Sozialismus von unten - Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis

Nr.5, Winter 2000/2001

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Sozialismus von unten
Zeitschrift für sozialistische Theorie und Praxis
  
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Können wir das globale Kapital stoppen?

Niemals zuvor hat es eine so massive Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen von einigen wenigen Multinationalen Konzernen gegeben. Aber heißt das, dass ihre Macht grenzenlos ist? Peter Morgan vertritt den Standpunkt, dass es immer noch möglich ist, sich ihnen entgegenzustellen..

Die Symbole des multinationalen Kapitalismus sind überall. McDonald's und Burger King; Ford und General Motors; Shell und BP; Coca-Cola und Pepsi; Starbucks und Aroma; IBM und Microsoft. Egal an welche Branche man denkt, den Löwenanteil der Weltmärkte kontrolliert nur eine Handvoll Unternehmen. Bei den jüngsten Protesten wurde ein McDonald's-Restaurant, eine Ausstellungshalle von BMW und ein Cafe von Starbucks zertrümmert, weil sie zu Symbolen der allmächtigen Multis geworden sind, die ihre Politik und ihre Praktiken nach Belieben durchsetzen, dabei das Leben der Menschen zerstören und die Umwelt ruinieren.

Teilweise gerieten diese Symbole ins Visier wegen der riesigen Geldbeträge, die ausgegeben werden, um Werbung für eine Marke zu  machen, mit der sich Konsumenten identifizieren können - was beim Versuch, noch größere Anteile am Weltmarkt zu ergattern, von zentraler Bedeutung ist. Gegenwärtig werden die jährlichen Gesamtausgaben für Werbung in der USA auf 196,5 Mrd. $ geschätzt, im Human Development Report der UNO von 1998 steht, dass die globalen Werbeausgaben das Wachstum der Weltwirtschaft um 1/3 übertreffen.

Einige wenige Unternehmen kontrollieren und dirigieren riesige Teile der Weltwirtschaft. Zum Beispiel Automobilindustrie: Am Anfang des 20. Jahrhunderts besaß keine einzige Firma einen bekannten Markennamen oder ein nationales Netz von Vertragshändlern. Jede war auf eine kleine geographische Region beschränkt. 1909 gab es allein in den USA 274 Unternehmen, die Autos in kleinen Stückzahlen zu extrem hohen Preisen produzierten - hauptsächlich als Spielzeug für die Reichen. Heute ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die 10 größten Unternehmen sind für 76% der weltweiten Produktion verantwortlich (die 5 größten für 50%). Die Umsätze von General Motors und Ford zusammen übertreffen das BIP von ganz Afrika südlich der Sahara. Es wird geschätzt, dass die Automultis selbst über 20 Millionen Menschen beschäftigen, ein Vielfaches davon arbeitet in verbundenen Industrien. Heute kann das Schicksal ganzer Regierungen von Entscheidungen in den Vorstandsetagen einiger dieser Unternehmen abhängen, wie kürzlich durch die Entscheidung von BMW, Rover zu verkaufen, demonstriert wurde.

Andere Industrien weisen eine ähnliche Konzentration von Besitz und Kontrolle auf. Zwei Konzerne stehen heute für 80% der weltweiten Kaffeeproduktion; vier Unternehmen kontrollieren 87% der weltweiten Tabakindustrie, und zwei Konzernen, Boeing und Airbus, gehören 95% der zivilen Flugzeugproduktion. In dem Maße, wie sich der Kapitalismus im 20. Jahrhundert weiterentwickelt und verändert hat, sind neue Unternehmen gewachsen, die ein paar Jahrzehnte vorher kaum existiert hatten. McDonald's hat Restaurants in beinahe jedem Land und jeder größeren Stadt der Erde, noch vor zwanzig Jahren hatte niemand außerhalb der USA davon gehört.

