Sozialismus von unten - Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis

Nr.5, Winter 2000/2001

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Sozialismus von unten
Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis
  
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Schöne neue Arbeitswelt?

von Dirk Harman

Glaubt man den Verfechtern von Neoliberalismus und Globalisierung, liegt die Zukunft der Arbeit in „ flexibel und selbständig arbeitenden Teams, die sich je nach Auftrag neu zusammenfinden“. Als Modell für diese Art von Jobs soll die IT-Branche dienen, „Mitarbeiter müssen Selbst-GmbH´s gründen“, so titelte kürzlich die Computerwoche. Die starren Grenzen zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer fallen, man redet beim Angestellten jetzt vom „Mit-Unternehmer“. Wieso auch nicht, angesichts von teilweise in Firmenanteilen ausgezahlten Gehältern und gefordertem Unternehmergeist scheint der Gegensatz von Kapital und Arbeit aufgehoben zu werden – oder?

Die Wirklichkeit in den Betrieben der Internet- und Computer-Branche sieht völlig anders aus. Lohndrückerei, Firmenpleiten und Massenentlassungen sind hier, ebenso wie in traditionellen Industriezweigen an der Tagesordnung. Der Unterschied liegt darin, dass einerseits marktwirtschaftliche Gesichtspunkte bei vielen Börsen-Unternehmen keine Rolle zu spielen scheinen (bei der mittlerweile bankrotten Gigabell AG überstiegen die Verluste die Umsätze um mehrere Millionen DM) und sich andererseits eine gewerkschaftliche Verankerung in der „New Economy “ erst langsam heranbildet.

Nur einen Monat nachdem die Computerwoche „Selbst-GmbH´s“ propagierte, titelt das Blatt etwas weniger euphorisch: „US-Carrier Qwest entläßt 11.000 Mitarbeiter“, „Microstrategy entläßt jeden 10. Beschäftigten“ und „Novell trennt sich von einem Viertel der Belegschaft“. Viele Beschäftigte in den neuen Industrien kämpfen einen ganz traditionellen Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, gegen Überstunden und für die Anerkennung von Gewerkschaften. Beim US-Mobilfunkanbieter Verizon erstritten die 87.000 Streikenden nicht nur eine Arbeitnehmervertretung, sie erzielten darüber hinaus noch eine satte Lohnerhöhung und eine günstige Überstundenregelung. Auch die 7.000 Beschäftigten des Berliner Call-Center Audio Service kämpfen zur Zeit für ihre Rechte.

Daß die schöne neue (Arbeits)welt mit der Wirklichkeit wohl kaum etwas zu tun hat, dokumentiert das kürzlich erschienene Buch „Computersklaven – Reportagen aus der Ausbeuterfirma Internet“. Die US-amerikanischen Autoren, selbst „lebende Beweise, dass Internet-Karrieren aufreibend, beschissen und kurz sind“, räumen auf mit dem Bild des gut verdienenden Programmierers, der sich aus Spaß und Überzeugung die Nächte um die Ohren schlägt und ehrgeizig die digitale Revolution vorantreibt. Um in der Branche übliche Bezeichnungen wie Screen-Designer, Online-Producer oder Application-Engineer zu entmystifizieren, vergleichen die Autoren Computerjobs mit Tätigkeiten aus anderen, traditionellen Bereichen, etwa dem des Taxifahrers, der ständig abrufbereit auf Jobs wartet oder dem des Kochs, der an verschiedenen Menüs (Projekten) gleichzeitig arbeitet.

Eindrucksvoll wird die sogenannte „Greencard-Regelung“ aufgegriffen. Ausländische Beschäftigte, zumeist aus Schwellenländern, werden für einige Jahre in die Softwareschmieden westlicher Industrienationen geholt. Von der Familie getrennt, leben sie ausschließlich für den Job, werden weit unter Wert bezahlt und sind praktisch rechtlos – immer in der Angst lebend, bei der kleinsten Form des Widerstandes umgehend ausgewiesen zu werden. „Das riecht schwer nach Vertragssklaverei“, so das Resümee der Autoren.

Allerdings wird das Schicksal vieler Programmierer – fehlende Sozialversicherung, unbezahlte Überstunden und zunehmende Lohndrückerei - in einen Topf geworfen mit dem Schicksal des hoch bezahlten Projektleiters, der angesichts des enormen Arbeitspensums einen Nervenzusammenbruch erleidet. Es wird also - und das ist die große Schwäche des Buches - kein Unterschied zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten gemacht.

Ungeachtet der Propaganda um das Internet, eCommerce und Dotcoms - auch in der Computer- und Softwarebranche gilt die Tatsache, dass Arbeitnehmer in gewerkschaftlich organisierten Betrieben weniger Überstunden, eine kürzere Wochenarbeitszeit und mehr Urlaub haben. Das neoliberale Konzept der „ Mit-Unternehmer“ bedeutet, „man wird für das gleiche Geld, negativ gesagt, mehr und länger arbeiten müssen und, positiv gesagt, flexibler und freier arbeiten können“.

Der erfolgreiche Streik bei Verizon und der Widerstand bei Audio Service können Signalwirkung haben. Mit der „ Internet-Revolution“ werden die Klassengegensätze nicht aufgehoben, vielmehr bildet sich hier eine neue Arbeiterklasse, und die wird für ihre Rechte kämpfen müssen.

Computersklaven – Reportagen aus der Ausbeuterfirma Internet

Bill Lessard / Steve Baldwin

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