Sozialismus von unten
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Weltwirtschaft am Abgrund?

Der globale Kapitalismus befindet sich in seiner schwersten Krise seit den 1930'er Jahren, und die Bombardierung von World Trade Center und Pentagon haben nur vor Augen geführt, mit welcher politischen Instabilität diese Krise einhergeht.

Die verheerenden Anschläge in den USA haben die wichtigsten Börsenindizes abschmieren lassen. Sie haben zweifelsohne Verunsicherung ausgelöst und das viel beschworene Vertrauen der Investoren beschädigt.

In den nicht direkt gefährdeten Bürotürmen Manhattans ging der Kapitalhandel aber auch während der Katastrophe weiter, und als Ersatz für New York dienten bald die Handelsplätze London und Frankfurt. Alle möglichen Anlässe können Panik an den Börsen auslösen und eine spekulative Blase zum Platzen bringen. Ob der Terror des 11. September ein solcher Anlass gewesen ist, wird sich erst noch zeigen. Jegliche Euphorie ist ohnehin längst aus den Kapitalmärkten gewichen, und die Vorhersagen für den Zeitpunkt des nächsten Aufschwungs sehen diesen in die immer fernere Zukunft schwinden. Der globale Kapitalismus befindet sich in seiner schwersten Krise seit den 1930'er Jahren, und die Bombardierung von World Trade Center und Pentagon haben nur vor Augen geführt, mit welcher politischen Instabilität diese Krise einhergeht.

Treffend schrieb die Financial Times zu Neujahr, dass 2001 ein interessantes, möglicherweise aber ein gefährliches Jahr werden könnte. Tatsächlich dient die amerikanische Tragödie nun eher als Vorwand, um den mehr und mehr gequälten Zweckoptimismus für einen Moment aufgeben zu können. Die Prognosen waren auch vor den Attacken schon alles andere als rosig. Zum ersten Mal seit 1929 befinden sich alle wichtigen Zentren des Kapitalismus, die USA, Japan und Europa, gleichzeitig in Stagnation oder Rezession. Japan steckt seit mehr als zehn Jahren in einem Wachstumsloch, das die japanische Zentralbank zu überwinden versucht, indem sie die Leitzinsen nahe Null hält. Die Profitraten sind aber so gering, dass selbst diese Maßnahme nicht zu Investitionen in Produktionsmittel führt, die das Wachstum ankurbeln und/oder Arbeitsplätze schaffen könnten. Der EU-Raum hinkte 2000 mit einem Wachstum von mageren 2% sowohl dem vergangenen Boom der US-Wirtschaft als auch den meisten Krisenjahren der letzten Jahrzehnte hinterher. Dieses Jahr -und gerade in Deutschland, der größten Volkswirtschaft der EU- sehen die Werte für Wachstum und Arbeitslosigkeit noch schlechter aus.

Was den EU-Raum und Japan bisher vor dem Schlimmsten bewahrt hat, war der erstaunliche Aufschwung der US-Wirtschaft während des letzten Jahrzehnts, der zusammen mit dem wiedervereinigungsbedingten Boom in Deutschland den westlichen Kapitalismus aus der Krise von 1992/93 zog. Mit der seit rund einem Jahr vorhergesagten Landung der US-Wirtschaft erreichen wir nun den bisherigen Tiefpunkt der Anfang der 1970'er Jahre angebrochenen Krisenjahrzehnte. Die zahlreichen Krisen der 90'er Jahre konnten dank massiver Ausschüttung von Steuergeldern an bankrotte Spekulanten regional isoliert werden. So waren es ‚nur' die Wirtschaften von Mexiko (1994/95), Südostasien (1997/98), Russland und Brasilien (1998), die kollabierten und Millionen von Arbeiter(-familien) in den Ruin rissen. Aber die Ursachen der immanenten Probleme der kapitalitischen Produktionsweise wurden nicht aus der Welt geschafft. Wir haben es nicht mehr mit einzelnen, auf bestimmte Staaten begrenzten Problemen zu tun, sondern mit einer globalen Krise des Systems, die nur immer wieder an einem anderen Ort aufbricht. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist schrieb einen Tag vor dem Anschlag "Eine nach der anderen geraten die Wirtschaften der Welt ins Stolpern... von Japan und Taiwan bis Mexiko und Brasilien schrumpfen die Bruttoinlandsprodukte bereits... Die weltweite Industrieproduktion fiel in der ersten Hälfte 2001 um 6%... Willkommen zur ersten globalen Rezession des 21. Jahrhunderts."

