Sozialismus von unten
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"Empire" - Ein neues "kommunistisches Manifest?"

Sam Ashman

Sam Ashman schreibt über Empire, das neue Buch von Antoni Negri und Michael Hardt.

"Nicht weniger als eine Neufassung des Kommunistischen Manifest für unsere Zeit", "Die schärfste Beschreibung der Globalisierung, die je geschrieben wurde", "Das heiße, smarte Buch des Augenblicks".
Dies sind nur einige Kommentare zu dem neuen Buch über Globalisierung, das Weltsystem und den Widerstand von unten.

Das Buch heißt Empire (Imperium), ist bisher nur in englischer Sprache erschienen und stammt von Michael Hardt und Toni Negri. Das Interesse daran ist so groß, daß der Verlag das Paperback mit einer Erstauflage von 20.000 Stück herausbringen will, statt wie vorgesehen 5.000. Hardt, Hohschuldozent in den USA, wurde kürzlich im britischen Observer porträtiert und im Fernsehen zu den Protesten in Genua interviewt. Negri ist ein politischer Philosoph und Aktivist, der derzeit in Italien eine 20jährige Gefängnisstrafe wegen seiner Verbindungen zur italienischen Linken in den 1970'ern absitzt. Hardt und Negri haben gemeinsam einen Artikel zu den Genua-Protesten verfaßt, der in der New York Times und im International Herald Tribune veröffentlicht wurde. Darin sagen sie: "Die Proteste sind selbst zu einer globalen Bewegung geworden, und eines ihrer klarsten Ziele ist die Demokratisierung des Globalisierungsprozesses. Sie sollte gar nicht Anti-Globalisierungsbewegung genannt werden, denn es geht ihr um eine alternative Globalisierung. Die Bewegung tritt ein für die Abschaffung der Ungleichheit zwischen Arm und Reich und zwischen den Mächtigen und den Machtlosen; sie will die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung ausweiten. Die eine Sache, die wir aus der Vielfalt der Stimmen von Genua verstehen sollten, ist, daß eine bessere Zukunft möglich ist [...] die realistische Handlungsstrategie heute ist, etwas zu verlangen, das unmöglich scheint - das ist etwas Neues."
Hardt wie Negri wollen eine bessere Welt, und sie identifizieren sich mit den Demonstranten auf den Straßen.

Und was genau sagt Empire? Das Buch bleibt weit hinter dem Lob zurück, das es in den Feuilletons erhält. Es ist ein dickes, großenteils historisches und philosophisches Buch, das sich auf viele obskure Denker bezieht. Es liest sich auch ziemlich schwer, und es ist auf jeden Fall ein schlechter Einstieg in die Themen Kapitalismus und globales System. Die Lektüre kann einen Jahre kosten! Im Kern ist Empire eine Neubearbeitung des Marxismus. Diese Neubearbeitung beinhaltet zwei zentrale Fehlkonzeptionen.

Neue Weltordnung

Die erste ist die Idee des "Imperiums" selbst, die den Titel und das Herzstück des Buches bildet. Hardt und Negri akzeptieren die weit verbreitete Vorstellung, daß wir in einer neuen Ära wirtschaftlicher Globalisierung leben, die den Nationalstaat seines Einflusses beraubt. Diese Vorstellung ist hoch problematisch. Aber Hardt und Negri belassen es nicht dabei. Sie gehen sogar weiter und argumentieren, daß die neue Ära des "Imperiums" den Imperialismus und jede Möglichkeit des Konfliktes zwischen Nationalstaaten überwunden hat. Die Welt werde heute von einer unpersönlichen Macht und Wirtschaftsstruktur regiert, die kein Zentrum hat und mit keinem bestimmten Nationalstaat mehr identifiziert werden kann -nicht einmal mit den USA.

Wir hätten eine Ära "universeller und denzentralisierter Macht des Kapitals" betreten. "Zusammen mit dem globalen Markt und globalen Produktionskreisläufen hat sich eine globale Ordnung herausgebildet, eine neue Logik und Struktur der Macht. ‚Empire' ist das politische Subjekt, das diesen globalen Austausch effektiv reguliert. Es ist der globale Souverän, der diese Welt regiert."

Die Autoren zeichnen ein sehr dunkles und dramatisches Bild - ein wenig wie aus einem Science Fiction Roman. Sie beschreiben klar eine unterdrückerische und zerstörerische Welt. Aber das Buch frustriert auch, weil es so gut wie keine konkrete Analyse der heutigen Welt liefert.
Es enthält keine Analyse der Funktionsweise von Weltwirtschaft, Nationalstaaten, multinationalen Konzernen oder Organisationen wie der WTO. Empire vernachlässigt die sehr ernsthaften Konflikte und Rivalitäten zwischen Nationalstaaten, wie die zwischen den USA und China, völlig. Es gibt keine Diskussion darüber, wie George W. Bushs ‚Son of Star Wars', den "Imperialismus überwindet". Die Argumente werden sehr abstrakt und allgemein formuliert. Es gibt keine Diskussion der Frage, wer regiert oder wie.

