Sozialismus von unten
Sozialismus von unten, Nr.3, März 1995


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Christian Schröppel

 

Deutsche Truppen auf dem Balkan

Friedensdienst oder Militarismus?



Noch Ende November 1994 äußerte sich Außenminister Kinkel ablehnend zu deutschen Militäreinsätzen auf dem Balkan: „[...] ich hätte große Sorge, wenn ausgerechnet im früheren Jugoslawien der erste deutsche Auslandseinsatz außerhalb des Bündnisgebietes stattfände. “ [1] Am 8.12. erklärt Kanzleramtschef Bohl, die Regierung sehe angesichts der „Voranfrage “ der NATO „keinen Entscheidungsbedarf “. [2] War die Entscheidung etwa schon gefallen? Kinkel erklärt am 18. 12., daß Deutschland sich „nicht entziehen “ könne. Scharping, der auch am 13.12. noch keinen Entscheidungs-, geschweige denn oppositionellen Handlungsbedarf sieht [3], braucht eine knappe Woche, eine geeignete Formulierung zu finden: „Wir wollen, daß humanitäre Maßnahmen durchgeführt werden. Wenn man dabei auch Schutz bieten muß, dann muß man das tun. “ [4]

Nicht nur die Geschwindigkeit des offiziellen Positionswechsels von Regierung und Teilen der SPD-Spitze war ungewöhnlich, auch die Inszenierung: Die Bundesregierung bestellt bei der NATO eine an sie selbst gerichtete Anfrage, um die NATO wenig später aufzufordern, sie zur „Voranfrage “ herabzustufen. So meldet etwa der Rheinische Merkur am 2.12.: „Das offizielle Verfahren für den Ersatz der britischen Luftwaffe ist noch nicht eingeleitet. Es wird erst in Gang gesetzt. wenn klar ist, wer diese Mission übernimmt. Erst wenn Bonn intern grünes Licht gegeben hat, wird der Antrag offiziell über die NATO-Gremien an die Bundesregierung üherstellt. “ [5]

Die zunächst bestehende allgemeine Unklarheit über den Zweck des Einsatzes ermöglicht es der SPD-Spitze (zunächst Voigt, Gansel, dann Scharping, vorläufig – Stand 2.3.95 – letzter Überläufer ist Verheugen, dagegen sind – noch? – Lafontaine und Wieczorek-Zeul), ihre Partei mit dem Hinweis auf die Hilfslieferungen relativ ruhig zu halten. Der Bundesregierung, die sich über die Anfrage völlig überrascht zeigt – obwohl sie selbst in allen NATO- Gremien vertreten ist – kommt dies angesichts der Tatsache, daß sich trotz der Verwirrung nach einer vom konservativen Kabelsender n-tv in Auftrag gegebenen Umfrage 61% der Bevölkerung gegen einen Tornado-Einsatz aussprechen [6], sehr entgegen.

Daß die Bundesregierung ECR-Tornados, die mit einem Abwehrsystem gegen radargesteuerte Flugabwehrraketen ausgerüstet sind, auf den Balkan schicken will, beweist, daß es nicht um den Schutz von Hilfsflügen geht. Denn die langsamen Transportflugzeuge begrenzen von vornherein die Geschwindigkeit der Tornados, so daß beide von infrarotgesteuerten Abwehrraketen abgeschossen werden könnten. [7] Zudem setzte die NATO bei einigen Einsätzen bereits die golfkriegserprobten EF-111-Kampfflugzeuge ein, ohne daß dies zu Sicherheitsbedenken Anlaß gegeben hätte. Der Einsatz der deutschen Tornados ist also rein technisch nicht zu begründen, zumal auch die USA ECR-Tornados besitzen. Inzwischen ist bekannt, daß neben den Tornado-Einsätzen auch die Entsendung von 1.900 Soldaten vorgesehen ist, von denen mindestens 70 in Bosnien-Herzegowina stationiert werden sollen. [8]

Hinter dem geplanten Einsatz sind also politische Gründe zu suchen. Das bereits angeführte Zitat aus dem Rheinischen Merkur gibt einen Hinweis: Großbritannien will seine Luftwaffe offenbar nicht zum Schutz des Abzugs seiner eigenen Blauhelme einsetzen, während Deutschland angeblich den Verbündeten den Schutz nicht verweigern könne. Die Bundesregierung verfolgt nicht nur die langsame Gewöhnung der deutschen Bevölkerung an Kriegseinsätze in aller Welt, sondern auch ganz spezifische außenpolitische Interessen. [9]