Die 200 größten Firmen kontrollieren jetzt über ein Viertel der Weltwirtschaft. Das Wachstum der Bilanzsumme der größten 100 Konzerne war phänomenal. 1980 betrug sie 500 Mrd. $. Bis 1995 ist sie auf 4.200 Mrd. $ angewachsen. Von den 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt sind 51 multinationale Unternehmen, und nur 49 sind Länder. Beispielsweise ist der Nahrungs- und Handelsriese Wal Mart, der gerade erst das englische Unternehmen Asda aufgekauft hat, jetzt umsatzstärker  als 161 Länder zusammengenommen, darunter Israel, Polen und Griechenland. General Motors ist umsatzstärker als Dänemark. Ford ist größer als Südafrika. Diesen wenigen hundert Multis, die von den Vereinten Nationen als "produktiver Kern der sich globalisierenden Weltwirtschaft" bezeichnet werden, gehört der Großteil der weltweiten industriellen Kapazitäten, des technischen Wissens (multinationale Konzerne halten 90% aller Technologie- und Produktpatente weltweit) und sie dominieren die weltweiten Finanztransaktionen.

Politischer und wirtschaftlicher Einfluß

Ein Unternehmen kann eine ganze Volkswirtschaft dominieren. Der japanische Gigant Mitsubishi vereint ökonomische Aktivitäten, die ihn wirtschaftlich größer machen als das nach Einwohnerzahlen viertgrößte Land der Erde, Indonesien. Es über 160 Unternehmen gehören zur Mitsubishi-Gruppe, sie stellen alles her vom Eßstäbchen bis zur Rakete. Der jährliche Umsatz beträgt mehr als 175 Mrd. $. Die Mitsubishi Bank ist mit Einlagen in Höhe von 820 Mrd. $ eine der größten Banken der Welt. Mitsubishi Motors und Mitsubishi Chemicals sind beide unter den ersten zehn Größten ihrer Branche. Mitsubishi Heavy Industries ist Japans größter Schiffs- und Raketenhersteller, Gas-, Öl- und Kohleförderer, Kernkraftwerksbauer und Produzent von Schwermaschinen. Es wird geschätzt, dass Mitsubishi Foods indirekt ungefähr ein Viertel der japanischen Bevölkerung ernährt, die konzerneigene Kirin-Brauerei ist die viertgrößte Brauerei der Welt.

Kein Wunder, dass diese Unternehmen so einen großen politischen und wirtschaftlichen Einfluß ausüben. Heutzutage sind die Interessen der mächtigsten Regierungen der Welt intim mit ihnen verknüpft. Es ist deshalb zu einem Allgemeinplatz geworden, zu glauben, dass diese Multis die Rolle von Staaten und die Macht der Regierungen übernommen haben und jetzt die Welt beherrschen. "Globalisierung" wurde zum Schlagwort der 90er. In einem neuen Buch, On the edge (Herausgegben von Will Hutton und Anthony Giddens), schreibt Robert Kutter: "Wie die ökonomische Macht der Multis wächst, so auch ihre politische und intellektuelle Reichweite auf Kosten des Nationalstaates, der einst ihre private wirtschaftliche Macht mit staatlichen Eingriffen und nationaler Stabilisierungspolitik ausgeglichen hatte. Der wirtschaftliche Erfolg der globalen Unternehmen wird als Beweis dafür herangezogen, dass ihre Sicht der Welt korrekt sein muß, dass ein globales Laissez-faire der optimale Weg ist, eine moderne Wirtschaft zu organisieren. " Die politische Schlußfolgerung war, dass die Multis in der Welt nach Belieben schalten und walten können, wie die Reaktion von New Labour auf die von BMW angedrohte Schließung von Rover zeigte. Gegen die Funktionsweise des Marktes können wir nichts tun, proklamierte Tony Blair.

Stimmt es wirklich, dass die Multis jetzt so groß und mächtig sind, dass sie ihre Politik den Regierungen einfach diktieren können? Wenn das so ist, so hat es schwerwiegende Folgen für eine sozialistische Politik. Die Macht wäre dann noch losgelöster vom demokratischen Prozeß und in keiner Weise rechenschaftspflichtig, die Multis hatten freie Hand, hinzugehen wohin sie wollen, die Welt nach Lust und Laune zu kontrollieren und auszubeuten. Wie also sieht es wirklich aus mit der Macht der Multis?

