Sozialismus von unten
Sozialismus von unten, Nr.8, 1997
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Christian Schröppel


Regulationstheorie und Wirtschaftskrisen
Läßt sich der Kapitalismus regulieren?

Daß es Wirtschaftskrisen gibt, ist heute unübersehbar. Daß Krisen periodisch, wenn auch in unregelmäßigen Abständen auftreten, wird kaum noch ernsthaft bestritten. Streit gibt es jedoch darüber, warum diese Krisen entstehen, ob es im Kapitalismus zwangsläufig zu Krisen kommt und ob diese sich mit der Zeit verschärfen, wie Marx dies vorausgesagt hat.
Bürgerliche Wirtschaftstheoretiker haben im Laufe der Zeit fast ebenso viele Theorien über die Ursachen von Krisen aufgestellt wie es Wirtschaftskrisen gegeben hat. Sie führen unter anderem zu hohe Löhne, die steigende Staatsquote, zu hohe Sozialausgaben, die Ölpreisschocks und Streiks als Gründe für Rezessionen an.
Doch alle diese Theorien können nicht erklären, weshalb die Weltwirtschaft zu Beginn der neunziger Jahre in eine Krise geraten ist, von der sich manche Länder, wie z. B. Japan und, in geringerem Maße, Deutschland und Frankreich, bis heute nicht erholt haben. Denn die achtziger Jahre waren durch Niederlagen der Arbeiterbewegung, den Rückgang des Anteils der Löhne am Bruttosozialprodukt und Kürzungen bei Sozialleistungen gekennzeichnet.

Neuen Auftrieb hat eine Theorie erhalten, die die Krisen mit langfristigeren Prozessen in Verbindung bringt: die sogenannte Regulationstheorie. Sie entstand am Ende der siebziger Jahre in Frankreich und breitete sich dann in den englisch- und deutschsprachigen Raum aus1. Grundlegend für diese Theorie ist die Annahme, daß die ökonomischen und politischen Strukturen einer Gesellschaft gleichberechtigt nebeneinander existieren und sich entwickeln können. Gerade deswegen können diese jedoch in Widerspruch zueinander geraten und dadurch eine Krise auslösen. Umgekehrt erhält nach Joachim Hirsch "jede historische Gesellschaftsformation [...] ihre vorübergehende Stabilität dadurch, daß sich eine miteinander vereinbare. Akku-mulatioms- und Regulationsweise herausbildet"2

"Akkumulationsregime" und "Regulationsweise"

Unter "Akkumulationsregirne" verstehen die Regulationstheoretiker eine bestimmte "Struktur des Kapitals" (Aglietta), d. h. seine Zusammensetzung und Verteilung auf die verschiedenen Wirtschaftssektoren sowie die Menge und Qualifikation der verfügbaren Arbeitskraft. Die "Regulationsweise" bezeichnet dagegen "die Gesamtheit institutioneller Formen, Netze, expliziter oder impliziter Normen"3, also die Position, Macht und innere Struktur von Organisationen wie z. H. Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Medien, Kirchen sowie des Staatsapparats selbst bis hin zur Familie wie auch die vorherrschenden Ordnungs- und Entwicklungsvorstellungen, etwa über die Rolle des "Rechtsstaates", der Familie oder den Stellenwert wirtschaftlichen Wohlstands (z. B.: "Konsumgesellschaft") und der Definition von persönlichem Erfolg (z. B.: "Aufsteigermentalität").
Die Tatsache, daß diese Theorie Krisen nicht (oder nicht nur) aus den zu hohen Ansprüchen der Beschäftigten und Arbeitslosen erklärt, sondern aus der Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen heraus, macht sie für viele Linke at-traktiv. Daher ist es wichtig, die Schwachpunkte des Regulationsansatzes und der re-gulationsorientierten Krisentheorie herauszustellen. Da es aufgrund der Vielzahl von theoretischen Strömungen, die auf der Grundlage des Regulationsansatzes entstanden ist, nicht möglich ist, "die Regulationstheorie" als Ganzes im Rahmen dieses Artikels zu behandeln, werde ich mich im Folgenden vor allem mit den Thesen von Joachim Hirsch, einem linken Vertreter der Regulationstheorie, auseinandersetzen. Viele der angesprochenen Positionen und Argumente finden sich aber auch bei anderen Vertretern der Regulationstheorie.
Krisen sind für die Regulationstheorie immer Krisen des Übergangs von einem Akkumulations- und Regulationszusam-menhang in den darauf folgenden. Sie sind nicht Folge einer in sich widersprüchlichen Produktionsweise (in der Sprache der Regulationstheorie: des Akkumulationsregimes), sondern Krisen der Vermittlung zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise. So erklärt. Joachim Hirsch die Entstehung von Krisen folgendermaßen:
"Das heißt, die bestehende Form der Institutionalisierung von Klassenbeziehungen und sozialen Kräfteverhältnissen ist nicht unbeschränkt flexibel und auch nicht einfach graduell veränderbar. Dies muß früher oder später dazu führen, daß die Profitabilität des Kapitals im Rahmen der bestehenden Akkumulations- und Regulationsweise abnimmt, das kapitalistische Wachstum im Stocken gerät und damit eine Krise der ganzen gesellschaftlichen Formation entsteht."4
Ferner schreibt er:
"In der Tat wäre ungeachtet der umwälzenden Dynamik des Akkumulationsprozesses eine relativ störungsfreie Entwicklung den Kapitalismus denkbar, wenn sie von entsprechenden kontinuierlichen Veränderungen der institutioneilen Konfigurationen und Klassenverhältnisse [...] begleitet wäre. Dies würde die flexible Durchsetzung sowohl neuer Technologien als auch veränderter materieller Lebensverhältnisse ermöglichen und auf diese Weise die Stabilität der Profitrate ungeachtet der von Marx diagnostizierten Veränderung in der Wertzusammensetzung des Kapitals - dem Verhältnis von vergegenständlichter und lebendiger Arbeit - gewährleisten."5
Die Konsequenz einer solchen Analyse ist, daß Krisen überwunden werden könnten, wenn die verschiedenen Teile der Gesellschaft ihre Einzelinteressen dem "Gemeinwohl" unterordnen und zu einer Umstrukturierung ihrer Beziehungen und Machtverhältnisse gelangen könnten. Im Unterschied zu vielen bürgerlichen Theorien werden die Arbeiterklasse und ihre Organisationen nicht als das Hindernis für die in der Krise notwendige Umstrukturierung gesehen, sondern 'nur' als ein mögliches Hindernis, neben allen anderen gesellschaftlichen Strukturen. Mit dem Argument, der tendenzielle Fall der Profitrate ließe sich dauerhaft durch politische Veränderungen aufhalten, bestreitet Hirsch aber gleichzeitig, daß sich die Krisen im Kapitalismus tendenziell verschärfen. Vor einer genaueren Betrachtung der Entwicklung der Profitrate und ihrer Ursachen ist aber zu klären, in welchem Verhältnis Politik und Ökonomie zueinander stehen.

