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Wie weiter nach Prag? Statements von AntikapitalistInnen Susan George, Lindsey German & Noam Chomsky
Der SVU dokumentiert auf den folgenden Seiten verschiedene Wortmeldungen, wie es mit den Zukunftsperspektiven der antikapitalistischen Bewegung nach Prag bestellt ist und in welche Richtung sie sich orientiert.
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Susan George, Aktivistin und Publizistin
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"Jeder versteht, dass wir wirklich alle gemeinsam betroffen sind." |
Das erste, was die Proteste
auszeichnet, die in letzter Zeit stattgefunden haben, sind starke nationale Bündnisse, die sich oft wiederum international zusammengeschlossen haben. Die Grundlage des Erfolges ist, dass in jedem Land, je
nachdem wie die politische Kultur ist und welche Gruppen bereit waren zu handeln, viele kleine landesweite Bündnisse gebildet wurden. Ich denke nicht, dass man jetzt alle drei Monate ein Seattle
erwarten sollte. Ich glaube, wir sollten jetzt sagen: Überall, wo sie sind, werden einige von uns sein – aber nicht wir alle. Wenn es darum geht, wie der Protest sich weiterentwickeln
sollte, glaube ich, dass wir bisher Minderheiten noch nicht gut einbezogen haben. Wir haben es noch nicht geschafft, allen zu zeigen, dass auch sie vom internationalen Wirtschaftssystem bedroht sind. In den
USA zum Beispiel waren die ausländischen Minderheiten in Seattle nicht gut repräsentiert, das gleiche gilt für die Immigranten in Europa, das ist also eine Gruppe, um die wir uns bemühen sollten. Außerdem
denke ich nicht, dass die Verbindung zwischen Gewerkschaften und den übrigen zivilgesellschaftlichen Kräften schon perfekt ist, obwohl sie sich zweifellos verbessert. Dies sind zwei Bereiche, in denen wir
besser werden können. Die Gewerkschaften werden sich vieler neuer Gefahren bewußt und, obwohl sie generell nicht darauf ausgerichtet sind, international zu agieren, tun sie es mehr und mehr.
Jedem ist aufgefallen, dass in den USA Umweltschützer und Gewerkschafter zum ersten Mal zusammengearbeitet haben – Schildkröten-Schützer und LKW-Fahrer endlich vereint. Ich hoffe, dass sich das fortsetzt. Je
zersplitterter wir sind, um so leichter ist es für unseren Gegner, sich einen nach dem anderen vorzunehmen. Was mich am Beispiel Frankreich sehr ermutigt ist, dass es dort nicht mehr darum geht, nur die
Interessen der eigenen Branche zu verteidigen. Der Verband der Kleinbauern ist nicht nur an Landwirtschaft interessiert; die Leute aus dem Kulturbetrieb interessieren sich nicht nur für Audiovisuelles oder
Urheberrechte. Die Gewerkschaften sind nicht nur an Arbeitsplätzen interessiert. Jeder versteht, dass wir wirklich alle gemeinsam betroffen sind und dass wir einen ganzen Bereich verteidigen müssen und nicht
nur einen bestimmten Teil, der für unsere Gruppe am wichtigsten ist. Und ich glaube das ist eine sehr hoffnungsvolle Entwicklung. Die Regierungen und die Großkonzerne sind zweifellos in der
Defensive. Der Beweis dafür ist, dass sie gerade versuchen herauszufinden, wie sie am besten gegen uns antreten sollen. Gleich nach den Demonstrationen in Washington wurde ein Treffen einberufen, wo führende
Politiker und Industrielle sich fragten: „Wie können wir die NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) von ihren Geldquellen abschneiden und wie können wir sie diskreditieren?“ Der französische
Arbeitgeberverband sagte vor kurzem auf einer Konferenz: „Diese Leute nutzen das Internet, das demokratisch ist, um die Demokratie zu zerstören und wir müssen sehen, was wir dagegen machen können.“ Sie
machen viel Lärm darum, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschneiden und sie können es nicht ertragen, dass sie nicht mehr die einzigen sind, die etwas zu sagen haben. Ich denke, dass ihre Angriffe
unangenehmer werden. Die Menschen sind unheimlich wissensdurstig. Vor fünf Jahren hätten viele gedacht, dass das Thema zu schwierig oder ökonomisch wäre, aber das hat sich geändert. In
Frankreich fand gerade eine Sommer-Universität von ATTAC statt, der jetzt 26.000 Mitglieder hat. Es nahmen 700 Leute teil, mehr konnten wir leider nicht unterbringen. Dort gab es täglich 6 Stunden lang
Veranstaltungen, doch die Leute kamen zurück und wollten mehr. Das ist absolut neu. Die Leute kommen in Scharen. Sie lesen. Sie haben entdeckt, dass es nicht zwangsläufig so sein muß, wie es ist. Vorher war
es wie das Gesetz der Schwerkraft – ein Naturgesetz gegen das man nichts machen kann – aber jetzt hat sich diese Mentalität rasend schnell überholt.
