Sozialismus von unten - Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis

Nr.5, Winter 2000/2001

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Sozialismus von unten
Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis
  
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Nach Prag

Prag war eine weiterer Schritt für den Aufbau einer weltweiten antikapitalistischen Bewegung. Doch die Gegenseite hat sich vom ersten Schrecken mittlerweile erholt und richtet ihre ideologischen Geschütze neu aus. Die Bewegung muss jetzt dringend Muskeln aufbauen, wenn sie erfolgreich sein will.

Vor dem Prager Finanzviertel warteten 11.000 Polizisten in Robocop-Ausrüstung, ausgestattet mit Tränengas, das man extra aus Deutschland importiert hatte, Wasserwerfern und Panzern - das größte Polizeiaufgebot seit dem Prager Herbst 1968. Ein Desaster wie damals in Seattle durfte nicht wieder geschehen. Dennoch: der 26. September, global action day , verlief anders als es die Prager Regierung und der IWF gedacht hatten. Schon seit dem Morgen konnten die aus jedem Winkel der Welt angereisten Antikapitalisten eine nicht genehmigte Demonstration durchführen, zahlreiche Demonstranten drangen bis vor das Kongresszentrum vor, am Abend musste eine speziell für die Konferenzteilnehmer angesetzte Opern-Gala, wegen einer Blockade abgesagt werden. Es gab Ausschreitungen und die Welt schaute gebannt auf ein Treffen, das außer ein paar Statements nichts hervorgebracht hat und schließlich einen Tag früher beendet wurde. Spätestens an diesem 26. September war die antikapitalistische Bewegung in Europa angekommen. Es war das „europäische Seattle“ (Herald Tribune). 20.000 waren, aus den unterschiedlichsten politischen Traditionen gekommen, um sich dem gemeinsamen Feind entgegenzustellen. Die italienische Organisation „Ya Basta!“ hatte einen Zug gekapert und war mit 1200 Aktivisten angereist; aus Norwegen kamen 8 Busse, die sich zu dem Zeitpunkt im Streik befindende griechische Telekommunikationsgewerkschaft hatte eine Delegation von 50 Leuten entsandt. Indische Farmer, Landlose aus Brasilien, Autonome, Sozialisten und Mitglieder der Grünen Partei Spaniens, Ortsverein Mallorca. Von dort kam auch Susan Garton, 62 Jahre alt. sie ist erst seit drei Jahren politische aktiv, aber „wenn die weltweite Industrialisierung, die keine Rücksicht auf die Umwelt nimmt„ , weitergeht, fürchtet sie den Kollaps unseres Planeten.

Doch seit dem letzten November haben auch die Herren der Finanzwelt ihre erste Verwunderung und Irritation überwunden. Sie geben nicht einfach auf und schließen freiwillig IWF und Weltbank. Sie verteidigen sie mit Zähnen und Klauen. Ihr bestes Mittel: Teile der Bewegung umarmen und sie dadurch spalten. Um so wichtiger ist es, eine Debatte um Strategie und Taktik für die Bewegung zu führen, denn in Prag sind auch die Widersprüche und Schwächen unseres Lagers zu Tage getreten.

Zum Beispiel waren im Gegensatz zu Seattle in Prag keine 30.000 Arbeiter. Was in den USA langsam zusammenwächst, fehlt noch in Europa. Sicherlich, das Niveau der Klassenauseinandersetzungen ist in den USA deutlich höher, dennoch wirft es ein Schlaglicht auf die europäische Linke: Die Gewerkschaftsführungen stecken bis zum Hals im Sumpf der Neuen Mitte, des Third Way, der Ideologie der meisten europäischen Regierungen. Die radikale Linke hat enorme Berührungsängste und nach wie vor ihr Sektierertum nicht abgelegt. Dabei muss sie unterscheiden zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und den Arbeitern selber. Es sind nicht die Arbeiter, die für einen Kampf grundsätzlich nicht zu haben wären. In Deutschland hat die Basis der ÖTV in diesem Jahr mit riesiger Mehrheit für einen Streik im Öffentlichen Dienst gestimmt. Der Oberbürokrat Mai konnte es nur unter großer Anstrengung abwürgen. Er konnte dies aber nur, weil in den Reihen der Arbeiter (fast) niemand dafür gekämpft hat, sich das nicht gefallen zu lassen.