Basis und Überbau

Mit seinem Modell grenzt sich Hirsch gegen seiner Meinung nach "ökonomistische" Ansichten ab, die eine Abhängigkeit des gesellschaftlichen Überbaus und der wirtschaftlichen Basis behaupten. Er schreibt: "Die Ökonomie ist der Politik weder theoretisch noch historisch vorausgesetzt."6 Marx dagegen sagt:
"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein. Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhallnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen, [...] Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftli-ches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt."7
Dies darf man nicht so verstehen, als daß der Überbau sich direkt aus der Basis ableiten ließe. Engels schreibt:
"Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit."8 (Herv. v. Engels)"Je weiter das Gebiet, das wir grade untersuchen, sich vom Ökonomischen entfern! und sich dem reinen abstrakt Ideologischen nähert, desto mehr werden wir finden, daß es in seiner Entwicklung Zufälligkeiten aufweist, desto mehr im Zickzack verläuft seine Kurve. Zeichnen sie aber die Durchschnittx-achse dieser Kurve, so werden Sie finden, daß, je länger die betrachtete Periode und je großer das betrachtete Gebiet ist, daß diese Achse der Achse der ökonomischen Entwicklung um so mehr annähernd parallel verläuft.""9
Die ökonomischen Bedingungen bestimmen nicht unmittelbar die politischen Entscheidungen und Entwicklungen, aber sie setzen ihnen Grenzen ("letzte Instanz") und sind ihnen daher durchaus "vorausgesetzt". Auf der Grundlage dieser Überlegung kann man die Begriffe "Akkumulationsregime" und "Regulationsweise" einer kritischen Bewertung unterziehen. Der Begriff "Akkumulationsregime" bezieht sich zwar auf die Akkumulation des Kapitals als Ziel der kapitalistischen Produktion. Er läßt aber die Bedingungen und strukturellen Zwänge dieser Produktionsweise außer acht. Für ein Verständnis der Abhängigkeit der politischen von der wirtschaftlichen Sphäre sind diese Bedingungen aber grundlegend. Das Wort "Regime" läßt darüber hinaus vermuten, daß es die Möglichkeit der bewußten Steuerung der Akkumulation geben könne.
Der Marx'sche Begriff der "kapitalistischen Produktionsweise", der auf das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis Bezug nimmt, bleibt daher dem Begriff des "Akkumulalionsregimes" überlegen. Der Begriff "Regulationsweise" dagegen kann zu der Auffassung verleiten, die kapitalistische Produktionsweise ließe sich stets - mit einer geeigneten Regulationsweise - von der politischen Sphäre aus kontrollieren. Auch wenn die Marxsche Metapher des politischen oder kulturellen "Überbaus" oft fälschlich als Indiz für ein von Marx angeblich gesehenes einfaches Abhängigkeitsverhältnis, das politische Prozesse zu einer unmittelbaren Folge wirtschaftlicher Vorgänge macht, interpretiert wird, behält sie ihre Bedeutung und Erklärungskraft. Denn auf ein und dasselbe wirtschaftliche Fundament lassen sich unterschiedliche Formen des politischen Überbaus errichten - aber eben nur im Rahmen der durch das Fundament gesetzten Grenzen.
Auch Antonio Gramsci, auf den sich viele Regulationstheoretiker berufen, verweist zur Erklärung des Verhältnisses von Basis und Überbau auf Marx:
"Die [...] Prätention, jede Fluktuation der Politik und der Ideologie als einen unmittelbaren Ausdruck der Basisstruktur darzustellen, muß [...] praktisch durch den Hinweis auf die politischen und historischen Arbeiten von Marx bekämpft werden."10