 

Deutsche Anerkennungspolitik

Wie stark sich die Interessen innerhalb der NATO, von Rußland und den islamischen Staaten abgesehen, unterscheiden, wurde am deutlichsten in der Frage der Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken. Am 16.12.91 beschlossen die EG-Außenminister auf einer Sondersitzung einen Gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf die Anerkennung jugoslawischer Republiken “, der unter anderem einen besonderen Autonomie-Status („Special status “) für die Gebiete verlangte, in denen eine ethnische Minderheit überwiegt. Er sah das Recht auf ein den Bedürfnissen der Bevölkerung angemessenes Erziehungswesen, eine Verwaltungsstruktur mit eigener Polizei und anderes vor. Eine eigens hierfür eingerichtete Schlichtungskommission sollte die Einhaltung der Kriterien überprüfen.

Die Bundesregierung stellte diese Kommission und die anderen EG-Staaten jedoch vor vollendete Tatsachen, als es Kroatien, das am 25.6.91 seine Unabhängigkeit erklärt hat, bereits am 23. 2. desselben Jahres, zusammen mit Slowenien, anerkannte. Die Schlichtungskommission der EG kommt dagegen am 14.1.92 zu dem Schluß, daß „das Verfassungsgesetz [Kroatiens] vom 4. Dezember 1991 nicht alle Vorkehrungen des Vertragsentwurfs ... abdeckt, insbesondere jene des Kapitels II, Art. 2-c unter dem Titel ‚Special status‘ nicht. “ [10] Dennoch erkennen unter dem Druck Deutschlands alle EG-Staaten am 15.1.92 neben Slowenien auch Kroatien an.

Die Bundesregierung scheint sich an den Machenschaften des kroatischen Präsidenten Tudjman, der in den deutschen Medien oft als der Vertreter des neuen, demokratischen Kroatiens dargestellt wird, wenig zu stören. Ohne seine nationalistische Politik wäre es aber wahrscheinlich nicht zum Aufstand der Krajina-Serben gekommen, der der Anlaß für den Angriff Serbiens auf Kroatien war. Tudjman benannte die neue Währung Kroatiens nach dem im vom nationalsozialistischen Deutschland installierten „Unabhängigen Staat Kroatien “ gültigen „Kuna “. Im Dezember 1990 wurde der Hinweis auf die „serbische Nation “ als Bestandteil des Staates aus der Verfassung gestrichen. [11] In staatlich kontrollierten Zeitungen wird immer öfter auf alte, schon fast völlig verschwundene kroatische Sprachvarianten zurückgegriffen und versucht, die Unterschiede zwischen Kroaten und Serben zu betonen. Die kroatische Regierung hat den „Platz der Opfer des Faschismus “, einen der größten Plätze Zagrebs, in „Platz der Großen Kroaten “ umbenannt und die Gründung einer faschistischen Gruppierung unter dem Namen „Ustaša-Jugend “ genehmigt. [12] Die internationale Presse, vor allem die deutsche, schweigt sich über diese Vorgänge aus. Bei den kroatischen Serben riefen sie jedoch die Erinnerung an die Verfolgung durch die kroatische faschistische Ustaša-Bewegung, die während des Zweiten Weltkriegs Hunderttausende Serben und Angehörige anderer Volksgruppen ermordete, wach.

 

Selbstbestimmungsrecht der Völker?

Die kroatische Regierung begründete ihr Streben nach Unabhängigkeit vor allem mit dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker “. Diese Formulierung wird schon beim Versuch, „Völker “ gegeneinander abzugrenzen, absurd. Abgesehen davon: Wenn die kroatische Regierung Selbstbestimmung für sich reklamiert, dann muß diese für alle Menschen gelten, die in Kroatien leben. Durch die Diskriminierung der serbischen Minderheit versuchte die Regierung, von den sozialen Härten, die mit dem vollständigen Übergang in die Konkurrenz des Weltmarkts verbunden waren, abzulenken und so ihre Macht zu sichern. Daß der Nationalismus tatsächlich von außen in die Dörfer, in denen sich die Traditionen der Volksgruppen immer mehr anglichen, getragen wurden, zeigt eine Umfrage unter 650 Flüchtlingen aus 52 gemischtnationalen Gemeinden Kroatiens, von denen nur 5% Intoleranz erwähnten und nur 1% einen konkreten, ethnisch begründeten Streitfall nannten. [13]

