Sozialismus von unten
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SVU Nr.5 2000/2001

"Ein Staat, in dem Juden und Araber zusammen leben..."

Interview mit Jakob Moneta

Luigi Wolf sprach mit Jakob Moneta über die Ursachen der Eskalation der Gewalt und über seine Erfahrungen in diesem Land.

Jakob Moneta ist 1914 geboren und schon seit seiner Jugend politisch aktiv. 1931 trat er in die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), eine links-sozialistische Abspaltung der Sozialdemokratie, ein. Dort las er zum ersten Mal Trotzkis Schrift "Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?". "Das war für uns wie ein Eyeopener", schrieb Moneta in einem 1995 erschienen Text. Denn Trotzki zeige, welche Schritte notwendig und möglich gewesen wären, um den Sieg des Faschismus zu verhindern. Nach dem Sieg des Faschismus verieß im November 1933 Deutschland und emigrierte nach Palästina.
Als Sozialist und Jude suchte er dort Schutz vor der Verfolgung der Nazis. Dort lebte er bis 1939 in einem Kibbuz und wurde nach seinem Bruch mit dem Zionismus von der britischen Besatzungsmacht inhaftiert. 1948 verließ er Palästina und kehrte nach Deutschland zurück. Dort war er von 1962-78 Chefredakteur der IG-Metall Zeitung "Metall". Nach 40jähriger Mitgliedschaft wurde er 1991 aus der SPD ausgeschlossen. Daraufhin trat er in die PDS ein und war bis 1995 Mitglied des Parteivorstandes. Moneta ist bis heute in der Redaktion der SoZ (Sozialistische Zeitung) tätig.

Die aktuelle Gewalteskalation in Palästina wird in den Medien oft als Resultat beiderseitiger Unvernunft bezeichnet. Sowohl in Israel als auch bei den Palästinensern hätten die Hardliner die Kontrolle übernommen. Was sind Deiner Meinung nach die Ursachen für den Ausbruch der Gewalt? Wer trägt die Verantwortung?

Das „Friedensabkommen“ von Oslo zwischen Israelis und Palästinensern stieß bereits auf heftigen Widerstand. Jassir Arafat, dem „Spitzenmann“ der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO) wurde vorgeworfen, er habe einerseits Zugeständnisse gemacht, die die Selbständigkeit eines zukünftigen Palästina-Staates behindern mußten. Andererseits seien wichtige Fragen offen geblieben. So etwa das Problem der Millionen von Flüchtlingen und der durch den Krieg 1948 durch die israelische Armee vertriebenen Palästinensern.
Diesem Krieg ging der Beschluß der Vereinten Nationen voraus, Palästina in einen israelischen und einen palästinensischen Staat zu teilen. Diese Flüchtlinge leben bis heute zusammengepfercht in Lagern. Würden sie in ihre Heimat zurückkehren dürfen? Würden sie eine Wiedergutmachung für ihren enteigneten Besitz erhalten? Oder was geschieht mit Ost-Jerusalem, wo die Mehrheit der Bevölkerung palästinensisch ist und das gegen die Beschlüsse der Vereinten Nationen von der israelischen Regierung zur Hauptstadt Israels erklärt wurde?
Aber nichtmal das Wenige, was den Palästinen-sern im Osloer Friedensabkommen zugestanden wurde, hat der „linke“ Führer der Arbeiterpartei, Ehud Barak, der viele Hoffnungen geweckt hatte, verwirklicht, als er an die Regierung kam. Der bedeutende Vordenker der israelischen Friedensbewegung, Ury Avnery, beschreibt das so: „Seit seinem ersten Tag an der Macht hat Barak zwar endlos über den Frieden geredet, aber das Gegenteil getan. Mehr als Netanyahu (sein rechter Vorgänger, J.M.) hat Barak palästinensischen Boden enteignet, Häuser demoliert, israelische Siedlungen erweitert, „Umgehungsstraßen“ gebaut, um in den besetzten Gebieten (israelische) Siedlungsblocks zu bilden, die an Israel angeschlossen werden. Er hat nicht einen einzigen Quadratmeter der besetzten Gebiete zurückgegeben, nicht ein einziges neues Abkommen unterzeichnet.
Seine drastische Weigerung, den Palästinensern im zukünftigen Frieden die Souveränität über ihre heiligen Stätten in Jerusalem wiederzugeben, war der Strohhalm, der den Rücken des Kamels brach“. Das hat den heftigen Widerstand der Palästinenser ausgelöst.
Vor allem aber weil Ehud Barak es Scharon, dem extrem rechten General, der im Libanon-Krieg für das Gemetzel an 600 Palästinensern verantwortlich war, einen Besuch von heiligen Moscheen Jerusalems gestattete und Scharon von 1.200 Polizisten begleiten ließ. Am nächsten Tag erschoß die Polizei am selben Ort sieben islamische Demonstranten. Im ganzen Land – auch in Israel selbst (wo fast eine Million Palästinenser leben, die israelische Staatsbürger sind) – brachen daraufhin gewalttätige Unruhen aus.
Danach wurden über Hundert Menschen getötet, darunter das palästinensische Kind, das in den Armen seines Vaters erschossen wurde, und die zwei israelischen Reservesoldaten, die in Ramallah gelyncht wurden. All das wäre nicht passiert, „wenn die Palästinenser nicht mitgespielt hätten“ meint Ury Avnery, fügt aber sogleich hinzu, die Palästinenser seien „so wütend, daß auch eine kleinere Provokation als die von Scharon genügt hätte, eine Explosion zu erzeugen.“

Du hast als deutscher Jude und Sozialist in Palästina Schutz vor den Nazis gesucht und lange Zeit im Kibbuz gelebt. Was hat Dich 1947 dazu bewogen, Palästina zu verlassen? Wieso hast Du mit dem Zionismus gebrochen?

