Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

Hrsg.: Linksruck Netzwerk
Tel: 030 - 63.22.56.30
Fax: 030 - 63.22.56.21
e-mail: svu@linksruck.de
www.sozialismus-von-unten.de

[Nr. 07/01 · zurück zur Artikelauswahl]

[Index]    [Archiv]    [Kontakt]    [Links]



Tobinsteuer:
Wie kann die Macht des Finanzkapitals gebrochen werden?


Thomas Walter

Das Chaos

1997 und 1998 stand die Weltwirtschaft am Abgrund. Gewaltige Kapitalfluchtbewegungen aus den ostasiatischen Tigerstaaten, die gerade noch als Musterländer der Marktwirtschaft gelobt worden waren, ließen die Währungen dieser Länder abstürzen, ganze Jahrzehnte der Entwicklung wurden ausradiert, große Teile der Bevölkerung in Armut gestürzt. Die internationalen staatlichen Einrichtungen, wie der internationale Währungsfonds IWF, waren hilflos. Bis zuletzt hatten sie die Gefahr nicht erkannt oder nicht erkennen wollen. Ihre Lösung bestand dann in harten Sparprogrammen gegen die Bevölkerung. Das internationale Kapital, das die Investitionsruinen finanziert hatte, kam vergleichsweise ungeschoren davon. Dies war weder die erste noch die letzte Krise dieser Art.
Vielen Menschen wurde mit der Ostasienkrise die globale Bedeutung des Finanzkapitals so richtig bewusst. Der Traum vom "Volkskapitalismus" auf der Grundlage scheinbar unaufhaltsam steigender Aktienkurse war erschüttert (und ist inzwischen angesichts gesunkener Kurse ausgeträumt). Die "Finanzmärkte" standen am Pranger, "Marktversagen" wurde zum Schlachtruf. Die Menschen sind nicht mehr bereit, die Steuerung der Wirtschaft den Kapitalisten und ihren supranationalen staatlichen Institutionen zu überlassen.

Der Widerstand

Angesichts des Chaos auf den Weltmärkten, angesichts der sich vertiefenden Stagnationskrise in den großen kapitalistischen Staaten, der offensichtlichen Unfähigkeit der Regierungen die Probleme anzugehen, bildete sich Widerstand. Die Menschen wollten die Märkte nicht länger mehr als unangreifbare Naturgewalten hinnehmen.
Im Juni 1998 wurde Attac in Frankreich gegründet. "Entwaffnet die Märkte!" war eines der ersten Mottos, es stammte von der Zeitung "Le Monde Diplomatique". Es folgten "Die Welt ist keine Ware" und "Eine andere Welt ist möglich". Selbst im bürgerlichen Bewusstsein zeigten sich Risse oder man sah sich gezwungen, auf die Bewegung einzugehen. November 1998 meinte US-Präsident Clinton: "Die Wurzel des Problems liegt schon in dem Volumen und der Geschwindigkeit der Geldbewegungen - täglich 1,5 Bio. $ internationale Devisentransaktionen - weit, weit mehr als das Gesamtvolumen, das an Gütern und Dienstleistungen an einem Tag gehandelt wird." Auch von Christlich-Demokratischen Arbeitnehmern kommt Protest: "An den Börsen werden täglich weltweit über 1,5 Billionen Dollar umgesetzt. Wohlstand für alle? Nein: Denn 90 Prozent sind Spekulationsmasse, nur 10 Prozent gehen in die Produktion. Das ist Turbo- oder Kasinokapitalismus."
Für die Herrschenden war der Widerstand der Menschen eine böse Überraschung. Mit dem Zusammenbruch des Staatskapitalismus der Sowjetunion schien das Ende der Geschichte erreicht, es schien keine Alternative mehr zum Kapitalismus zu geben. Die Herrschenden waren der Meinung, sie könnten in Ruhe im Rahmen einer "neuen Weltordnung" die Probleme des Weltkapitalismus auf die ArbeiterInnen, auf die Bevölkerung abwälzen. Doch wo immer sich die internationalen Organisationen treffen, der Internationale Währungsfonds IWF, die Welthandelsorganisation WTO, die Weltbank, das World Economic Forum WEF, die Regierungen der sieben oder acht großen kapitalistischen Staaten G7 oder G8, die Europäische Union EU, ob in Seattle, Davos, Nizza, Göteborg oder Genua, oder jetzt im Dezember in Brüssel, der Protest reist mit ihnen. Neben diesen Protesten leisten ArbeiterInnen Widerstand, etwa in Argentinien gegen die Sparbeschlüsse des IWF, oder in Europa, etwa bei den Streiks gegen die Fluglinien.

Die Forderungen

Attac, eines der Sprachrohre des Protestes und inzwischen ein breites Bündnis, das von kirchlichen bis zu sozialistischen Gruppen (einschließlich Linksruck) und vom Bischoff bis zum marxistischen Professor reicht , stellt folgende Forderungen:

Die Einführung einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (z.B. Tobinsteuer).
Die Schließung der Steuerparadiese und "Off-Shore-Zentren" [steuerfreie Inseln im Ozean].
Keine Privatisierung der Alterssicherung (z.B. Pensionsfonds).
Das Verbot von spekulativen Derivaten und der hochspekulativen "Hedge-Funds" [eigentlich "Schutzhecken"-Fonds oder Risikofonds].
Schuldenstreichung für die Entwicklungsländer.
Strengere Banken- und Börsenaufsicht auch für die sog. institutionellen Anleger [Banken, Versicherungen, Investmentfonds, Pensionsfonds].
Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den drei Hauptwährungen Dollar, Euro und Yen.
Die demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen. Die stärkere Besteuerung von Kapitaleinkünften und großen Vermögen.

