Sozialismus von unten
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Die iranische Tragödie 1979: Von der Arbeitermacht zur Ayatollahdiktatur

Jan Maas

Von der Revolution im Iran ist oft nur ein verzerrtes Bild übrig. Daß das Regime des Schahs durch die Massen hinweggefegt wurde, ließ sich aus der Geschichte nicht streichen. Aber der Umsturz wird als Terror unter Führung fanatischer Islamisten dargestellt. Die wahre Geschichte der iranischen Revolution ist ein Festival der Unterdrückten auf der Grundlage von Arbeiterräten und Massenbewegungen. Jan Maas beschreibt, wie trotzdem die Fundamentalisten die Macht übernahmen.

Der Iran galt einmal als Vorzeige-Entwicklungland. Öleinkünfte ermöglichten ein riesiges Wirtschaftswachstum. Die Verhandlungsposition der jungen iranischen Arbeiterklasse war so stark, daß jährliche Lohnzuwächse von 30-50% möglich waren. Ab 1975 gingen die Öleinnahmen zurück, Staatsverschuldung und inflation stiegen. Die Zahl der städtischen Armen explodierte. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Staatsmacht und demonstrierenden Studenten oder Slumbewohnern. Trotzdem erklärte der Schah im Juni 1978: "Niemand kann mich stürzen. Ich habe die Unterstützung von 700.000 Soldaten, eines Großteils des Volkes und aller Arbeiter".

Das änderte sich grundlegend. Die Forderungen der Beschäftigten, die oft auf die Betriebe beschränkt gewesen waren, konnten immer seltener erfüllt werden und neue Streikforderungen tauchten auf : "Beendigung des Notstands" oder "Freilassung aller politischen Gefangenen". Im September 1978 traten die mächtigen Ölarbeiter in den Ausstand. Sie kamen aus den Fabriken und versammelten sich millionenstark in den Zentren der Industriestädte. Die Flut stieg täglich. Medienangestellte verhinderten regimetreue Radio- und Fernsehsendungen, Eisenbahner weigerten sich, Militär zu befördern, Beschäftigte in den Atomkraftwerken streikten und erklärten: "Die AKW sind dem Iran durch die Großmächte im Interesse des Atomkrieges aufgezwungen worden". Zahlreiche Unternehmer verließen, als es heiß für sie wurde, das Land.

Revolution

Die herrenlosen Fabriken wurden von den Beschäftigten übernommen, die in Schoras (iran.: Räte) die Produktion kontrollierten. Am 16. Januar 1979 mußte der verhaßte Schah endlich das Land verlassen. Euphorie breitete sich aus: Die Mengen warfen Soldaten Blumen zu und verbündeten sich mit ihnen. Gemeinsam stürzten sie die Statuen des Diktators.

Am 1. Februar kehrte Ajatollah Khomeini aus dem Exil zurück. Er erklärte sich fünf Tage später zum Staatsoberhaupt. Der Staatsapparat und der revolutionsfeindliche teil des Militärs kooperierten sofort, heilfroh, wieder "Ordnung" schaffen zu können. Eine Doppelherrschaft war entstanden: Die Macht über die Betriebe lag bei den Schoras, aber die Macht über den Staat hielt Khomeini in seinen Händen. Die Einmischung von Arbeitnehmern in leitende Funktionen wurde von der Regierung sofort für unislamisch erklärt. Ein Shellarbeiter erzählt: "Die vom Staat ernannten Manager haben die gleiche Einstellung wie die alten Manager. Die wissen, daß ihr Schicksal besiegelt ist, wenn die Schoras ihre Macht behalten. Sie können ihre arbeiterfeindliche Politik nicht direkt umsetzen; also bekämpfen sie die Schoras erstmal auf der Grundlage des religiösen Glaubens".

Ende Februar erließ Khomeini Gesetze, die gegen die Frauen gerichtet waren. Das Scheidungsrecht wurde allein den Männern zuteil, gleichzeitig wurde ihnen die Polygamie erlaubt. Tag für Tag wurden Frauen aus neuen Berufen verdrängt. Am Frauentag, dem 8.März, wurde eine Gegendemonstration von Regierungstreuen angegriffen. Die gesamte Linke ließ die Frauen im Stich und behauptete, Frauenrechte seien nur bürgerliche Forderungen. Die islamische Reaktion erschien um so stärker, weil die Linke sich nicht wehrte.

Machtkampf

Doch so schnell kam der Sieg nicht. Als eine Arbeitslosendemonstration von Khomeinis Revolutionsgarden zusammengeschossen wurde, besetzten ArbeiterInnen das Justiz- und das Arbeitsministerium. Einer von ihnen sagte: "Ich schlage vor, daß wir an diesem Ort bleiben, bis dieses Ministerium der Bosse zu einem Ministerium der Arbeiter wird. Werft uns nicht Ungläubigkeit vor. Ihr erfüllt unsere Forderungen und wir werden 37 mal am Tag beten statt 17 mal". Auch die Demonstration am 1. Mai zeigte die Stärke der iranischen Arbeiterklasse. Eineinhalb Millionen Menschen marschierten sechseinhalb Stunden lang. Ihre Banner trugen Slogans wie "Nieder mit den alten Arbeitsgesetzen - schreibt ein neues Gesetz unter unserer Mitwirkung!" oder "Schulen für Kinder, nicht Kinderarbeit". Die Islamisten antworteten mit Schlägertrupps.

