Sozialismus von unten
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Brief aus der USA

"Ein rettendes Geschenk für den Diener der Konzerne"

Left Turn (USA)

New York befindet sich im Schockzustand. Überall in der Stadt kann man improvisierte Gedenkstätten für die Toten und Vermissten sehen, mit Bildern, Blumen und Kerzen. Bei den Feuerwehrstationen befinden sich Gedenkstätten mit Fotografien der vermissten Feuerwehrleute. Aber es gibt eine schwärzere Seite, die zu dieser Tragödie hinzugehört.

Die Medien und die Politiker haben die Emotionen, die durch die unbeschreibliche Tragödie ausgelöst wurden, ergriffen und in einen Aufruf zu blutrünstiger Rache verwandelt - einen Aufruf, der garantiert, dass mehr unschuldige Menschen sinnlos sterben. Im amerikanischen Kongress wurde bereits eine Abstimmung mit 430 gegen 1 Stimme durchgeführt, die dem Präsidenten Kriegsvollmachten überträgt.

Als nächstes wird der Kongress über einen Gesetzentwurf abstimmen, der die bereits repressiven Anti-Terror-Gesetze weiter "verschäft". Dieser Entwurf ermächtigt den Generalstaatsanwalt, Einwanderer allein auf der Grundlage des Verdachts abzuschieben, dass sie möglicherweise bereit seien, einem Terroristen zu helfen. Wenn eine Schuld festgestellt wird, gibt es kein Recht auf Berufung. Die bürgerlichen Freiheiten werden massiv angegriffen.

Präsident George W. Bush sprach davon, gegen den Terrorismus einen Krieg neuer Art einzuleiten. Dieser Krieg, so sagt er uns, wird keine Grenzen kennen; Staaten werden entweder für die USA in ihrem Bestreben sein, die Terroristen und die sie unterstützenden Staaten, auszumerzen -oder gegen sie. Aber indem er einen neuen Krieg versprach, lehnte sich Bush an alte Begriffe an und benutzte das Wort "Kreuzzug". Die Kreuzzüge des Mittelalters waren gegen die Moslems im Heiligen Land gerichtet, und heute werden wiederum Moslems die Hauptopfer eines Krieges sein, der mit den modernsten Waffen geführt werden wird.

In den USA selbst häufen sich Überfälle auf Araber. Ein Amokläufer bekundete: "Ich stehe auf der Seite Amerikas, komme, was da wolle."

In vieler Hinsicht war die Krise, die durch die Tragödie ausgelöst wurde, für Präsident Bush ein rettendes Geschenk. Seine ersten acht Monate im Amt waren nicht einfach. Die amerikanische Öffentlichkeit nahm ihn, zurecht, als Diener der großen Konzerne wahr, und die Mitglieder seiner Partei machten sich Sorgen darüber, dass ihre Chancen bei den Wahlen im November durch ihn Schaden nehmen könnten.

Heute sind all diese Sorgen vergessen. Die NATO ging so weit, zum ersten Mal in ihrer Geschichte den kollektiven Verteidigungsfall von Artikel Fünf zu erklären. Die Zustimmung zu Bush beträgt zur Zeit 83 %, und die Nation wird dazu aufgerufen, "sich in dieser Krisenzeit um den Präsidenten zu scharen".

Aber nicht alle Amerikaner sind bereit, sich auf die Seite von George Bush und seiner mörderischen Kriegstreiberei zu schlagen. Seit den Attentaten gab es viele Demonstrationen für Frieden und gegen Krieg. In New York war die Aussage einer Kundgebung von mehr als 1.000 Menschen: "Der Islam ist nicht der Feind, Krieg ist nicht die Antwort." Am Union Square ist eine Gedenkstätte für den Frieden entstanden, die sogar die New York Times dazu zwang zuzugestehen, daß viele Einwohner New Yorks gegen jede militärische Vergeltung sind.

Normalerweise befinden sich in solchen Zeiten Sozialisten und Fortschrittliche in der Defensive und versuchen verzweifelt, die Kräfte gegen den Krieg zu versammeln. Diesmal war es anders. Die antikapitalistische Bewegung, die sich in den letzten beiden Jahren in Amerika ausgebreitet hat, hat die Basis für eine starke, sichtbare Antikriegsbewegung geschaffen. Viele der Antikapitalisten, die Teach-Ins und Demonstrationen gegen die Übel der Globalisierung organisierten, haben schnell gesehen, dass die Globalisierung zu der Art von Tragödie führt, die am World Trade Center stattfand, und dass man nicht das eine bekämpfen und das andere ignorieren kann.

Left Turn ist die Schwesterorganisation von Linksruck in den USA




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001