Angeführt werden die Forderungen von der Tobinsteuer. Was soll damit erreicht werden? "Wir betrachten die Tobin-Steuer als Einstieg in die Regulierung der Finanzmärkte. Sie würde Sand ins Getriebe der internationalen Spekulation streuen. Der Widerstand der großen Geldbesitzer, die an unregulierten Märkten verdienen, verhindert bisher die Einführung einer solchen Steuer. Viele Fachleute, aber auch Politiker, Gewerkschaften, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen befürworten die Steuer. Wir wollen auch in der Bundesrepublik dafür den Druck von unten verstärken." So die Erklärung von Attac. Zusammen mit Attac und anderen Organisationen unterstützt auch die Gewerkschaft ver.di die Tobinsteuer. Der Vorsitzende Frank Bsirske erläutert: "Unter unseren Mitgliedern herrscht breites Unbehagen gegenüber globalen Entwicklungen, die sich der Steuerung durch die Politik entziehen."
Die Tobinsteuer soll durch Besteuerung der internationalen Devisentransaktionen die Wechselkurse stabilisieren und kurzfristige Spekulation unterbinden. Jeder Devisentausch wird mit einer geringfügigen Steuer belegt. Dadurch werden alle Devisengeschäfte, die auf geringfügige Kursdifferenzen abzielen, insbesondere kurzfristige Spekulationen, unrentabel. Sie werden nicht mehr durchgeführt, es kehrt mehr Ruhe in das internationale Finanzgeschäft ein.
Als Nebenwirkung könnte die Tobinsteuer zu beachtlichen Einkommen führen. Huffschmid gibt bei einem Steuersatz von 1 % 340 Mrd. $ als Einnahmen an, die der Entwicklungshilfe dienen sollen. Andere erwarten bei einem Steuersatz von 0,1 % rund 150 Mrd. $, davon sollten rund 30 Mrd. $ in die Entwicklungshilfe. Attac schließlich erwartet von 0,1 % 250 Mrd. $ Einnahmen, womit wenigstens die schlimmsten Weltumweltprobleme beseitigt werden könnten.
Gegen die Privatisierung der Rentenversicherung wird gekämpft und dagegen, dass die Altersvorsorge der Arbeitnehmer ausgerechnet jenen Märkten anvertraut werden soll, die laufend verrückt spielen. Bei der Pesokrise 1995 z. B. konnte nur das massive Eingreifen des IWF zugunsten der US-amerikanischen Pensionsfonds verhindern, dass die Sozialbeiträge der US-ArbeiterInnen, die sie für ihre Altersvorsorge eingezahlt hatten, einem Finanzkrach zum Opfer fielen.
Es geht also Attac nicht darum, nur einzelne Mißstände anzugreifen. Vielmehr stehen die Übel des (neoliberalen) Kapitalismus alle in einem Zusammenhang, die auch insgesamt angegangen werden müssen.

Die Umsetzung

Wie können diese Forderungen durchgesetzt werden? Auf der Linken fragen manche Zweifler, ob die Forderungen etwa von Attac überhaupt durchgesetzt werden sollen. Sie bezweifeln, dass diese Forderungen tatsächlich ein Mittel gegen Krisen, Sozialabbau, Umweltschädigung, Armut usw. sind. Handelt es sich nicht um reformistische Forderungen, die nur innerhalb des Kapitalismus einige Verbesserungen erreichen wollen, den Kapitalismus aber selbst, obwohl der doch die Ursache aller Übel ist, nicht in Frage stellen?
Allgemein liegt die Bedeutung von Kämpfen um Teilziele darin: Im Kapitalismus liegt die Macht bei den Herrschenden, insbesondere werden die Medien vom Kapital kontrolliert. Die Menschen kämpfen deshalb naturgemäß zunächst immer gegen besonders auffällige Mißstände im Kapitalismus, wie niedrige Löhne, Sozialabbau, Ungerechtigkeit auf der Welt, Zerstörung der Umwelt. Die ArbeiterInnen lernen aber aus diesen Kämpfen. Sie lernen ihre eigene Stärke kennen und entwickeln, sie lernen, wie Kapitalismus funktioniert, wie ein Übel mit dem anderen zusammenhängt. Wir lernen uns so zu organisieren, wir lernen die Natur des Staates kennen, etwa wenn die Polizei die friedlichen Demonstranten angreift, wir lernen die Lügen der Medien kennen. Schließlich verweisen Gewerkschafter, die sich naturgemäß laufend mit der Frage um Reformen auseinandersetzen müssen, auf Marx zu gewerkschaftlichen Kämpfen:

... besagt das etwa, daß die Arbeiterklasse auf ihren Widerstand gegen die Gewalttaten des Kapitals verzichten und ihre Versuche aufgeben soll, die gelegentlichen Chancen zur vorübergehenden Besserung ihrer Lage auf die bestmögliche Weise auszunutzen? Täte sie das, sie würde degradiert werden zu einer unterschiedslosen Masse ruinierter armer Teufel, denen keine Erlösung mehr hilft. Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, daß in 99 Fällen von 100 ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des gegebnen Werts der Arbeit sind und daß die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen. Würden sie in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen. Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. ... Statt des konservativen Mottos: ‚Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!', sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: ‚Nieder mit dem Lohnsystem!'. [Gewerkschaften] verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.

Der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Henryk Grossmann stellt in ähnlicher weltwirtschaftlicher Lage wie heute kurz vor dem offenen Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 angesichts der damaligen Überakkumulation die Bedeutung der Kämpfe um Reformen so dar:

"....; erst jetzt wird uns verständlich, warum auf den hohen Stufen der Kapitalakkumulation jede ernstere Lohnerhöhung immer mehr auf steigende Schwierigkeiten stößt, warum jeder große ökonomische Kampf sich notwendig in eine Existenzfrage des Kapitalismus, also in eine politische Machtfrage verwandelt. ... Der Kampf der Arbeiterklasse um die Forderungen des Alltags verbindet sich so mit ihrem Kampf um das Endziel. Das Endziel, um welches die Arbeiterklasse ringt, ist somit nicht ein auf spekulativem Wege, ‚von außen' in die Arbeiterbewegung hereingebrachtes Ideal, dessen Verwirklichung unabhängig von den Kämpfen der Gegenwart der ferneren Zukunft vorgehalten ist, sondern es ist, wie das hier vorgetragene Zusammenbruchsgesetz zeigt, das Resultat, das sich aus den unmittelbaren Klassenkämpfen des Alltags ergibt und durch diese Kämpfe eine beschleunigte Realisation findet."

