Sozialismus von unten
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Ist der Staat in Zeiten der Globalisierung nur noch ein Relikt?

Thomas Walter

Mit dem sogenannte Paradigmenwechsel von Keynes zum Neoliberalismus etwa Anfang der 80er Jahre haben sich die Angriffe auf Löhne und Sozialstaat verschärft. In der BRD z. B. hat sich die Lohnquote, der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, von 1960 60 % auf 1980 76 % erhöht. 2000 betrug die Lohnquote dagegen nur noch 72 %. Die Kaufkraft der Nettolöhne je Kopf lag 1980 um 20 % über derjenigen von 1970, 1991 noch um 6 % höher als 1980, aber 2000 um 4 % niedriger als 1991 (1). Manche sehen die Ursache für diese Entwicklungen darin, dass der demokratisch gewählte Staat als Schützer der Armen und Schwachen gegenüber dem Kapital an Macht verloren habe. Zum Beispiel hätten die Anfang der 70er Jahre eingeführten freien Wechselkurse dem Finanzkapital erlaubt, die Länder gegeneinander auszuspielen. Deshalb wird "wieder mehr Spielraum für die nationale bzw. europäische Wirtschaftspolitik" gefordert (2).

Das Argument erinnert an die Konkurrenz der ArbeiterInnen untereinander am Arbeitsplatz. Wer sich beim Chef anbiedert, hat zunächst Vorteile. Die anderen müssen nachziehen, am Ende müssen alle Streber sein. Keiner, außer dem Chef, hat mehr einen Vorteil. Ähnliches gilt für die Konkurrenz unter Betriebsräten, Gewerkschaften usw. Die Antwort auf dieses Problem ist: Zusammenstehen. Das Kollektiv macht Druck auf den einzelnen Arbeiter oder die einzelne Arbeiterin, es mit der Arbeit nicht zu übertreiben. So kann der Chef die Leute nicht gegeneinander ausspielen. Auf diese Weise lassen sich bessere Arbeitsbedingungen halten. Dies gilt wieder entsprechend für Betriebsräte, Gewerkschaften usw.

Gilt es auch für Staaten? Oskar Lafontaine (3) hat seinerzeit vorgeschlagen, die Staaten müssten ihre Sozialpolitik miteinander abstimmen, gegenüber dem internationalen Kapital mit einer Stimme sprechen und so verhindern, dass sie gegeneinander ausgespielt werden. Doch ist der Staat wirklich demokratisch, der Anwalt der Armen und Schwachen, der sich nur noch mit den anderen Staaten solidarisieren muss?

Marx und Engels zum Staat

Die Klassiker des Marxismus hatten eine andere Einstellung zum Staat. Marx und Engels schreiben in der Deutschen Ideologie (4) über den "modernen Staat", "...der durch die Steuern allmählich von den Privateigentümern an sich gekauft, durch das Staatsschuldenwesen ihnen vollständig verfallen und dessen Existenz in dem Steigen und Fallen der Staatspapiere auf der Börse gänzlich von dem kommerziellen Kredit abhängig geworden ist, den ihm die Privateigentümer, die Bourgeois, geben." Und weiter: Der Staat ist "weiter Nichts als die Form der Organisation, welche sich die Bourgeois sowohl nach außen als nach innen hin zur gegenseitigen Garantie ihres Eigentums und ihrer Interessen notwendig geben. "Der Staat existiere nur um des Privateigentums willen. Im Kommunistischen Manifest heißt es: "Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet." (5)
Engels meint schließlich: "Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: ... in unsrer Zeit der Bourgeoisie." (6)
Der Staat ist also Staat der herrschenden Klasse. Woher kommen dann die Illusionen über den Staat?

Woher kommt das Staatsvertrauen?