Profitrate
Diagramm Nr. 1: Großbritannien 11
Diagramm 1

Diagramm Nr. 2: USA 14
Diagramm 2

Diagramm Nr. 3: Japan 15 Diagramm 3

Während linke Regulationstheoretiker den Fall der Profitrate als Wirkung von Krisen ansehen, sah Marx den Fall der Profitrate, also einen rein ökonomischen Prozeß, vor allem als Ursache für die sich verschärfenden Krisen. Zwar fällt das Verhältnis von Gewinnen zum eingesetzten Kapital, wenn in der Krise die Unternehmer ihre Waren nicht absetzen können. Die Ursache dieses Falls ist aber, daß die Unternehmer den Mehrwert, die Grundlage des Profits, auf dem Markt nicht oder nur teilweise realisieren können.
Dieser jeweils vorübergehende Prozeß ist jedoch zu unterscheiden vom langfristigen Fall der Profitrate, der durch die Akkumulation des Kapitals entsteht. Tendenziell nannte Marx diesen Fall deswegen, weil der allgemeinen Tendenz, daß das Kapital schneller akkumuliert wird als die Profitmasse wächst, verschiedene Faktoren entgegenwirken können, wie etwa schneller technischer Fortschritt (mit der Folge, daß in den Produktionsmitteln weniger gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit vergegenständlicht ist, ihr Wert also abnimmt), stärkere Ausbeutung der Arbeiter (also eine höhere Mehrwertrate und größere Profitmasse) oder Zerstörung des Kapitals durch Kriegseinwirkungen und insbesondere übermäßiger Verschleiß während einer Phase der Kriegswirtschaft. Der Imperialismus ist eine weitere Möglichkeit, den Fall der Profitrate durch die Unterwerfung neuer Arbeitskräfte unter die Herrschaft des eigenen Kapitals und durch Zerstörung ausländischer Kapitalien zu bremsen.
Als unbeabsichtigte Nebenfolge führt die hohe Auslastung der Produktionsanlagen und der dadurch bedingte starke Verschleiß von Kapital sowie die Verringerung der Investitionen durch die Rüstungsproduktion zu einem Anstieg der Profitrate. Der tendenzielle Fall der Profitrate bedeutet daher auch eine Tendenz zu Imperialismus und Krieg.
Der Verlauf der Profitrate in Großbritannien wird an Diagramm Nr.1 deutlich. Es zeigt das Bruttoinlandsprodukt, das der Summe der Preise der im jeweiligen Land produzierten Waren entspricht (BIP), den Kapitalbestand sowie deren Verhältnis für die Jahre 1820, 1870, 1913, 1929, 1938, 1950, 1973 und 1992.
Das Diagramm zeigt eine fortwährende Steigerung des Kapitalbestands wie des BIP. Beide Größen steigen jedoch unterschiedlich schnell an, und im allgemeinen bleibt die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts hinter der des Kapitalbestands zurück. Dies ist auch an der dick gezeichneten Kurve "BIP/Kapitalbestand" zu erkennen, die eine fallende Tendenz, aufweist. Das Bruttoinlandsprodukts setzt sich, abgesehen vom Einkommen der Mittelschichten (z.B. Bauern und Freiberufler), aus Löhnen und Sozialleistungen (die in der sog. Bruttolohnsumme erfaßt sind), den Investitionen (die zum Teil für den Ersatz verbrauchter Produktionsmittel verwendet werden) und dem Konsum der Kapitalisten zusammen. Die beiden letzten Posten werden aus der Profitmasse finanziert. Über das Verhältnis dieser Profitmasse zum BIP gibt es nur wenige Daten. Die Daten für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg deuten jedoch auf eine relative Konstanz dieses Verhältnisses hin:

Anteil der Profite am BIP (unter Berücksichtigung eines fiktiven Lohnes für die Kapitalisten):12
    1950 1970 1990
    USA    32,9%    31,0%    33,4%   
    GB 37,3% 34,9% 33,1%
    BRD 33,7% 36,4% 39,1%

Der Fall des Verhältnisses des BIP zum Kapitalbestand in der Zeit nach 1950 bedeutet daher gleichzeitig, daß das Verhältnis der Profitmasse zum Kapitalbestand, also die Profitrate13, in diesem Zeitraum gefallen ist. Der Verlauf des Verhältnisses, des BIP zum Kapital vor 1950 stellt damit zumindest ein Indiz für den Verlauf der Profitrate dar. Die Daten weisen darauf hin, daß die Profitrate von 1820 bis 1870, von 1913 bis 1938 und von 1950 bis 1992 gefallen ist. In der Hochzeit des britischen Kolonialismus zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte Großbritannien die Profitrate in etwa aufrechterhalten. Der Erste Weltkrieg schwächte zwar Großbritannien, führte aber auch zur Ausdehnung seines Kolonialbesitzes auf Kosten der unterlegenen Staaten. Dies erklärt die Konstanz der Profitrate während des Ersten Weltkriegs und den nur geringen Fall der Profitrate in der Zwischenkriegszeit. Im Zweiten Weltkrieg, der Großbritanniens Wirtschaft stark belastete und durch die Kriegsproduktion zu hohem Verschleiß des Kapitals führte, kam die Akkumulation praktisch zum Stillstand, während sich die Arbeitsproduktivität weiter erhöhte. Das kehrte den Fall der Profitrate kurzfristig um. In den sechziger Jahren setzte der durch Imperialismus, Krieg und den Rüstungskapitalismus verzögerte Fall der Profitrate wieder ein.
Im Gesamtzeitraum läßt sich eindeutig ein Fall des Verhältnisses des BIP zum Kapital feststellen, daß auf einen Fall der Profitrate verweist. Die Daten für die USA und für Japan zeigen einen ähnlichen Verlauf (Diagramme Nr.2 und Nr.3). Die Konstanz der Profitrate der USA in der Zeit nach 1890 erklärt sich daraus, daß Großbritannien und Frankreich ihre Hegemonie als weltweit herrschende imperialistische Mächte an die USA nach und nach abgeben mußten. Bedeutend ist dieser Faktor vor allem in der Zeit von 1950 bis heute, in der die USA ihre - allerdings 1950 bereits sehr niedrige - Profitrate halten konnten, während die Profitrate nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Japan, Deutschland und Frankreich fiel16. Im Hinblick auf Japan ist zu beachten, daß sich der Kapitalismus in der betrachteten Epoche (1890 bis 1992) erst entwickelte, wodurch die Zahlen in noch größerem Maße als in bezug auf Großbritannien und die USA nur der Tendenz nach zu beurteilen sind.17
Wenn davon auszugehen ist, daß das Verhältnis des BIP zum Kapitalbestand tendenziell abnimmt, dann läßt sich die Behauptung von Joachim Hirsch, "einem Sinken des Kapitalprofits könnte, etwa durch fortwährende Reallohnsenkungen [...] begegnet werden"18, nicht aufrechterhalten. Betrüge beispielsweise der Anteil der Profite am BIP 50% und stiege dann der Kapitalbestand im Vergleich zum BIP auf das Dreifache, so würde die Profitrate selbst bei einer Erhöhung des Anteils der Profite am BIP auf 100% auf 2/3 des ursprünglichen Wertes fallen. Nach Marx ist der Fall der Profitrate zunächst Folge der Akkumulation des Kapitals. Veränderungen in der Mehrwertrate können der Fall der Profitrate zwar vorübergehend aufhalten, aber langfristig nicht verhindern. Bei gleicher Mehrwertrate fällt mit dem Verhältnis des Gesamtwerts der Produkte zum Wert des Kapitalbestands auch die Profitrate. Eine Erhöhung der Mehrwertrate kann einem Fall dieses Verhältnisses nur begrenzt entgegenwirken, da der Mehrwert als Teil des Gesamtwerts der Produktion nicht größer sein kann als dieser selbst.
Zudem bewirkt eine Fallen der Mehrwertrate, etwa durch den Kampf der Arbeiter, zwar ein Fallen des Profits und damit der Profitrate, Gleichzeitig jedoch kann gerade wegen der niedrigeren Profitmasse weniger akkumuliert werden. Mittelfristig bremst diese geringere Akkumulation den Hall der Profitrate. Langfristig nähert sich die Profitrate dadurch dem - im Zeitverlauf fallenden - Niveau an, das sie ohne Verringerung der Mehrwertrate erreicht hatte. Der langfristige Fall der Profitrate wird dadurch also nicht aufgehalten, sondern nur in seinem Verlauf geändert.
Umgekehrt bewirkt eine Erhöhung der Mehrwertrate, ob sie nun durch Lohnkürzungen oder höhere Arbeitsproduktivität erreicht wird, zwar ein kurzfristiges Ansteigen von Profitmasse und Profitrate. Im folgenden wird durch die höhere Profitmasse jedoch die Akkumulation beschleunigt, so daß der Anstieg der Profitrate durch den darauf folgenden, um so stärkeren Fall zunichte gemacht wird. Damit erweist sich die Hoffnung, ständiger technischer Fortschritt könnte den Fall der Profitrate dauerhaft aufhalten, als Illusion.
Wenn aber weder eine erhöhte Arbeitsproduktivität noch eine Umverteilung des Mehrwerts den Fall der Profitrate dauerhaft aufhalten können, dann ist auch die Hoffnung vieler Regulationstheoretiker, daß sich die Krise durch eine neue "Regulalionsweise", also etwa durch eine veränderte institutionelle Struktur der Gesellschaft oder eine veränderte Kultur, beheben lassen könne, vergeblich. Denn diese Änderungen des gesellschaftlichen Überbaus können sich auf die Wirtschaft nur über eine Änderung der Arbeitsproduktivität oder eine Änderung der Mehrwertrate auswirken.