Zum ersten größeren Aufstand der kroatischen Serben kam es am 17. August 1990 in Knin. [14] Die Kämpfe eskalierten im März 1991, und im Juli 1991, nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens eröffnete Serbien den Krieg gegen Kroatien. Der Aufstand der serbischen Minderheit in Kroatien war natürlich ein willkommener Anlaß für die groß-serbischen Nationalisten. Andererseits wäre der Angriff ohne die Unterstützung der unterdrückten serbischen Minderheit wohl kaum möglich gewesen. Schuld an dem Krieg tragen die Regierungen beider Staaten.

Karte von Bosnien

Im Frühjahr 1992, kurz nachdem der serbische Präsident Milosevic den Krieg in Kroatien für beendet erklärte, griff der Krieg auf Bosnien-Herzegowina über. Viele Indizien sprechen dafür, daß sich Tudjman und Milosevic bereits bei einem Treffen in Belgrad im Januar 1991 auf einen Teilungsplan für Bosnien-Herzegowina geeinigt haben. [15] Die Entwicklung in Gesamt-Jugoslawien war entscheidend für die Ausbildung und das Verhalten der ethnischen Bewegungen in Bosnien-Herzegovina. Noch 1990 beschrieben in einer Umfrage 90% der Befragten die ethnischen Beziehungen an ihrem Wohnort als gut oder sehr gut. [16] Durch die Angst der Kroaten und Moslems vor serbischer Unterdrückung im Falle des Verbleibs Bosnien-Herzegowinas in der jugoslawischen Föderation und die Furcht der Serben vor dem Anschluß einer unabhängigen bosnisch-herzegowinischen Republik an Kroatien fanden jedoch die regionalen Ableger der in Kroatien und Serbi en regierenden nationalistischen Parteien großen Zulauf.

 

Nationalismus und Widerstand

Viele machten die Bevölkerung der jeweils anderen Seite für die Verbrechen ihrer Regierung verantwortlich und sahen nicht die grundlegende Interessendifferenz zwischen den nationalistischen Kriegstreibern und der Bevölkerung. So wuchs das Mißtrauen zwischen den Volksgruppen selbst und wirklicher nationalistischer Haß breitete sich aus. Vor allem in Kroatien gelang es der Regierung, durch eine Burgfriedens-Politik die sozialen Gegensätze in den Hintergrund treten zu lassen: Die kroatischen Gewerkschaften beschlossen, während des Kriegs auf Streiks zu verzichten.

Es gab allerdings auch Widerstand gegen den Nationalismus: Anfang März 1992, nachdem die ethnisch orientierten Parteien in Sarajewo begannen, Barrikaden aufzubauen, gelang es Tausenden von unbewaffneten Demonstranten aller Nationalitäten, die Straßen vorübergehend freizuräumen. Aber auch in den anderen Republiken formierten sich Bewegungen gegen den Krieg: Mitte März 1991 lieferten sich nach einer Demonstration vor allem jugendliche Gegner des serbischen Regimes Barrikadenkämpfe mit der Armee. Im Frühsommer 1992 fanden in Belgrad mehrere Demonstrationen mit bis zu 100.000 Menschen statt. [17]

Seit 1991 riefen sowohl die serbischen wie die kroatischen Bewegungen in Bosnien-Herzegowina unabhängige Gebiete aus und paßten deren Rechts- und Wirtschaftssystem an die Nachbarrepubliken an. Die Kroaten, die zunächst die muslimischen Bosniaken im Kampf gegen die Serben unterstützten, kündigten, sobald sich im Herbst 1992 die Front gegen die Serben stabilisiert hatte, die Zusammenarbeit mit den Muslimen auf und versuchten, selbst Gebiete im Westen Bosnien-Herzegowinas zu erobern. Die Situation der muslimischen Truppen ist aber nicht so schlecht, wie die Landverteilung suggeriert, da die Serben jedoch nur wenige Städte einnehmen konnten. Die Muslime verfügen über einen Großteil der Infrastruktur, der industriellen und vor allem der Rüstungsproduktion. Bis zur Bildung der kroatisch-muslimischen Föderation, die im Frühjahr 1994 unter Vermittlung der USA zustande kam, hatten die muslimischen Truppen 40% des von den Kroaten besetzten Gebietes zurückerobert. [18]