Im Unterschied zu früheren Produktionsweisen beruht die Ausbeutung im Kapitalismus nicht auf offenem Zwang, sondern auf "freier" Vereinbarung. Die Ausbeutung wird im allgemeinen durch "den stummen Zwang der Verhältnisse" erzwungen (7).
Im Unterschied zu früheren Produktionsweisen sind die Kapitalisten auch zur Zahlung eines Lohnes, des Wertes der Arbeitskraft (im Unterschied zum Wert der mit der Arbeitskraft geschaffenen Produkte), genötigt. Die Lüge der herrschenden Ideologie besteht nicht darin, dass den ArbeiterInnen gar nichts vom Produkt zugesprochen wird, sondern darin, dass eine Gleichheit, eine Partnerschaft zwischen Kapital und Arbeit behauptet wird. Nach Marx erhalten die ArbeiterInnen den Wert für ihre Arbeitskraft durch ökonomischen Kampf wie Streiks. Die ArbeiterInnen führen dabei nicht nur einen ökonomischen Kampf um den Lohn, sondern allgemein um die Arbeitsbedingungen, die oft auf ihren Druck allgemeingültig, also durch staatliche Gesetze geregelt werden. Die Einhaltung dieser Gesetze muss wiederum gewährleistet werden, wieder treten hier häufig staatliche Stellen, wie Arbeitsgerichte, auf den Plan. Der Kampf um den Wert der Arbeitskraft bringt es mit sich, dass diese staatlichen Institutionen nicht einfach immer gegen die Arbeiter entscheiden können. Sie entscheiden auch zugunsten der Arbeiter, wenn zum Beispiel ein Kapitalist jemanden feuern will, nur weil er krank ist. Der Kampf der ArbeiterInnen geht also nicht sofort um die Überwindung des Kapitalismus, sondern um Verteidigung des Erreichten oder um Verbesserungen - es geht um Reformen. Erfolgreich erkämpfte Reformen werden in der Regel zu einem Bestandteil der staatlichen Ordnung.

Dabei vergessen die Arbeiter manchmal ihre eigenen Kämpfe um diese Errungenschaften oder Reformen (Entfremdung vom eigenen Produkt). Die gesetzliche Lohnfortzahlung z. B. wurde in einem der längsten Streiks der BRD erkämpft. Einmal erkämpft ist sie aber plötzlich Teil des "Sozialstaates" und wurde von den selben Leuten, die sie bekämpft hatten, als Beweis für die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeit und Kapital, für die "Neutralität" des Staates angeführt. Jetzt in der Krise soll der Staat allerdings wieder "seine" Leistungen zurückziehen.

Staat und Kapital

Reformen machen vielleicht die Ketten leichter, aber sie schaffen sie nicht ab. Marxisten unterstützen reformistische Kämpfe, schon wegen der leichteren Ketten. Diese Kämpfe können darüber hinaus zu Lernprozessen bei den ArbeiterInnen führen, sie lernen die "Grenzen und Möglichkeiten" (ursprüngliche Bedeutung von "Kritik") des Kapitalismus kennen. Sie lernen sich selbst und ihre Möglichkeiten kennen und die Not-Wendigkeit, dass der Kapitalismus durch eine neue Produktionsweise abgelöst werden muss. Für sich ändern aber staatliche Reformen nichts an der Grundlage, dass die Kapitalisten die Produktionsmittel besitzen, und dass sie ArbeiterInnen nur einstellen, wenn für sie ein Profit herausspringt.

Der Staat verteidigt mit Polizei die Machtbasis der herrschenden Klasse, das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Die staatlichen Einnahmen entstammen dem Mehrwert, beruhen also auf der unbezahlten Mehrarbeit der (produktiven) Arbeiter. Um diesen Mehrwert konkurriert er mit den Kapitalisten, mit ihnen ist er an einem großen Mehrwert interessiert. Im internationalen Konkurrenzkampf vertritt er die Interessen des nationalen Kapitals, sichert ihm die Ausbeutung im Innern und versucht Ausbeutungsquellen im Ausland zu erschließen.

Natürlich wirkte sich die Krisentendenz, der tendenzielle Fall der Profitrate, auch auf die Staaten aus. Die fallenden Profitraten mussten (aus ihrer Sicht) von den Kapitalisten und den kapitalistischen Staaten mit einem Angriff auf Löhne und soziale Einrichtungen beantwortet werden. Dies hat nichts mit einer Schwäche des Staates gegenüber dem Kapital zu tun, sondern Kapital und Staat suchen gemeinsam nach Auswegen aus der Stagnationskrise.