An nationale Grenzen gebunden

Die Internationalisierung der Produktion und der Wirtschaftsaktivitäten ist nichts Neues. Einige Waren haben seit Jahrhunderten einen internationalen Charakter - beispielsweise Nahrungsmittel, Gewürze oder exotische Güter. Ein solcher Internationalismus wurde durch die Ausweitung der Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert in Europa begünstigt. Nichtsdestotrotz war bis vor kurzem der Produktionsprozeß hauptsächlich innerhalb nationaler Grenzen organisiert. Große Unternehmen existierten auch in vergangenen Tagen - Coca Cola, Johnson and Johnson, Kodak, General Electric, Goodyear, Reebok und PepsiCo wurden alle am Ende des 19. Jahrhunderts gegründet und begannen innerhalb sehr kurzer Zeit ihre jeweiligen Märkte zu dominieren. Aber was die damaligen Riesenfirmen von den heutigen unterscheidet, ist, dass sie sich im allgemeinen nicht auf eine internationale Forschungstätigkeit stützten, sondern hauptsächlich innerhalb ihres eigenen Landes konzentriert waren. Die frühen Multis basierten mehrheitlich entweder auf Rohstoffgewinnung für den Westen in der dritten Welt (wie Unilever oder die Ölkonzerne) oder auf dem Besitz ausländischer Tochterunternehmen, die jeweils für den lokalen Markt produzierten (wie Ford). Dies begann sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu ändern, als sich neue Produktionsmuster entwickelten. Die erfolgreicheren Unternehmen betrieben Entwicklung, Produktion und Marketingstrategien auf internationaler Basis. Die Triebkraft dahinter war zum Teil die Notwendigkeit für Unternehmen, in der ganzen Welt auf Profitjagd zu gehen, und zum Teil eine bewußte Anstrengung der wichtigen kapitalistischen Mächte - besonders der USA - die Weltmärkte zu öffnen und zu liberalisieren. Im Gefolge des zweiten Weltkrieges und einer in der Weltwirtschaft dominierenden USA, wurde eine Reihe von Schritten unternommen, die darauf abzielten, das Welthandelssystem zu reorganisieren. Die Regierung der USA stand an der Spitze einer koordinierten Bewegung mit dem Ziel, Zölle abzuschaffen und Volkswirtschaften in der ganzen Welt zu liberalisieren. Neue transnationale Institutionen wie GATT, Weltbank, IWF und UNO wurden gefördert. Die Regierung der USA öffnete den eigenen Markt, der das bei weitem wichtigste Exportziel für andere Länder wurde. Die Regierung der USA half den US-Unternehmen mit Millionen von Dollar in Form von Steuersubventionen und direkten Aufträgen zu expandieren und neue Märkte zu erobern. So war IBM mit der Hilfe des US-Militärs in der Lage, große Fortschritte in der Produktion von Computern zu machen; Ford und General Motors fingen in den 70er Jahren an, über ein "Weltauto" zu reden; und Boeing begann, wieder mit Hilfe des US Militärs, die Luftfahrzeugproduktion zu dominieren, was die Europäischen Luftfahrtunternehmen in den 70er und 80er Jahren dazu zwang, ihre Ressourcen zusammenzulegen und über den Aufbau des Airbuskonsortiums zu reden. Sobald der Prozeß der Internationalisierung erst einmal angelaufen war, war er nicht mehr aufzuhalten. Fusionen und Übernahmen wurden zur Gewohnheit, um Unternehmen das Überleben und Wachstum zu sichern. Es gab jedoch auch Rückschläge. Das Schicksal von Unternehmen war an den Boom-Krise-Zyklus des Kapitalismus gekettet. Eine der größten Fluggesellschaften der Welt, Pan Am, ging in den 80er Jahren pleite, und wenn es nicht die Staatsintervention der US-Regierung in den 80er Jahren gegeben hätte, hätte den Automulti Chrysler dasselbe Schicksal ereilen können. Die Gesundheit der Unternehmen, die überlebten, hing von ihre Fähigkeit ab, ihre Geschäfte und ihre Produktion international auszuweiten. Am Ende der 80er Jahre gab es wohl kaum einen industriellen Sektor, in dem Firmen nicht dazu gezwungen gewesen wären, eine internationale Strategie auf der Grundlage von gemeinsamer Forschung und Allianzen mit anderen Firmen und Staaten zu erarbeiten. Der Tag des multinationalen Konzerns war gekommen. Bis zum zweiten Weltkrieg wurde die globale Produktion und der globale Handel von den alten etablierten Kernländern Westeuropas und der USA dominiert und die Produktion des verarbeitenden Gewerbes blieb in diesem industrialisierten Kern konzentriert. Vor dem Krieg waren 71% der gesamten Produktionsleistung der verarbeitenden Industrie in nur 4 Ländern konzentriert und 90% in nur 11. Japan produzierte nur 3,5% des weltweiten Sozialprodukts. Es ist wahr, dass sich