Ich gehörte 1933 sowohl dem „Sozialistischen Jugendverband“ der kleinen Sozialistischen Arbeiter-partei an, die für ihre ständige Forderung einer Einheitsfront gegen die Nazis kein Gehör gefunden hatte. Ich war zugleich Mitglied des „Haschomer Hazair“ („Der jungen Wächter“), einer zionistisch-sozialistsichen Jugendorganisation, die in der Aus-wanderung nach Palästina den einzigen Weg sah, um den Folgen des von den Nazis gepredigten Antisemitismus und Rassenhasses zu entgehen. Als ich im November 33 nach Palästina kam, schloß ich mich einem Kibbuz an, in dem 10 Mädchen und 30 Jungen, die aus Deutschland kamen, versuchten, das sozialistische Ideal von Gleichheit und Selbstverwaltung zu verwirklichen. Das war eine begeisternde Erfahrung, obwohl wir damals in Zelten wohnten, schwer arbeiteten, uns nicht eben üppig ernähren konnten und von Malaria gepeinigt wurden.
Damals wurden Araber nicht in die Histadruth, die von Juden gegründeten Gewerkschaft, die sogleich aber auch die Krankenkasse bildete, aufgenommen. Die „Haschomer Hazair“ setzte sich für ihre Aufnahme ein. Als Ziel der Zionistischen Bewegung galt die Schaffung eines Judenstaates in Palästina. Der rechte Flügel der zionistischen Bewegung forderte gar einen jüdischen Staat an beiden Seiten des Jordan-Flusses. Der „Haschomer Hazair“ war für einen binationalen Staat, in dem Juden und Araber zusammenleben sollten.

Aber warum waren Araber nicht auch im Kibbuz Mitglieder?

Der Haschomer Hazair gehörte der zionistsichen Bewegung an, die in Wirklichkeit bereits in der Zeit, als Palästina von Großbritannien verwaltet wurde, das hierfür von den Vereinten Nationen ein Mandat hatte, für drei Grundsätze eintrat, die im Kern die Errichtung eines eigenen jüdischen Staates vorweg-nahmen. Das war erstens: „Eroberung des Bodens“. Wenn reichen arabischen Grundbesitzern ein Teil ihres Bodens abgekauft wurde, um jüdische Siedlungen zu schaffen, verloren die arabischen Fellachen als Pächter ihre Existenz. Ging der Boden in den Besitz des „Jüdischen Nationalfonds“ über, so durfte er nicht verkauft, sondern nur an Juden verpachtet werden. Der zweite Grundsatz war „Eroberung der Arbeit“. Das bedeutete, daß jüdische Arbeitgeber nur Juden beschäftigen sollten.

Darin unterschied sich die zionistische Kolonisation von der „imperialistischen“ durch fremde Kolonisatoren, die die einheimische Bevölkerung ausbeu-teten. Es sollte eine jüdische Arbeiterklasse geschaf-fen werden, die zionistisch ist. Der dritte Grundsatz lautete: “Nur Waren des Landes“ zu kaufen. Juden sollten nur von Juden produzierte Waren kaufen, auch wenn sie teurer waren als arabische Produkte.
Als Internationalisten begannen kleine Gruppen auch in dem Kibbuzim sich gegen die Grundsätze des Zionismus zu wehren. Der Kommunistischen Partei gehörten schon sowohl Araber als auch Juden an. Es gab aber auch damals schon kleine „trotzkistische“ Gruppen, die den Stalinismus der KP ablehnten und Verständnis für den ersten Massenaufstand der Araber hatten, die sich der zionistsichen Politik und der britischen Mandatsmacht widersetzten.
Wir traten auch dafür ein, daß die demokratischen Staaten ihre Grenzen für die von Nazis bedrohten rassisch Verfolgten öffnen sollten. Diese aber hatten auf einer gemeinsamen Konferenz beschlossen, die Einwanderungsbestimmungen zu verschärfen. Wahrscheinlich hätten Millionen, die später in den Gaskammern und Vernichtungslagern umgebracht wurden, gerettet werden können, wenn ihnen rechtzeitig eine Zuflucht geboten worden wäre.
Palästina hat in der Zeit von 1933 bis Kriegsende kaum mehr als etwa 150.000 Juden aufgenommen. Ich wurde zusammen mit einigen Genossen kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von den Briten interniert. Ein Kolonialgesetz erlaubte es, Menschen ohne Gerichtsverfahren, sechs oder zwölf Monate zu internieren. Dies konnte jedoch beliebig lange wiederholt werden. Ich blieb 27 Monate interniert, stand nach meiner Freilassung ständig unter Polizeiaufsicht, was mich nicht davon abhielt, am Aufbau einer sozialistischen Organisation von Juden und Arabern mit-zuwirken. Aber nachdem sich der Beschluß der Teilung abzeichnete, war mir und den anderen Genossen klar, daß dies zu erheblichen Konflikten führen müßte, in denen wir kaum eine Rolle spielen konnten. Wir beschlossen nach Europa zurückzukehren, wo wir die Chancen für eine sozialistische Entwicklung sahen, die leider auch nicht wahrgenommen wurden. Aber das ist ein anderes Kapitel...

Was siehst Du – ganz kurz – als Perspektive für die Palästinenser?

Es gibt Anzeichen dafür, daß die jetzige zweite Intifada letzten Endes doch zur Geburt eines palästinensischen Staates führen wird, der auch das Problem der in Lagern lebenden Flüchtlinge unablässig aufgreifen und einer Lösung zuführen wird.







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