Sozialismus von unten - Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis

Nr.5, Winter 2000/2001

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Sozialismus von unten
Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis
  
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Aufholjagd zur USA – Der Osten ist schon da!

von Ole Dening

Wir schreiben Geschichte, hieß es anlässlich der Revolution in der DDR 1989. Heute an der Schwelle zum 21.Jh. ist nicht mehr viel schöne Zukunft übriggeblieben. Von einer Ära des Friedens und des Wohlstandes nach der Übernahme des marktwirtschaftlichen Modells im Osten spricht heute keiner mehr.

Die Einheit wurde von uns im Osten erkämpft, doch nicht als Selbstzweck. Mit der Einheit wurde der soziale Angleich an den Westen gesucht. Die Freude der Einheit war und ist groß, kann man doch heute Reisen wohin man will, Verwandte besuchen, seine Meinung frei äußern, Bücher die vorher staatsfeindlich waren einfach im Laden kaufen, etc.. Doch da sind wir auch schon beim neuen Problem. All die schönen Freiheiten funktionieren nur mit Geld. Bei einem Durchschnittseinkommen von 2036 DM ist nicht viel Raum für die neue käufliche Freiheit.

Nun sollte es aber auch klar sein, dass dies kein reines Phänomen des Osten ist. Politiker sprechen es offen aus, wenn sie von einer Angleichung Westdeutschlands an ostdeutsche Verhältnisse sprechen: Flexiblere Arbeitsverträge, sprich Billiglöhne, geringe soziale Absicherung, Arbeitszeiten weit über einer 40 Stunden Woche werden im Westen mit einem Fingerzeig nach Osten verstärkt eingefordert.

Es heißt, die Bundesrepublik müsse Anschluss an den Konjunkturmotor USA finden. Gemeint ist damit die unternehmerfreundliche Gestaltung des Landes -  wobei Ostdeutschland die Richtung weisen soll.

Gemeinsamkeit mit den USA

Eine Massenarbeitslosigkeit von 20% macht es den Konzernchefs einfach, Lohnzurückhaltung durchzudrücken. Doch es ist gerade die Großindustrie, die noch die akzeptabelsten Löhne zahlt. Bei Kleinbetrieben im Osten sieht es viel schlimmer aus. Ein Beispiel: Christian D., Steinmetzlehrling aus Leipzig, erhält im 3.Lehrjahr nur 639 DM (netto). In dieser Landschaft der sozialen Verwüstung stehen einzelne Unternehmen wie die VW-Sachsen-Gruppe Zwickau wie Leuchttürme. Dank eines gut organisierten gewerkschaftlichen Kampfes erhalten Metallarbeiter Löhne auf Westniveau - allerdings bei einer 38-Stunden-Woche (Im Westen: 35-Stunden-Woche). Niedriglohnjobs sind in Ostdeutschland aber die Regel und nicht die Ausnahme. Saisonarbeit finden wir nicht nur traditionell im Bausektor, sondern viel mehr noch im Dienstleistungsbereich. Hier arbeiten immerhin die meisten Berufstätigen (29%).

In wieweit greift nun das soziale Netz? Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind häufig die einzige Möglichkeit, überhaupt arbeiten zu können. Geplante Maßnahmen zur effizienteren Gestaltung des öffentlichen Dienstes helfen da wenig. Im Gegenteil: 1615 Stellen sollen alleine an den Hochschulen von Sachsen eingespart werden. Im sozialen Dienst bietet sich ein ebenso verheerendes Bild: Krankenhäuser werden im Hinblick auf Profitorientierung umgebaut – Patienten und Krankenhauspersonal bleiben dabei auf der Strecke.

Schulen und Jugendzentren werden geschlossen und deren Mittel gekürzt, Kindergärten privatisiert oder die Beiträge werden erhöht.

Die Symptome der sozialen Miesere, z.B. steigende Drogenkriminalität, treten offen an den Tag. Auch die Gettobildung ist klar erkennbar. In Leipzigs Armenviertel Grünau werden systematisch alle Gymnasien geschlossen. Gerade in den sozialen Brennpunkten mit der höchsten Hoffnungslosigkeit sind Nazis am stärksten vertreten. Das „Modell USA“, dass von Wirtschaftsexperten und der Schröder-Regierung für Deutschland eingefordert wird, kann in Ostdeutschland studiert werden. Seine Auswirkungen sind Armut, Massenarbeitslosigkeit, soziale Verelendung und Hoffnungslosigkeit. Auf diesem Nährboden gedeihen Nazi-Organisationen wie die NPD.

Zukunft

Die USA sollten uns trotzdem positiv stimmen - allerdings aus einem anderen Grund: Denn dort entsteht - mitten im Herzen des Weltkapitalismus - eine antikapitalistische Bewegung. Ihr sichtbarer Ausdruck waren die antikapitalistischen Proteste in Seattle Ende 1999.

Auch in (Ost-)Deutschland ist eine solche Bewegung möglich. Sie würde den Nazis das Wasser abgraben. Doch eine solche Bewegung des Widerstandes entsteht nicht automatisch - sie muss aufgebaut werden. In jedem Ort finden sich Antifaschisten und überall sind sie die Mehrheit. Dort, wo ein paar die Initiative ergreifen, treiben sie die Nazis zurück.

Die Menschen in Ostdeutschland haben 1989 bewiesen, dass sie sich wehren können. Auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung, die alle sozialen Hoffnungen enttäuschte, ist der Wille zur Gegenwehr gegen das neoliberale Diktat spürbar. Vor dem Hintergrund, dass 88,3 % sagen, dass die Wirtschaftsbosse die Macht im Land haben, besteht die Möglichkeit, die Wut über neoliberale Kürzungsprogramme in eine Widerstandsbewegung auf der Straße zu verwandeln. Hier muss die Arbeit der Linken ansetzen. Wir dürfen den Nazis nicht das Feld überlassen.

 

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