die Natur des Kapitalismus seit den 40er Jahren radikal geändert hat. Japan ist in Bezug auf die Weltwirtschaft zu einem Schlüsselfaktor geworden, und der Dienstleistungssektor hat enorm expandiert und ist jetzt ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft. Aber ein Blick auf die Konzentration von Industrie und Dienstleistungen zeigt immer noch eine ähnliche Dominanz in einigen wenigen Kernregionen. Der überwältigende Teil der Weltproduktion ist immer noch in einer relativ kleinen Zahl von Ländern konzentriert. Am Ende der 90er Jahre waren vier Fünftel des verarbeitenden Gewerbes der Welt in Nordamerika, Westeuropa und Japan konzentriert, wobei drei Länder - die USA, Japan und Deutschland - für 60% verantwortlich sind. Im Dienstleistungsbereich sind die multinationalen Konzerne immer noch in ihrem "Heimatstaat" konzentriert, und hier machen sie auch den Großteil ihrer Profite. Von den geschätzten 45.000 multinationalen Mutterkonzernen haben 37.000 ihre "Heimatbasis" in den 14 entwickelten OECD-Ländern. Der Staat spielt immer noch eine wichtige Rolle für die Geschicke der Multis. Die Luftfahrtbranche ist der schlagendste Beweis dafür. Es ist eine der wichtigsten und profitabelsten Industrien der Welt, die Flugunternehmen sehr eng mit den Staaten, in denen sie heimisch sind und aus denen sie hervorgegangen sind, verbunden. Trotz der engeren Allianzen, die sich zwischen den größeren Fluglinien während des letzten Jahrzehntes entwickelt haben, bestimmt diese Verbindung zwischen Staat und Unternehmen immer noch die Branche und setzt der Fähigkeit der Unternehmen für Fusionen und Übernahmen eine reale Grenze. Das heutige System geht auf ein in Chicago 1944 getroffenes Abkommen zurück, als die Führung der Alliierten die Gestalt auszuarbeiten versuchten, die die weltweite Luftfahrt nach dem zweiten Weltkrieg annehmen sollte. Das Abkommen ist ein dichtes Netz aus bilateralen Vereinbarungen. Aber dies schafft politische und ökonomische Spannungen, da die Konkurrenz sich verschärft und die größeren Carrier versuchen, größere Teile des Weltmarktes zu gewinnen. Donald Carty, Vorstandsvorsitzender von American Airlines, sagte: "Die freie Bewegung von Kapital und Ideen ist es, die die Weltwirtschaft heute antreibt. Unglücklicherweise wird ein Großteil der Welt in bezug auf die Luftfahrt regiert von restriktiven und veralteten bilateralen Abkommen." Der Vertrag verlangt von den Carriern, dass ihre Mehrheitseigner aus dem Land stammen, in dem sie ihren Sitz haben. Die Regierungen der EU haben ein Gesetz erlassen, das den Anteil von Investoren außerhalb der EU auf 49% begrenzt. Und in der Bastion des freien Marktes, der USA, ist die Regierung gleichermaßen protektionistisch - ausländischer Besitz ist begrenzt auf 25%, Inlandsflüge werden nur von US-Carriern durchgeführt. Das Ergebnis sind enorme Spannungen zwischen den rivalisierenden Firmen, die versuchen, größere Marktanteile für sich zu gewinnen, so wie wir sie beispielsweise über Jahre zwischen Virgin und BA gesehen haben. Aber die Spannungen drücken sich auch politisch aus, wenn rivalisierende Staaten für die Interessen "ihrer" Carrier kämpfen. Das erklärt die wachsenden Probleme zwischen den USA und Großbritannien, die zum Platzen der Gespräche über den Marktzugang im letzten Januar führten und eine Intervention von Bill Clinton und Tony Blair nötig machten. Eine ähnliche Einmischung des Staates gibt es in der Rüstungsindustrie, die am meisten von der Unterstützung durch die Regierung abhängt. Es sind nicht nur die Regierungen, die Kriege führen, sie schützen auch die Interessen ihrer Rüstungsindustrie. In Großbritannien sind die Rüstungsindustrie und die Regierung eng miteinander verbunden. Die Exportbürgschaften bedeuten in Wirklichkeit, dass der britische Steuerzahler für die Bezahlung der Waffenexporte bürgt. Ähnlich in den USA: Die beiden größten Waffenproduzenten, Lockheed Martin und Boeing, waren die enthusiastischsten Unterstützer der NATO-Osterweiterung. Nach Angaben des amerikanischen Magazins Multinational Monitor könnte "die Erweiterung der NATO ... den Weg bereiten für ein riesiges neues subventioniertes Gebiet für amerikanische Waffen, allein 8 bis 10 Mrd. $ für die Beschaffung von Kampfflugzeugen, der gesamte Waffenmarkt beläuft sich auf 35 Mrd. $ über das nächste Jahrzehnt." Ost- und Zentraleuropa wird als einer der "weißen Flecke“ auf der Landkarte der US-Waffenproduzenten angesehen.