Angesichts der Kriegsgreuel in Ex-Jugoslawien fragen sich viele, warum es nicht zu einem militärischen Einsatz der „Völkergemeinschaft “ wie im Kuwait-Konflikt gekommen ist. Dies lag wohl weniger daran, daß in Ex-Jugoslawien kein Öl und kaum sonstige Bodenschätze zu finden sind, sondern an den widerstreitenden Interessen innerhalb des UNO-Sicherheitsrats und der NATO. Zudem ist auch der UNO und der NATO klar, daß mit dem Ende des Krieges die sozialen Kämpfe in den ex-jugoslawischen Staaten wieder aufleben würden. Eine Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung, die dann zur Stützung der Regierungen und des kapitalistischen Systems notwendig wäre, scheitert jedoch an den Bedingungen der weltweiten Konkurrenz. Ein Ausscheren aus dem Weltmarkt würde aber die wirtschaftlichen Interessen der europäischen Mächte und der USA, die auf neue Absatzmärkte auf dem Balkan hoffen, gefährden.

 

Widerstreitende Interessen

Gerade diese widerstreitenden Interessen waren es, die eine gemeinsame militärische Intervention verhinderten. So betrug der Handel Deutschland mit Kroatien 1992 trotz des Krieges 37% des Handels mit Jugoslawien in 1990. Frankreichs Handel mit Kroatien betrug dagegen nur 7,4% seines Handels mit Jugoslawien. Der Handel Kroatiens mit Deutschland und Italien ist über zwölfmal so groß wie der Handel mit Großbritannien und Frankreich (siehe Schaubild). Dementsprechend stand Deutschland eindeutig auf seiten Kroatiens, während Frankreich und England Jugoslawien als einheitlichen Staat erhalten wollten. Alte Beziehungen, die bis in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurückreichen, wirken hier offenbar fort.

Handel Kroatiens und Sloweniens

Tatsächlich sind hinter den Kulissen der oftiziellen Politik andere Töne zu hören. So schreibt etwa Rainer Winkler, Referent im Zentralen Forschungs- und Studienbereich des Amtes für Studien und Übungen der Bundeswehr: „[...] unsere politische Führung tut gut daran, das durch die Vereinigung gewachsene Gewicht herunterzuspielen und nicht den Anschein zu erwecken, die Führung in Europa zu beanspruchen. Dazu ist es mindestens zwei Generationen zu früh. “ [19]

Aber die europäischen Mächte verband auch ein gemeinsames Interesse: die politische Stabilität in Europa zu wahren. Die Europäische Union, die den politischen und wirtschaftlichen Einfluß der europäischen Mächte in der Konkurrenz zu Japan und den USA stärkt, durfte nicht gefährdet und der angeknackste Glaube der Bevölkerung an die europäische Integration nicht weiter erschüttert werden. Die UNO, in der die westlichen Mächte den Ton angehen, entsandte daher im Frühjahr 1994 14.000 Blauhelm-Soldaten nach Kroatien, Bosnien und Makedonien, die humanitäre Hilfe leisten und verhindern sollten, daß sich der Krieg ausbreitet und andere Konflikte in der Region, etwa zwischen Griechenland und der Türkei, neu aufleben.

Die Gegensätze zwischen den europäischen Staaten wurden erneut deutlich, als Tudjman Mitte Januar 1995 das Mandat der UNO-Soldaten, das bis Ende März 1995 dauert, nicht verlängerte. Der höchste General Kroatiens erklärte, daß „es nun an uns liegt, die Ziele sowie den Ort und die Zeit für einen Angriff [gegen die Krajina-Serben] zu bestimmen. 1992 konnten wir es nicht tun, weil uns die Mittel fehlten. “ [20] Während Frankreich sofort dazu aufrief, eine große Konferenz einzuberufen, schwieg Deutschland. Die kroatischen Drohung, Krieg gegen die Krajina-Serben zu führen, war in den deutschen Medien meist nur zwischen den Zeilen zu finden.