Die Weltwirtschaftskrise
Diagramm 1

Daß nicht den Veränderungen in der Produktionstechnik, sondern der Rüstungsproduktion und der Kapitalvernichtung im Zweiten Wellkrieg die entscheidende Rolle bei der vorübergehenden Stabilisierung des Kapitalismus zukommt 20, belegt auch die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933. Die Entwicklung des Bruttosozialprodukts in den USA zeigt die Tiefe der Krise {Siehe Diagramm Nr.4). Von 1929 bis 1933 sank das Bruttosozialprodukt um etwa 30%. Sie zeigt darüber hinaus, daß die Krise durch die keynesianische Politik des New Deal nur vorübergehend überwunden werden konnte. So fiel im Herbst 1937 die industrielle Produktion innerhalb weniger Monate um 30% 21. Erst die Kriegswirtschaft, die zur Vorbereitung des Eintritts der USA in den Zweiten Wettkrieg eingeführt wurde und eine Ausweitung der Rüstungsproduktion sowie eine starke staatliche Kontrolle und Planung der Wirtschaft zur Folge hatte, konnte die neue Krise überwinden. Die starke Steigerung des Bruttosozialprodukts (das die Abschreibungen mit umfaßt) ist allerdings nur aufgrund einer hohen Abnutzung des Kapitals möglich gewesen.
Viele Regulationstheoretiker gehen davon aus, daß die Weltwirtschaftskrise mit der Entwicklung des "Fordismus", d. h. einer Regulationsweise auf der Basis von Serienproduktion und Massenkonsum sowie gut ausgebildeten Arbeitskräften, nichts zu tun habe, da sich dieser erst nach dem Zweiten Weltkrieg voll entwickelt habe.
Das trifft aber nicht zu. Die Massenproduktion als Herstellungstechnik war im Ersten Weltkrieg in der Rüstungsproduktion bereits weit verbreitet, Nach dem ersten Weltkrieg setzte sie sich in den USA in praktisch allen bedeutenden Wirtschaftszweigen durch. Gleichzeitig fand eine enorme Ausweitung der Produktion statt:
"In der amerikanischen Verbrauchsgü-terindustrie war die Verwendung des Fließbands, transportabler elektronischer Werkzeuge und automatischer Bohrmaschinen und Pressen 1929 eine Selbstverständlichkeit. 1929 erzeugte die Industrie 70% mehr Fertigwaren als 1919 [...] Bis 1929 hatte sich die Zahl der Personenwagen fast vervierfacht, und auf fünf Personen kam ein Wagen. "22
Ebenso war die Expansion der Bildung bereits in vollem Gange. Der Ausbildungskoeffizient23 in den USA stieg von 3,92 im Jahr 1870 auf 7,86 im Jahr 1913, 9,11 im Jahr 1929 und 11,27 im Jahr 1950. Auch in Europa wurde die Bildung bereits stark ausgeweitet; Der Ausbildungskoeffizient für Deutschland beträgt 8,37 im Jahr 1913 und 10,4 im Jahr 1950. für Frankreich 6,99 im Jahr 1913 und 9.58 im Jahr 1950. Zwar blieb die Industrieproduktion in Europa hinter der der USA zurück, und auch die Massenproduktion verallgemeinerte sich später als in den USA. Dennoch war sie 1929 auch in Europa die in den entscheidenden Produktionszweigen angewandte Technik. Entscheidend für die Krise war jedoch die Entwicklung in den USA, von denen aus sich die Krise, beschleunigt durch den Börsenkrach am 25. Oktober 1929, auf Europa und die übrige Welt ausdehnte.
Eine andere regulationstheoretische Erklärung für die Wirtschaftskrise lautet, daß sich 1929 zwar das Akkumulationsregime des Fordismus bereits entwickelt habe, daß aber die damit vereinbare Regulationsweise, also etwa die "Konsumgesellschaft", noch nicht voll ausgeprägt war. Das ist zwar insofern richtig, als sich Ungleichmäßigkeiten in der Entwicklung der "fordistischen Gesellschaftsformation" ergeben haben. Diese waren jedoch gegenüber den Prozessen, die zur Weltwirtschaftskrise geführt haben, eher langfristiger Natur. Wenn die Behauptung stimmt, daß die Überproduktionskrise 1929 dadurch zustande gekommen sei, daß sich die Produktionstechnik und damit die Produktionsmöglichkeiten schneller als die "Konsumgesellschaft" entwickelt habe, dann hätte sich die Überproduktion langsam steigern und schließlich zu Absatzschwierigkeiten führen müssen. Das war aber nicht der Fall. Die Entwicklung der US-Automobilproduktion vor 1929 zeigt das deutlich. Die großen Automobilunternehmen stellten sich bereits Mitte der zwanziger Jahre darauf ein, daß der Konsum von Fahrzeugen stagnieren würde. Grund hierfür war die Sättigung des amerikanischen Marktes, so daß neue Autos zunehmend alle Wagen ersetzen mußten. So stieg die Produktion von 1923 bis 1926 lediglich von 3,76 auf 3,98 Millionen PKW. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Produktion der drei größten US-Automobilunternehmen folgendermaßen:

    Produktion der drei größten US-Automobilfirmen in 1.000 Stück:24

    1. Hj.
    1926
       
    1. Hj.
    1927
       
    1. Hj.
    1928
    General Motors    693 886 1074
    Ford 709 381  220
    Chrysler-Dodge 285 212  234

Der deutliche Produktionsrückgang bei Ford war bedingt durch die Umstellung der Produktionsanlagen vom Modell T auf das neue Modell A. Er führte dazu, daß die Fahrzeugproduktion von 3,98 Mill. Stück 1926 auf 3,09 Mill. im darauf folgenden Jahr sank. Dieser Rückgang verursachte bei den großen Firmen jedoch weder finanzielle Probleme, noch ist er auf eine vorangegangene Überproduktion zurückzuführen. Die Vorräte der großen Firmen entwickelten sich vielmehr entsprechend der Absatzzahlen.25
Aber der Rückgang der Produktion bei Ford gab den anderen Unternehmen, insbesondere General Motors, die Möglichkeit, die Produktion auszuweiten. Ford beabsichtigte natürlich, später den verlorenen Markt mit dem neuen Modell wieder zu erobern: "Die Unterbrechung der Produktion wegen der Umstellung auf das Modell A hat einen starken Absatzverlust bewirkt, den Ford jedoch [...] in absehbarer Zeit wenigstens annähernd wieder wettmachen dürfte. Die nächsten Konkurrenten des A-Modells sind Chevrolet [...], ferner Whippet und Durant: der Kampf dürfte sich jedoch im wesentlichen nur zwischen Ford und der G.M.C. [General Motors Company] abspielen."26
Es war dieser Kampf, der auf dem Gebiet der Automobilindustrie I929 zu einer riesigen Überproduktion führte, die ein entscheidender Faktor in der Entstehung der Wirtschaftskrise war. Die Ursache für die Krise waren nicht Widersprüche zwischen Akkumulationsregime und Regulati-onsweise, sondern die Konkurrenz als wesentliches Kennzeichen der kapitalistischen Produktionsweise. Die Auswirkungen dieser Konkurrenz wurden allerdings durch die Massenproduktion noch verstärkt, wie die Folgen der Umstellung Fords auf das neue Modell beweisen.

Von der militärischen zur wirtschaftlichen Konkurrenz

Die folgenden Jahrzehnte waren von einer langen und nach dem Zweiten Weltkrieg im wesentlichen von Krisen ungestörten Aufschwungphase des Kapitalismus gekennzeichnet. Doch mit der Zunahme der wirtschaftlichen Stärke der westeuropäischen Staaten sowie Japans gewann die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den "westlichen" Staaten an Bedeutung. Das wirtschaftliche Wachstum der Ostblockstaaten wurde durch die hohen Militärausgaben, die zur Aufrechterhaltung des militärischen Gleichgewichts zwischen dem Warschauer und dem Washingtoner Pakt27 nötig waren, gebremst.28 In den siebziger Jahren wurde aber nicht nur die militärische Belastung zum Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung, Die mangelnde Weiterentwicklung der übrigen Wirtschaft ließ auch die militärische Produktion vor allem in qualitativer Hinsicht hinter die der USA zurückfallen.
Für die USA, die stets den größten Teil der militärischen Lasten der NATO sowie Japans trug, wurde die globale wirtschaftliche Konkurrenz im Vergleich zur militärischen Konkurrenz gegenüber der Sowjetunion zunehmend wichtiger. US-Finanzminister Connally drückte dies am 28.Mai 1971 in München folgendermaßen aus: "Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten beherrscht nicht mehr die freie Welt. Daß die Vereinigten Staaten einen so hohen Anteil der gemeinsamen Lasten trägt, läßt sich nicht mehr mit den Verpflichtungen der Freundschaft, den Bedürfnissen oder der Kapazität der Beteiligten rechtfertigen."29
Die USA, die nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich die "westlichen Staaten" stützte - zunächst mit Hilfe des Marshall-Plans, später vor allem durch einen durch die Vereinbarungen von Bretton Woods, die feste Wechselkurse vorsahen, gestützten Dollarkurs30, begrenzten in den siebziger Jahren beide Formen der Unterstützung.
Der ehemalige US-Außenminister Kissinger beschreibt die Vorgehensweise der USA folgendermaßen:
"Am folgenden Tag, dem 15. August [1911], hielt der Präsident eine Ansprache im Fernsehen zur Erläuterung seiner neuen Wirtschaftspolitik, [...] Die Auslandshilfe sollte um 10 Prozent gekürzt werden, Reimporte sollten mit einer zusätzlichen Steuer von 10% belegt werden und die Konvertierbarkeit des Dollars in Gold oder andere Werte sollte aufgehoben werden. [...] viele sahen darin eine wirtschaftliche Kriegserklärung an die anderen demokratischen Industriestaaten [...], Die demokratischen Industriestaaten, vor allem Japan, waren schockiert über die Plötzlichkeit der Erklärung [...]."31
Über die Folgen des Systems auf die Währungen sagt Kissinger:
"Mit dem neuen System gab es noch dramatischere Krisen als bei den festen Wechselkursen. Spekulanten entdeckten neue Möglichkeilen. Die Wechselkurse paßten sich durchaus nicht der übrigen Wirtschaftslage an."32
Solange der US-Imperialismus, auch auf Kosten Großbritanniens und Frankreichs, in immer neue Räume expandieren konnte - zuletzt tat er dies durch die Nahostkriege zum Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre - gleichzeitig aber durch den Imperialismus der Sowjetunion bedroht war, verzichtete die USA auf ein stärkeres Wirtschaftswachstum und stützte ihre Verbündeten. In den siebziger Jahren wurde der "Spielraum" des US-Imperialismus jedoch immer kleiner. Die USA verstärkten die wirtschaftliche Konkurrenz gegenüber ihren Verbündeten. Sie taten dies, obwohl sie sich der Folgen für die Stabilität des Weltwirtschaftssystems bewußt waren. Die Krisen von 1974 und 1980/82 wurden durch die Ölpreisschocks nur verstärkt.
Die These von Joachim Hirsch, daß "jede historische Formation des Kapitalismus [...] ihre eigene Krise"33 habe, ist nicht grundsätzlich falsch. Die seit den siebziger Jahren andauernde krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus ist aber nur insofern eine historisch neue Krise, als die bekannten Zutaten früherer Krisen - wirtschaftliche und militärische Konkurrenz, Instabilität und Überproduktion - in einer neuen Zusammensetzung auftraten. Wenn Joachim Hirsch anmerkt, daß "in der Krise des Fordismus damit begonnen [wurde], ein neues, »postfordistisches« Akkumulationsmodell durchzusetzen"34, dann sieht er richtig, daß der Versuch, die Produktionstechnik umzustellen, nicht Ursache, sondern Folge der Krise in dem Sinne war, daß durch diese Umstellungen versucht wurde, der Krise entgegenzuwirken. Dies bedeutet aber, daß die Krise nicht, wie eine der Grundannahmen der Theorie des Postfordismus lautet, aus der Umstellung der Produktionstechnik und sich daraus ergebenden Widersprochen zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise entstanden ist. Die Umstellungen sind vielmehr Versuche der einzelnen Staaten, die nationale Profitrate durch eine Erhöhung der Mehrwertrate zu steigern.