Das Industriekapital braucht den Staat

Den staatlichen Regierungen kommt dabei das Argument, sie könnten gegen das übermächtige Kapital nichts ausrichten, entgegen. Politiker und Gewerkschaftsführer behaupten: "Wenn es nicht gegen das Kapital geht, dann halt mit ihm." Gegen Joschka Fischer hieß es früher (lang ist's her): "Wenn in Turnschuhen regiert wird, kriegt das Kapital Beine." Eigentlich ist aber der Staat, nach Engels der "ideelle Gesamtkapitalist", gegenüber dem Kapital keineswegs ohnmächtig. Die Kapitalisten können sich nicht einfach dem Staat entziehen. Die multinationalen Konzerne können nicht im Handumdrehen riesige Produktionsanlagen aus einem Land in ein anderes verlagern (8). Das Argument, dass Unternehmen willkürlich den Standort wechseln können, ist somit eine Entschuldigung für Regierungen, die sich den Diktaten beugen, und für Gewerkschaftsführer, die es ablehnen, sie zu bestreiken.

Wenn aber das Kapital wirklich scheu ist wie ein Reh, so die Sprüche, warum wird dann beharrlich vorwiegend in den großen kapitalistischen Staaten investiert und nicht in den armen Ländern mit den angeblich so günstigen Bedingungen? "Anfang der 90er Jahre konzentrierten sich drei Viertel der weltweiten Überseeinvestitionen auf diese Länder und weitere 16,5 Prozent gingen in die zehn wichtigsten Schwellenländer. Nur 8,5 % aller Auslandsinvestitionen erreichten die Dritte Welt." (9)
Es gibt demnach sehr wohl einen Ansatzpunkt für gewerkschaftliche Kämpfe. Diese hülfen auch den ArbeiterInnen in der Dritten Welt.

... auch das Finanzkapital

Auch das Finanzkapital kann nicht ohne weiteres über Staatsgrenzen fliehen. Der Kapitalist, der sein Geld in indonesischen Rupien angelegt hat, kann nach einem Kurszusammenbruch diese nur noch in eine Handvoll Dollar umtauschen. Das ist Kapitalvernichtung, keine Kapitalflucht. Auch wenn er sein Kapital vorsichtshalber in Dollar in Indonesien investiert hat, ist es in der Krise fraglich, ob er diese Dollar wieder zurückerhält. Die riesigen Kapitalbewegungen des Finanzkapitals funktionieren nur in einem funktionierenden Kapitalismus, nicht in der Krise. Deshalb braucht auch das Finanzkapital den Staat, um seine Interessen vor Ort zu schützen. Deshalb "flieht" das Kapital nicht einfach, sondern zwingt über den Internationalen Währungsfonds IWF, eine internationale staatliche Einrichtung, den Bevölkerungen der Krisenländer Sparprogramme auf. Die sogenannten Hilfsprogramme des IWF sind Hilfsprogramme für die ausländischen Kapitalisten, die so vom IWF einen Teil ihres Geldes wieder bekommen. Die riesigen Milliardenprogramme des IWF für die Krisenländer haben laut Handelsblatt (10) zu Milliardenverlusten für die dortigen Menschen geführt. Die ausländischen Investoren, heißt es dort, erhielten dadurch einen Aufschub und konnten zu günstigen Konditionen noch aussteigen, ihr Kapital abziehen.

