Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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"Das System befindet in einer viel tieferen Krise als es den Anschein hat"

Susan George

Die Eskalation des Terrors und der Gewalt des Staates, obwohl sie zeigen mag, dass die Anti-Globalisierungsbewegung eindeutig Wirkung zeigt, fängt nichtsdestotrotz an, Außenstehenden Angst zu machen. Zumindest wir in Europa kennen alle -oder wissen von- Menschen, die in Genua verprügelt, festgenommen und gefoltert wurden. Mein Dilemma, und sicherlich das vieler Genossen, ist folgendes: Ich bin teilweise verantwortlich für eine wichtige Vereinigung gegen die neo-liberale Globalisierung (nämlich als Vize-Präsidentin von Attac - 30,000 Mitglieder, über 200 Ortsgruppen). Ich kann gegenwärtig nicht reinen Gewissens unsere Mitglieder ermutigen, ihr Leben und ihre Körper in die Schusslinie zu stellen und an Demos teilzunehmen, wo zum einen die Polizei Leute einkesseln und mit scharfer Munition beschießen wird, und zum anderen der Schwarze Block, durch und durch infiltriert von Polizei und Faschisten, Amok läuft und anscheinend unfähig oder nicht Willens ist, seine eigenen Mitglieder zu mäßigen. Wir haben eindeutige Beweise für die Infiltration des Schwarzen Blocks durch Polizei und rechtsextreme Gruppen seit Seattle.

Da sie ja behaupten, eine politische Analyse zu haben, nehme ich an, dass sie sich mittlerweile wenigstens die Frage stellen, warum die Polizei sich gerade sie so regelmäßig zur Infiltration aussucht und sie bevorzugt instrumentalisiert, um in unseren Demos Gewalt anzuzetteln. Da die Polizei das tut, scheint es mir, dass 1.) sie dementsprechende Befehle haben, denn Polizeikräfte agieren nicht auf eigene Faust; und dass 2.) Gewalt zu provozieren zum Vorteil unserer Gegner ist und gute Bilder vom ‚Geist' der Bewegung erzeugt, die dann die unbeteiligte Bevölkerung als einzige Berichterstattung zu sehen bekommt.

Wir wissen, dass Polizisten den Schwarzen Block als Deckungsmasse benutzten und sich in ihren Reihen wie Fische im Wasser bewegten. Wir haben die Pflicht, den Schwarzen Block zu fragen, warum sie das erlaubt haben, und wir müssen mit ihnen diskutieren, wie sie zu der Bewegung auf positivere Art beitragen können. Falls irgendjemand weiß, wie man sie erreichen kann -nicht nur physisch, sondern moralisch- versucht es bitte. Mir ist es nicht möglich.

Lasst uns versuchen, uns auf unsere Ziele zu konzentrieren; darauf, wie wir ‚gewinnen' können, wie wir die konzerngesteuerte Globalisierung, die alle unsere Gesellschaften und Anliegen untergräbt, zu Fall bringen können. Das System befindet sich in einer tieferen Krise, als man meinen könnte. Die Menschen sind mindestens potentiell auf unserer Seite. Eine Umfrage von Le Monde (19.Juli 2001) in Frankreich ergab, dass zwei Drittel der Bevölkerung meinen, die Globalisierung nutze den Reichen, den Transnationalen Konzernen und den Finanzmärkten und gefährde Jobs und kleine Unternehmen. Nur 1 Prozent sagte, die Globalisierung nutze allen, und ganze 76% meinen, in der Weltwirtschaft gebe es nicht genug Regeln, um die Rechte von Individuen zu schützen.

Dies zeigt, dass unsere Ideen im Vormarsch sind und populär werden. Langfristig können wir nur verlieren, wenn wir uns selbst lahmlegen, die Bewegung spalten und uns von unserer Basis über Fragen von Gewalt und Risiken abtrennen. Wie wäre es, wenn wir diesmal versuchen zu gewinnen, mit der Unterstützung der Millionen unzufriedener Menschen, die wissen, dass die Globalisierung eine Bedrohung darstellt. Können wir nicht politisch gewinnen, indem wir zeigen, dass wir die Mehrheit sind, die Entschlossensten, und dass eine andere Welt möglich ist?

von Susan George, Attac Frankreich




Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001