Kommt der Postfordismus?

Die seit den siebziger Jahren zu beobachtende Verschiebung der Konkurrenz von der militärischen auf die wirtschaftliche Ebene hatte weitere Folgen. Die einzelnen Staaten nahmen immer weniger Rücksicht auf die Stabilität und die langfristige Entwicklung des Systems. Ihnen war der Spatz in der Hand gewissermaßen naher als die Taube auf dem Dach.
Die Folge ist, daß ein immer größer werdender Teil des Mehrwerts zur Akkumulation von Kapital verwendet wird. Die Änderungen im Produktionsprozeß, zu denen Joachim Hirsch die "Einführung neuer Produkte, neuer Produktions- und Kommunikationstechnologien, eine grundlegende Veränderung der Formen von Betriebs- und Arbeitsorganisation und die damit verbundene »Flexibilisierung« der Arbeitsverhältnisse"35 zahlt, halte ich aber im Gegensatz zu den Regulationstheoretikern für weniger bedeutsam. Joachim Bischoff, der sich ebenfalls oft auf regulalionstheoretische Ansätze stützt, bemerkt zu diesen Änderungen:
"In dem Modernisierungsprozeß handelt es sich nicht um die Alternative Massenproduktion versus handwerkliche Einzelfertigung. Nach wie vor handelt es sich um Großserienfertigung [...]. Flexible Standardisierung ist das dominierende Prinzip."36
Diese Änderungen in der Produktionstechnik sind zudem nicht Ursache der Krise, sondern eine Reaktion auf die Krise. Bei den meisten dieser Änderungen steht auch nicht die Steigerung der technischen Effi-zienz des Produktionsprozesses im Vordergrund, sondern die Erhöhung der Ausbeutung. Auch die Änderungen im Institutionengefüge, von denen sich viele Regulationstheoretiker eine Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen erwarten, sind von diesem Interesse geleitet. Die Angriffe auf die Gewerkschaften, die Privatisierung von Unternehmen oder der Versuch, die Renten- und Sozialversicherungsleistungen einzuschränken und private Versicherungen zu fordern, dienen nicht dem Zweck, das Institutionengefüge unter Wahrung der Rechte und des Einflusses der verschiedenen Gruppen zu optimieren, sondern haben das Ziel, die Ausbeutung der Arbeiter zu erhöhen und die Position ihrer Organisationen zu schwächen.
Es ist Joachim Bischoff zuzustimmen. wenn er schreibt: "Ein postfordistischer Kapitalismus zeichnet sich nirgendwo ab. [...] Wir sollten uns vielmehr auf eine Verschärfung der gesellschaftlichen Konflikte einstellen."37 Auch Joachim Hirsch zufolge bezeichnet der Begriff "Postfordismus" "eher das inzwischen recht lange anhaltende Fortdauern einer globalen kapitalistischen Krise"38.