Und in Frankreich, seit 1995 zweifellos das europäische Land mit den heftigsten politischen Auseinandersetzungen und Klassenkämpfen, entschied sich die eigentlich sehr starke Linke für Abstentionismus und eine Konzentrierung auf die Mobilisierung zum EU-Gipfel nach Nizza. In Osteuropa kann man weder von einer großen Linken, noch von einer gesunden, lebendigen Arbeiterbewegung sprechen. Dort wird immer noch der Preis für 40 Jahre Stalinismus gezahlt.

Das Fehlen der Gewerkschafter machte noch einmal den  hauptsächlich symbolischen Charakter der Demonstration deutlich. Die Aktivisten von „Ya Basta!“ hatten aus den vergangenen Demonstrationen und dem brutalen Vorgehen der Polizei gelernt: in weißen Schutzanzügen, Bauarbeiter-Helme auf dem Kopf, Schaumstoffpolster auf den Schultern und an den Armen, ein kleines Schild in der Hand, wollten sie den Kampf mit der Polizei aufnehmen. Kein Zweifel, das sind ernsthafte Aktivisten; dennoch, eins ist an diesem Tag wieder klar geworden: wir können als Minderheit eine Staatsmaschine nicht militärisch schlagen. Ein bisschen haben „Ya Basta!“ wie Don Quijote gewirkt. Der Kampf war an diesem Tag nicht zu gewinnen. Es waren unbesiegbare Windmühlen. Aber: aus dieser Schlacht sind keine Ritter der traurigen Gestalt gezogen, sondern Kämpfer für eine bessere Welt, die zu Hause den Geist von Prag verbreiten wollen. Es ist nur wichtig eins zu erkennen: solche Aktionen und Demonstrationen, auch das Zertrümmern eines McDonalds, sind eben nur symbolische Handlungen. Als die WTO-Konferenz in Seattle gestoppt wurde, hat man wichtige, sich verheerend auswirkende Beschlüsse verhindert, aber man hat nicht das System gestoppt, dass jeden Tag 19.000 Kinder an Unterernährung sterben läßt.

Die Frage stellt sich der Bewegung: was machen wir die restlichen 350 Tage, wenn wir nicht protestieren? Diese Debatte spiegelte sich auch auf der Tagung des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) wieder. Da sie selbst an der Demonstration von Prag beteiligt waren, stand im Mittelpunkt der Debatten, wie man ein reines „Event-Hopping„ vermeiden könne; für die Zukunft dürfe kein ausschließlicher Demo-Tourismus zu sämtlichen Tagungen der internationalen Finanzinstitutionen auf der Tagesordnung stehen, sondern auch die lokale Arbeit vor Ort.

Die Frage „was nun?„ steht aber nicht isoliert von den politischen Schattierungen der Bewegung. Es wird in hunderten politischen Sprachen gesprochen, dennoch erkennt man den gemeinsamen Feind. Die Unterschiede werden klar, wenn man sich die Konzepte zur Lösung der Probleme anschaut.

 Eine Schlüsselrolle spielen die Non Governmental Organizations (NGOs). Sie haben mit ihrer weit verbreiteten Kritik dafür gesorgt, dass der IWF „in der größten Legitimationskrise seiner Geschichte steckt„ (Die Woche), indem sie über Jahre hinweg z.B. die verheerenden Auswirkungen von  Strukturanpassungsprogrammen dokumentiert und publiziert haben.

Die meisten NGOs, wie z.B. WEED oder Oxfam, schlagen weitgehende Reformen für den IWF und die WTO vor. Sie wollen eine Demokratisierung und Regulierung erreichen. Und ehe sie sich versahen, saßen führende Vertreter der NGOs im Prager Stadtschloss zusammen mit Vaclaf Havel und Horst Köhler. Schon zuvor hatte der IWF eine verbale Umarmungsstrategie verfolgt, indem er eine „eine Weltwirtschaft, die für alle arbeitet„ proklamierte. Das Ergebnis der Verhandlungen mit dem IWF war, dass z.B. die Erlassjahrkampagne 2000 ihre Demonstration einen Tag eher durchführte und somit zu einer Spaltung der Demonstration am global action day herbeiführte. Aber die Hoffnung der NGOs auf eine Reform wurden enttäuscht, denn IWF und Weltbank sind keine neutralen Organisationen. Horst Köhler brachte es auf den Punkt: Zwar seien die Meinungen der NGOs ihm wichtig, die „Hauptverantwortung des IWF liege jedoch gegenüber seinen Anteilseignern.„ Das sind hauptsächlich die USA, die G7-Staaten und die Europäischen Union, sie besitzen mit 54% einen so großen Anteil am IWF, dass niemand an ihnen vorbeikommt. Einen IWF, der den Armen hilft wird es deshalb nicht geben.

