Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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Nr. 6, Frühjahr 2001

[Inhaltsverzeichnis SVU Nr.6]


Ursprünge und Entwicklung der zionistischen Bewegung

Reuven Neumann beschreibt die Ursprünge der zionistischen Bewegung, ihr Bündnis mit den imperialistischen Mächten Europas und ihre Bedeutung für die Entstehung des Staates Israel. Er argumentiert, daß der Zionismus nicht nur zur Vertreibung und Unterdrückung der arabischen Bevölkerung Palästinas führte, sondern auch der jüdischen Bevölkerung keine wirkliche Perspektive bietet.

Der Zionismus entstand als eine Reaktion auf die Verschärfung des Antisemitismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Sein Ziel war jedoch nicht der Kampf gegen den Antisemitismus, sondern die Sammlung aller Juden in Palästina, das zu einer neuen Heimstätte werden sollte. Dies konnte er jedoch ohne die Unterstützung europäischer Mächte nicht verwirklichen.

Diese Allianz wurde zu einem Kennzeichen der zionistischen Bewegung, ohne die das letztendliche Ziel – nämlich die Errichtung eines jüdischen Staates – eine Utopie geblieben wäre.

Die Entstehung des Zionismus

Im 19. Jahrhundert lebte die Mehrzahl der Juden unter ärmlichen Bedingungen und separiert von der restlichen Bevölkerung in Osteuropa, das um die Jahrhundertwende ein überwiegend agrarisch geprägtes Land war, in dem der Adel und die Großgrundbesitzer noch immer einen großen Einfluß über die Bauern ausübten. Erst langsam begann sich mit der Herausbildung von Produktionsstätten und Handel in Rußland eine kapitalistische Entwicklung abzuzeichnen.

Die jüdische Bevölkerung besaß vor allem unter feudalistischen Verhältnissen über eine lange Zeit eine dominierende Stellung bei der Abwicklung von Geldgeschäften und im Handel. Diese Rolle wurde ihnen jedoch aufgezwungen, da es ihnen weitgehend verboten war, sich in anderen Berufszweigen niederzulassen. Sie befanden sich schließlich in einer Vermittlerrolle zwischen den feudalen Klassen der Bauern und des Adels. Die Auflösung dieser alten Gesellschaftsform warf nun große Teile der jüdischen Bevölkerung in Armut und machte sie zugleich zu einem Opfer des Antisemitismus.

Die Folge war eine riesige Fluchtwelle der Juden nach Europa und Amerika. Allein in der Zeit von 1901 bis 1914 wanderten jährlich zwischen 150.000 bis 160.000 Juden aus. Die wenigsten wählten also Palästina als ihr Ziel.

Das jüdische Bürgertum, daß vorher noch an die Möglichkeit einer Assimilation glaubte, wandte sich nunmehr zunehmend der Idee zu, daß eine Integration der Juden unmöglich sei. Leo Pinsker, einer der bekanntesten russischen Zionisten, schrieb dazu in seiner Schrift „Autoemancipation“

„Wir müssen uns ein für alle mal mit der Idee befreunden, daß die anderen Nationen, vermöge eines ihnen innewohnenden, naturgemäßen Antagonismus, uns ewig ausstoßen werden“1

Leo Pinsker glaubte, daß der Judenhaß naturgegeben sei und daß allein deshalb nur die Sammlung aller Juden unter einer Nation die Lösung sein könne.

Während der Zionismus vor allem eine Idee des jüdischen Bürgertums war, glaubten viele Juden aus dem Arbeitermilieu hingegen an einen Kampf gegen den Antisemitismus. Sie schlossen sich den jüdischen Arbeiterorganisationen an, wie beispielweise dem „Bund“ oder der „Poalei Zion“ (Arbeitern Zions), wobei letztere sich zwar als Interessenvertreter der Arbeiter verstanden, jedoch gleichzeitig auch eine zionistische Ausrichtung besaßen. Doch vor allem für den „Bund“ hatte der Antisemitismus seine Wurzeln in den gesellschaftlichen Bedingungen, die mit revolutionären Mitteln bekämpft werden müßten.


Bündnis mit dem Imperialismus

Parallel entstand auch in Westeuropa eine zionistische Bewegung, deren prägendster Führer der österreichische Journalist Theodor Herzl war. Unter dem Eindruck der „Dreyfus-Affäre“ in Frankreich veröffentlichte er 1896 seine Schrift „Der Judenstaat“.