Staatsintervention

Multis und Regierungen sind auf ganz verschiedenen Wegen miteinander verbunden. Als die NATO letztes Jahr zu ihrem 50. Geburtstag zusammenkam, trugen ein Dutzend Unternehmen jeweils 250.000 $ bei, damit ihre Chefmanager am NATO-Treffen teilnehmen konnten; Sponsoring durch Unternehmen war auch bei der WTO-Tagung in Seattle im letzten Jahr von Bedeutung. Unternehmen wie Ford, GM, Microsoft, Boeing und Deloitte and Touch steuerten jeweils über 250.000 $ bei, was sie dazu berechtigte, fünf Gäste zu den Eröffnungs- und Abschlußrunden der WTO zu schicken. Immer wenn ein Mitglied der königlichen Familie aus Großbritannien einen Auslandsbesuch absolviert, wird es begleitet von den Spitzen der Industrie und des Unternehmerverbandes CBI, die jeweiligen britischen Botschaft wird zu einer Handelsmesse für britische Interessen umfunktioniert. Noch wichtiger aber ist die Weise, in der der Staat handelt, um Firmen, die in Schwierigkeiten sind, zu unterstützen und zu retten. Das war der Fall bei den britischen, französischen und italienischen Stahlfirmen in den 80er Jahren, und auch bei Chrysler, das in den 80er Jahren von der US-Regierung gerettet wurde; weitere Beispiele sind die Intervention der schwedischen Regierung 1993, die zwei schwedische Banken mit großen Beteiligungen bei Volvo, Electrolux und Ericson unterstützte sowie die Sanierung des Hedgefunds unter Federführung der US-Regierung auf dem Höhepunkt der Asienkrise 1998, ferner die Intervention der japanischen Regierung in Form von massiven Steuererleichterungen für Unternehmen und Unterstützungen der Konsumenten.

