr internationale Bündnispartner und schloss deshalb im Herbst 1934 mit dem französischen Außenminister und Mussolinibewunderer Pierre Laval einen Freundschaftsvertrag ab, der ausdrücklich Frankreichs "Bedürfnis nach Sicherheit" anerkannte.
So schlug die PCF einen spektakulären Purzelbaum. Warfen sie gestern die Sozialisten mit den Faschisten noch in einen Topf, wollten sie nun ein noch weitreichenderes Bündnis, das sogar die Partei der Radikalen mit einschloss. Es sollte sich bald herausstellen, dass dieses als "Volksfront" gegründete Bündnis faktisch die Unterordnung der Arbeiterbewegung unter einen Teil des französischen Bürgertums bedeutete.
Nachdem der Sozialist Blum an der Spitze der Volksfront auf einer Welle der Begeisterung im Mai 1936 gewählt wurde, glaubten die Arbeiter, nun sei endlich ihr Tag gekommen. Die Siegesfeiern wurden zu Demonstrationen für die soziale Umgestaltung. Die Arbeiterklasse begann, selbständig in Aktion zu treten, um sich das zu holen, was es von dem Sieg ihrer Parteien erwartete. Erste Streiks in der metallverarbeitenden Industrie rund um Paris brauten sich ab dem 26. Mai zu einer Welle zusammen. Als die Volksfrontregierung endlich am 4. Juni gebildet wurde, hatte eine Epidemie von revolutionärem Ausmaß das Land erfasst. Die Zahl der registrierten Streiks schnellte in einem Monat von 65 auf 12.142 an; die Zahl der Streikenden von 13.727 auf 1.830.938.
Keine Stadt oder Region, kaum ein Gewerbe, das nicht betroffen gewesen wäre. Und überall das gleiche Bild: Streik hieß gleich Besetzung. Von den rund 12.000 Streiks handelte es sich bei fast 9.000 um Besetzungen. Diese Taktik war die Antwort auf den Druck, den die Massenarbeitslosigkeit erzeugt hat. Die Besetzungen gaben den Arbeitern in den Verhandlungen mit den um ihr Eigentum besorgten Unternehmern ein Faustpfand in die Hand. Anders ausgedrückt bewies die französische Erfahrung von 1936, dass die Arbeiterklasse unter bestimmten politischen Bedingungen auch in Zeiten von wirtschaftlicher Depression und Massenarbeitslosigkeit kampffähig ist.

Machtfrage

Die 30er Jahre waren in Frankreich gleichbedeutend mit einem Kapitalismus am Abgrund. Es war die Politik von Kommunisten und Sozialisten, die ihn rettete. Als Reaktion auf die Streiks handelten Regierung, Gewerkschaften und Unternehmern eine zentrale Vereinbarung, das Matignonabkommen, aus. Es schrieb neue gewerkschaftliche Rechte der Arbeiter fest und setzte eine Leitlinie über Lohnerhöhungen zwischen sieben und fünfzehn Prozent. Im Parlament wurde erstmals das Recht auf bezahlten Urlaub und die 40-Stundenwoche durchgepeitscht. Im Gegenzug sollten die Besetzungen beendet werden und so die soziale Revolution vermieden werden.
Als das Matignonabkommen unterzeichnet war, traf das auf die Zufriedenheit der Streikenden. Doch dies war keineswegs mit dem Gefühl verbunden, nun sei alles bereits geregelt. Das Streikkomitee bei dem Metallunternehmen Hotchkiss bei Paris organisierte ein Treffen mit Vertretern von 33 benachbarten Fabriken, wo sie Zufriedenheit über das Abkommen und die Gewerkschaftsarbeit zum Ausdruck brachten. Doch darüber hinaus betonten die Delegierten, dass auf dieser Grundlage nun direkt - also ohne den Streik zu unterbrechen - das Minimum des Lohnzuwachses geregelt werden müsse. Der Wunsch wurde ausgesprochen, ein "Zentralkomitee" zu errichten, in dem Delegierte aller Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie vertreten sind. Kurzum, die Bewegung stand an der Schwelle, sich unabhängige Machtorgane, Räte, zu schaffen.
Die 700 Delegierten setzten in den folgenden Tagen den Unternehmen gar ein Ultimatum: Würden nicht innerhalb von 48 Stunden die Implementierung des Matignonabkommens durch eine vorgeleistete und bedeutsame Erhöhung der Löhne vor Ort vollzogen, dann forderten sie die Verstaatlichung der Waffenfabriken, sowie aller Firmen, die von Staatsaufträgen abhängig sind. Nachdem der zuständige Gewerkschaftssekretär den Unternehmern diese Erpressung überbrachte ... gaben die Bosse nach!
Hier wurde das ganze revolutionäre Potential der Streikbewegung deutlich. Sie stellte die Machtfrage auf die Tagesordnung. Das Problem bestand darin, dass es keine revolutionäre Partei gab, die dieser Tendenz einen organisatorischen Ausdruck gegeben hätte und innerhalb der Streikbewegung für die dauerhafte Formierung eigener Machtorgane gestritten hätte. Die trotzkistische revolutionäre Linke verfügte nicht viel mehr als über einige Hundert Anhänger. Ihre Positionen wurden von den Volksfrontparteien sehr schnell als die abenteuerlichen Ideen eines Haufens ewiger Querulanten marginalisiert.
So konnte die kommunistische Partei ungehindert ihr ganzes revolutionäres Prestige in die Waagschale werfen, um die Bewegung zurückzudrängen. Der KP-Vorsitzende Thorez betonte auf dem Höhepunkt der Bewegung am 11. Juni, das man es auch verstehen müsse, wie man einen Streik beende. Das Kleinbürgertum dürfe durch die Fortsetzung der Streiks nicht verschreckt werden und so in das Lager der Rechten getrieben werden. Dahinter steckte die Furcht, das Bündnis mit den Radikalen könnte platzen: "Wir dürfen auf keinen Fall die Arbeit der Regierung kompromittieren," so Thorez3. Die vermeintlich revolutionäre Kommunistische Partei verbarg hier hinter wohlklingender marxistischer Terminologie die Unterordnung des Klassenkampfes unter die Interessen des Bürgertums.
In den folgenden Tagen wurden Abkommen in den wichtigsten Industrien geschlossen, so dass die Schlüsselbereiche aus der Bewegung herausgenommen wurden. So flackerten zwar immer neue Streiks auf, doch das Gesamtbild wurde immer zerrissener. Später ging die Volksfrontregierung dazu über, durch das Mittel der Zwangsschlichtung neu aufkommende Streiks von vornherein zu unterbinden. Dies öffnete die Tür für eine enorme Offensive des Kapitals gegen die Errungenschaften der Streikbewegung. Eine massive Inflation fraß alle Lohnsteigerungen wieder auf. Das Kapital flüchtete außer Landes. Entlassungen, insbesondere der kämpferischsten Gewerkschafter, waren an der Tagesordnung. PCF und die SFIO stellten sich gegen jeden Widerstand, der stets als eine mögliche Schwächung des Bündnisses mit den Radikalen verstanden wurde. Als am 16. März 1937 eine linke Demonstration gegen eine faschistische Versammlung in Clichy protestierte, eröffnete die Polizei das Feuer und tötete sechs Antifaschisten.
Blums Liebesdienste gegenüber der kapitalistischen Ordnung wurden durch das Bürgertum nicht honoriert. Als sie sich wieder stark genug fühlten, stürzten die Radikalen im Senat die Blumregierung unter dem Druck der Banken. Es war derselbe radikale Ministerpräsident Daladier, dessen Verteidigung gegen die Faschisten 1934 die ganze soziale Bewegung auslöste, der im November 1938 das Militär einsetzte, um einen Generalstreik gegen die Angriffe auf die verbliebenen sozialen Errungenschaften zu brechen. Mit Ausbruch des Krieges gegen Deutschland wurden die Kommunisten verboten. Dasselbe Parlament, das 1936 die Volksfrontregierung im Amt bestätigte, um die Republik zu retten, räumte nun Marschall Pétain alle Vollmachten ein, um ein mit Nazideutschland kollaborierendes Regime in Frankreich zu errichten.