Große Staaten unterdrücken kleine

Natürlich sind nicht alle Staaten gleich mächtig. Im Staat USA leben nur 5 % der Weltbevölkerung. Im Internationalen Währungsfonds (IWF) haben aber die USA mit 18 % eine Sperrminorität (11).
Kein Entschluss kann gegen die USA gefasst werden. Damit ist sicher gestellt, dass nur Staaten, die eine Wirtschaftspolitik im Interesse der USA und der anderen großen kapitalistischen Staaten betreiben, auch Kredite vom IWF bekommen. Neben dem IWF gibt es andere sogenannte supranationale Einrichtungen, über die die großen kapitalistischen Staaten ihr Interesse durchsetzen. Die Welthandelsorganisation WTO wird von der "Quade" (Vierling) beherrscht, den USA, der EU, Japan und Kanada. So sollen die Spielregeln des Kapitalismus weltweit durchgesetzt werden. Das Internationale Arbeitsamt (ILO) hat den internationalen Mindeststandard für Mutterschutz verschlechtert und die Bestimmungen gegen Kinderarbeit gelockert. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) tut sich als Tugendwächter des Neoliberalismus hervor. Wie der IWF besucht die OECD jährlich ihre Mitgliedstaaten und prüft, ob diese noch auf dem Boden der Marktwirtschaft stehen. Beim IWF nennt sich das "Konsultationen", bei der OECD "Examinations", also Prüfungen.

Die EU-Kommission schließlich ist ein ungewählter Apparat, der gegen die EU-Staaten allerlei in "Neusprech" als Reformen bezeichnete Maßnahmen durchsetzt, gegen die die jeweiligen Regierungen dann angeblich nichts mehr tun können.

Privatisierungen

Der Fall der Profitraten bringt es mit sich, dass die Unternehmen, gemessen am Kapitaleinsatz, immer weniger Profit machen. Der Konkurrenzkampf wird härter. Allgemein sollen Kosten gespart werden. Nun haben viele Errungenschaften des Kampfes der Arbeiter eine allgemeine Form als staatliche Einrichtungen erhalten. So ist die Sozialversicherung gesetzlich und wird über Steuern und Sozialbeiträge finanziert. Diese Errungenschaften mit den damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Kosten geraten in der Krise zunehmend ins Visier der "Modernisierer". Privatisierungen sollen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Frühere Zugeständnisse sollen wieder zurückgenommen werden, der Staat kann so die "Abgabenlast der Wirtschaft" senken. Die privatisierten Einrichtungen sind außerdem neue Profitquellen für das Kapital. In Deutschland meinte ein Banker, das war kritisch gemeint: "Es geht doch nur darum, dass Geld, das bisher bei der gesetzlichen Rentenversicherung verdient wird, in Zukunft von privaten Banken und Versicherungen verdient wird." Die Frage privat oder staatlich ist dabei oft rein formal. In den USA ist die Krankenversicherung bereits größtenteils privat. Trotzdem hat auch dort sich das Finanzkapital zwischengeschaltet, so dass Profite, die bisher von den Ärzten gemacht wurden, jetzt von den Banken gemacht werden (12).

Die sogenannten Deregulierungen sind oft einfach nur neue Regulierungen, wenn etwa plötzlich gesetzliche Sozialversicherung neuen internationalen Regeln (GATS - Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) widerspricht und verstaatlicht werden soll. Weltweite Börsen- oder staatliche Regulierungen sollen dafür sorgen, dass produzierende Unternehmen laufend über ihre finanzielle Lage berichten müssen, damit das Finanzkapital sie als Spekulationsobjekte richtig einschätzen kann.

Soziale Leistungen werden von den privaten Firmen nur erbracht, wenn sie Profit einbringen. Die nicht profitablen Sozialleistungen werden gestrichen. Dafür kann aber der Staat nicht mehr politisch verantwortlich gemacht werden, schließlich handelt es sich jetzt um Leistungen, die "frei" zwischen den Arbeitnehmern und den privaten Versicherungen ausgehandelt werden. Wer sich schlecht absichert, ist selbst schuld. Zu Recht kämpfen die ArbeiterInnen gegen diese Privatisierungen. Dies ist aber kein Kampf um mehr Staat. Schon Engels warnte vor Illusionen über Verstaatlichungen. Er ahnte den Staatskapitalismus (13):

Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften und Trusts noch die in Staatseigentum hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf. Bei den Aktiengesellschaften und Trusts liegt dies auf der Hand. Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um. Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung."

Die Lösung sieht Engels in der Kontrolle der Produktionsmittel durch die Gesamtheit der Gesellschaft.

Friedliche Staatengemeinschaft?

