Sozialismus von unten
Magazin für antikapitalistische
Debatte & Kritik

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Nr. 6, Frühjahr 2001

[Inhaltsverzeichnis SVU Nr.6]


Das Scheitern rot-grüner Umweltpolitik

Anstieg des CO2-Ausstosses, kein Atomausstieg, Boden- und Wasserverschmutzung, Flächenversiegelung und Ressourcenverschwendung - die Bilanz nach zweieinhalb Jahren rot-grüner Umweltpolitik ist niederschmetternd. Max Steininger untersucht die Ursachen und Folgen des Scheiterns.

Umweltschutz am Anfang des 21. Jahrhunderts ist kein Minderheitenthema mehr. Über 1 Million Menschen sind in verschiedenen Umweltverbänden tätig, allein Greenpeace hat etwa 510.000 Förderer. Laut einer emnid- Umfrage im Auftrag des Bundesumweltamtes erwarten über 90Prozent der Deutschen eine Zunahme der globalen Umweltverschmutzung und eine Erwärmung des Klimas. Etwa 60Prozent halten letzteres für "sehr gefährlich". Drei Viertel der Befragten erwarten, daß ihre Kinder und Enkel darunter leiden werden müssen. Die Frage nach einer konsequenten und erfolgreichen Umweltpolitik stellt sich immer mehr, nachdem man selbst den Grünen in Punkto umweltpolitischer Kompetenz auf einer Skala von 1 (gut) bis 5 (schlecht) in derselben Umfrage nur eine 2,94 zusprach. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mußte Anfang Februar erhebliche Mängel in der deutschen Umweltpolitik feststellen. Obwohl Umweltschutz neben der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit einer der Hauptgründe war, warum Rot-Grün 1998 an die Regierung gekommen ist, zeigt die konkrete Umsetzung, wie und warum eine Politik, die mit und nicht gegen Markt, Wettbewerb und Konzernherrschaft arbeitet, scheitern muß.

CO2-Ausstoß

Vor allem bei der Reduktion des CO2-Ausstoß wird der Bankrott deutscher Umweltpolitik deutlich: Während sich die alte Regierung 1997 im Protokoll von Kyoto (das übrigens nicht nur noch nicht von den USA ratifiziert ist, sondern von keinem einzigen Industriestaat) dazu verpflichtete, den CO²- Ausstoß im Vergleich zu 1990 bis 2005 um 25Prozent zu reduzieren, stehen wir heute an einem Punkt, an dem der Ausstoß nicht nur stagniert, sondern im letzten Jahr sogar um ein Prozent angestiegen ist. Von einer versprochenen "Trendwende im Klimaschutz" ist bisher nichts zu spüren. Das Ziel von 40Prozentiger Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2040 entfernt sich demnach immer mehr. Der Den Haager Klimagipfel Ende 2000 stand schon von vornherein unter einem schlechten Licht: Weder dürfen die USA irgendein Klimaschutzabkommen unterzeichnen, noch haben sie irgendein Interesse daran. Deutschland und die anderen Industriestaaten führen den damit verbundenen Wettbewerbsnachteil als Argument an, daß die vereinbarten Ziele auf diese Weise in keinem Fall erreicht werden können. Dennoch schafft es die deutsche Regierung schon seit dem Gipfelvon Rio, sich als die Verfechterin und Vorreiterin des globalen Klimaschutzes zu präsentieren.
Und wirklich: Bei der Reduktion des CO²-Ausstoßes seit dem Referenzjahr 1990 steht Deutschland bei den Industrieländern an der Spitze. Das Ziel einer 25prozentigen Reduktion zwischen 1990 und 2005 kann sich eigentlich schon fast sehen lassen im Vergleich von nur etwa 7 Prozent in den USA. Schaut man allerdings hinter diese Zahlen, wird man feststellen müssen, daß der bisherige Rückgang der CO²-Emissionen von erst 15 Prozent nur auf einer einzigen Tatsache basiert, nämlich der Zerstörung der kompletten ostdeutschen Schwerindustrie.
Nach der Wende gingen östliche Fabriken über die Treuhand an westliche Konzerne über, die dann mit einer konsequenten Politik der Fabrikschließung Konkurrenz im eigenen Land ausschalteten. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland auf bis zu 20 Prozent war die eine Folge, eine Ausweitung der Vormachtstellung der westdeutschen Energie- und Autokonzerne die andere. Inzwischen sind die 6 größten deutschen produzierenden Konzerne allesamt in diesen Branchen tätig: Daimler Chrysler, VW, Siemens, Veba, BMW und RWE.
Gemeinsam haben sie einen Gesamtumsatz von 670 Mrd. DM und einen Gewinn von über 20 Mrd. DM.
Nachdem in Ostdeutschland nichts mehr kaputtzumachen ist, stieg im letzten Jahr der CO²-Ausstoss in Deutschland zum ersten mal nach der Wende wieder um einen Prozentpunkt an. Schuld waren vor allem neue, billige Braunkohlekraftwerke(!) und ein Anstieg des Individualverkehrs. Auch kann niemand behaupten, in der deutschen politischen Klasse hätte die Lobbypolitik der Energiekonzerne bedeutend weniger Einfluss als in den USA. Nur zwei Beispiele: Bundeskanzler Schröder hat gute Kontakte zur Chefetage von VW, Wirtschaftsminister Müller war Manager bei Veba, einem der großen Atomkonzerne. Die deutsche Klimapolitik in den letzten Jahren gleicht deshalb auch eher einem Armutszeugnis.