Das Kapital fürchtet reformistische Kämpfe also aus zwei Gründen. Einmal, weil sie das Bewußtsein der ArbeiterInnen ändern und so in einen revolutionären Kampf münden können. Die von Attac vorgebrachten Forderungen stellen bereits einen Bruch dar mit der herrschenden Weltanschauung, die zur Marktwirtschaft keine Alternative mehr sieht: "Eine andere Welt ist möglich!"
Der andere von Grossmann deutlich gemachte Grund ist die sich verschärfende Krise, die Reformen immer schwieriger macht. Schon "harmlose" Forderungen stellen inzwischen den Kapitalismus in Frage. Deshalb gibt es Widerstand von bürgerlicher Seite. Der Wirtschaftsdienst vom Hamburger Institut HWWA wettert gegen das "Irrlicht Tobin-Steuer". Der arbeitgebernahe iw-Dienst spricht von einem "Teil aus der Mottenkiste". Aus all diesen Gründen unterstützt Linksruck die Forderung nach einer Tobinsteuer.
Wie können diese Forderungen aber gegen einen krisengeschwächten und deshalb aggressiven und empfindlichen Kapitalismus durchgesetzt werden? Wir brauchen angesichts des Widerstands der Herrschenden eine Massenbewegung. Nur so kann Druck auf Institutionen, Parteien, Parlamente ausgeübt werden. Rot-Grün hat bewiesen, dass dem Vertrauen auf das Parlament enge Grenzen gesetzt sind. Die Gründung von Attac selbst zeugt von einem gesunden Misstrauen gegen die Macht der Parlamente. Neben der Mobilisierung von Massen und massenhaften Demonstrationen wird die Mobilisierung in die Betriebe hineingebracht werden müssen. Wenn sich die Grünen, der Bundeskanzler und die EU-Kommission inzwischen mit der Tobinsteuer befassen, dann ist dies dem Druck der breiten Bewegung zu verdanken und zeigt, dass so etwas erreicht werden kann.
Dabei löst die Bewegung auch Debatten aus um die Bedeutung von Reform und Revolution. Welche Rolle kann die Tobinsteuer gegen Finanzkrisen spielen? Wie sieht Marx die Krisen? Was ist Finanzkapital und Spekulation? Wie funktioniert der Kapitalismus?

Die Krise im Kapitalismus nach Marx

Im kapitalistischen Konkurrenzkampf wird erreicht, dass immer mehr je Arbeitsplatz produziert wird, auf der anderen Seite wird aber ein Arbeitsplatz immer teurer. Er muss mit immer teureren Maschinen ausgestattet sein, damit die Arbeitskraft darauf immer mehr produzieren kann. Nach Marx wird aber der Wert dieser vielen Produkte gar nicht größer, weil es für die Wertbestimmung auf die Arbeitszeit ankommt, die im kapitalistischen Durchschnitt zur Herstellung der Produkte notwendig ist. Das Verhältnis des Werts der Produktion, der sich nach der gesamtwirtschaftlichen Arbeitszeit bemisst, zum Wert der im Laufe der Zeit aufgetürmten Produktionsmaschinerie verschlechtert sich tendenziell. Dies ist das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate. Dabei sinkt die Profitrate für die Unternehmen, die die allerneuesten und allerteuersten Maschinen einsetzen, noch am wenigsten. Es ist also aus der Sicht des einzelnen Kapitalisten durchaus vernünftig, wenn er immer teurere Maschinen je Arbeitsplatz einsetzt, auch wenn der Kapitalismus insgesamt dadurch in Schwierigkeiten gerät. So kommt es zu immer tieferen Überinvestitionskrisen. Investitionen sind häufig nur noch profitabel, wenn andere Kapitale aus dem Markt gedrängt werden. Sonst erweisen diese Investitionen sich selbst als Investitionsruinen. Kein Wunder, dass der Kampf zwischen den Kapitalisten und zwischen den kapitalistischen Staaten immer härter wird.
Durch Vernichtung von Kapital in den verschiedenen Krisen bekommt der Kapitalismus wieder etwas Luft, gleichzeitig nimmt aber die Kapitalkonzentration (die Großen fressen die Kleinen) dadurch laufend zu, was sich lähmend auf den Kapitalismus auswirkt.