Japan

Tatsächlich ist mit einer zunehmenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus zu rechnen. Die Wirtschaftskrise in Japan, das wegen der "Arbeitsmoral" der Beschäftigten und der geringen Zahl von Streiks, aber auch wegen der schnellen Einführung neuer Technologie sowie wegen der großen Verflechtung der Industrie und des steuernden Einflusses des Staates von vielen Regulationstheoretikern als Ansatz für ein neues Modell eines "postfordistischen" (d. h. nach-fordistischen) Kapitalismus gepriesen wurde, wirft ein Schlaglicht auf diese Entwicklung. Wie die Weltwirtschaftskrise 1929 wurde die japanische Krise durch eine sich, aus dem Boom ergebende unvorhergesehene Überproduktion verursacht, Wie 1929 fielen die Aktienkurse und Bodenpreise. Auch kam es kurzfristig zu einer Deflation, die nur durch eine extrem lockere Geldpolitik der japanischen Zentralbank, die den Diskontsatz bis auf 0,5% drückte, beseitigt werden konnte. Zudem legte die japanische Regierung fünf umfangreiche Investitionsprogramme auf, um die Krise abzuschwächen. Das zeigt, daß keynesianische Wirtschaftspolitik, die viele Regulationstheore-tiker als ein Hauptmerkmal des Fordismus ansehen, weiterhin betrieben wird. Nach dem Zusammenbruch des Systems der über den US-Dollar an das Gold gebundenen festen Wechselkurse 1971 wurde keynesianische Politik aber, wegen des drohenden Verlusts der Finanzmärkte in die nicht mehr an das Gold gebundenen Währungen in zunehmendem Maße nur noch dann betrieben, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab, eine tiefe Krise zu überwinden.
Die japanische Krise wurde durch zwei Überproduktionswellen in den Jahren 1988/89 und 1991 ausgelöst. Während die Lagerbestände 1987 noch weniger als 1 Bill. Yen betrugen, waren sie 1989 auf über 3 Bill. angewachsen. Nach einem kurzen Rückgang stiegen sie 1991 erneut auf über 3 Bill. Bereits die erste Welle führte zu einem Rückgang der Profite, die von 2% des Umsatzes 1989 auf 1,2% 1992 fallen, und in der Folge zum Fall der Börsenkurse. Aber erst die zweite Welle spülte die Konjunktur aus dem Boom von 1987/88 hinweg. Von 1991 bis 1992 fiel die Industrieproduktion um 6,1%, im folgenden Jahr um weitere 4,5%. 1992 brach schließlich die Bodenspekulation zusammen. Die Mieten neuer Büros in Tokio fielen um über 30%, die Mieten alter Büroräume um etwa die Hälfte. Erst die keynesianischen staatlichen Investitionsprogramme, die ab 1992 einsetzten und mit deren Hilfe der japanische Staat die Nachfrage in einem Umfang von etwa 2% des Bruttoinlandsprodukts seither unterstützt, konnten den Produktionsrückgang aufhalten. Der Wert der Lagerbestände fiel bis 1993 wieder auf unter l Bill. Yen. Seit dem Tiefpunkt der Rezession 1993 weist die japanische Wirschaft wieder geringe Wachstumsraten auf, die aber weit hinter den durchschnittlichen Zuwächsen in den letzten Jahrzehnten liegen.39
Kaum ist die letzte Krise halbwegs überwunden, kündigt sich am asiatischen Horizont jedoch bereits die nächste Überproduktionskrise an. Die Financial Times berichtet, daß "eine neue Investitionswelle [in der petrochemischen Industrie] der Vorbote einer Ära bedeutender Überkapazitäten und heftiger Preiskämpfe ist. Nirgends sind die Symptome deutlicher als in Südostasien. [...] Eine solche Aussicht mag für einige Industrien unbehaglich sein, aber für die chemische Industrie, in der Fabriken oft zu mehr als 90 Prozent ausgelastet sein müssen, um profitabel zu sein, könnte es sehr schmerzhaft werden. [..,] eine anhaltende Phase des Überangebots von Basischemikalien (Ethylen und seine Derivate) könnte bereits zum Ende des Jahres 1997 anfangen."40
Die Krise der neunziger Jahre ereignet sich nach einem Jahrzehnt, in dem sich der Klassenkampf zunehmend abschwächte. Einen neuen Aufschwung der Klassenkämpfe gab es erst, als die Krise bereits ausgebrochen war. Und vor altem in Japan gingen der Krise Jahre eines unaufhaltsam scheinenden Aufschwungs und stetiger Produktivitätssteigerungen voraus. Um so deutlicher zeigt die heutige Krise, daß es die kapitalistische Produktionsweise selbst ist, aus der heraus immer neue Krisen resultieren. Wenn Marx von den Einflüssen der politischen Verhältnisse (also regulationstheoretisch gesprochen: der Regulationsweise) bei der Ausarbeitung seiner Theorie im "Kapilal" zunächst abgesehen hat und sie erst später mit einbezog, dann tat er dies nicht, weil er geschichtliche Prozesse allein aus den Veränderungen der Ökonomie erklären wollte, sondern um zu zeigen, daß der Kapitalismus unabhängig vom bewußten Handeln der Arbeiterklasse oder anderer Klassen. Organisationen und Institutionen sich verschärfende Krisen erzeugt.
Auch wenn diese politischen, kulturellen oder technischen Veränderungen die jeweilige Gestalt von Krisen beeinflussen können, so können sie an der Tatsache, daß Krisen - und Kriege als eine mögliche Konsequenz - aus den inneren Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft entstehen, nichts ändern. Für Marxisten ist daher die Alternative nicht "störungsfreie Entwicklung des Kapitalismus" oder Klassenkampf, sondern, wie Rosa Luxemburg richtig sagte: Sozialismus oder Barbarei!