Eingeknickt

Das rot- grüne Einknicken vor den Konzernen ist unter anderem an ihrer aktiven Zusammenarbeit mit dem Verkehrsforum Bahn, einem gigantischen Lobbyverband von 240 Automobilkonzernen, Speditionen, Mineralölgesellschaften und (Straßen-) Bauunternehmen zu sehen. Das Verkehrsforum Bahn ist verantwortlich für die Privatisierung der Bahn Mitte der 90er. Bis 2020 sollen überdies für knapp 540 Milliarden DM weitere 11.500 Kilometer Straße gebaut werden, gleichzeitig werden allein noch in diesem Jahr 13 Millionen Zugkilometer von insgesamt 170 Millionen stillgelegt. Bis 2015 ist ein Anstieg des Personenverkehrs um 20 Prozent, des Güterverkehrs sogar um 64 Prozent zu erwarten.
Rot-Grün hat dem nicht viel entgegenzusetzen. Die Ökosteuer wird nicht für die Förderung und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs benutzt, sondern den Unternehmern in Form einer Senkung der Lohnnebenkosten nachgeworfen. Deutschland, vertreten durch den grünen Umweltminister Jürgen Trittin, stellte sich als einziges Land 1999 bei der geplanten Einführung einer Altautoverordnung quer, die europäische Automobilkonzerne dazu verpflichten sollte, Alt-Autos zu recyceln. Eine Maut für LKWs soll erst 2003 eingeführt werden.
Äußerst Traurig ist unter anderem auch die Bilanz in Bezug auf die Bodenversiegelung. Selbst unter Rot-Grün gab es keinerlei Annäherung an das Ziel, den täglich neuen Flächenverbrauch von 120 Hektar 1997 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Die traurigen Fakten: 121 Hektar pro Tag werden heute durch das Anlegen von Feldern und den Bau von Parkplätzen, Straßen, Industrieanlagen und sonstigen Gebäude versiegelt. Dadurch gerät der Wasserkreislauf außer Kontrolle, das Regenwasser wird beim Versickern nicht mehr gereinigt. Gleichzeitig "verschwinden" jährlich 120 Millionen Tonnen Humus, 1,35 Millionen Tonnen giftiger Klärschlamm werden als "Dünger" ausgebracht und verseuchen den Boden mit Arzneimitteln, Chemikalien und Schwermetallen. Das Bodenschutzgesetz von 1999 regelt lediglich Altlasten und Schadstoffeinträge, nicht jedoch das notwendige Flächen-Management. Hinzu kommen jährlich 30 Tonnen Pflanzenschutzmittel, die nicht nur den Boden, sondern vor allem auch die Flüsse und das Grundwasser verschmutzen. Eine EU-Richtlinie gibt vor, daß Flüsse höchstens "mäßig belastet" sein dürfen. Vor allem beim Nitrateintrag ist dennoch keine Besserung in Sicht: Nitrat belastet unter anderem die Nordsee, deren Ökosystem immer noch stark gefährdet ist. Elbe, Donau, Oder und Rhein entsprechen alle nicht den nötigen Standards.
Ein weiteres Umweltpolitisches Ziel der rot-grünen Koalition war eine drastische Verminderung des Ressourcenverbrauchs in Deutschland. Der Pro-Kopf-Aufwand an Rohstoffen liegt bei derzeit rund 60 Tonnen jährlich. Nicht nur fossile Rohstoffe gehen zur Neige (Experten gehen davon aus, daß sie nur noch 30 Jahre vorhalten). Eine Studie Nachhaltiges Europa fordert, die Entnahme aller nicht erneuerbarer Ressourcen um die Hälfte zu verringern.
Laut dem Wuppertal-Institut wäre eine Erhöhung der Rohstoffproduktivität um den Faktor 4 bis 10 mit dem Stand der Technik zu erreichen. Vorraussetzungen sind eine massive Einsparung an Einwegverpackungen und eine konsequente Umstellung der Industrie auf erneuerbare Rohstoffe. Für eine Tonne Kupfer müssen beispielsweise 350 Tonnen Material bewegt werden. Dabei wird Naturraum großflächig zerstört und Boden und Grundwasser mit Schwermetallen vergiftet. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie zur Einsparung von Einwegverpackungen, die von Umweltminister Jürgen Trittin 1998 noch als Erfolg gefeiert wurde, scheiterte kläglich, da Dosen in der Produktion billiger sind. Derzeit ist nur noch die Einführung eines Dosenpfands im Gespräch, womit die Kosten auf den Endverbraucher umgelegt werden.