Dieser Profitratenfall wurde nach einer "Pause" von Weltwirtschaftskrise bis zum atomaren Wettrüsten Mitte der 60er Jahre wieder deutlich. Seit den 60er Jahren sinken die Profitraten weltweit. Die USA wollten deshalb durch das Drucken von Geld die Wirtschaft ankurbeln. Die gedruckten Dollarnoten mussten von den anderen Ländern gekauft werden, da sie nach dem System von Bretton Woods, das noch während des zweiten Weltkrieges unter Führung der USA gegründet worden war, verpflichtet waren, die festen Wechselkurse zum Dollar zu verteidigen. Damals begannen die Außenhandelsdefizite, die die USA einfach mit gedruckten Dollars bezahlten. Die "Verbündeten" finanzierten damit die US-Handelsdefizite und die US-Staatsausgaben mit. In den Tresoren der Zentralbanken der anderen Länder sammelten sich mehr und mehr an sich nutzlose Dollarscheine. Eigentlich war die USA verpflichtet, diese Dollar auf Verlangen gegen Gold zu einem festgelegten Preis einzutauschen. Doch bald war klar, dass alles Gold im Fort Knox dafür nicht mehr reichte. Die Spekulation gegen den Dollar begann. 1971 hob der US-Präsident Nixon die Golddeckung des Dollars einfach auf. Da die Konkurrenzstaaten der USA selbst mit der Krisentendenz zu kämpfen hatten, waren sie nicht mehr willig oder fähig, weiterhin den vorgeschriebenen Dollarkurs zu verteidigen und dabei US-Handelsdefizite und staatliche US-Ausgaben zu finanzieren (z. B. den damaligen Vietnamkrieg). 1973 brach das System fester Wechselkurse von Bretton Woods nach mehreren spekulativen Angriffen auf den Dollar endgültig zusammen. Die jetzt "befreiten" Wechselkurse begannen wild gegeneinander auszuschlagen. Die Zentralbanken versuchen bis heute durch Eingriffe, dem sogenannten "schmutzigen" Floaten im Gegensatz zum ""freien Spiel der Wechselkurse", die Wechselkurse zu stabilisieren mit zweifelhaftem Erfolg.
Damals begannen auch jene sog. Arbitragegeschäfte mit Devisen. Ist der Dollar in Tokio etwas billiger als in Frankfurt, werden riesige Mengen Dollar in Tokio gekauft und elektronisch in Frankfurt Sekunden später verkauft. So setzt sich auf dem Weltmarkt immer ein einheitlicher Weltmarktpreis für Devisen durch, aber immer nur fast. Arbitrageure versuchen die winzigen Preisunterschiede schnell auszunutzen, was nur dann einen Profit abwirft, wenn mit riesigen Mengen gehandelt wird. Die häufig erwähnten 1,5 Bio. $ täglicher Devisentransaktionen sind wohl hauptsächlich auf solche Arbitragegeschäfte zurückzuführen, die schon nach Sekunden wieder beendet sind.
In erster Linie gegen solche Kurzzeitgeschäfte war der Vorschlag von 1971 von James Tobin, dem US-amerikanischen Nobelpreisträger von 1981, gerichtet. "Ein bisschen Sand in das Räderwerk der Finanzen" zu schütten, war das Ziel, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Man kann sich in der Tat fragen, was das für ein Wirtschaftssystem ist, bei dem ständig viele Menschen mit viel Material damit beschäftigt sind viele Dollar, Yen und Euro zu verkaufen und gleich wieder zurückzukaufen, weil nicht anders ein einheitlicher Weltmarktpreis für Devisen zu haben ist. Doch der Kapitalismus hatte mit fallenden Profitraten und heraufziehenden Krisen größere Sorgen als nur Arbitrage.
Die Welt wurde immer unsicherer, die Kapitalisten immer ängstlicher. Es besteht die Gefahr, dass Kapitalisten ihr Geld nicht mehr investieren, sondern lieber im Tresor horten. Dann wird aber der Wirtschaftskreislauf unterbrochen und die Krise bricht offen aus. Für die kapitalistische Ordnung ging es also darum, wie ein angesichts der heraufziehenden Krisen ängstlich gewordener Kapitalist dazu bewegt werden kann, sein Geld doch zu investieren und das wachsende Risiko auf sich zu nehmen.

Finanzkapital und Spekulation

Versicherungen versuchen Risiken zu bewältigen, indem viele Risiken zusammengefasst werden. Nach statistischen Gesetzmäßigkeiten (Gesetz der großen Zahl) gleichen sich die Risiken im Durchschnitt aus - so die Lehre - oder gehorchen festen mathematischen Gesetzen. Je mehr Versicherungsnehmer eine Versicherung als Kunden hat, desto mehr kann sie sich auf diese Gesetze verlassen.
Die Kapitalisten versuchten sich gegen das wachsende Chaos ihrer Märkte zu versichern. Die Spekulanten handeln sozusagen als eine Art Versicherungsunternehmer mit solchen Risiken auf den Finanzmärkten. Will zum Beispiel ein Kapitalist des produzierenden Gewerbes zu einem zukünftigen Termin etwas verkaufen, kann er sich gegen Zahlung einer Prämie mit einer Put-Option gegen einen Preisverfall versichern, will ein anderer zu einem zukünftigen Termin etwas kaufen, kann dieser sich gegen Zahlung einer Prämie mit einer Call-Option gegen einen Preisanstieg versichern.

Umstritten sind in diesem Zusammenhang die sog. Derivate, also Geschäfte dieser Art, bei denen kein beabsichtigtes "reales" Geschäft im Hintergrund steht, sondern wo es nur um den Gewinn aus der Preisveränderung einer Ware geht. Vergleichbar grob mit jemandem, der eine Feuerversicherung auf ein Haus abschließt, das ihm gar nicht gehört. Derivate können sich auf reale Warenmengen beziehen, die viel größer als die in Wirklichkeit vorkommenden sind, was sich im Falle einer Fehlspekulation dramatisch auf den Realbereich auswirken kann. Das ist etwa so, wie wenn mehrere auf das selbe Haus eine Feuerversicherung abschlössen.

Um auf die infolge des Falles der Profitraten gestiegenen Risiken reagieren zu können, war eine gewaltige Ausweitung der Kundschaft der Spekulation (der "Versicherungsunternehmer") notwendig, um statistische Gesetzmäßigkeiten in noch größerem Umfang als bisher ausnützen zu können, eine Ausweitung nach außen und nach innen. Die Spekulation musste dazu eine Umwälzung im wissenschaftlichen, juristischen und politischen Überbau des Kapitalismus durchsetzen.