Der amerikanische Boom endet wie noch alle Aufschwünge des Kapitalismus mit einem Abschwung, nur dass dieser mit jedem Mal tiefer und schwerer zu überwinden wird. Die Aufschwünge hingegen werden ‚kopflastiger' und instabiler. Der jüngste amerikanische Boom ist mit einer Senkung der Lohnquote am BIP einhergegangen und hat ein Ausmaß an sozialer Ungleichheit und Armut hervorgebracht, wie man es zuletzt in den 1920'ern gesehen hatte. Einzig die Produzenten von Luxusgütern können noch auf eine Sonderkonjunktur hoffen, da die Einkommen der obersten 10% -und besonders des obersten 1%- dramatisch angewachsen sind. Die Konsumnachfrage war so weitgehend kreditgestützt, dass die Verschuldung der amerikanischen Privathaushalte 1997 erstmals das Gesamtvolumen der Löhne und Gehälter überschritt. Bei der Modernisierung und Wettbewerbsstärkung der US-Wirtschaft lag der Schwerpunkt in den Clinton-Jahren auf Effizienzsteigerungen, Kosteneinsparung und Exportorientierung gepaart mit einem massiven Angriff auf Löhne, Sozialleistungen und Arbeiterrechte. Die zusätzlichen Steuergeschenke an das Kapital haben dazu geführt, dass der Anteil der Profite am BIP und die Profitrate sich Ende der 90'er Jahre wieder auf 9-10% erholt hatten. Damit lagen sie aber noch weit unter den Daten des Wirtschaftswunders und erreichten gerade wieder das Niveau von 1973. Vor allem aber haben die Produktivitätssteigerungen, die seit 25 Jahren dazu tendieren, das Wachstum der Industrieproduktion zu überschreiten, die Notwendigkeit und die Profitabilität von Investitionen in neue Produktionsmittel verringert. Hinzu kommt das Einfrieren der Einkommen für die breite Masse der Bevölkerung, das den Absatzmarkt für Konsumgüter schrumpfen lässt. Der IT-Boom der letzten Jahre gründete nicht auf realer Nachfrage, sondern auf der Hoffnung auf gigantische Verbraucherausgaben für Internetdienstleistungen in der Zukunft. Unternehmen spekulierten auf Telekommunikationsrechnungen von bis zu 20.000 DM pro Haushalt und Jahr.

Schon die bestehenden Produktionskapazitäten in der US-Industrie können nun nicht mehr rentabel eingesetzt werden; ihre Auslastung liegt in den USA derzeit bei nur noch rund 77%. Die Einrichtung der McJobs für die arbeitenden Armen unter Clinton lohnte sich nur noch aufgrund der kläglichen Löhne und geringen Investitionskosten für diese Beschäftigungen im leicht verzichtbaren Bereich der einfachen Dienstleistungen. In den letzten 12 Monaten sind in den USA 1 Million Jobs gekündigt worden.

Immer weniger von dem Kapitalüberschuss, der im Zuge dieser rabiaten Umverteilung von unten nach oben entsteht, wird -schon seit Anfang der 70'er Jahre- in der realen Wirtschaft reinvestiert. Das überproduzierte Kapital steht einem Mangel an Investitionsgelegenheiten gegenüber und kann den vollständigen Zusammenbruch der Rentabilität nur durch seine Verwertung an der Börse oder den Kapitalexport abwenden. Dieser Dynamik leisten die westlichen Regierungen, allen voran die US-Administrationen, seit Jahren Beistand. Neben der Deregulierung der ‚verkrusteten Strukturen' der Arbeitsmärkte (Tarifverträge, Mindestlöhne, Gewerkschaftsrechte) stehen hier vor allem die Liberalisierung der Finanzmärkte und der Einsatz für die Rechte und Freiheiten transnationaler Konzerne, die in der Dritten Welt als ‚ausländische Investoren' auftreten. Die drastische Überbewertung der Kapitalmärkte war ein Symptom des sich zuspitzenden Akkumulationsstaus auch in den USA als letztem Fluchtpunkt des global mobilen Kapitals. Dass diese Blase platzen würde, kündigten spätestens die "Spekulations-" und "Finanzkrisen" des letzten Jahrzehnts an. Jetzt, da sie es getan hat, wird das ganze Ausmaß der zugrundeliegenden Krise im Produktionssektor deutlich - und spürbar. Letztlich gründet auch diese Krise auf dem Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung des Wohlstands, d.h. aus der Begrenzung und gezielten Minimierung der gesellschaftlichen Konsumtionskraft durch die um Kostensenkung und Profite konkurrierenden Kapitalisten. Ergebnis ist noch immer ein Produktionspotential gewesen, das über der gesellschaftlichen Konsumtionskraft, also der ‚effektiven Nachfrage' lag. Die US-Regierung hat für die akut strauchelnden Firmen wie auch für die am 11.September betroffenen Banken unbürokratische Finanzspritzen zugesagt. Im Falle Japans schlug sogar die Financial Times die Verstaatlichung der wichtigsten Banken vor, um deren Bankrott zu verhindern, weil er den Rest der Wirtschaft in seinen Strudel ziehen könnte. Vorbei scheinen die Tage, als ein Ronald Reagan verkünden konnte, der Staat sei nicht die Lösung, sondern das Problem. Der Neo-Liberalismus als Lehre von der Nicht-Intervention des Staates, das ahnen auch Teile der herrschenden Klasse, würde angesichts der gegenwärtigen Krise genauso versagen wie der Liberalismus 1929-33. Ein erfolgversprechender Ersatz, der die Profitabilität der Wirtschaft sicherte, wurde damals nur in der massiven staatlich finanzierten Aufrüstung für den Zweiten Weltkrieg und die Blockkonfrontation gefunden.



 1.  vgl. WEED Bonn, Kapital braucht Kontrolle, S.29
 2.  The Economist, 10.Sept'01
 3.  Collins, Hutman, Sklar, Divided Decade, Boston '99
 4.  Wynne Godley, Motor starts to sputter, in: Financial Times, 10 Juli '98
 5.  Noam Chomsky, Profit over People, S.125
 6.  Martin Wolf, Financial Times, 28 Juni 2000
 7.  Joel Geier&Ahmed Shawki, Contradictions of the "Miracle" Economy, S.12,
 8.  International Scialism, Fall '97
 9.  Martin/Schumann, Die Globalisierungsfalle, S.210
10.  Financial Times, 6 Sept '01
11.  Junge Welt, 13 Sept 01, S.10
12.  Jörg Huffschmid, Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte, S.6
13.  Henryk Grossman, Das Akkumultions- und Zusammebruchsgesetz des kapitalistischen Systems, S.531f.
14.  Financial Times, 16 Jan '01




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001