Atommafia

Bei der Energiegewinnung ist Deutschland von der vielbeschworenen Trendwende noch weit entfernt: Noch immer werden 85 Prozent der Primärenergie aus fossilen Energieträgern gewonnen, weitere 13 Prozent aus Atomkraft. Zu dem sowieso schon geringen Anteil von regenerativen Energien wird fälschlicherweise auch die Müllverbrennung gezählt. Nur 1,3 Prozent des Bedarfs an Primärenergie werden heute von Wind- und Solaranlagen gedeckt. Der Verbrauch wird offiziellen Prognosen zufolge erst ab dem Jahr 2010 wieder sinken.
Allein durch konsequenten Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ließe sich ohne Probleme eine Reduktion des CO2 Ausstoßes der Energiewirtschaft um 50 Prozent erreichen. Damit verbunden wäre allerdings eine Dezentralisierung der Energieproduktion. Fernwärme ist nur effektiv, wenn sie auch in der Nähe des Abnehmers produziert wird Große Atom- und Kohleanlagen sichern allerdings den Monopolisten von RWE, VEBA/ VIAG und VEAG ihre Vormachtstellung durch den hohen Kapitalaufwand bei der Errichtung und dem Betrieb der Anlagen, weil Konkurrenten nicht mehr mithalten können. Dank konsequenter Lobbyarbeit, v.a. auch mit Unterstützung des VEBA-Wirtschaftsministers Werner Müller gibt es allerdings keinerlei Gesetz oder Quotenregelungen, die für die Industrie bindend sind, lediglich ein freiwilliges Abkommen mit der Industrie, den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) bis 2010 auf 24 Prozent zu verdoppeln.
Vom "100.000- Dächer- Programm", mit dem Rot-Grün vor der Wahl noch für Solarzellen auf Privathäusern geworben hat, sind bisher gerade einmal 10 Prozent realisiert. Gleichzeitig führt die Liberalisierung des Strommarktes zu steigendem Import von billigem Atomstrom aus dem Ausland.
Damit wird auch der von den Grünen so viel gefeierte "Atomkonsens" zu einem schlechten Witz: Aber selbst der ist erstens noch nicht unterschrieben, und zweitens sichert er den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken für die nächsten 30 Jahre. Darüber hinaus gilt der Bau von Atomkraftwerken in globalen als eine CO2-reduzierende Maßnahme. Da kommt es einem Wirtschaftsminister Werner Müller sehr gelegen, wenn Bush den Kyotoer Beschluss für nichtig erklärt. In einem Focus-Interview rückt Werner Müller mit Hinweis auf Atomausstieg und wirtschaftlicher Wettbewerbsnachteile von dem Ziel ab, bis 2020 40 Prozent weniger CO2 auszustoßen als 1990.
Eine konsequente Umweltpolitik kann sich nicht mehr nur darauf beschränken, Appelle an die Konzerne zu richten, sie muß die herrschenden Machtstrukturen und den Irrsinn der Politik des freien Marktes und des ungehemmten Wettlaufs um Profite in Frage stellen. 20 Jahre Grüner Parlamentarismus haben uns vor allem gelehrt, daß innerhalb der Marktwirtschaft kein Platz ist für alternative, umweltschonende Energie. Die Ausbeutung und Verschmutzung der Umwelt durch die Konzerne endgültig zu stoppen, heißt letztendlich die Strukturen zu beseitigen, die ihnen ihre Machtstellung sichern: Den Markt und den Staatsapparat.




Sozialismus von unten, Nr. 6, Frühjahr 2001