Tatsächlich haben die Kroaten seit dem Ende des serbisch-kroatischen Krieges beträchtlich aufgerüstet und stellen inzwischen auch die bosnisch-kroatische Föderation in Frage. Sie verweigerten den Moslems die turnusmäßige Besetzung des Präsidentenamtes der Föderation. Auch Kriegsdrohungen gegen die Moslems wurden wieder laut. [21] Die Anfang März beschlossene Bildung eines gemeinsamen militärischen Oberkommandos Kroatiens und der Föderation ist vermutlich auf ein Einlenken der Moslems zurückzuführen. Unterdessen zeichnet sich eine noch bedenklichere Entwicklung ab: Am 17. Februar erklärte Tudjman, daß er zwar die UNO-Truppen ablehne, mit der Stationierung von NATO-Truppen aber einverstanden sei. [22] Tudjman hat die UNO-Truppen abgelehnt, weil sie ihm bei seinem geplanten Krieg gegen die Krajina-Serben im Weg stehen. Offenbar steht die NATO, in der die USA und zunehmend Deutschland den Ton angeben, Kroatien näher als die UNO.

 

NATO gegen Serben?

Es gibt Indizien, daß der verkündete Schutz für die UNO-Blauhelme sich zu einem offenen Krieg der NATO gegen die Serben entwickeln kann. So meldet etwa die taz, daß „nach inoffiziellen Angaben bei einem Rückzug der UNPROFOR-Truppen aus den serbisch besetzten Gebieten kroatische Truppen mit Unterstützung der NATO versuchen, in die serbisch besetzte Zone vorzudrin gen. Auch für Bosnien sei ein ähnliches Szenario vorstellbar “ [23] Und die International Herald Tribune berichtet, daß „westlichen Beamten zufolge die NATO einen Bericht veröffentlichte, der andeute, daß UN-Beamte bei der Darstellung einer möglichen geheimen Operation [der NATO], bei der Waffen an die bosnische Regierung geliefert worden seien, konfus und ungeschickt gewesen seien. “ [24] Norwegische UNO-Soldaten, die ein amerikanisches Transportflugzeug im Tiefflug über Tuzla gesehen haben, seien, als sie den Vorfall untersuchen wollten, von bosnischen Truppen beschossen worden. Meint das Bundesverteidigungsministerium etwa solche Aktionen, wenn es davon spricht, die Vereinten Nationen „sollen in ihrem Wesen als Organisationen kollektiver Sicherheit erhalten bleiben. Sie treten nicht in Konkurrenz zu den Bündnissen. “ [25]

Die Taktik der Bundesregierung, unter dem Deckmantel angeblich „humanitärer Einsätze “ die Bevölkerung auf den Einsatz deutschen Militärs in aller Welt vorzubereiten, hat die Linke stark verunsichert. So behauptet etwa Daniel Cohn-Bendit (B90/Grüne), eine „Renationalisierung des Denkens entsteht dann, wenn die Völker der Welt sehen, daß keine internationale Gemeinschaft bereit ist, das kleine multikulturelle Volk in Bosnien zu unterstützen. “ [26] Cohn-Bendit verkennt, daß die herrschenden Klassen in allen Ländern und zu allen Zeiten ihre eigenen Interessen, ob in nationalen Bahnen, in Bündnissen oder durch den Versuch, internationale Organisationen zu schaffen und zu beeinflussen, vertreten haben, notfalls mit militärischen Mitteln – und oft mit wenig Rücksicht auf die eigene Bevölkerung, geschweige denn auf die an- derer Staaten. Gerade diese ruft er dazu auf, den Nationalismus durch eine Intervention in Bosnien zu bekämpfen, die er offenbar primär als eine pädagogische Maßnahme ansieht.

Gerade der Krieg in Bosnien-Herzegovina hat gezeigt, daß sich immer dann, wenn der internationale Druck gegen eine Seite (meist gegen die Serben) erhöht wurde, die anderen Kriegsparteien umso rücksichtsloser vorgingen. Beispielsweise fand im Herbst 1994, als im amerikanischen Kongreß die Stimmen für eine Aufhebung des Waffenembargos gegen die Muslime laut wurden, eine Offensive der Streitkräfte der „multikulturellen “ bosnischen Regierung in Sarajevo und Bihac statt.

