Sozialismus von unten
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Ameisen im Ökosystem Marktwirtschaft

Jan Dahlhaus

"Niemand in Europa will die Tobin-Steuer" behauptet Tacke, Staatssekretär im Kanzleramt. Damit hat er unrecht. Nicht nur Jospin hat sich kürzlich, aus offensichtlichen Wahlkampfgründen, für die nach dem Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin benannte Devisenumsatzsteuer ausgesprochen. Auch die bundesdeutschen Grünen überlegen, in der leicht durchschaubaren Hoffnung, bei der Anti-Globalisierungsbewegung punkten zu können, die Steuer in ihr Programm zu nehmen. Schließlich will die belgische Regierung ganz offiziell die Tobinsteuer "prüfen", was dazu führt, das die Forderung nach der Besteuerung der Finanzmärkte auf die Tagesordnug des Gipfeltreffens der europäischen Finanz- und Wirtschaftsminister (Ecofin) am 19.-21. 9 in Lüttich gerutscht ist.

Grundlage für diese plötzliche Popularität der Tobinsteuer sind die antikapitalistischen Proteste in Genua. Besonders ATTAC (Association pour une Taxation desTransactions financières pour lŽAide aux Citoyens - Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohl der Bürger) hat es geschafft, das öffentliche Interesse für die Bewegung zu nutzen, um diese ganz konkrete Forderung zu transportieren.

Diese Entwicklung schmeckt den Neoliberalen überhaupt nicht. So schreibt zum Beispiel der Chefanalyst der Metzler Equity Research Johannes J. Reich unter der Überschrift "Gefährliche Rezepte gegen das Böse der Globalisierung" im Manager-Magazin:

Populäre Forderungen in Schwieriger Zeit

Man mag es bedauern oder nicht, man mag befremdet sein über soviel ideologisch motivierte, simplifizierend-naive Weltsicht oder nicht: die Antiglobalisierungsbewegung und vor allem die Tobin-Steuer sind inzwischen so populär, dass sie auf dem nächsten Treffen der Europäischen Finanzminister im September in Lüttich sogar offiziell auf der Agenda stehen werden. Das ist nicht ungefährlich in einer Zeit der weltweiten Konjunkturkrise und des zunehmend von Depressionen geplagten Wirtschaftsskeptizismus ..."

Es ist leicht zu verstehen, wo der leicht panische Unterton in diesen Sätzen herkommt. Die Diskussion um die Tobinsteuer wirft ein Schlaglicht auf zwei zentrale Lebenslügen des Neoliberalismus:

1.) Es ist zuwenig Geld da.
2.) Der freie Markt ist das beste Instrument zur "effizienten Allokation knapper Ressourcen", das heisst dass Angebot und Nachfrage dafür sorgen, das Gelder, Waren oder Dienstleistungen da ankommen, wo sie am nötigsten gebraucht werden.

Zum Ersten: Die Nichtregierungsorganisation WEED (Wirtschaft, Ökologie und Entwicklung) bezeichnet die Finanzmärkte als "überliquide" , das heisst, es ist sogar zu viel Geld da.

Auf den Finanzmärkten werden im Jahr 360 Billionen Us-Dollar umgesetzt. Diese Zahl hat ausgeschrieben 13 Nullen und entspricht ...

Normalerweise werden Währungstransaktionen durchgeführt um Warenströme in der realen Wirtschaft zu finanzieren: Wenn eine amerikanische Firma z.B. Waren in Japan kaufen will, muss sie dazu Dollar in Yen tauschen. Das Volumen des jährlichen Welthandels beträgt jedoch nur 6,9 Billion US-Dollar. Zusammen mit den jährlich getätigten Direktinvestitionen im Ausland von ca 619 Milliarden Dollar macht das gerade mal 2 Prozent der jährlichen Finanzströme aus. Die restlichen 98% haben also nichts mit der realen Wirtschaft zu tun und sind rein spekulativ. Es wäre also mehr als genügend Geld da, um die notwendigsten Projekte zur sozialen und ökologischen Überlebenssicherung der Ärmsten der Welt zu finanzieren.

Nach UN Berechnungen kämen schon bei einem Prozentsatz von 0,25% 300 Milliarden US-Dollar zusammen , die zur Armutsbekämpfung eingestzt werden können. Das wäre mehr als das sechsfache der jährlich geleisteten Entwicklungshilfe.