Die Linke reagierte wieder nicht, weil sie argumentierte, daß sie nur eine Minderheit sei. Also gelang es den Trupps, Parolen wie "Lang lebe der Islam, Tod den Kommunisten" zu rufen und Banner niederzureißen. Die Guerilleros der Modschahedin fürchteten, man könne ihnen Gegnerschaft zur islamischen Republik vorwerfen und blieben der Kundgebung fern. Schritt für Schritt drängte Khomeini mit religiösen Argumenten seine GegnerInnen zurück. Doch bis zum Herbst stand der Iran im Zeichen der Revolution: Frauen widersetzten sich massenhaft den Gesetzen, die Schoras arbeiteten weiter und überall fanden Demonstrationen statt.

Niederlage

Im November ließ Khomeini die US-Botschaft in Teheran besetzen. Er behauptete, damit den Kampf gegen den Imperialismus aufzunehmen. Er appellierte an die nationale Einheit und erklärte damit alle Aktivitäten, die der Regierungslinie widersprachen, für imperialistisch. Alle linken Parteien akzeptierten dieses Argument. Sie fielen der Arbeiterklasse in den Rücken. Um das zu rechtfertigen, sagten sie, der Bewußtseinsstand der Beschäftigten sei zu niedrig - die Schoras hätten bloß wirtschaftlichen Charakter!

Als 1980 der Irak in den Iran einmarschierte, schlug Khomeini erneut erfolgreich in die Kerbe der nationalen Einheit. Damit war der größte Teil der Opposition gebrochen. Die Linke hatte sich von ihrer Unabhängigkeit verabschiedet. Das war aber nicht unvermeidlich. Sie hätte auf Grundlage der Schoras für die Übernahme der politischen Macht kämpfen können. Einzig die politischen Fehler der Linken haben den Sieg der Mullahs zu verantworten. Eine revolutionäre Bewegung braucht eine politische Partei, die kompromißlos für die Machtübernahme durch die Masse der Bevölkerung kämpft.

Die Opposition der Islamisten

Die Basis des Klerus bestand vor allem aus Kleinbürgern - den Basaris. Sie hatten, genau wie ArbeiterInnen und StudentInnen, unter dem Schah zu leiden - allerdings aus anderen Gründen. Die Basaris hatten in der kapitalistischen Entwicklung des Iran kaum noch eine Bedeutung. Die politische Macht des Klerus war immer weiter zurückgegangen. Die Mullahs in den Moscheen boten aber einen Sammelpunkt für viele andere Kräfte, die gegen die "Verwestlichung" kämpften, weil ihre Oppositionsrolle staatlich geduldet war. Die Unterstützung, die der fortschrittliche Teil des islamischen Klerus erfuhr, gründete sich auf revolutionäre Rhetorik. Er prangerte die Vernachlässigung der ökonomischen Bedürfnisse der Arbeiter und Bauern, die barbarischen Gefängnisse, die Einschränkung der Freiheit an. Der traditionelle Flügel, darunter zunächst auch Ajatollah Khomeini, isolierte sich von den Massen. Khomeini sah diese Entwicklung und zog die Konsequenz: Er fing an, die Forderungen der sozialen Bewegung aufzunehmen. Dafür wurde er 1968 ausgewiesen. Auch aus dem Exil konzentrierte er sein Feuer auf den Sturz des Schahs und baute so seine Glaubwürdigkeit auf. Er wurde zur Hauptoppostitionsfigur. Bis zu seinem Tode galt er als der "Revolutionsführer".

An den Massen vorbei: Stalinisten und Guerilla

Proteste der StudentInen und der nationalen oder religiösen Minderheiten hatten im Iran eine lange Tradition. Die mächtigste Kraft gegen den Schah stellte aber der ArbeiterInnenwiderstand dar. Von all diesen Bewegungen profitierten die linken Parteien. Die größte von ihnen war die kommunistische moskautreue Tudeh-Partei. Die Tudeh-Partei wuchs mit Stalins Volksfront-Taktik auf. Nach dieser Theorie sollten sich die Kommunisten in sozialen Bewegungen auf fortschrittliche bürgerliche Kräfte stützen, statt auf die Macht der Arbeiterklasse. Dies führte die Anhänger dieser Taktik regelmäßig zu Fehleinschätzungen. Sie behaupteten trotz der zunehmenden Aktivitäten der Arbeiterklasse, der Iran sei noch nicht reif für eine sozialistische Revolution und trennten ihre Politik von den Interessen der sich radikalisierenden Massen ab. 1946 hatten sie sogar im Interesse der Profite ausländischer Investoren einen Generalstreik der Ölarbeiter verhindert.

Die zwei iranischen Guerillabewegungen, die Modschahedin und die Fedayin, spiegelten die revolutionäre Ungeduld der iranischen Jugend gegenüber den traditionellen Oppositionsparteien wider. Die Modschahedin hatten einen religiösen Hintergrund, die Fedayin waren eine Abspaltung der Tudeh-Partei. Beide rekrutierten sich vor allem aus städtischen Intellektuellen.

Mit Terroraktionen von den Bergen aus versuchten sie, die Masse der Iraner in Aktivitäten gegen den Schah zu drängen. Gleichzeitig schnitten sie sich damit von jeglicher Massenaktion in den Städten ab und errangen nie breite Unterstützung. Beide Strategien zielten an den Massen vorbei und mußten die fortschrittlichen ArbeiterInnen schließlich im Stich lassen. Damit war das Schicksal der gerade begonnenen Revolution besiegelt - der Fundamentalismus hatte freie Bahn.



Literaturtips:
  • Maryam Poya, "Iran 1979. Lang lebe die Revolution!... Lang lebe der Islam?"

  • Phil Marshall, Islamischer Fundamentalismus. Unterdrückung und Revolution (1988)




  • Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001