Lindsey German, Socialist Workers Party und Herausgeberin der Zeitschrift Socialist Review
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"Die Arbeiter stehen einer immer brutaleren und immer besser organisierten kapitalistischen Klasse gegenüber." |
Bertolt Brecht, Sozialist und Schriftsteller, hat einmal geschrieben: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Die
Proteste des letzten Jahres waren von dem gleichen Geist inspiriert – nämlich, dass es besser ist, sich zu wehren, als zuzulassen, das die schrecklichen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten dieser Welt
weiterbestehen. Die Bewegung, die letztes Jahr in Seattle begann und sich auf Washington, Millau und jetzt auf Prag ausgeweitet hat, zeigt, dass die Menschen das System nicht nur ein bißchen ändern wollen,
sondern dass sie das ganze kapitalistische System abschaffen wollen. Das System wird von großen Teilen als die Ursache der sozialen und ökologischen Probleme gesehen, mit denen die einfache arbeitende
Bevölkerung weltweit konfrontiert wird. Die Fragen von Schuldenerlaß, Umweltverschmutzung, wachsender Ausbeutung von Arbeitern und Armut können nicht einzeln angepackt werden, sondern nur dadurch, dass das
globale Kapital global herausgefordert wird.Derselbe Geist des Widerstands ist in den Streikwellen spürbar, die in den vergangenen Monaten durch Frankreich rollten. Das gleiche gilt für den
wachsenden Grad der Klassenkämpfe in den USA. Arbeiter, die unter Stellenabbau, längeren Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen leiden, stehen dem selben Feind gegenüber – einer immer brutaleren und immer besser
organisierten kapitalistischen Klasse, die über die Grenzen hinweg operiert, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt, und die ihr Vorgehen im Namen des übergeordneten Interesses globaler Investitionen
rechtfertigt. Die Arbeiterklasse hat international die Kraft, den Kampf gegen diese Klasse aufzunehmen. Die Stimmung heute erinnert mich an die 60er Jahre. Damals gab es Massenbewegungen von
Menschen, die für ihre Rechte, gegen Krieg, gegen Rassismus und Sexismus kämpften. Millionen Menschen in der ganzen Welt wollten Dinge verbessern und alles war geprägt von Optimismus und Hoffnung, dass dies
erreicht werden kann, wenn nur genug Menschen dafür auf die Straße gingen. Wenige, die Teil dieser Bewegungen waren, haben damals damit gerechnet, dass 30 Jahre später immer noch die Gefahr von Krieg
bestehen würde, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich viel größer sein würde als in den 60ern und dass die Probleme der armen Länder sich durch die Politik von IWF und Weltbank verschärfen würden. Wir sollten heute optimistisch und voller Hoffnung sein, weil immer mehr Menschen zusammenkommen, um das Kapital herauszufordern. Aber es muß auch eine Einschätzung geben, wie es weitergehen
kann. In all den bedeutenden hoffnungsvollen Jahren, die es von 1848 bis 1968 gegeben hat, war es nie ein Problem, eine Bewegung ins Leben zu rufen, das Problem war immer, in welche Richtung sie ging. Die
Bestrebungen der 60er verwandelten sich in die Rückzüge der späten 70er und der 80er Jahre, nicht selten aufgrund der politischen Schwäche der Bewegungen selber und vieler der beteiligten politischen
Organisationen. Heute sehen wir den weitreichenden Beweis dafür, was passiert, wenn man das Kapital nur teilweise oder halbherzig angreift – wir haben genug unter den Konservativen gelitten und jetzt ordnen
sich die sozialdemokratischen Regierungen den Interessen der Konzerne unter. Wenn wir den Kapitalismus erfolgreich und dauerhaft herausfordern wollen, brauchen wir Begeisterung und Hingabe. Ebenso brauchen
wir Ideen, Politik und Organisation, die zu einem revolutionären Umsturz des Systems führen und es durch eines ersetzen können, das die Bedürfnisse der Menschen befriedigt und nicht die Jagd nach Profit.