Zum Zweiten: Die neoliberale Ideologie geht davon aus, dass Spekulationen zu einem notwendigen Ausgleich von Kursdifferenzen führen. Ein besonders geschmackvolles Bild hat dafür der bereits oben zitierte J.J. Reich im Angebot:

"Sicher, mancher Empfindsame mag Widerwillen oder gar Abscheu empfinden angesichts möglicher Effekte, die große Devisenspekulationen haben können - so wie man Widerwillen oder Abscheu empfinden mag vor Ameisen, Schnecken oder Maden. Aber wie diese erfüllen Devisenspekulationen eben auch reinigende Aufgaben im "Ökosystem" der Wirtschaft. Währungsspekulationen sind nicht abscheulich, böse oder schlecht, sie nutzen nur temporäre Ungleichgewichte innerhalb des globalen Währungsgefüges aus. Das sie dabei auch zur Wiederherstellung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts beitragen, wird gerne übersehen."

Es lohnt sich, sich einmal genauer anzusehen, was die Effekte dieser Spekulationen sind, zum Beispiel die Südostasienkrise 1997/98: Massive Fluchtbewegungen aus der indonesischen Rupie führten zu riesigen Kurseinbrüchen. Für die einfache Bevölkerung bedeutete das Preissteigerungen zum Beispiel für Lebensmittel um mehrere 100 Prozent. Die Regierung war gezwungen, IWF-Kredite aufzunehmen, um den Verfall ihrer Währung aufzuhalten. Diese Kredite wahren wiederum an Strukturanpassungsprogramme gekoppelt, die die Kosten der Krise durch Privatisierung, Streichung von Lebensmittelsubventionen, Bildungs- und Sozialabbau auf die einfache Bevölkerung abwälzten.

Man muss nicht besonders empfindlich sein, um vor solchen Spekulationseffekten Abscheu zu empfinden.

Das Problem ist, dass Währungsspekulationen Kursschwankungen nicht ausgleichen, sondern noch verstärken. Schuld daran ist der sogenante "Herdentrieb" des Kapitals: Wenn einige Kapitalisten in Erwartung höherer Kurse in eine bestimmte Währung spekulieren, steigen diese Kurse auch. Vorausgesetzt natürlich, die Menge des bewegten Kapitals ist gross genug, um eine höhere spürbar Nachfrage auszulösen. Angesichts der Mengenverhältnisse auf den Kapitalmärkten (siehe oben) passiert das jedoch schnell. Das zieht wiederum andere Kapitalisten an, die Kurse steigen noch weiter, und so weiter. Auf diese Weise entsteht eine "Spekulationsblase", der Kurs der Währung wird künstlich aufgebläht und entkoppelt sich völlig von dem Wachstum in der realen Wirtschaft.

Wenn dann wiederum einige Kapitalisten merken, dass das reale Wachstum nicht so schnell nachkommt, stagniert oder sogar rückläufig ist, geht der Herdentrieb in die andere Richtung los.

Die ersten flüchten aus der Währung, die Kurse sinken, noch mehr fliehen und hinterlassen einen ökonomischen Scherbenhaufen.

Dieser durch und durch irrationale Mechanismus ist weit davon entfernt, wirtschaftliche Stabilität zu erzeugen. Eine ganze Reihe von internationalen Finanzkrisen, die alle mehr oder weniger nach dem oben skizzierten Schema abliefen, belegen das: die Mexiko-Krise 1994, die Südostasienkrise 1997/98, Rußland, Brasilien, überall war das Platzen von Spekulationsblasen neben andern ökonomischen Problemen der unmittelbare Auslöser für die Krise. Und überall waren die Folgen für die Menschen in diesen Regionen verheerend.

All diese Entwicklungen lassen die Einführung einer Tobin-Steuer zwingend logisch erscheinen: ein minimaler Steuersatz von 0,1 bis 0,5 Prozent auf Finanztransaktionen macht vor allem kurzfristige Spekulationen unattraktiver und bremst so den Herdentrieb des Kapitals zumindest ein wenig.

Als "angenehmer Nebeneffekt" stehen plötzlich Milliardenbeträge zur internationalen Bekämpfung von Armut und Umweltzerstörung zur Verfügung.

Technisch ist die Umsetzung der Tobinsteuer überhaupt kein Problem. Die Gegner der Steuer argumentieren, dass man eine Art zentrale Weltregierung bräuchte, um die internationalen Finanzströme zu registrieren und die Steuer erheben zu können.