Die Vielfalt

Die zweite zentrale Idee von Empire ist die "Vielfalt" oder die Menschen am unteren Ende der Gesellschaft. Es sei die Vielfalt, eine riesige und formlose Masse, die dem Imperium an jedem Punkt Widerstand leiste. Die Vielfalt ist etwas anderes als die Arbeiterklasse. Negri ist der organisierten Arbeiterklasse gegenüber feindlich eingestellt. An anderer Stelle hat er Gewerkschafter als "Kulaken" bezeichnet - mit dem Begriff für die reichen Bauern in Rußland, die auf Kosten der armen Bauern lebten.

In Empire gehen Hardt und Negri davon aus, daß sich "die Zusammensetzung des Proletariats verändert" habe. Heute sei die industrielle Arbeiterklasse "praktisch aus der Sicht verschwunden. Sie hat nicht aufgehört zu existieren, aber sie ist aus ihrer privilegierten Stellung innerhalb der kapitalistischen Ökonomie verdrängt worden".

Aber dem ist nicht so. Die Arbeiterklasse ist nicht nur eine wachsende Kraft. Sie ist auch die eine Kraft, die das System entmachten kann. Heute gibt es in den USA 20.000 mehr Arbeitsplätze in der Automobilindustrie als noch 1979. Die Globalisierung hat allein in Bangladesch mehr als eine Million TextilarbeiterInnen hervorgebracht -die meisten von ihnen Frauen, die kämpfen und Gewerkschaften aufbauen. Viele ArbeiterInnen, die gegen Neo-Liberalismus und Privatisierungen angehen, wissen, daß sie nicht allein sind.

Aber Hardt und Negri argumentieren, daß Ereignisse wie die palästinensische Intifada, die Aufstände 1992 in Los Angeles, die Kampagne der Zapatistas in Chiapas und Streiks in Frankreich und Süd-Korea nicht miteinander verbunden werden können: "Keines dieser Ereignisse inspirierte eine neue Serie von Kämpfen, denn die Wünsche und Bedürfnisse, denen sie Ausdruck gaben, konnten nicht in verschiedene Kontexte übersetzt werden". Das ist lächerlich. Die Zapatistas mögen zwar keine anderen bewaffneten Aufstände hervorgerufen haben, aber sie haben auf jeden Fall für internationale Inspiration und Solidarität gesorgt.

Wer ist der Feind?

Hardt und Negri, nachdem sie einmal festgelegt haben, daß das Imperium die "universelle und dezentralisierte Macht des Kapitals" darstelle, argumentieren, daß es nun keinen klar definierbaren Gegner mehr gebe. Daher seien nun die Kapitalistenklasse, die Arbeitgeber und die bewaffneten Kräfte des Staates nicht mehr der Feind. Daher geben die beiden auch jede Bemühung um eine politische Strategie auf. Sie umreißen drei allgemeine Forderungen:

· Das Recht auf globale Bürgerschaft (weltweite Bewegungsfreiheit für alle)
· Das Recht auf ein soziales Mindesteinkommen (für alle auch Erwerbslosen)
· Das Recht auf Wiederaneignung (Kontrolle über Sprache, Kommunikation und Produktion)

Es gibt auch vage Aufrufe, ein "radikaler Republikaner" oder "Kommunist" zu werden oder zu "revolutionärer politischer Militanz". Aber was bedeuten sie? Die einzige Richtung, die sie weisen, ist, "dem Elend der Macht die Freude des Seins entgegenzusetzen". Der letzte Abschnitt des Buches nennt sogar Franz von Assisi als mögliches Vorbild für alle, die für eine bessere Welt kämpfen wollen. Revolutionäre müssen mehr tun.

Wir müssen die tagtäglichen Kämpfe der Arbeiter gegen Privatisierungen und Arbeitsplatzverluste aufbauen und sie sowohl mit den Kämpfen gegen den Neo-Liberalismus als auch mit den Massendemonstrationen gegen Institutionen wie die G8 und den Internationalen Währungsfonds verknüpfen.

Es besteht kein Zweifel, daß Hardt und Negri eine bessere Welt wollen. Aber sie durchschauen die Welt, in der wir leben, nicht und bieten keine strategischen Vorschläge, wie eine bessere Welt zu gewinnen wäre.




weitere Artikel über Empire:
  • Antonio Negri in historischer Perspektive. "Empire" und die Grenzen autonomer Theorie und Praxis - von Alex Callinicos [weiter]
  • Umfangreiche Infoseite der Uni Münster über "Empire" [weiter]




  • Sozialismus von unten, Nr. 7, Herbst/Winter 2001