Die NGOs kritisieren - oftmals in meisterhafter Manier - die Auswüchse der globalisierten Wirtschaft: die Schuldenkrise, die ökologische Zerstörung, die Regelung der internationalen Finanzströme, usw. Ihr Angriff richtet sich gegen die auffälligsten Effekte der Globalisierung. So fordert die hauptsächlich französische Organisation attac eine Re-Regulierung der Finanzmärkte durch Kontrolle und Besteuerung von Spekulation. Weit verbreitete Forderungen sind eine „Entschleunigung„ der Globalisierung, die Trockenlegung der Freihandelszonen ( off-shore-Zentren) und Steuerparadiese. Die NGOs und Organisationen wie Peoples Global Action sind nicht nur brillante Kritiker, sondern sie haben auch äußerst effektive Methoden entwickelt, ihre Analysen zu verbreiten. Über Mailing-Lists, Homepages, eigene Mediennetzwerke, Radios usw. bringen sie ihre Botschaft zu den Leuten abseits der von ein paar Großkonzernen beherrschten Medienlandschaft.

Dass einige NGOs und andere Gruppen sich teilweise haben vereinnahmen lassen, liegt oftmals an der Selbstbeschränkung in ihrer Analyse. Sie kritisieren in der Mehrzahl nur die Auswüchse der Globalisierung und betten sie nicht ein in eine weitergehende und fundamentale Kritik. Es gibt viele Gruppen, die eine verallgemeinerte Kritik am Kapitalismus teilen, es sind jedoch noch zu wenige.

Die Globalisierung ist kein Defekt des an sich richtigen Kapitalismus, sie ist nur die letzte Konsequenz. Marx und Engels haben es im Kommunistischen Manifest vor schon 150 Jahren erkannt: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion alles Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen [...] An Stelle die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr [...].„

Aus der Kritik am Neoliberalismus muss eine Kritik am Kapitalismus werden. Denn auch „vor der Globalisierung„ war beileibe nicht alles in Ordnung mit dem weltweiten Kapitalismus. Und was wäre, wenn man die Finanzmärkte ein wenig mehr kontrollieren würde? Es wäre zweifellos ein wichtiger Schritt, Sand in das Getriebe der Spekulation zu geben. Jedoch geht die weltweite Jagd nach Profiten auch nach einer Entschleunigung der Finanzmärkte weiter, die destruktive Dynamik von Konkurrenz und Wettbewerb, die Umwelt und Menschen zerstört, wird nicht aufgehoben.

Will die Bewegung siegreich sein, will sie die Auswüchse des Kapitalismus bekämpfen, muss sie sich dessen bewusst werden, was auch die liberale Wochenzeitung Die Zeit festgestellt hat: „Globalisierung ist nur Oberfläche, es geht um Kapitalismus„ Die Bewegung muss den Kapitalismus als ganzes bekämpfen und vor allen Dingen auch dort, wo die Ketten geschmiedet werden, die seine Macht ausmachen. Die weltweiten Konzerne sind nur aufgrund ihrer gigantischen Profite mächtig. Die weltweite Jagd nach den Profiten, die Globalisierung, hat auch weltweit eine Arbeiterklasse entstehen lassen, die sich im täglichen Kampf mit den Konzernherren befindet. Das ist die Stelle, wo wir über symbolische Aktionen hinausgehen können: in den Betrieben. Die Welle von Generalstreiks wie in Simbabwe, Ecuador, Argentinien oder Griechenland, der heiße Herbst in Frankreich 1995 und die letzten Klassenkämpfe in den USA zeugen von der sich entwickelnden Radikalisierung auch bei Arbeitern. Dort sind die Muskeln, die unsere Bewegung braucht, um dieses System in seinen Grundfesten zu erschüttern.

 

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