Tatsächlich hat der Kapitalismus selber schon ausreichende institutionen geschaffen, um alle Finanzstöme zu erfassen, zum Beispiel das S.W.I.F.T.-System (S.W.I.F.T. = Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication).

S.W.I.F.T. wird von einer bisher noch privaten Gesellschaft mit Sitz in Brüssel betrieben, die inzwischen rund 1.800 Banken in über 80 Ländern mit ihrem System für elektronische Auslandszahlungen weitgehend computerisiert und automatisiert vernetzt hat. Über diese Systeme könnte man ganz einfach auch eine Steuer abführen.

Das Problem ist also kein technisches, sondern ein politisches. Praktisch alle Politiker dieser Welt, egal ob aus dem konservativen oder sozialdemokratischem Lager, fühlen sich in aller erster Linie dem Markt verpflichtet. Bundeskanzler Schröder zum Beispiel äußert im Moment "Respekt für die Kritiker der Globalisierung" und "teilt ihre Sorge über die wachsende ökonomische Ungerechtigkeit auf der Welt" , aber er wird niemals "seine" Banker mit einer noch so geringen Steuer belegen. Im Gegenteil: Die Steuerreform und die Änderung der Abschreibungsmöglichkeiten für Konzerne hat gerade das Bankkapital massiv entlastet.

Es wird also wenig nutzen, reine Lobbyarbeit zu betreiben und zu hoffen, einzelne Parlamentarier von der Notwendigkeit einer Tobin-Steuer zu überzeugen. Es ist vielmehr notwendig, dem realen internationalen Druck der Banken und Konzerne den genauso realen Druck einer internationalen Bewegung entgegenzustellen.

AntikapitalistInnen in Der Antiglobalisierungsbewegung können die Forderung nach der Tobinsteuer offensiv aufgreifen und zu einer Art Messlatte machen: Sie kann breiteren Teilen der Bevölkerung helfen zu entscheiden, in wie weit die plötzliche Begeisterung der Politiker für die Bewegung Lippenbekentnisse sind und in wie weit es notwendig ist, selber aktiv zu werden und eine fundamentale Krtitik am Kapitalismus, seinen Politikern und Institutionen zu entwickeln.

Allerdings ist die Tobinsteuer kein Allheilmittel. Das ist auch den meisten Befürwortern völlig klar. Zum Beispiel schreibt WEED:

"In der Tat, die Steuer bezieht sich auf Zeiten des "normalen" Funktionierens der Finanzmärkte. Gegen eine überraschende spekulative Attacke beispielsweise, bei der in kurzer Zeit Profite von 10%, 20%, oder, wie im Falle der Asienkrise, sogar von 40% (Thailand) bis 60% (Indonesien) zu erzielen sind, ist sie tatsächlich ungeeignet. Finanz- und Währungskrisenkönnen unterschiedliche Ursachen oder auch ganze Bündel von Ursachen haben."

Spekulationsblasen auf den Finanzmärkten sind ein Symptom, sehr oft auch der unmittelbare Auslöser der Krise. Sie sind aber nicht das Problem selbst. Das eigentliche Problem sind sinkende Erträge in der realen Wirtschaft. Die kapitalistische Konkurrenz untereinader zwingt die Konzerne, immer mehr in die Rationalisierung ihrer Produktionsabläufe zu investieren. Dadurch werden mit immer teureren Maschinen immer billigere Waren produziert, was dazu führt, das die Profite im Verhältnis zu den eingesetzten Investitionen immer kleiner werden.

Das hat eine ganze Reihe von Konsequenzen: Zum einen sinkt die Konsumgüternachfrage, da durch die Rationalisierung immer mehr Menschen entlassen werden. Zum anderen sind immer weniger Anleger bereit, in die Ausweitung von Produktion zu investieren, sondern versuchen lieber, kurzfristige Gewinne durch Spekulationen zu erzielen, zum Beispiel eben auf den Finanzmärkten. Genau daher kommt nämlich auch die am Anfang beschriebene "Überliquidität".

Karl Marx analysierte dieses Phänomen bereits und nannte es den "tendenziellen Fall der Profitrate".

Diese ist sozusagen in den auf Konkurrenz aufgebauten Kapitalismus fest eingebaut. Sie kann nur überwunden werden, indem der Kapitalismus, mitsamt seinen anarchischen Finanzmärkten und seiner blinden Konkurrenz um Profit durch eine vernünftigere, demokratisch von Unten geplante sozialistische Wirtschaftsordnung ersetzt wird.





Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001