Während auf der einen Seite behauptet wird, die Globalisierung schwäche den Nationalstaat, kommt auf der anderen Seite die Idee Kautskys vom "Ultraimperialismus" zu neuen Ehren. Kautsky meinte, dass "an die Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital" getreten sei (14).
An die Stelle des Imperialismus wäre, laut Hardt und Negri, das "Empire", eine Art weltweite Innenpolitik, getreten (15). Tatsächlich besteht der Konkurrenzkampf unvermindert fort. Dies bezeugen die Kriege in Afrika, im Nahen Osten oder auf dem Balkan, wo die Interessen der Großmächte aufeinander prallen wie einst im 19. Jahrhundert. Lenin: "‚Innerimperialistische' oder ‚ultraimperialistische' Bündnisse sind ... in der kapitalistischen Wirklichkeit ... notwendigerweise nur ‚Atempausen' zwischen Kriegen ... Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nichtfriedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik" (16).

In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen immer ein nationales Zentrum behalten. Deutlich wurde dies beispielsweise bei DaimlerChrysler, bei dem inzwischen die Konzernzentrale klar in Deutschland liegt und nicht gleichberechtig in den USA und in der BRD.

Können wir den Staat besiegen? (17)

Viele fürchten, dass das staatliche Gewaltmonopol unbesiegbar sei. Dies übersieht die Abhängigkeit des Staates von breiteren gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Macht der herrschenden Klasse hängt von ihrer ökonomischen und ihrer ideologischen Herrschaft ab, nicht von ihrer Polizei oder ihrem Militär.

Revolutionäre Situationen entstehen, wenn Massenbewegungen den Staatsapparat lähmen. Es finden Massenstreiks, Fabrikbesetzungen und Meutereien bei den Streit- und Polizeikräften statt. Arbeiter- und Soldatenräte bilden sich, und in der Folge öffnen sich tiefe Risse zwischen den Herrschenden selbst. In solchen revolutionären Situationen ist die Vollendung der Revolution erreichbar, wenn die Bewegung entschlossen die Polizeikräfte entwaffnet, die noch die alte Ordnung verteidigen. Je besser dies gelingt, desto geringer die erforderliche Gewalt. Die Gewalt wird geringer sein, als wenn die Staatsmaschinerie die freie Hand zurückbekäme.




Fußnoten
(1) Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Statistisches Taschenbuch 2001. Bonn 2001.
(2) So die Steuerinitiative des Österreichischen Gewerkschaftsbundes ÖGB, Fehler! Textmarke nicht definiert.
(3) Karl Marx und Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie [1845/1846], MEW 3, S. 62.
(4) vgl. Volkhard Mosler, Gibt es eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik? SvU (alte Folge) Nr. 5; Jürgen Ehlers, Regierungen und Gewerkschaften nur noch Kellner des Kapitals? - was ist dran an der Globalisierung der Weltwirtschaft? SvU (alte Folge) Nr. 7
(5) Das Kommunistische Manifest [1847], MEW 4, S. 464.
(6) Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft [1880], MEW 19, S. 225f.
(7) Nach Robert Reich, dem ehemaligen US-Arbeitsminister unter Clinton besitzen 20 % der Bevölkerung 80 % des Vermögens. Robert Reich, The Unfinished Agenda, January 1999.
(8) Chris Harman, Antikapitalismus - Theorie und Praxis, edition aurora, Frankfurt/M 2001; S. 19-22.
(9) ebenda, S. 20.
(10) Handelsblatt 23.8.2001, S. 2.
(12) Nasser Saber, Speculative Capital Vol. I, 1999, S. 101f. In den USA treten Ärzte inzwischen in Gewerkschaften ein, um sich gegen das Finanzkapital zu organisieren.
(13) a.a.O., S. 222.
(14) Zitiert nach Winfried Wolf, Nationalstaat und Wirtschaftsblock, Die Chimäre "Globalisierung" und "transnationale" Konzerne, in SoZ, Sozialistische Zeitung Nr. 7 vom 30. März 2000, S. 10.
(15) zitiert ebenda, Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In: Werke, Bd. 22, Berlin 1971, S. 301.
(16) Gerd Roellecke, Buchbesprechung von "Empire", von Michael Hardt und Antonio Negri, London 2000, in der FAZ vom 16. August 2001.




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001