Da der Zionismus auch in Westeuropa über kaum Unterstützer verfügte, suchte sich Herzl selbst unter reaktionären Kräften Rückhalt für seine Idee der zionistischen Besiedlung Palästinas. In Briefen an den russischen Innenminister Plehwe, einen Mitorganisator von anti-jüdischen Pogromen, sowie an den Großherzog von Baden bat er um Zuspruch. Letzterem schrieb er: „Heute ist schon klar, daß die Besiedlung des kürzesten Weges nach Asien [Palästina] mit einem neutralen Volkselement für die deutsche Orientpolitik einen gewissen Wert haben könnte. Und welches Element ist dies? Dasselbe das par la force des choses [durch die Macht der Tatsachen] fast überall den Umsturzparteien zugejagt wird“2

Der Zionismus sollte also gegenüber den Großmächten nicht nur als deren Interessenwahrer im Nahen Osten auftreten, sondern er sollte zudem die jüdischen Massen davon abbringen, zu den revolutionären Parteien zu strömen. Diese Verbindung sollte ihre Bedeutung behalten.


Die jüdische Besiedlung Palästinas

Der Zionismus sah Palästina als die neue Heimat der Juden. Die Formel „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ schien sich zu erfüllen. Doch trafen sie in Palästina auf eine schon lange ansässige arabische Bevölkerung.

Zu der selben Zeit gewann das Interesse der europäischen Mächte an dieser Region zunehmend an Bedeutung. Für Großbritannien war unter anderem die Gewinnung von Öl ein gewinnträchtiges Motiv für das Engagement. Aus diesem Grund wurde der Hafen von Haifa ausgebaut, um dort eine Erdölpipeline aus dem irakischen Mossul enden zu lassen. Gleichzeitig besaß die Region auch eine Bedeutung als Absatzmarkt für britische Produkte und als strategische Verbindung zu den Kolonien in Asien. Aber auch Frankreich machte seine Ansprüche geltend: Noch während des Ersten Weltkriegs teilten sich beide Mächte 1916 im Syces-Picot-Abkommen das Gebiet unter sich auf. Auf der Konferenz von St. Remo im April 1922 einigten sich die Westallierten, daß Großbritannien das Mandat über Palästina erhalten sollte.

Um 1900 lebte noch eine jüdische Gemeinschaft (Jischuw) von ca. 50.000 Juden, meist aus religiösen Motiven, unter ca. 500.000 Arabern.

Eine bescheidene jüdische Einwanderung begann sich bereits um die Jahrhundertwende zu etablieren. Bis 1914 betraten weitere 35.000 jüdische Einwanderer Palästina. Obgleich die Juden eine Minderheit darstellten, nahmen ihre Aktionen zur Übernahme des Landes zu. Dabei ging die jüdische Besiedlung stets von einer Verdrängung der ansässigen arabischen Bevölkerung aus, um eine von ihnen getrennte Gesellschaft aufzubauen. Die Parole der „jüdischen Arbeit“ wurde zu einem Mittel, um arabische Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt auszuschließen und sie zu isolieren, womit sie gleichzeitig ihrer wirtschaftlichen Existenzmöglichkeiten beraubt wurden. Dazu gehörte auch der Boykott arabischer Produkte, um arabische Unternehmen und Arbeitskräfte aus dem Land zu verdrängen.

Ein weitere wichtiger Pfeiler für die Eroberung des Landes war der Landkauf. „Hektar um Hektar“ hieß die Losung, unter welcher der Aufkauf betrieben wurde. Dabei trug der Kauf von Land nicht ausschließlich einen ökonomischen, sondern einen vor allem einen politischen Charakter. Viele arabischen Bauern verloren dadurch ihre Lebensgrundlage.

Die Briten unterstützten die zionistische Politik weitgehend, da sie sich dadurch die Sicherung der Herrschaft über Palästina versprachen. Als 1936 ein arabischer Generalstreik ausbrach, der zu zahlreichen Unruhen führte, nutzten die Briten diese Allianz, um den Aufstand niederzuschlagen.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 veranlaßte eine große Anzahl von Juden, aus Deutschland zu fliehen.