Noam Chomsky, Aktivist und Publizist
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"Die Arbeiterbewegung hat zu ihrer historischen Rolle zurückgefunden: An die Spitze der Kämpfe." |
Die Integration der Weltwirtschaft nimmt seit dem Zweiten Weltkrieg zu, die abnehmende Tendenz zwischen den Kriegen hat sich damit umgedreht. Dabei kann man zwei
Phasen unterscheiden: (1) die Zeit bis Anfang der 70er Jahre; (2) die Zeit seitdem, mit der Abschaffung des Bretton-Woods-Systems, das durch feste Wechselkurse und Kapitalverkehrskontrollen charakterisiert
war. In Phase (1) ließ der Rahmen sozialdemokratische Maßnahmen zu, Phase (2) ist so angelegt, dass diese Maßnahmen durch Liberalisierung der Finanzmärkte und „neoliberale Politik“ wieder rückgängig gemacht
werden: Das ist der „Washingtoner Konsens“ für große Teile der Welt, und in den fortgeschrittensten Industrienationen selbst gibt es eine Variante der gleichen Politik. Phase (2) wird gemeinhin
„Globalisierung“ genannt.Phase (2) wird unverfroren von den Konzernen dominiert und ist nach den Interessen der Investoren und Kapitalgeber ausgerichtet, versteckt hinter der irreführenden
Rhetorik von „freiem Handel“. Begleitet wird sie durch die Beseitigung der üblichen makro-ökonomischen Eingriffe und die Verschlechterung sozialer Indikatoren sowie steigender Ungleichheit. Es gibt
Unterschiede, doch das allgemeine Muster ist unübersehbar, vor allem im reichsten Land der Welt. Es ist ganz und gar nicht überraschend, dass die Auswirkungen von Phase (2) Proteste
beträchtlichen Ausmaßes herausgefordert haben. Trotz überwältigender Zustimmung von seiten der Eliten und der einseitigen Berichterstattung der Medien, ist ein Großteil der Bevölkerung in den USA gegen die
neoliberale Globalisierung und es wird zunehmend schwerer, dies einfach zu ignorieren. Die offiziellen Institutionen und ihre Fürsprecher sind inzwischen sehr besorgt darüber. Das Wall Street Journal
beklagte sich, dass die Gegner der von den Konzernen dominierten Globalisierung über eine ‘ultimate weapon’, eine ultimative Waffe verfügen: die breite Öffentlichkeit. Um sich zu
verteidigen, stellen sie die Proteste als uninformiert und irrational dar. Es wurde jedoch ganz im Gegenteil umfangreiche Schulungs- und Organisationsarbeit geleistet, und das hat sich ausgezahlt. Viele
haben dabei gelernt, welche Auswirkungen eine noch größere Machtverschiebung zu Gunsten von nicht rechenschaftspflichtigen privaten Körperschaften und ihren internationalen Institutionen hätte. An den
Protesten waren ganz unterschiedliche Gruppen beteiligt, die viele ihrer Differenzen und Konflikte überwinden konnten. Die Arbeiterbewegung hat zu ihrer historischen Rolle zurückgefunden: an die Spitze der
Kämpfe um Freiheit und Rechte. Die Bewegung ist auch international geworden – eine „Globalisierung“ von so großer Reichweite, wie es die Planer überhaupt nicht erahnen konnten. Ein Grund von
vielen ist die wachsende Empörung über die Preispolitk der Pharmakonzerne. Sie erzielen enorme Profite dadurch, dass ihre Forschung staatlich gefördert wird, gleichzeitig profitieren sie von höchst
protektionistischen Bedingungen in den „Freihandelsabkommen“. Die Folgen in den armen Ländern sind tödlich, und auch in den reicheren Ländern kann man die Auswirkungen direkt spüren. Das hat den Weg darfür
geebnet, dass die heiligen Rechte der Konzern-Tyrannei in noch nie dagewesener Weise in Frage gestellt werden, sogar ihre Existenzberechtigung, und zwar nicht nur in diesem Fall. Es müssen
einige ernstzunehmende Hürden überwunden werden: Zum Beispiel kann die berechtigte Sorge um die Umwelt und die Rechte der Arbeiter allzu leicht in eine Waffe verwandelt werden, um die Benachteiligung der
Dritten Welt im internationalen Handelssystem zu verstärken. Aber es gibt Möglichkeiten von ungewohntem Ausmaß, die Mehrheit der Weltbevölkerung gegen die Angriffe auf fundamentale Menschenrechte zu
verteidigen, und illegitime Machtkonzentrationen zu brechen. Es ist ein historischer Augenblick, der viele Chancen bietet.
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