Nach außen: Globalisierung

Die Spekulation musste durchsetzen, dass sie sich weltweit beteiligen kann, um im "Portfolio" die richtige Risikomischung hinzukriegen. Der Gedanke ist, viele hochriskante Papiere, die aber auch mit hohen Gewinnchancen verbunden sind, die "Junkbonds" ("Ramschanleihen"), so zu einem Paket zusammenzufassen, dass insgesamt eine risikoarme Investition mit noch annehmbarer Gewinnchance herauskommt. Einige Projekte mögen zwar scheitern, aber diese Verluste werden durch hohe Gewinne anderer Projekte mehr als ausgeglichen. Dazu ist es aber erforderlich, dass ein Investor sich bei einem Hotel in Indonesien, bei einem Bürohaus in Argentinien und bei einem Bergwerk in Südafrika gleichzeitig beteiligen kann. Kapitalverkehrskontrollen mussten verschwinden, außerdem mussten riskante Investitionen an den Börsen zugelassen werden: Dies ist die Deregulierung des Neoliberalismus.
Solche Risikostreuungen hat es natürlich schon früher gegeben, aber mehr lokaler Art. Sie reichten nicht mehr für die zunehmende Krisenhaftigkeit des Kapitalismus aus. Weltweites Krisenmanagement ist jetzt gefragt. Lokal ergab das Verbot riskanter Spekulationen einen Sinn, im Weltmaßstab nicht mehr, weil jetzt das Risiko eines lokalen Projektes mit vielen anderen Risiken aus aller Welt zum Ausgleich gebracht werden sollte.
Tatsächlich werden so durch weltweite Spekulation auch Projekte finanziert, die früher als Einzelinvestition als zu gefährlich unterblieben wären. Als Teil eines Investitionspaketes ergibt die Investition jedoch einen Sinn. Manche führen den Anstieg der Aktien in den 80er und 90er Jahren zum Teil darauf zurück, dass zwar die Risiken der einzelnen Aktien größer geworden sind, durch Zusammenfassung der Aktien in "Portfolios" aber sozusagen versicherungsmathematisch das durchschnittliche Aktienrisiko gesenkt werden konnte. Die Krisentendenz mag so betrachtet durch die neue Spekulation verzögert worden sein.

Nach innen: Verbriefung

Nicht nur Projekte in anderen Ländern, auch solche in den großen kapitalistischen Ländern selbst mussten der Spekulation für ihren Risikoausgleich zur Verfügung gestellt werden. So vergeben Banken im Neoliberalismus keine Kredite an einzelne Unternehmen, das ist zu risikoreich. Um sich zu finanzieren, müssen die Unternehmen Aktien auf den Finanzmärkten verkaufen, also eine Aktiengesellschaft werden, oder (wie schon immer) festverzinsliche Wertpapiere, sog. Schuldverschreibungen, verkaufen. Die Banken sind zum Händler solcher Papiere (die "Briefe") geworden, die Risiken tragen die Käufer und Verkäufer dieser Papiere.
Besonderes Interesse zeigt die Spekulation an der Sozialversicherung. Wird diese über Kapitalmärkte abgewickelt, weitet dies die Handlungsmöglichkeiten (und Profite) der Spekulanten gewaltig aus. Außerdem kann der Staat Risiken auf die Arbeitnehmer abwälzen. Aber auch wo Teile der Sozialversicherung schon privat sind, wie in den USA, kommt es zu Verschiebungen. Profite, die in der US-Krankenversicherung bisher von Ärzten gemacht worden sind, werden inzwischen von den Finanzmärkten abgeschöpft. Die Ärzte sehen sich schon nach gewerkschaftlichem Schutz um.

Corporate Governance: Regulierung

Die Spekulanten können sich dabei nicht einfach auf die schon erwähnte mathematische Statistik verlassen. Eine Feuerversicherung z. B. interessiert sich nicht nur für statistische Gesetze, sondern auch dafür, ob das zu versichernde Haus aus Holz oder aus Stein gebaut ist. So verlangt die Spekulation inzwischen von den Unternehmen weltweit die Befolgung fester Regeln, z. B. das regelmäßige und häufige Vorlegen von Finanzberichten. Die mittelständischen Unternehmen mögen jammern, aber anders gibt es kein Geld mehr. Dies ist die Regulierung des Neoliberalismus. Wer die Abschaffung von Regulierungen beklagt, muss sehen, dass der Neoliberalismus lediglich neue Regulierungen an die Stelle von alten gesetzt hat.
Opfer sind Unternehmen, aber auch ganze Staaten. So musste Kenia 2000 für einen Kredit von 200 Mio. $ vom IWF 60 Bedingungen annehmen, darunter ein vom IWF diktiertes öffentliches Dienstrecht.

Arbitrage

Auf diesen neu geschaffenen gesetzlichen und politischen Grundlagen scheinen die Spekulanten auch im Krisenkapitalismus ihrem Geschäft nachgehen zu können. Die Profite zwacken sie dem Produktionsbereich ab, dessen Risiken sie ja auch übernehmen sollen. Viel ist angesichts sinkender Profitraten allerdings nicht zu verdienen. Ein größerer Profit springt oft nur heraus, wenn der Spekulant wenig eigenes Kapital einsetzen muss, also die neuen Möglichkeiten der Finanzinstrumente möglichst ausreizt.
Da nicht nur Spekulanten, sondern alle Kapitalisten billig einkaufen und teuer verkaufen wollen, ist eine Definition von Spekulation gar nicht so einfach. Der US-Finanzexperte Nasser Saber schlägt folgende Definition vor: Nach Marx investiert ein Kapitalist Geld G, um einige Zeit später mehr Geld G' zurück zu erhalten. Spekulanten sind Kapitalisten, die den Zeitraum zwischen G und G' auf null verkürzen. Kauf, Verkauf und Profit fallen im selben Zeitpunkt an. Wie geht das?
Eine Ware wird auf Termin verkauft, eine andere auf den selben Termin gekauft. Vor der Börsenaufsicht kann das eine Geschäft zur Deckung des anderen dienen, es ist kein Eigenkapital nötig. Steigt bis zum Termin der Preis der zweiten Ware im Verhältnis zu dem der ersten, fällt - dies lässt sich zeigen - zum Termin, wo Kauf und Verkauf abgewickelt werden, ein Spekulationsgewinn an. Der Spekulant hat dabei den Zeitraum zwischen G und G' auf null schrumpfen lassen, allerdings gibt es jetzt den Zeitraum bis zum Termin.