Viele von ihnen waren keine Anhänger des Zionismus oder Unterstützer des Imperialismus der westlichen Mächte im Nahen Osten. Da die meisten Grenzen in Europa und Amerika für jüdische Flüchtlinge verschlossen blieben, war die Auswanderung nach Palästina für sie die einzige Möglichkeit, der Vernichtung durch das nationalsozialistische Deutschland zu entrinnen. Während der Kern der zionistischen Bewegung die Unterstützung des westlichen Imperialismus trotz bestehender Alternative propagierte und diese Alternativen, wie z. B. die Unterstützung der Arbeiterbewegung gerade in Rußland, offensiv bekämpfte, schloß sich die Mehrheit der Juden, die nach Palästina einwanderten, dem Zionismus mangels anderer Alternativen an.

Die Briten versuchten mit der im Weißbuch von 1939 vorgesehenen Limitierung der jüdischen Einwanderung auf die Kriegssituation zu reagieren und eine Annäherung an die Araber zu erreichen. Gleichzeitig entfremdeten sich die Zionisten zusehend von den Briten, da sich immer mehr Interessenunterschiede offenbarten. Der Zionismus war gezwungen, nach einem neuen Bündnispartner auszuschauen.


Die Gründung Israels

Der Zweite Weltkrieg hinterließ für den Nahen Osten eine neue politische Situation: Mit den USA und der Sowjetunion traten zwei neue Weltmächte auf den Plan, die sich beide erhofften, den schwindenden Einfluß der Briten im Nahen Osten ersetzen zu können. Aus diesem Grund befürworteten sie einen Teilungsplan, der einen jüdischen und arabischen Staat vorsah.

Währendessen versuchten die zionistischen Organisationen, den Flüchtlingsstrom nach Palästina zu lenken, obgleich die Briten bis 1948 alles taten, um das zu verhindern.

Im November 1947 beschlossen die Vereinten Nationen einen Teilungsplan, der für den jüdischen Staat 55 % des Territoriums vorsah, obwohl die jüdische Bevölkerung noch immer nur ein Drittel der Bevölkerung in Palästina stellte. Bedeutsam für diese Entscheidung war das Elend der ca. 300.000 jüdischen Holocaust-Überlebenden, der „displaced persons“.

Das neugegründete Israel war mit der bereits während der Mandatszeit aufgebauten Infrastruktur auf die Auseinandersetzung mit den Arabern gut vorbereitet.

Nach dem Ende des Krieges hatte Israel sein Gebiet auf fast ganz Palästina ausgeweitet, mit Ausnahme der Westbank. Hunderttausende palästinensischer Araber wurden mit Drohungen und Terror aus ihren Dörfern vertrieben und flohen in die Nachbarländer. Die Ermordung von 254 Arabern in Deir Yassin durch die Terrorgruppe „Etzel“ zeigte, daß die Vertreibung der Araber nicht alleine eine Folge des Krieges, sondern die Fortsetzung einer bewußten Politik einer jüdischen Majorisierung des Landes war.

Die weitere Geschichte Israels hat diese Entwicklung nur bestätigt. Der Zionismus war und ist nicht in der Lage, eine Antwort auf die sich durch den Antisemitismus verschlechternde Situation der Juden zu geben. Der Zionismus hat aus dem Versuch, eine Lösung für die jüdische Frage zu finden, ein neues Problem geschaffen. Der Nahe Osten wurde nicht zu der gewünschten friedlichen Heimstätte aller Juden, sondern zu einem ebenso gefahrvollen Ort wie die frühere Diaspora.

Der Kapitalismus verschließt denjenigen Völkern, deren traditionelle Existenzgrundlage er zerstört hat, den Weg in die Zukunft, nachdem er [ihnen] den Weg in die Vergangenheit abgeschnitten hat.“3

Dies schrieb Abraham Léon, ein jüdischer Marxist. Für ihn und viele andere war die Zukunft nicht der Zionismus, dessen Weg durch die bestehenden Bedingungen abgeschnitten war, sondern die sozialistische Revolution.


1 Zitiert nach H. J. Schoeps (Hg.): Zionismus, München, Nymphenburger Verlag 1973

2 Jakob Taut: Judenfrage und Zionismus, Frankfurt, isp-Verlag 1986, S. 47

3 Abraham Léon: Die jüdische Frage, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1995, S. 160



Sozialismus von unten, Nr. 6, Frühjahr 2001