Regierungen spielen also immer noch eine wichtige Rolle, sowohl im Alltagsgeschäft der großen Firmen, als auch im allgemeinen Ablauf des Systems. In einer Hinsicht ist das zentral für die Bedürfnisse der Multis. Kein Kapitalist will sich alleine einer harten Welt des unregulierten Wettbewerb gigantischer Unternehmen aussetzen. Die Kapitalisten brauchen Subventionen, Arbeitskräfte und Infrastruktur, Personal und Beihilfen, also werden sich Kapitalien immer an den Staat mit der Bitte um Unterstützung wenden. Und es gibt immer noch eine starke Überschneidung der Interessen zwischen denen, die produktives, kommerzielles und finanzielles Kapital besitzen und kontrollieren und denen, die den Staat führen. Das System war zwar immer schon international und die Firmen suchen auch immer nach den profitabelsten Standorten, aber das heißt weder, dass sie "frei" sind und Standorte von einem Augenblick auf den anderen aufgeben können, noch, dass sie immer dahin gehen können, wo die Arbeit am billigsten ist. Sie sind immer noch zwangsläufig mit ihren "Heimatstaaten“ verbunden, auf die sie sich stützen. Die Verbindung zwischen Staat und Großkapital ist weder verschwunden noch bedeutungsloser geworden unter dem Einfluß des multinationalen Kapitalismus, sondern sie ist auf eine höhere Stufe gehoben worden. Das multinationale Unternehmen hat seine Verbindung zum Staat nicht gekappt, es hat eher die Anzahl von Staaten, mit denen es verbunden ist, erhöht. Also leben wir in einer Welt, in der die Spannungen zwischen den Unternehmen sich verschärft haben, und das färbt auch auf die Staaten ab, zu denen sie gehören. Häufig drückt sich dies in bitteren Verhandlungen über Regierungspolitik und Verträge aus (Beispiel: EU), aber das kann sich auch auf militärische Konflikte übertragen (siehe Balkankrieg und NATO-Osterweiterung). Es ist kein Zufall, dass die historische Periode, die durch die größte Kapitalkonzentration gekennzeichnet ist, auch die Zeit ist, in der die militärische Macht der Staaten am größten ist. Marx Beschreibung der herrschenden Klasse als eine "Bande verfeindeter Brüder" klingt heute wahrer als im 19. Jahrhundert, als er die Formulierung geprägt hat.