Die Krise schlägt zurück

Zunächst kann man also den Spekulanten als eine Art Versicherungsunternehmer auffassen, der andere Kapitalisten durch Termingeschäfte gegen Marktrisiken versichert und dabei selbst seinen Profit macht, indem er diese Termingeschäfte wie beschrieben zu Arbitragegeschäften nutzt. Wirft aber die Krise die Berechnungen über den Haufen, steht er plötzlich als verantwortungsloser Finanzjongleur da. Machte er eben noch Profite ohne Einsatz eigenen Kapitals, steht er jetzt plötzlich riesigen Zahlungsverpflichtungen gegenüber, die er nicht erfüllen kann und droht so auch noch durch eine Kettenreaktion die Krise zu verstärken. Häufig gerät die ursprüngliche auslösende Krise aus dem Blickfeld und der Spekulant steht allein als Verursacher der Krise da.
So hat beispielsweise der "Schutzfonds" ("Hedgefond") Long Term Credit Management (LTCM) auf Termin deutsche Staatspapiere verkauft und italienische gekauft, weil er die Einführung des Euro erwartete und daher erwartete, dass der Preis italienischer Papiere im Vergleich zu dem der deutschen steigen müsste. Für sich betrachtet keine besonders gewagte Spekulation. Die Krise 1997/1998 machte aber einen Strich durch die Rechnung. Auf einmal waren wieder sichere Staatspapiere aus der BRD besonders gefragt, so dass der Preis italienischer Staatspapiere im Verhältnis zurückfiel. Es drohten riesige Verluste. Um diese einzudämmen, kaufte LTCM schnell deutsche Staatspapiere, bevor diese noch weiter im Preis stiegen. Dadurch stiegen aber die Preise erst recht, andere größere Finanzinstitute, die die Verluste zunächst noch hätten tragen können, gerieten nun ihrerseits in Panik. Aus dem Fonds zur Absicherung gegen Risiken war ein Krisenverstärker geworden.
Die staatliche US-Zentralbank musste eine Rettungsaktion organisieren, sonst hätte eine "Kernschmelze" des internationalen Finanzmarktes gedroht mit verheerenden Rückwirkungen auf die Wirtschaft insgesamt. Dies sind die staatlichen Eingriffe im Neoliberalismus. Wer den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft im Neoliberalismus beklagt, muss sehen, dass der Neoliberalismus genau so auf Staatseingriffe angewiesen ist wie der alte Kapitalismus.
Auf diese Katastrophen der Finanzmärkte heben jene bürgerlichen Regulierer ab, die meinen, an der Krise des Kapitalismus seien die risikofreudigen Zocker der Finanzmärkte schuld. Weder Globalisierer einerseits noch Regulierer oder Reformer andererseits sehen die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus schon im Produktionsbereich oder im Kapitalismus insgesamt.

Von Reform zu Revolution

Marx hat theoretisch gezeigt, dass der Kapitalismus ein in sich widersprüchliches System ist, dass Produktionsbereich und Finanzbereich eine Einheit bilden und dass sich der Kapitalismus nicht reformieren lässt sondern nur als ganzes abschaffen und durch eine neue Produktionsweise ersetzen lässt, bei der die Gesellschaft die Produktion gemäß den Bedürfnissen plant. Auch nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Chaos des Kapitalismus immer deutlicher, wobei eine sich vertiefende Stagnationskrise mit gewaltigen Finanzkrisen einhergeht. Dagegen bildet sich Widerstand. So organisiert Attac in vielen Städten Aktionen für die Streichung der Schulden, für eine Kontrolle des Finanzkapitals, eine Umverteilung von Reich zu Arm, und bringt das ganze in Verbindung mit örtlicher Sparpolitik. Diskussionen über Kapitalismus und um Für und Wider von Regulation oder Reform werden angestoßen, etwa zur Frage der Tobinsteuer: Gelingt es das Finanzkapital zu bändigen? Kommt es bei erfolgreicher Eindämmung der Transfers zu weniger Einnahmen für Umwelt oder dritte Welt (vgl. Öko-, Alkohol- und Nikotinsteuer)? Oder umgekehrt, sprudeln die Einnahmen, weil die kurzfristigen Kapitaltransfers gar nicht reagieren werden? Holen uns hier die Widersprüche des Kapitalismus wieder ein?
Zur Frage der Umverteilung: Das Kapital muss den Schaden, den es in den Ländern der Dritten Welt angerichtet hat, wieder gut machen. Wir fordern mehr Entwicklungshilfe, Streichung der Schulden der Dritten Welt. Höhere Löhne und mehr soziale Sicherung! Aber wird dadurch der Kapitalismus mittels höherer Nachfrage stabilisiert? Sind diese Forderungen sozusagen im eigenen Interesse des Kapitals?
Nach Marx bringt es der Fall der Profitrate mit sich, dass höhere Löhne nichts für das Kapital bringen, die Profitrate wäre ja dann noch niedriger. Deshalb treibt der Kampf um Reformen weiter. Der Kampf um Reformen führt zur Erkenntnis, dass der Kapitalismus als ganzes und nicht nur seine Auswirkungen bekämpft werden muss. Schon im produktiven Bereich liegt der Kern des Problems. Die gewaltige Entwicklung des Finanz- und spekulativen Kapitals mit den Krisen ist nur ein Ausdruck der Probleme des Kapitalismus insgesamt. Der Kapitalismus als eigentliche Ursache für den Wahnsinn auf den Märkten muss daher in Frage gestellt werden. Dazu brauchen wir eine breite Bewegung. Attac mit seinem Vorstoß zur Tobinsteuer und mit den anderen Forderungen ist ein Schritt zu einer breiten Bewegung und Bewußtseinsbildung gegen den Kapitalismus. Das müssen wir unterstützen.