Anmerkungen

1 Siehe z. B. Michel Aglietta: Regulation et crises du capitalisme, Paris 1976; Robert Boyer: La theorie de la regulation: une analyse critique. Paris 1986; Joachim Hirsch und Roland Roth: Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus, Hamburg 1986; Alain Lipietz: Miniges et miracles, The crises (of global Fordism, London 1987; Karl Polanyi: The great transformation, Frankfurt/M. 1990; J. Esser, C. Görg und J. Hirsch: Politik. Institutionen und Staat. Zur Kritik der Regulationstheorie, VSA-Verlag, Hamburg 1994; Amin Ash: Post-Fordism, Oxford und Cambridge. Mass.1995; Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat, Edition ID-Archiv, Berlin 1995
2 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S.51.
3 Alain Linietz: "Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise", in: PROKLA Nr. 58 (1985), S. 121
4 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 61
5 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 62
6 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 20
7 Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, Dietz Verlag, Berlin 1981,S. 13
8 Friedrich Engels, Brief an H. Starkenburg (1894), in: Iring Fetscher (Hg.): Marx/Engels. Studienausgabe, Bd. l. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1990, S. 232
9 Friedrich Engels (1894), s. Fn. 8, S. 233
10 Antonio Gramsci, "Euvres Choisies", Paris 1959, S. 104 (hier: Iring Fetscher (Hg.): "Der Marxismus", Bd. 1, Piper & Co. Verlag, München 1962, S. 250)
11 Quelle der Daten: OCDE, Centre de Deve-loppement (A. Maddison): L'economie mondiale 1820-1992. Paris 1995, S. 272f. Leider sind dort nur für Großbritannien und die USA genaue Daten ab 1820 angegeben. Es ist ferner zu beachten, daß die Zahlen in realen US-$ auf der Basis von 1990 ausgedrückt sind. In anderen Währungen und mit anderen Korrekturgrößen für den Ausgleich der Inflation berechnete Daten können daher von den hier wiedergegebenen Daten abweichen. Die Schaubilder sind daher nur der Tendenz nach für den Verlauf der dargestellten Größen aussagekräftig.
12Berechnung: 100 % abzüglich korrigierter Lohnquote. Die Zahlen geben natürlich nur Näherungswerte wieder und sind wegen ihrer Tendenz im Zeitverlauf interessant. So werden etwa Managerlöhne, die nach marxistischer Sicht zum größten Teil umverteilter Mehrwert sind, in dieser Darstellung zur Lohnsumme gezählt. Quelle: Keizer/Lazarsfeld: La Triade economique et finanziere. Ed. du Seuil, Paris 1996, S. 303, dort nach OECD
13Es ist ein ziemlich weit verbreiteter Irrtum, Marx habe die Profitrate als Verhältnis von dem in einer Periode verbrauchten Kapital zur Profitmasse berechnet. Marx bezieht den Profit auf das in der Produktion angewandte Kapital (wobei er allerdings die Länge der Periode oft so wühlt, daß der Wert des verbrauchten Kapitals dem Wert des Kapitalbestands entspricht, das Kapital sich in einer Periode also einmal umschlägt): "Der Preis einer Ware, welcher gleich ist ihrem Kostpreis plus dem im Verhältnis ihrer Umschlagsbedingungen auf sie fallenden Teil des jährlichen Durchschniltsprofits auf das in ihrer Produktion angewandte (nicht bloß das in ihrer Produktion konsumierte) Kapital ist ihr Produktionspreis." (Das Kapital. Bd. 3, MEW 25, Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 165f. Der Text in Klammem stammt von Marx.)
14 Quelle der Daten; OCDE 1995. s. Fn. II
15 Quelle der Daten: OCDE 1995, s. Fn. 11
16 Das Verhältnis BIP/Kapitalbestand fallt in der BRD von 55,0 % (1950) über 51,5 % (1973) auf 42.4 % (1992), in Frankreich von 56,7 % (1950) über 50,8% (1973) auf 34,3 % (1992). Quelle: OCDE, Centre de Developpement, s. Fn.11,S,40
17 In Japan waren 1950 nur 39,5 % aller Erwerbspersonen Lohnabhängige.
18 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 62
19 Quelle der Daten: D, E. Baines, in: Die Vereinigten Staaten von Amerika, Fischer Weltgeschichte, Bd. 30, Fischer Verlag Frankfurt/M. 1977,S. 320
20 vgl. zum Einfluß der Kriegs- und Rüstungswirtschaft auf den Kapitalismus den Artikel von Andreas Berlin in diesem Heft
21 vgl. New York Times: Weekly Business Index. Der kurzfristige Konjunkturrückgang wird in Diagramm Nr. 4 nicht voll erfaßt.
22 D. B. Baines 1977, s. Fn. 19, S. 291 f.
23 Quelle der Daten: OCDE 1995, s. Fn. 11. S. 35. Der Ausbildungskoeffizient entspricht der durchschnittlichen Zahl der gewichteten Schuljahre (Faktor: weiterführende Schulen: 1,4; Hochschulen: 2,0)
24 Quelle: Wirtschaftsdienst, 1928, Heft 36, Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv u. a., 7. 9. 1928, S. 1459f.
25 vgl. Wirtschaftsdienst, 7. 9. 1928, S. 1461
26 Wirtschaftsdienst, 7.9.1928. S. 1461
27 Der NATO-Vertrag wurde in Washington unterzeichnet.
28 In der Raumfahrttechnik war die Sowjetunion den USA sogar für kurze Zeit voraus. Der Start des sowjetischen Sputnik, des ersten Weltraumsatelliten, im Jahr 1957, wird seither von amerikanischen Historikern oft als "Sputnik-Schock" beschrieben.
29 zitiert nach Henry A. Kissinger: Memoiren, Goldmann Verlag (Berteismann GmbH), München 1981, Band II, S. 1198
30 "Alle für wirtschaftliche Fragen zuständigen Behörden waren einstimmig der Auffassung, daß der Dollar überbewertet sei und daß das unserer Zahlungsbilanz schadete." (H. A. Kissinger, s. Fn. 29, S. 1199)
31 H. A. Kissinger 1981, s. Fn. 29, S. 1201
32 H.A. Kissinger 1981, s. Fn. 29, S. 1202f.
33 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. 1, S. 62
34 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 88
35 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 88
36 Joachim Bischoff: Restauration oder Modernisierung?, VSA-Verlag, Hamburg 1995, S. 29. Bischoff teilt viele Grundannahmen der Regulationstheorie, aber betont stärker die Klassengegensätze in der Gesellschaft.
37 Joachim Bischoff 1995, s. Fn. 36, S. 30f.
38 Joachim Hirsch 1995, s. Fn. l, S. 178
39 Quelle der Daten: OECD, Statistics Direktorate: National Accounts 1960-1993, Bd. l, Paris 1995, S. 37 und OECD: Etudes economiques de l'OECD 1994-1995 Japon, Paris 1995, S. 5, Kf., 39. 56 und 67. Die keynesianischen Wirtschaftsprogramme schlagen sich in den Statistiken der OECD als 'strukturelle Komponente' (OECD) der Staatsausgaben nieder, die den Teil bezeichnen, der nicht auf durch die Konjunktur bedingte 'automatische' Änderungen der Ausgaben zurückzuführen ist, also vom Staat bewußt zur Steuerung der Nachfrage eingesetzt wird.
40 Financial Times. 12.6. 1996

 






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