Der multinationale Kapitalismus macht das System deshalb heute weit instabiler, als es sogar vor 20 oder 30 Jahren noch war, aus einer Reihe von Gründen. Erstens bedeutet die bloße Größe der Unternehmen, dass, wenn eines untergehen sollte, es das ganze System in eine tiefe und verzwickte Krise stürzen könnte. Einer der Gründe, warum die japanische Regierung während der letzten fünf Jahre Milliarden in die Wirtschaft gepumpt hat, ist die Tatsache, dass die Konsequenzen aus der Pleite eines Multis wie Mitsubishi fürchterlich für die japanische Wirtschaft als Ganzes sein würde. Zweitens geht mit dem Anwachsen der Kapitalmasse eine Intensivierung der Konkurrenz einher. Die US-Regierung versucht, das gigantische Imperium von Microsoft aufzubrechen, da das vollständige Monopol von Microsoft in der Computerindustrie die Fähigkeiten von anderen Computerfirmen beschränkt, sich zu entwickeln und zu expandieren. Aber durch die Maßnahmen gegen Microsoft hat die Regierung neue Probleme geschaffen - das Sinken des Aktienkurses von Microsoft um 45% im Verlauf der Gerichtsverhandlungen könnte zukünftige Investitionen beeinflussen und, wie das Wall Street Journal kürzlich warnte, die Dot.com-Unternehmen mitziehen, die im Augenblick so labil dastehen. Schließlich hat die Größe und der Einfluß der Multis die Macht derer, die für sie arbeiten, erheblich gesteigert. Zum Teil liegt dies an den Produktionsmethoden, die die Multis gezwungen sind, einzuführen, um die Profitabilität in einem Markt mit immer schärferer Konkurrenz zu erhöhen. "Just in time"-Produktion erhöht auf der einen Seite die Profitabilität, indem es verhindert, dass Kapital "unnütz" herumliegt, aber es macht die Arbeiter auch so viel mächtiger - ein Streik in einer Fabrik kann die gesamten Abläufe eines Multis in sehr kurzer Zeit zum Stillstand bringen. Das wurde 1998 gezeigt, als 9.200 Autoarbeiter in Flint, Michigan, in Streik traten, um gegen die Entscheidung von GM zu protestieren, gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze auf Zulieferer in den USA und Mexiko auszulagern. Der Streik legte 27 der 29 nordamerikanischen Fertigungsfabriken still, was GM dazu zwang, 192.000 Arbeiter nach Hause zu schicken. Am Ende des Streiks hatten diese 9.200 Arbeiter das Unternehmen mehr als 2 Mrd. $ an Produktionsausfällen gekostet, und das Management von GM wurde dazu gezwungen, einer Reihe von Schlüsselforderungen nachzugeben. Solche Macht war auch Anfang diesen Jahres sichtbar bei einem Streik von Angestellten und technischem Produktionsarbeitern bei Boeing. Die Intensität der Konkurrenz zwischen den rivalisierenden Luftfahrzeugherstellern ist so groß, und so streng sind die Produktionszeitpläne, dass der sechs Wochen dauernde Streik bedeutete, dass Boeing die Fristen für die Produktion von 15 Flugzeugen verpaßte, was das Unternehmen Millionen $ und möglicherweise zukünftige Aufträge gekostet hat. Kein Wunder also, dass die Bosse gezwungen waren, fast allen Forderungen der Arbeiter in sehr kurzer Zeit nachzugeben. Die internationale Macht der Arbeiter ist heute untrennbar mit dem internationalen Produktionssystem verbunden. Als 125.000 Hafenarbeiter in Indien im Januar diesen Jahres in den Streik traten, schlossen sie die großen Häfen von Bombay und Calcutta, was die Armee und die Marine zum Eingreifen zwang, die wichtigsten Handelsrouten Südostasiens störte und Schiffe festhielt, weshalb Ware ins Meer gekippt werden mußte. Es ist diese Macht, die das multinationale Kapital nicht eindämmen kann. Und um so mehr es nach Expansion strebt und neue Märkte öffnet, desto mehr Probleme schafft es. So mag die Entscheidung, China in die WTO aufzunehmen, den US-amerikanischen Multis größeren Zugriff auf den großen chinesischen Markt geben. Aber die Weltbank hat geschätzt, dass ungefähr 35% der chinesischen Industriearbeiter von der Entlassung bedroht sind, weil sie in Industrien arbeiten, die nicht mit den Multis konkurrieren können. So sind politische und soziale Verwerfungen unvermeidlich. Die Weltarbeiterklasse ist heute viel größer und stärker als zu irgend einer Zeit in der Geschichte. Die Multis haben rund um den Globus expandiert, aber sie haben auch eine Weltarbeiterklasse geschaffen, die zunehmend ein gemeinsames Interesse hat. Auch der Organisierungsgrad war nie zuvor so hoch. Enorm starke Gewerkschaften existieren heute in fast jedem Land, in fast jedem Produktionssektor. Es ist diese Macht, die am Ende die Macht der Multis in die Schranken weisen wird. Wenn die, die den Profit für diese gewaltigen Multis produzieren, in Streik treten, können sie nicht nur eine der gigantischen Firmen schädigen, sie können das ganze Weltsystem in eine Krise stürzen.

 

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