Kleine Geschichte der Finanzkrisen

Der Fall der Profitrate führte zum "Anlagenotstand". In den 70er Jahren wurde deshalb Südamerika als neues Investitionsgebiet auserkoren. Dazu mussten aber die Finanzmärkte Südamerikas "dereguliert" werden. Das Finanzkapital ging nur unter der Bedingung dorthin, dass es sich bei Gefahr sofort wieder zurückziehen könnte. Die Kredite wurden denn nur auf kurze Frist vergeben und mussten laufend verlängert werden, denn Kapital ist nun mal "scheu wie ein Reh". Verteidiger des Finanzkapitals weisen vielleicht nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass wenn man damals dem Finanzkapital nicht entgegen gekommen wäre, schon in den 70er Jahren eine schwere Weltwirtschaftskrise ausgebrochen wäre. Die Krise wurde aber nur verschoben.
Die Krisentendenz hielt an, der Kampf um Kredit zum Überleben wurde härter. Zum Dekadenwechsel 1979/1980 (Beginn des Neoliberalismus, Ende des Keynesianismus) erhöhte die US-Zentralbank schlagartig die Zinsen, um das internationale Finanzkapital in die USA zu locken. Folge: Südamerika konnte seine kurzfristigen Kredite plötzlich nur noch zu Wucherzinsen verlängern. Die südamerikanische Schuldenkrise brach aus. Der Kontinent musste Wucherzinsen an das internationale Finanzkapital zahlen. Die 80er Jahre sind sprichwörtlich zum "verlorenen Jahrzehnt" für Südamerika geworden. Die Armen zahlen an die Reichen.
Und weiter drehte sich das Krisenkarussell. In den 80er Jahren versuchte Japan, "beraten" von den USA, Geld zu drucken und seine Wirtschaft und damit vielleicht endlich die Weltwirtschaft anzukurbeln. Die Aktienkurse explodierten, was es den Unternehmen - wie gewünscht - erleichterte, allerlei Investitionsprojekte anzuleiern. Als diese sich angesichts der weltweiten Überinvestition als Investitionsruinen entpuppten, implodierten die Aktienkurse. Die japanische Wirtschaft liegt seitdem am Boden.
In den 90er Jahren wurden die ostasiatischen Tigerstaaten zu Wundern der Marktwirtschaft erklärt. Wieder wagte sich das Finanzkapital nur auf kurze Frist in diese angeblichen Tiger des Neoliberalismus. Die Kredite mussten laufend verlängert werden. Es kam wie es kommen musste. Die Investitionen erwiesen sich als Überinvestitionen, das Finanzkapital zog sich sofort zurück. Die betroffenen Länder wurden um Jahre zurückgeworfen. Die Tiger sind seitdem zahnlos. Die Arbeiterklasse muss die Krise ausbaden.
Und so weiter, und so weiter....
Diese Geschichte zeigt, dass Finanzkrisen eng mit Überinvestitionskrisen im Produktionsbereich verquickt sind.



