Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
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Terror, Folter und Brutalität liegen an der Wurzel aller industriellen Demokratien

von Mumia Abu-Jamal

Wenn man derzeit den Namen der Stadt Genua erwähnt, mischt sich seine historische Bedeutung als Heimat von Christoph Columbus mit seinem neuen Renommeé als Austragungsort des G8-Gipfels und der staatlichen Erschießung des jungen Anti-Globalisierungsdemonstranten Carlo Giuliani. Dies ist nun ein historisches Mal einer anderen Sorte - ein Mal der Brutalität des Staates. Die Bilder von den tränengasgefüllten Straßen der altertümlichen italienischen Stadt markieren eine Transformation der Anti-Globalisierungsbewegung. Sie markieren einen neuen Tiefpunkt der wilden Gewalttätigkeit der Polizei, die keine Beschränkungen kennt, wenn es darum geht, die zu beschützen, auf deren Schutz sie wirklich eingeschworen sind: die Reichen, die Mächtigen und das Establishment.

Viel weniger wird bekannt und berichtet über die bösartigen und unprovozierten Angriffe auf junge Menschen, die im Independent Media Center in Genua arbeiteten. Schwadrone vermummter Genueser Bullen überfielen, schlugen, misshandelten und terrorisierten unabhängige Journalisten, die über die massiven Proteste berichteten. Einige Passanten berichteten, sie hätten über Stunden hinweg Schreie aus dem Gebäude gehört, wo diese festgehalten wurden.

Andere Anwesende berichteten, dass Aktivisten in einen Raum in einer nahegelegenen Polizeistation geführt wurden, wo man ihnen ein Porträt Mussolinis zeigte und sie zwang "Viva il Duce!" zu schreien. Diese Szene enthüllt das verdeckte faschistische Herz von Genua. Wo waren die millionenschweren Starreporter, die es sonst so lieben, sich in Fünf-Sterne-Hotels zu versammeln und darüber zu klagen, was ihren Journalistenbrüdern in der Dritten Welt oder Bosnien zugestoßen ist? Wann hat sich die konzerntreue Expertengilde auch nur mit einem Pieps zu den Angriffen auf arme oder radikale Journalisten geäußert, die in Genua in erster Front standen? Als junge AktivistInnen, die friedlich zusammengekommen waren, um zu schreiben, Interviews zu führen, zu berichten, aufzuarbeiten und zu übertragen, was sie anlässlich des Wohlstandsfestes (G8-Gipfel) sahen, wurden sie körperlich attackiert, vom Repressionsstaat terrorisiert und ihre Freiheiten mit Füßen getreten. All das wurde offiziell ignoriert. Ihre schockierende Behandlung durch die neo-faschistischen vermummten Polizisten des Kapitals war einfach keine Nachricht wert. "Es tut uns so leid", schniefte die vornehme Konzernpresse, "wir sehen hier einfach keine Story."

Und tatsächlich gibt es keine Story, und zwar aus dem einfachen Grunde, dass es nicht im Interesse ihrer Bosse liegt, so eine Story zu bringen. Auf diese Weise können sie mit ihrem nutzlosen Gefasele von der "Pressefreiheit" oder der "Versammlungsfreiheit" oder gar der Freiheit zu abweichender Meinung und dergleichen fortfahren. Sind denn die G7 (plus Russland) schließlich nicht "industrielle Demokratien"? Sie können es sich einfach nicht leisten zu berichten, was in Genua passiert ist, denn es sagt zuviel darüber aus, was in Demokratien tatsächlich vor sich geht - über den Terror, die Folter, die Brutalität, die an der Wurzel aller "industriellen Demokratien" liegen. "Viva il Duce!", das passt in der Tat nur zu gut, denn gute Diktaturen waren schon immer gute Bettgesellen des Kapitals. Der Nazi-Staat arbeitete mit grausamer Effizienz, die jüdische, Roma und andere Untermenschen als Sklaven ausbeutete, um satte Profite für wohlhabende, industrielle Herrscherklasse zu erwirtschaften.

Genua, das Columbus' Gier in die Welt schickte, um zu plündern, zu kolonisieren und zu versklaven, lässt nun seine konzerngesteuerte Armee auf jene los, die die Neo-Kolonisierung und Ausbeutung kritisieren, welche unter dem Decknamen der Neuen (Ökonomischen) Weltordnung verschleiert wird. Die Anti-Globalisierungsbewegung, so jung, so wertvoll, in Seattle vor gerade ein paar Augenblicken losgetreten, muss nun Reife entwickeln. Das ist das Geschenk von Genua.

Mumia Abu-Jamal ist ein politischer Gefangener im Todestrakt eines amerikanischen Gefängnisses. Alle Rechte liegen beim Autor.




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001