Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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"Ich bin jetzt überzeugter denn je,
dass wir auf den Straßen bleiben müssen."


Starhawk

Seit Genua hat es eine Menge gesunder Debatte darüber gegeben, wohin die Bewegung weitergehen muss. Die großen Proteste werden gefährlicher und schwieriger, während die G8, Weltbank, WTO und der IWF mit ihren Geschäften ungehindert fortfahren. Sind unsere Aktionen effektiv genug, um ihre Risiken zu rechtfertigen? Sollten wir uns mehr auf lokale Tätigkeiten konzentrieren und dort beständige Netzwerke organisieren?

Ich war in Genua. Was ich da erlebt habe, einschließlich der Augenblicke echten Schreckens und Grauens, hat meine Überzeugung vertieft, dass wir auf der Straße bleiben müssen. Wir müssen weiterhin Massenaktionen organisieren, die Gipfel herausfordern und global arbeiten. Die vergangenen Demonstrationen haben die Tagesordnungen und die verlautbarte Propaganda entscheidend verändert. Nichtsdestotrotz werden die tatsächlich durchgesetzten Politiken der globalen Institutionen das Letzte sein, das einer Veränderung unterworfen wird. Ihre Gipfel herauszufordern hat die Institutionen in einer Weise delegitimiert, wie das lokale Aktionen nie vermocht hätten.Wenn die politischen Akteure gezwungen werden, sich hinter Mauern zu verkriechen, verbissene Schlachten um jede Konferenz zu kämpfen und sich an isolierte Örtlichkeiten zurückzuziehen, wird ihre Machtschaustellung unterbrochen und ihre Legitimität ernsthaft in Frage gestellt. Die geheim verhandelten Abkommen werden ans kritische Licht der Öffentlichkeit gebracht. Die Lüge, dass Gloalisierung mehr Demokratie bedeute, wird entlarvt. Lokale Organisationen können das einfach nicht so effektiv erreichen wie die Massendemonstrationen.

Lokale Gruppen sind unabdingbar. Wir können und werden die lokale Ebene nicht aufgeben und haben das auch nie getan - viele von uns arbeiten auf beiden Ebenen. Und viele von uns kommen zu den größeren, globalen Aktionen, weil wir verstehen, dass die Handelsabkommen und Institutionen, die wir herausfordern, dazu gemacht sind, all unsere lokalen Anstrengungen zunichte zu machen. Wenn wir es zu einem bewussten Ziel machen, Massenaktionen zu organisieren, die Ressourcen und funktionierende Koalitionen hinterlassen, dann kann jede große Aktion eine Unterstützung und Stärkung der lokalen Arbeit bedeuten, die täglich abläuft.

Wenn die Mächtigen ihre Gipfel aus unserer Reichweite nehmen und mit der Politik der Machtkonsolidierung und Reichtumskonzentration fortfahrten, dann muss der soziale Protest sich über die globalen Institutionen hinaus ausweiten und die ganze Struktur des globalen Konzernkapitalismus angreifen. Machtstrukturen erhalten sich aufgrund der Angst, die wir vor ihrem Gewaltmonopol haben, aber Gewalt ist politisch kostspielig. Sie können sich nicht mehr aufrecht erhalten, sobald sie Gewalt anwenden müssen, um ihr normales Funktionieren zu gewährleisten.

Genua war ein Sieg, den wir zu einem schrecklichen Preis gewonnen haben. Ich würde fast alles tun, um sicherzustellen, dass niemand -besonders niemand junges- jemals wieder solche Brutalität erleiden muss. Fast alles, sage ich. Fast alles, außer mich von diesem Kampf zurückziehen. Denn diese Art von Gewalt und Brutalität wird jeden Tag ausgeübt, überall auf der Welt gegen Menschen und gegen das Ökosystems, das uns alle erhält.

Ich sehe die Wahl nicht als eine zwischen den Gefahren einer großen Aktion auf der einen und Sicherheit auf der anderen Seite. Ich sehe mittlerweile keinen Ort der Sicherheit mehr. Oder besser: ich sehe, dass langfristig unsere sicherste Wahl ist, jetzt entschieden zu handeln. Genua hat deutlich gemacht, dass sie bereit sind, rücksichtslos die Konsolidierung ihrer Macht zu verteidigen. Aber wir noch haben wir breiten Raum, um uns zu organisieren. Wir müssen diesen Raum verteidigen, indem wir ihn nutzen, ihn füllen und ausweiten. Wir können sie entweder jetzt gemeinsam bekämpfen, da wir noch in der Lage sind, große und effektive Aktionen auf die Beine zu stellen, oder wir bekämpfen sie später in kleinen isolierten Gruppen, oder allein, wenn sie mitten in der Nacht die Türen unserer Wohnungen eintreten. Wir führen diesen Kampf entweder jetzt, da es noch gesunde Natur und Widerstandskraft im Lebenserhaltungssystem des Planeten gibt, oder wir kämpfen, wenn der Schaden noch schlimmer und die Hoffnung auf Heilung schmal ist. Wir müssen jetzt wachsen, nicht schrumpfen. Die Aktionen in diesem Herbst müssen größer, wilder, kreativer, unverschämter und inspirierender sein als je zuvor. Und vor allem: Wir müssen auf den Straßen bleiben.

Starhawk ist ein langjähriger Aktivist an der amerikanischen Westküste. Er war beim ‚Battle of Seattle' dabei




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001