Fußnoten

· (1) "Die Krise hat in Indonesien drei Jahrzehnte Entwicklung ausgelöscht", so eine Meldung der FAZ vom 6. April 1999.
· (2) Jörg Huffschmid; Gegen die Diktatur der Märkte - eine andere Welt ist möglich - Thesen bei einer Veranstaltung von attac, 10.12.1999; S. 6: http://homepage.mac.com/attaczh/Doc/Huffschmid.htm; seit der Liberalisierung der Finanzmärkte, so Huffschmid, hat die Zahl und die Intensität von Finanzkrisen wieder zugenommen, die vielfach internationale Dimensionen annahmen: Anfang der 80er Jahre die lateinamerikanische Schuldenkrise, 1987 der Börsenkrach in New York; 1992/93 die Krise des Europäischen Währungssystems, 1994/5 die Mexikokrise (50 Mrd. $ Hilfspaket des IWF), 1997 Asienkrise, 1998 Rußland, 1999 Brasilien, Ecuador. Die Reihe lässt sich fortsetzen: 2001: Türkei (19 Mrd. $ Kredit), Argentinien (im Dezember 2000 40 Mrd. $ IWF-Kredit, jetzt zusätzliche 8 Mrd. $), Brasilien (bis jetzt 15 Mrd. $ IWF-Kredit).
· (3) Association pour une Taxation des Transactions financières pour l´Aide aux Citoyens; etwas: Verein für eine Besteuerung der finanziellen Überweisungen zur Unterstützung der Bürger.
· (4) Clinton zitiert nach Daniel Ben-Ami, Cowardly Capitalism - The myth of the global financial casino. Chichester, New York 2001, S. 90; Friedhelm Schnorrenberg, Soziale Ordnung 5, 2001, S. 8
· (5) http://www.attac-netzwerk.de/erklaerung/erklaerung.html; http://www.attac-netzwerk.de/ratschlag/0004tobin.html; http://www.attac-netzwerk.de/rente/index.html; http://www.attac-netzwerk.de/sozsich/index.html; http://www.attac-netzwerk.de/steuerflucht/index.html; http://www.ila-bonn.de/forum/index.html
· (6) Jörg Huffschmid; Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte; http://www.osz-verkehr.de/kongress/Huffschmitt_Reform%20der%20Finanzmaerkte.htm; Kunibert Raffer; Globalisierung der Steuerregime: Die Tobin-Steuer; publiziert in: Germanwatch (Hg.) Zukunftsfähige Entwicklungspolitik - Vision oder Illusion? Germanwatch, Bonn, 1997, S.54-60; Kaul, Inge, Isabelle Grunberg & Mahbub ul Haq (1996), "Overview", in: ul Haq, Mahbub, Inge Kaul & Isabelle Grunberg (eds.) (1996), The Tobin Tax, Copying with Financial Volatility, Oxford University Press: Oxford, New York; http://www.attac-austria.org/werwirsind/hintergrund.php;
· (7) Hans-Hagen Härtel im Wirtschaftsdienst 2001/IX, S. 492.
· (8) iwd vom 20. September 2001, Nr. 38.
· (9) Vgl.: Quo vadis Gewerkschaftslinke? Für einen Perspektivwechsel der um Perspektiven ringenden Gewerkschaftslinken, Papier zum 4. Kongress: 12./13. Oktober 2001 in Stuttgart: "Welche Gewerkschaften haben Zukunft?" aktuelle und perspektivische Herausforderungen an die Gewerkschaftslinke; http://www.opentheory.org/do-perspektiven-gl/v0001.phtml
· (10) Grossmann, Henryk 1970 [1929], Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems (Zugleich eine Krisentheorie), Leipzig: C. L. Hirschfeld, Neudruck Frankfurt: Verlag Neue Kritik; S. 602f.
· (11) Von 1991 bis 1999 stieg in der BRD das Bruttoanlagevermögen in Preisen von 1995 von 15 Billionen DM auf 19 Bio. DM. Die Zahl der Arbeitnehmer, deren Arbeitslänge den Produktionswert bemisst, ging dagegen von 35 Millionen auf 34 Millionen zurück. Langfristig ging in der BRD die Cash-Flow-Rendite von 1972 7,9 % auf 1996 5,2 % zurück. Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2, Vorbericht 2000, S. 114 und Deutsche Bundesbank, Jahresabschlüsse westdeutscher Unternehmen 1971 bis 1996, Statistische Sonderveröffentlichung 5, März 1999, S. 22ff.
· (12) Die Investitionen in Sachkapital von Produktionsunternehmen in der BRD nahmen von 1970 56 Mrd DM auf 1998 170 Mrd. DM zu (Verdreifachung). Die finanziellen Investitionen nahmen in diesem Zeitraum viel mehr zu: von 23 Mrd. DM auf 237 Mrd. DM (Verzehnfachung). Gleichzeitig nahm aber die Kreditaufnahme, das Gegenstück zur finanziellen Investition, ebenfalls stark zu, von 56 Mrd. DM auf 350 Mrd. DM (Versechsfachung). Die Produktionsunternehmen treten also immer stärker sowohl als Geber als auch als Nehmer auf den Finanzmärkten auf, ihre gegenseitige finanzielle Verflechtung nimmt immer stärker zu. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2000/2001, Tabelle 32*.
· (13) Es ist also Unsinn zu sagen, die gesetzliche Sozialversicherung kann wegfallen, weil der verschuldete Staat so arm und die Privaten so reich sind. Die Schulden des Staates sind Finanzvermögen der Privaten. Wer das eine streicht, streicht auch das andere. So ist es zwar in den USA gelungen, die Staatsschulden in letzter Zeit zurückzuführen, gleichzeitig nahm aber sozusagen als Reflex die private Verschuldung zu.
· (14) Es ist also Quatsch, eine Trennung vorzunehmen in gutes "schaffendes Kapital" (Industriekapital) und böses "raffendes Kapital" (Finanzkapital), wie es demagogisch die Nazis taten und dabei Handlanger beider Kapitale waren. Ideologisch lässt sich diese Trennung zurück über Keynes, Silvio Gesell hin zu Proudhon verfolgen.
· (15) Jörg Huffschmid, Vortrag vom 20. November 2000 in der Österreichischen Nationalbank, http://www.attac-austria.org/infos/huffschmid.php
· (16) Sachverständigenrat a.a.O. Die Zahlen sollten nicht überbewertet werden: Leiht A an C 100 Mark, sind die 100 Mark Finanzvermögen von A und 100 Mark Schulden von C. Leiht A an B und B an C jeweils 100 Mark, existieren plötzlich 200 Mark Finanzvermögen und 200 Mark Schulden, weil die Kreditkette länger geworden ist. Je länger die Kreditketten, desto höher statistisch das Finanzvermögen und die diesem entsprechenden Schulden.
· (17) iwd-Dienst (Informationsdienst des Instituts der Deutschen Wirtschaft), 29. Oktober 2000, S. 6f.
· (18) Vgl. Nasser Saber, Speculative Capital vol. I, 1999; ders., Speculative Capital and Derivatives, vol. II, 1999.
· (19) Vgl. Jean Marie Harribey 1998, Die Tobinsteuer gegen den Finanzkapitalismus?, http://attac.org/fra/list/doc/harribeyde.htm; Jörg Huffschmid, Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte,
· (20) Bontrup, Heinz-J. 2000, Zur säkularen Entwicklung der Kapitalrentabilität, WSI Mitteilungen, 11: 718-725; Callinicos, Alex 1998, ‚World Capitalism at the Abyss', International Socialism, 81: 3-43; Deutsche Bundesbank 1999, ‚Jahresabschlüsse westdeutscher Unternehmen 1971 bis 1996'. Statistische Sonderveröffentlichung 5, Frankfurt am Main. (www.bundesbank.de); Duménil, Gérard und Dominique Lévy 1999, The Profit Rate: Where and How Much Did It Fall? Did It Recover? (USA 1948-1997), Paris: Cepremap (www.cepremap.cnrs.fr/~levy/); Geier, Joel und Ahmed Shawki 1997, 'Contradictions of the "Miracle" Economy', International Socialist Review, 2: 6-14; Husson, Michel 1999, ‚Riding the Long Wave', Historical Materialism, 5: 77-102; Moseley, Fred 1997, ‚The Rate of Profit and Economic Stagnation in the United States Economy', Historical Materialism, 1: 161-174.
·(21) Ähnlich wird ja behauptet, dass zuerst mal der Kündigungsschutz vermindert werden muss, bevor es die Unternehmen wagen können, neu einzustellen.
· (22) J. Huffschmid, Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte, .... a.a.O.; Jörg Huffschmid, Vortrag vom 20. November 2000 in der Österreichischen Nationalbank, http://www.attac-austria.org/infos/huffschmid.php; hätte Huffschmid Recht, bestünden Chancen, das Kapital von seinem Glück zu überzeugen. Doch stößt die Reformierbarkeit des Kapitalismus wegen des tendenziellen Falles der Profitrate auf immer engere Grenzen.
· (23) So wird auch eine Lockerung des Kündigungsschutzes gefordert, weil nur so ein Kapitalist es wagen könne, jemanden einzustellen.




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001