Europäische Revolution

Dieser tragische Ausgang ändert nichts an der historischen Erfahrung von 1936. Die Einheitsfront der Arbeiterklasse in der Aktion konnte selbst unter schwierigsten Bedingungen die Faschisten schlagen. Im Zuge dessen wurde die gesamte soziale Ordnung, die den Faschismus erst hervorbrachte, in ihren Grundfesten erschüttert. Und schließlich war Frankreich keineswegs eine isolierte Erfahrung. In England wurden die Faschisten Mosleys durch eine denkwürdige Schlacht in der Londoner Cable Street von Kommunisten, Gewerkschaftern und Labouranhängern gestoppt. In Minneapolis, USA, haben Arbeiter 1934 im Zuge einer Streikbewegung über einen Monat lang faktisch die Macht in der Stadt übernommen. Sechs Wochen nach Übernahme der Regierungsgewalt durch die Volksfront in Paris brach in Spanien eine veritable soziale Revolution aus.
Eine gemeinsame revolutionäre Front in Europa war 1936 möglich geworden, und dies hätte den Ausgang des Jahrzehnts vollständig verändert. Es war die politische Führung in der Linken, die die Arbeiteraktionen kanalisierte, eindämmte, zurückhielt und schließlich brach, die den faschistischen Kriegstreibern und Völkermördern so den Weg freimachte. Trotzki definierte die Krise der Menschheit als eine Krise der revolutionären Führung. Er formulierte rückblickend nach der Niederlage in Frankreich Ende 1938: "Am 9. Juni 1936 schrieb ich, "Die französische Revolution hat begonnen." Es kann scheinen, dass die Ereignisse diese Diagnose wiederlegt hätten. Die Frage ist in Wirklichkeit komplizierter. Dass die objektive Situation in Frankreich revolutionär war und bleibt, darüber kann kein Zweifel bestehen." Indes: "Die jüngste Geschichte hat eine Reihe tragischer Bestätigungen des Faktums mit sich gebracht, dass die Revolution nicht aus jeder revolutionären Situation heraus geboren wird, sondern dass eine revolutionäre Situation konterrevolutionär wird, wenn der subjektive Faktor, das heißt die revolutionäre Offensive der revolutionären Klasse, nicht rechtzeitig dem objektiven Faktor zu Hilfe kommt."4

* Der Name Radikale erscheint heute verwirrend. Bei ihnen handelte sich um die führende Partei der Bourgeoisie im Frankreich zwischen den beiden Weltkriegen.

1.  Jacques Danos, Marcel Gibelin: June '36. Class struggle and the Popular Front in France; London, Bookmarks, 1986, S. 34.
2.  Tony Cliff: Trotsky. the darker the night, the brigther the star. Volume 4, 1927 - 1940; London, Bookmarks, 1993, S. 195.
3.  ebenda., S. 107.
4.  Leon Trotsky, L'heure de la décision approche.... Sur la situation en France, in: P. Broué (Hg.), Le mouvement communiste en France (1919 - 1939); Paris, Minuit, 1967, S. 606 f.




Sozialismus von unten, online Ausgabe Winter 2001