 

Die Antikriegsbewegung unterstützen!

Eine Militärintervention würde aber auch dann, wenn sie nicht ohnehin für eine Seite Partei ergriffe, die Bevölkerung in den Staaten Ex-Jugoslawiens nur fester an ihre jeweilige Regierung binden, die dann von ihren eigenen Verbrechen ablenken kann. Die Bewegungen gegen den Krieg, die es in allen Staaten Ex-Jugoslawiens gibt, würden von den Regierungen mit dem Argument, in der Not müsse das Volk zusammenstehen, um so stärker unterdrückt. Sie sind aber die einzigen, die einen dauerhaften Frieden erreichen können, indem sie auf die Rolle der Herrschenden hinweisen und so erreichen können, daß die Völker sich nicht mehr gegeneinander, sondern die Kriegstreiber, die an den jeweiligen Machtpositionen sitzen, bekämpfen.

Deshalb ist es wichtig, sich mit diesen Bewegungen zu solidarisieren und sie zu unterstützen. Die Aufgabe der europäischen Staaten wäre es, Deserteuren aus allen Republiken Ex-Jugoslawiens Asyl zu gewähren. Nur wenn sich die Deserteure sicher sein können, nicht zurückgeschickt zu werden, kann sich die Desertionsbewegung verstärken und für die Kriegstreiber gefährlich werden. Nicht zuletzt muß die Linke darauf hinweisen, daß es die Konkurrenzbedingungen des kapitalistischen Weltmarkts sind, die schwächere Standorte dazu zwingt, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die Unterdrückung der arbeitenden Bevölkerung zu erhöhen, etwa durch eine drastische Senkung der Löhne. Nationalismus und Krieg sind dann das Ventil, das die Herrschenden öffnen, bevor sich die Wut der Bevölkerung gegen sie selbst richtet.

 

Anmerkungen

1. zit. nach: FAZ, 30.11.94

2. zit. nach: taz, 8.12.94, S.1

3. vgl. taz, 14.12.95, S.1

4. zit. nach: taz, 19.12.94, S.1

5. Jürgen Berg, in: Rheinischer Merkur, 2.12. 94, zit. nach: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/95, S.146

6. vgl. Blätter, 2/95, S. 149

7. vgl. taz, 22.2.95, S.5

8. Frankfurter Rundschau 23.2.95, S.1

9. Siehe dazu auch meinen Artikel: Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik, in: Sozialismus von unten, Nr.1 (Sept. 94)

10. Gutachten Nr. 5, zit. nach: Cornelia Domaschke und Birgit Schliewenz: Spaltet der Balkan Europa?, Aufbau Taschenbuch Verlag 1994, S.246

11. vgl. Catherine Samary: Krieg in Jugoslawien, Neuer ISP Verlag 1992, S.77

12. vgl. C. Samary, a.a.O., S.34 und 122

13. vgl. Marie-Janine Calic: Der Krieg in Bosnien-Hercegovina, Suhrkamp 1995, S.57

14. vgl. C. Domaschke, B. Schliewenz, a.a.O., S.238

15. vgl. M.-J. Calic, a.a.O., S.65f.

16. vgl. M.-J. Calic, a.a.O., S.56f.

17. vgl. Die Ethnisierung des Sozialen, Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6, Schwarze Risse Verlag 1993, S.79f.

18. vgl. M.-J. Calic, a.a.O., S.105

19. Rainer Winkler: Die Zukunft der NATO, in: Europäische Sicherheit, Januar 95, S.34

20. übersetzt nach: Balkan News & East European Report, 16-22. Januar, S.13

21. vgl. Norbert Mappes-Niedeck: Flammt der Balkan-Krieg neu auf?, in: vorwärts, 3/95, S.12

22. vgl. Balkan News & EER, 19-25. Februar, S.13

23. taz, 1.3.95, S.2

24. International Herald Tribune, 2.3.95

25. Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 1994, Bonn 1994, Ziffer 464, zit. nach: FEST/IFSH/HSFK: Friedensgutachten 1994, LIT Verlag 1994, S.219

26. taz, 7.2.95, S.10

 






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